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Die Fesseln sprengen

von Gabi

Kapitel 1

Als sie in den Spiegel sah und ihrem eigenen Bild eine Grimasse schnitt, nahm sie sich vor, dass es das letzte Mal sein würde. Doch wie oft hatte sie sich das schon vorgenommen? Wie oft hatte sie dieses Gesicht schon gesehen? Fremd, kalt, als würde es einem anderen Menschen gehören. Wie oft hatte sie sich schon geschworen, dass es das letzte Mal wäre? Zu viele Male, als dass sie sich selbst überhaupt noch glauben konnte. Mit einer unwirschen Bewegung griff sie nach dem Puder. Noch eine Applikation hier, ein kleiner Tupfer da und die Maske war perfekt. Strahlend, schön - und völlig gefühlslos. Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte ihr das Gesicht, welches die Welt sah. Dann erhob sie sich von dem Frisiertisch, um ihre Arbeit zu beginnen.

* * *


Dr. Julian Bashir blickte auf das Chronometer und deaktiverte seinen Computer. Die weiteren Eintragungen ins medizinische Logbuch mussten bis morgen früh warten. Diesen Abend wollte er nicht mit Arbeit verbringen. Es war selten genug, dass sich jemand nach DS9 verirrte, der nicht nur Zwischenstation machte oder mit Quark dubiose Geschäfte abwickeln wollte. Was dieser Station eindeutig fehlte, war ein Kulturprogramm. Wenn man unterhalten werden wollte, dann beschränkte sich die Auswahl auf Quarks Holosuiten, die bei all ihren Möglichkeiten doch nicht das „Echte“ ersetzen konnten, wie Colonel Kira immer wieder zu betonen pflegte. Es war die Bajoranerin, welcher das Stationspersonal die seltenen Abende musikalischer und anderer künstlerischer Darbietungen zu verdanken hatte. Von Zeit zu Zeit gelang es ihr, einen Künstler ihres Heimatplaneten zu verpflichten.

Heute Abend jedoch stand eine Tanzdarbietung von der guten alten Erde auf dem Programm. Bashir vermutete zwar, dass sie nicht gerade die Créme de la Créme zu sehen bekamen, wer verirrte sich schon in Kriegszeiten in diesen Winkel der Galaxis? Doch niemand von ihnen war ein Experte auf dem Gebiet, am ehesten noch er selbst, weil er in seiner Jugend mit einer Ballettänzerin zusammen gewesen war. Diese hatte versucht, ihm die Feinheiten des Tanzes näherzubringen und die unterschiedlichen Herangehensweisen der jeweiligen Interpreten zu erklären. Er hatte jedoch damals schon nur die Hälfte davon verstanden, und das war über zehn Jahre her. Auf jeden Fall freute er sich auf die angekündigte Abwechslung, ganz gleich, wie gut oder schlecht die Tänzer auch sein mochten. Er rief der diensthabenden medizinischen Assistentin zu, dass er für heute Schluss machen würde, und war aus der Station noch ehe diese ihre Erwiderung abgeben konnte.

Kurze Zeit später befand Bashir sich wieder auf der Promenade. Dieses Mal hatte er seinen schwarz-grauen Starfleet-Overall gegen etwas Eleganteres getauscht: schwarze Seidenhose und -Jackett über einem dunkelroten Hemd mit offenem Kragen. Jadzia Dax hatte einmal die Bemerkung fallen lassen, dass ihm dunkelrot sehr gut stünde, seitdem ertappte sich der Doktor immer wieder dabei, diese Farbe unbewusst auszuwählen. Auch dies schien ein Leben her zu sein. Die Gedanken an die verstorbene Wissenschaftsoffizierin hatten sich mit der Zeit zerstreut – nicht zuletzt durch Ezri. Wenn er mit ihr zusammen war, dann war alles von Ezri bei ihm – und auch ein Teil Jadzia. In anderen Kulturen mochte der Tod das Ende sein, nicht jedoch bei den Trill. Er hatte so viel verloren geglaubt, jedoch, als er den Blick schließlich gesenkt hatte, waren seine Hände erfüllt gewesen. Das Beste beider Welten....

Ein paar Passanten wandten sich auf der Promenade verwundert um, als der Arzt leise zu lachen begann, wie über einen Scherz, der nur in seinem privaten Universum existierte, und von dem er vergessen hatte, dem Rest der Welt zu erzählen. Gut gelaunt nickte Bashir ihnen zu, während er seinen Weg zu Frachtraum C3 fortsetzte.



Bei der Erbauung dieser Station war kulturelle Unterhaltung nicht auf dem Aktivitätenplan der Architekten gestanden. Mit der Ausnahme von Quarks Bar oder der Promenade selbst existierte kein Platz, den man in eine Bühne verwandeln könnte. Kira hatte daher vor einiger Zeit mit Erlaubnis des Captains einen Frachtraum umgestalten lassen. Bei entsprechender Logistik war es möglich, den Güterverkehr über die verbleibenden Hallen abzuwickeln, so dass der „Verlust“ dieses einen Raumes nicht ins Gewicht fiel – der kulturelle Gewinn jedoch war erheblich.

Bashir fand sich in einem schon halb gefüllten Saal ein. Im Eingang blieb er stehen und ließ seinen Blick über die besetzten Stuhlreihen gleiten. Sie hatte ihn bemerkt, bevor er sie sah. Ezri Dax‘ winkend erhobener Arm wies ihm schließlich den Weg. Ihre erfreute Miene zauberte ganz von selbst ein Lächeln auf seine Züge. Von ein paar Freunden hatte er sich schon sagen lassen dürfen, dass er wie ein wiedergefundener Welpe dreinblickte, wenn immer Ezri den Raum betrat – doch mit der Großzügigkeit des neu Verliebten ließ er derlei Sticheleien an sich abprallen.

„Jadzias Lieblingsfarbe“, begrüßte die Counselor ihn grinsend. „Meine ebenfalls“, fügte sie rasch hinzu, als sie bemerkte, dass Bashir zu einer erklärenden Entschuldigung ansetzen wollte. Sowohl für sie als auch für ihn gab es immer noch diese kleinen, seltsamen Augenblicke, in welchen ihnen deutlich bewusst wurde, dass sie nicht alleine waren.

Bashir setzte sich und legte seinen Arm um Ezris Schultern. Gemeinsam saßen sie da und warteten, dass die Vorstellung beginnen würde.

Pünktlich zur festgesetzten Zeit betrat Kira die Bühne und kündigte die Balletgruppe von Terra an, die sich auf einer Tournee durch Bajor befand und auch auf DS9 ein Gastspiel absolvierte. Dax legte ihren Kopf an Bashirs Ohr. „Nerys macht das wirklich gerne“, bemerkte sie. „Sie strahlt immer, wenn sie jemanden ankündigen kann.“

„Es ist ja auch eine willkommene Abwechslung in diesen ernsten Tagen.“

Höflicher Applaus erklang, als die Bajoranerin mit ausgestrecktem Arm die Bühne frei gab. Musik erklang – Bashir glaubte nach ein paar Takten eine vulkanische Komposition zu erkennen – und die Tänzer, 4 Männer und 4 Frauen, betraten die Bühne.

Die Darbietung war gut und solide, nichts Herausragendes, doch es gefiel dem Publikum.

Bashir jedoch gelang es nicht völlig sich auf die Show zu konzentrieren. Immer wieder wurde sein Blick von einer der Tänzerinnen abgelenkt. Eine große schlanke Blondine, die ihm irgendwie bekannt vor kam. Doch er konnte unter der Bühnenschminke das Gesicht nicht richtig einordnen. Wo hatte er diese Frau bloß schon einmal gesehen?

Auch als der Abschlussapplaus aufbrandete und sich die Tänzer verneigten, war der Mediziner sich nicht sicher, wo er die Züge einordnen sollte.

„Hat es dir nicht gefallen, Julian?“ fragte Dax ihn.

„Doch, doch, schon“, beeilte der Mediziner sich zu versichern. „Ich hab nur das Gefühl, ich kenne eine von den Tänzerinnen, aber ich kann sie beim besten Willen nicht einordnen.“

Dax zuckte mit den Schultern. „Vielleicht eine verflossene Liebe?“ bemerkte sie leichthin.

„Haha, wie witzig“, setzte Bashir an, doch dann stockte er. Etwas an Dax‘ Bemerkung hatte ihn in die richtige Richtung gelenkt. „Ich werd nicht mehr …“ Er fasste Dax an der Hand und zog sie mit sich in Richtung Bühne. Er erreichte das Podest, als die Zuschauer sich daran machten, den Frachtraum zu verlassen und die Künstler sich in den backstage Bereich begaben.

„Palis!“ rief Bashir. „Palis Delon!“

Die blonde Tänzerin wandte sich um. Überraschung und eine gewisse Furcht lag in ihrem Blick, als sie versuchte auszumachen, von wo die Stimme erklungen war. Dann erkannte sie den Mann am Bühnenrand.

„Julian?“ Sie zögerte, ihr Blick wirkte gehetzt, als sie ihren Mit-Tänzern nachblickte, die sich zum Abschminken hinter die Bühne verzogen. „Ich …“, sie trat einen Schritt auf den Mediziner zu, dann überlegte sie es sich offensichtlich anders. „Ich muss mich beeilen.“ Sie eilte ihren Kollegen nach. Bashir hätte es beinahe als Flucht bezeichnet.

„Was war denn das?“ wollte Dax überrascht wissen.

Bashir sah sie verwundert an. „Wenn ich das wüsste? …“

* * *


„Wo hast du sie denn aufgetrieben?“ wollte Kira von dem Mann auf dem Bildschirm wissen. Auf ihrem Gesicht zeigte sich eine freudige Begeisterung über die Nachricht, welche Minister Shakaar ihr eben mitgeteilt hatte.

„Genaugenommen haben sie mich aufgetrieben. Ich wusste gar nicht, dass es noch Bajoraner gibt, die das aufführen. Auf Prophet’s Landing gibt es offensichtlich eine kleine, aber feine Schule dafür. Als eine entsprechende Anfrage im Kultusministerium eintraf, musste ich sofort an dich denken. Hast Du Platz für die Truppe in deinem Kulturprogramm?“

Kira lachte. „Du meinst bei all den Künstlern, die sich darum reißen, hier vor fachfremdem Publikum aufzutreten? Ich kann ja mal nachsehen, ob ich sie noch irgendwo dazwischen quetschen kann. Im Ernst, Edon, es wäre mir eine große Ehre. Im Moment habe ich noch die Balletgruppe von Terra hier, aber sie hatten nur zwei Auftritte geplant, bevor sie wieder nach Bajor zurückkehren.“

„Wunderbar“, Shakaar notierte etwas auf seinem Schreibtisch außerhalb des Monitorbereichs. „Im Gegensatz zu anderen Künstlern benötigen sie unsere Station tatsächlich.“ Er lächelte ihr noch einmal zu. „Es war schön, mit dir zu sprechen, Nerys.“

„Ebenfalls, Edon.“ Als der Bildschirm wieder die vertraute cardassianische Oberfläche zeigte, lehnte Kira sich zufrieden in ihrem Sessel zurück. Es hatte keinen Grund gegeben, dass der Premierminister persönlich sie von der Anfrage der Tänzergruppe unterrichtet hatte. Das hätte sehr wohl das Kultusministerium durchführen können. Doch Shakaar nutzte immer wieder sich bietende Gelegenheiten um mit ihr zu sprechen. Und Kira war froh darum. Sie hatten beide befürchtet, dass ihre Liebesbeziehung und vor allem das abrupte Ende derselben ihrer langjährigen Freundschaft schaden konnte. Doch nach ein paar anfänglichen Peinlichkeiten und den nicht zu vermeidenden Eifersüchteleien den jeweiligen neuen Partnern gegenüber, hatten sie es tatsächlich geschafft ihre Freundschaft von zuvor wieder aufzunehmen. Kira war enorm stolz auf sie beide.

Sternentänzer, die Bajoranerin drehte den Sessel vom Tisch weg, um zum Fenster hinausblicken zu können. Eine uralte bajoranische Kunstform, die sie nur aus Aufzeichnungen kannte. Gemeinsam mit den Solarseglern gehörten sie eine Epoche an, in welcher Bajor sich den Weltraum Untertan gemacht hatte, nicht um Expansionsdenken zu verbreiten sondern Schönheit. Eine großartige Zeit, die sie in Spuren wieder aufleben lassen wollten. An Tagen wie heute liebte Kira ihren Nebenjob als selbsternannte Kulturbeauftragte von DS9. Es schien, dass doch nicht alles von ihrer alten D’Jarra an ihr verloren war.

* * *


„Da sind sie“, machte Bashir Ezri auf die eintretende Gruppe aufmerksam. Seit einer Stunde hatte er sich mit der Trill im Replimaten aufgehalten, in der Hoffnung, dass die terranischen Tänzer noch zum Essen vorbei kommen würden. Ohne ihre Bühnenschminke waren die Tänzer fast nicht wieder zu erkennen. Doch nun konnte Bashir eindeutig seine Jugendliebe ausmachen. Sie war gealtert, was in Anbetracht der langen Zeit kein Wunder sein sollte. Doch der Mediziner hatte das Gefühl, dass es nicht nur ihre Physis war, die gealtert war, sondern vor allem ihre Ausstrahlung.

„Auf einen neuen Versuch.“ Bashir erhob sich, sobald sich die Tänzer gesetzt hatten. Er stellte sich so an deren Tisch, dass er Delons Stuhl gegenüber stand. „Ich wollte Ihnen noch einmal zu ihrer Vorführung gratulieren, sie hat mir sehr gefallen.“

Die Künstler blickten erfreut zu ihm auf, mit Ausnahme von Delon. Sobald sie erkannte, wer sich ihrem Tisch genähert hatte, schob sie den Stuhl zurück. „Ich glaube, ich bin doch nicht hungrig“, murmelte sie, „ich zieh mich schon mal zurück. Gute Nacht.“

Die anderen wünschten ihr flüchtig eine gute Nacht, ihre Aufmerksamkeit weilte jedoch auf dem Arzt und dem, was er zu ihrer Vorstellung zu sagen hatte.

Bashir, der den Mund bereits zu ein paar Allgemeinplätzen geöffnet hatte, starrte der davoneilenden Tänzerin nach. Warum mied sie ihn so offensichtlich?

„Welcher Teil hat Ihnen denn am besten gefallen?“ wollte einer der Künstler gerade von ihm wissen.

Bashir wäre am liebsten der fliehenden Frau nachgegangen, doch er wollte nicht unhöflich sein. Er zwang ein professionelles Lächeln auf seine Züge und wandte sich dann den erwartungsvoll blickenden Tänzern zu.

* * *


Am nächsten Morgen fand sich Kira schon früh an der Schleuse im Andockring ein. Sie war aufgeregt, die bajoranischen Künstler auf der Station zu begrüßen. Shakaar hatte ihre Zustimmung weitergeleitet und die Bajoraner waren daraufhin sofort aufgebrochen.

Die Schleusentüren glitten beiseite und gaben den Blick auf eine Gruppe von bajoranischen Frauen und Männern frei. Eine hochgewachsene Frau mit kurzem, braunem Haar trat als erste hinaus. Sie war Kira auf Anhieb sympathisch, wie der Rest der Tänzer auch strahlte sie eine innere Zufriedenheit aus, die ansteckend war.

„Colonel Kira?“

Kira begrüßte sie lächelnd. „Herzlich willkommen auf Deep Space Nine. Ich freue mich, Sie auf unserer Station begrüßen zu können. Als mir Premierminister Shakaar von Ihrer Anfrage erzählt hat, war ich sogleich Feuer und Flamme.“

„Wir freuen uns hier sein zu können. Ich bin Induna Era, ich leite unsere Gruppe.“ Sie wandte sich zu den anderen Tänzern um und stellte diese vor.

Kira begrüßte jeden von ihnen mit der gleichen Begeisterung. „Soll ich Ihnen zuerst Ihre Quartiere zeigen oder …“

„Wenn es nicht zu viele Umstände macht, würden wir gerne zuerst unseren Übungsbereich sehen.“

„Das habe ich mir gedacht“, nickte Kira. „Folgen Sie mir bitte.“

Während sie den Korridor zum nächsten Turbolift entlang gingen, erklärte sie: „Mit Captain Siskos Erlaubnis habe ich den oberen Pylonen 2 für die Dauer Ihres Aufenthalts für Sie reserviert. Die Schleusenbereiche hier am Andockring erschienen uns zu gefährlich, weil der Shuttle- und Transporter-Verkehr sehr rege ist. Dahingegen erwarten wir in nächsten Zeit nicht sehr viele Tiefenraumschiffe, so dass wir gut ohne einen Pylonen auskommen.“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden für die Unannehmlichkeiten, die Sie für uns auf sich nehmen“, bemerkte Induna dankbar.

„Aber nicht doch“, versicherte Kira leidenschaftlich. „Wenn es nach mir ginge, hätte ich die halbe Station sperren lassen, nur um Sie zu sehen.“

Induna hob freudig überrascht die Augenbrauen. „Ich bedanke mich für die Vorschusslorbeeren. Wie kommen wir zu der Ehre?“

Sie betraten den Turbolift. Kira gab das Ziel am oberen Pylonen 2 ein. Als sie sich wieder an die Tänzerin wandte, huschte ein verlegenes Lächeln über ihre Züge. „Ihre Kunst stellt für mich ein Bajor da, das ich nie erleben durfte, und nach dem ich mich sehne … klingt albern, nicht wahr?“

„Überhaupt nicht“, schüttelte die andere den Kopf. „Was meinen Sie denn, warum wir jahrelang nach den alten Aufzeichnungen geforscht haben, Colonel? Genau aus diesem Grund.“

Die beiden Bajoranerinnen blickten sich zufrieden an, während der Turbolift seinen langen Aufstieg begann.

* * *


Die Nacht hatte er nicht viel Schlaf gefunden. Immer wieder erschien Palis‘ Gesicht vor seinem inneren Auge, wie sie ihn gemieden hatte, ja geradezu vor ihm geflohen war. Ezri hatte ihn in den Morgenstunden dann aus dem Bett geworfen, als ihr sein unruhiger Schlaf die eigene Ruhe geraubt hatte. Sie hatte ihn auch darin bestärkt, seiner alten Bekannten einen Besuch zu einem klärenden Gespräch abzustatten. Ihr Angebot, ihn zu begleiten, hatte Bashir abgelehnt. Er hatte das Gefühl, dass es zu seltsam wirken würde, wenn er seine frühere Geliebte gemeinsam mit seiner aktuellen Lebensgefährtin aufsuchte.

Mit einem großen Strauß Blumen im Arm stand Bashir nun vor der Quartierstür, die ihm der Stationscomputer als diejenige von Palis Delon angegeben hatte. Blumen waren immer ein gutes Friedensangebot – und besonders dieser Strauß eignete sich auch hervorragend dazu, sich im Zweifel dahinter zu verstecken.

Auf den dritten Versuch am Sensor, glitt die Tür endlich beiseite. Bashir hielt die Blumen absichtlich so, dass sie sein Gesicht verdeckten, und er die beiden Schritte durch die Tür treten konnte, die nötig waren, damit sie sich nicht mehr vor ihm schließen konnte.

Die Tänzerin hatte sich offensichtlich gerade von ihrem Platz am Tisch erhoben, wo sie ein leichtes Frühstück eingenommen hatte. Als sie erkannte, wen sie eingelassen hatte, legte sich Resignation über ihre Züge.

„Ich hätte mir denken können, dass du nicht locker lassen würdest“, erklärte sie tonlos. „Du hast noch nie subtile Hinweise verstanden.“

„Ich freue mich ebenfalls, dich wieder zu sehen.“ Bashir nahm sich vor, sich nicht entmutigen zu lassen. „Ein kleiner Willkommensgruß für Dich.“ Er streckte ihr den Blumenstrauß entgegen.

Delon nahm ihn an sich. Ein müdes Lächeln berührte ihre Lippen. „Du hast dich noch daran erinnert, welche Blumen ich mag.“ Sie wandte sich ein wenig ratlos im Raum um.

Bashir deutete auf eine niedrige Kommode, die sich an derjenigen Wand befand, die Aufenthalts- und Schlafbereich trennte. Delon nickte, öffnete sie und wählte eine darin befindliche Vase aus. Dann verschwand sie mit Blumenstrauß und Vase im angrenzenden Schlafzimmer.

Bashir ließ sich in einen Sessel fallen. Er hatte nicht vor, sich so rasch wieder hinaus komplimentieren zu lassen. Er hörte das Wasser rauschen, dann herrscht eine Zeit lang Stille, schließlich kehrte Delon in den Aufenthaltsbereich zurück. Bashir hob seinen Kopf und sah ihr über die Rückenlehne des Sessels entgegen.

„Palis“, begann er sanft, „möchtest du mir nicht sagen, warum du vor mir davon läufst? Wie du selbst gesagt hast, werde ich ohnehin nicht locker lassen.“

Sie stellte den Strauß auf den kleinen Couchtisch. Er wirkte wie eine Fontäne aus Farben. Große sternförmige Blüten in schillerndem Blau ragten aus einem Bett von orangefarbenen Rosetten hervor, durchbrochen von Kaskaden winziger Blütchen in silbrigem Weiß und Gelb. Bashir nickte zufrieden mit seiner Wahl.

„Ich wusste nicht, dass du hier arbeitest“, bemerkte Delon leise. Sie setzte sich ebenfalls, ihre Augen weiterhin auf den Blumenstrauß gerichtet. „Sonst hätte ich nicht zugestimmt, dass wir hier auftreten.“

Bashir gab seine lässige Haltung auf. Er beugte sich im Sessel nach vorne und faltete seine Hände auf der Tischplatte. „Würdest du mir auch erklären, warum? Ich krame seit gestern Abend in meinem Gedächtnis herum, was ich dir angetan haben könnte, um dieses Verhalten auszulösen, und mir fällt nichts ein – und du kannst mir glauben, dass ich ein ziemlich gutes Gedächtnis habe.“

Endlich hob sie die Lider, um ihn anzublicken. Ihre Augen waren von demselben intensiven Grün, das er noch so gut in Erinnerung hatte, doch der frühere Glanz daraus war verschwunden. Er hatte einer Mattigkeit Platz gemacht, von der Bashir augenblicklich erkannte, dass sie nichts mit ihrer derzeitigen Situation zu tun hatte, sondern zu einer Lebenseinstellung geworden war.

„Ich wollte nicht, dass du mich so siehst“, gestand sie leise. Erneut ruhte ihr Blick auf den großen sternförmigen Blüten. „Ich wollte, dass du mich als diejenige in Erinnerung behältst, die ich war.“

Bashir lächelte in sich hinein: Palis Delon, die strahlende Solo-Tänzerin auf dem Weg nach ganz oben. Auf Terra hatte sie die großen Bühnen erobert, begabt und ehrgeizig. So ehrgeizig, dass eine längere Beziehung zu einem Starfleet-Kadetten nicht in ihre Ziele passte. Er hätte vermutet, dass sie mittlerweile die großen Hallen auf mehreren Föderations-Welten füllen würde, vielleicht selbst unterrichtete, von ihr handverlesene Schüler, die sich für ein Stipendium bei ihr die Füße blutig tanzen würden. Er hatte nicht erwartet, sich dieser … Hülle … gegenüber zu finden, einer unter anderen in einem kleinen Ensemble, das zwar gute Arbeit leistete, aber in keiner Fachzeitschrift mehr als eine freundliche Erwähnung finden würde.

Er verstand.

„Was ist geschehen?“

Sie hob kraftlos die Schultern. „Das Leben.“

Bashir schwieg. Er ließ ihr Zeit.

Schließlich hatte sie das Gefühl, die Stille brechen zu müssen. „Ich wollte alles, ich wollte immer besser sein, immer mehr. Und eines Tages …“ Sie hob die Hand, um sanft über einen Blütenstil der blauen Sterne zu streifen. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich bekam Angst … Angst vor mir … vor meinen Zielen … Angst davor zu versagen. Die Erwartungen an mich waren so hoch, von allen, von meinem Vater, von mir … ich konnte sie nur noch enttäuschen. Ich …“

„Shhh …“ Bashir erhob sich und setzte sich auf die Lehne ihres Sessels. Vorsichtig legte er einen Arm um ihre Schulter. Die Tänzerin ließ es zu. Er konnte spüren, dass ihr Körper bebte.

„Ich konnte nicht mehr auftreten“, erzählte sie den Blumen mit belegter Stimme, „Ich bin regelrecht krank geworden, wie ein burn out. Mein Vater und ich hatten gehofft, dass ein Kuraufenthalt etwas bessern würde. Ich fühlte mich dann auch besser, ich … aber“, sie schluchzte erneut, „ich habe mich danach nicht mehr getraut. Wenn ich nur daran dachte, was das Publikum von mir erwartete, war ich wie gelähmt… Julian!“ Sie wandte sich endlich von dem Blumenstrauß ab und presste ihr Gesicht an Bashirs Brust. Nun weinte sie offen. „Ich bin weggelaufen. Einfach weggelaufen. Hab den nächsten Transport zum Mars genommen und mich dort, wo mich niemand kannte, mit mittelmäßigen Engagements über Wasser gehalten.“

Bashir rutschte ein wenig weiter in den Sessel hinein, bis er die Frau gänzlich in den Arm nehmen konnte. Er hielt sie einfach nur, streichelte über ihre bebenden Schultern. Nicht zum ersten Mal wurde es ihm bewusst, welches Glück er im Leben gehabt hatte, welches große Geschenk ihm zuteil geworden war, dass er einer derjenige war, die auf der Sonnenseite standen.

Palis Delon hatte alles gehabt, hatte alles werden können – und hatte es nicht verkraftet. Gescheitert an sich selbst.

Es verwunderte ihn nicht weiter, dass sie ihm hatte aus dem Weg gehen wollen.

* * *


„Es muss doch etwas geben, das wir unternehmen können“, bemerkte Bashir zwischen zwei Gabeln voll seines Mittagessens. „Das ist doch dein Spezialgebiet.“

Dax nickte. Sie hatte sich in der Mittagspause mit ihrem Freund im Replimat zum Essen getroffen. Am Morgen hatte sie keine Zeit gehabt, vom Ergebnis seines Besuchs bei der Tänzerin zu erfahren, da ihr Dienst bereits begonnen hatte, bevor er zurückgekehrt war. Nun hatten sie sich einen kleinen, ein wenig abgeschiedenen, Tisch zum Mittagessen ausgesucht, um sich endlich zu unterhalten.

„Ja, ich habe schon einmal mit einem Patienten zu tun gehabt, der mit einem ähnlichen Problem wie Palis zu kämpfen hatte.“ Sie stocherte in ihrem Essen herum. „Manchmal ist die Erwartung einfach zu viel und die Psyche blockt sich als Schutzmechanismus ab. Meinst du, ich könnte mal mit ihr sprechen?“

„Ich hoffe es“, Bashir schenkte ihr ein schräges Lächeln, „aber ich bin mir nicht sicher. Sie hat die letzten Therapien wohl alle abgebrochen. Sie möchte aus ihrem Zustand heraus, aber sie möchte nicht dafür mit anderen arbeiten …“ er breitete hilflos seine Arme aus. „Sie hat sich komplett abgeschottet.“

„Hat sie es schon einmal in Erwägung gezogen, etwas ganz anderes zu machen? Wenn sie vom Ballet-Tanz weg käme, könnte sie vielleicht auch einen Teil ihres Ballastes damit abwerfen.“

„Das habe ich sie auch gefragt. Sie antwortete mir, dass sie nichts anderes gelernt hätte.“ Er seufzte. „Ich glaube, sie möchte nicht, sie möchte tanzen. Es ist so verdammt verzwickt.“

Dax überlegte. „Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, wenn sie die Seite wechselt und Ballet unterrichtet“, mutmaßte sie.

Bashir nickte mit vollem Mund.

„Meinst du, du kannst sie vielleicht dazu überreden, heute nach Dienstschluss mal bei mir vorbei zu schauen?“

Er kaute und schluckte. „Ich werde es versuchen.“

Als Dax aufstand, ihr nun leeres Tablett nahm und zum Replikator zurückbrachte, rief er ihr nach: „Ezri, der Patient, von dem du vorhin gesprochen hast, konntest du ihm helfen?“

Sie blickte über ihre Schulter zurück. Ein entschuldigendes, ein wenig schüchternes Lächeln huschte über ihre Züge, als sie gestand. „Leider nein“

* * *


Es war wenige Stunden später, als sich die Türen zur Krankenstation öffneten und die Trill einließen.

„Du musst dir unbedingt ansehen, wer im Augenblick am Pylon 2 übt“, warf Dax ihm anstelle einer Begrüßung entgegen, als sie die Krankenstation betrat.

Bashir unterbrach seine Arbeit und blickte seiner Freundin mit erhobenen Augenbrauen entgegen. „Wie bitte?“

Dax‘ Gesicht drückte eine warme Begeisterung aus, die nicht zu Bashirs gedrückter Stimmung passen wollte. „Ich habe sie zufällig gesehen. Ich dachte erst jemand repariert da oben etwas, aber Nerys hat mir erklärt, dass sie üben. Das ist irre. Das musst du dir ansehen.“

„Ezri, von was um alles in der Welt sprichst du?“ Bashir legte den Bericht, an welchem er gesessen hatte, nun beiseite. Er kannte den Ausdruck in Dax‘ Augen. Sie würde nicht mehr lockerlassen, bis er ihrem Enthusiasmus nachgab. Es war ihm momentan nur schleierhaft, was sie von ihm wollte.

Sie baute ihre zierliche Gestalt vor ihm auf und stützte die Arme in die Hüfte. „Ich glaube, ich habe eine Lösung für unser Problem.“

* * *


Palis Delon fühlte sich sehr verunsichert, als sie von den beiden Sternenflottenoffizieren links und rechts am Arm den Korridor entlang gezogen wurde. Beide wirkten ausgesprochen zufrieden mit sich, hatten aber vergessen ihr den Grund dafür mitzuteilen. Bashir war vorhin mit einer jungen Frau bei ihr aufgetaucht, die er als seine Freundin vorstellte, und hatte etwas davon gesagt, dass sie vielleicht eine Lösung für ihr Problem gefunden hätten.

„Wohin schleppt ihr mich?“ fragte sie unsicher. Sie hatte vor einer Biegung bereits versucht, einfach stehen zu bleiben, doch ihr Bremsmanöver war vom Sturm der beiden Personen neben ihr hinweggefegt worden.

Bashir und Dax hielten erst inne, als sie vor den Türen zum Turbolift angekommen waren.

„Du musst dir etwas ansehen“, erklärte Bashir mit jugendlicher Begeisterung.

„Und was?“, wollte sie zweifelnd wissen, als sich der Lift in Bewegung setzte.

„Sie werden es gleich sehen“, bemerkte Dax, die ähnlich zufrieden wirkte wie der Arzt.

Als der Lift schließlich hielt und sich die Türen öffneten, sah die Tänzerin einen der typischen Aufenthalts- und Frachtbereiche vor den Andockschleusen vor sich. Der Raum war belegt mit allerlei technischem Gerät, Lautsprechern und Kleiderständern, an welchen Anzüge hingen. Ein wenig fühlte sie sich in den Backstage Bereich ihrer Tanzgruppe versetzt.

„Sie müssen Palis Delon sein.“ Eine hochgewachsene Bajoranerin trat auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.

Delon erwiderte die angebotene Begrüßung automatisch. Sie starrte die Frau vor sich an. Die Bajoranerin wirkte so zufrieden und innerlich gefestigt, dass ihr beinahe die Tränen in die Augen schossen. Was würde sie darum geben, um noch einmal dieses wunderbare Gefühl zu fühlen.

„Ich bin Induna Era. Ihr Freund erzählte uns, dass Sie Interesse an uns hätten.“

„Mein Freund …?“ Delon blickte verwirrt zu Bashir hinüber, der nur mit dem Daumen auf sich zeigte und ihr ermunternd zunickte. „Mein Freund hat leider vergessen, mir von meinem Interesse zu erzählen. Was machen Sie denn?“

Induna lachte. Es war ein leises helles Lachen, beinahe eine Melodie. „Wir tanzen.“ Ihr Arm beschrieb einen Kreis, der die anderen Bajoraner, die sich im Raum befanden, mit einschloss und über die Begrenzungen der Raumstation hinauszugehen schien. „Wir entledigen uns der Fesseln der Gravitation und erobern den Raum selbst. Wir sind Sternentänzer.“

Delon starrte die Bajoranerin an, starrte die Kleidungsständer an, an denen sie nun die ELM-Anzüge als solche erkannte. Sie hatte davon in ihrer Ballet-Ausbildung gelesen. Druckanzüge, die aus einem extrem leichten Material hergestellt waren, die bis zu den Helmen hinauf fast wie eine zweite Haut anlagen. Der Sauerstoff wurde in einer dünnen inneren Schicht komprimiert und nach und nach freigegeben. Für Außenarbeiten waren sie praktisch unbrauchbar, weil sie bei Kontakt mit Streben und anderem viel zu leicht einreißen konnten. Auch war ihre Sauerstoffversorgung zeitlich auf etwa eineinhalb Stunden begrenzt. Doch für die freie Beweglichkeit im luftleeren Raum waren sie unschlagbar.

„Das würde ich gerne einmal sehen“, bekannte sie mit einem Hauch von Ehrfurcht.

Bashir lächelte ihr aufmunternd zu. „Bleib doch einfach bei einer Probe hier, und …“, er wandte seinen Kopf zu Induna, „vielleicht kannst du es selbst ja einmal probieren?“

Die Bajoranerin nickte.

Delon sah von einem zum anderen. Es lag Unglauben in ihrem Blick, Sehnsucht und ein wenig Hoffnung. „Das könnte ich nicht“, wandte sie automatisch ein.

„Bevor Sie es nicht versucht haben, können Sie das nicht sagen“, erklärte Induna ruhig. „Dr. Bashir erzählte mir, dass Sie eine ausgezeichnete Tänzern seien.“

Waren“, die Terranerin schenkte Bashir einen zweifelnden Blick. „Hat er vergessen zu erwähnen, dass die Zeit meiner großen Auftritte lange zurück liegt?“

Induna Lächeln wirkte ruhig und geheimnisvoll. „Er hat mir ein wenig von Ihnen erzählt. Ich denke es war genug, um mir den Eindruck zu verschaffen, dass Sie hier richtig sind.“

„Aber ich …“

„Kann man das Gefühl für den Körper verlieren?“, wollte die Bajoranerin wissen. „Das Verständnis für den Rhythmus?“

Delon wollte etwas erwidern, dann jedoch schüttelte sie den Kopf. Induna nickte. „Dieser Meinung bin ich auch. Bleiben Sie hier, Palis, sehen Sie es sich an. Und vielleicht wagen Sie den Schritt aus der Umklammerung der Schwerkraft in die Freiheit.“

Die Terranerin sah sich hilfesuchend nach Bashir um. Sie war hin und her gerissen. Ein Teil von ihr wollte wieder zurück in ihr Quartier, zurück auf ihre kleine Bühne, zurück in die Sicherheit der Mittelmäßigkeit. Es war der Teil, den sie zu hassen gelernt hatte, der jedoch so stark in ihr war. Ein anderer Teil, noch klein und unsicher, wollte wieder hinaus, wollte das Neue erleben, das Gefühl von Größe und Erhabenheit. Sie wollte das nicht entscheiden, jemand anderes sollte …

„Du hast nichts zu verlieren außer deiner Angst.“ Bashir war an sie herangetreten. Er nahm sie in die Arme und vermittelte ihr für einen Moment Sicherheit. Delon sah vorsichtig zu Dax hinüber, doch auch die Trill lächelte ihr aufmunternd zu.

„Bleiben Sie einfach hier, setzen Sie sich und schauen Sie zu. Alles weitere lassen wir auf uns zukommen.“ Die bajoranische Sternentänzerin streckte ihre Hand aus.

Nach einem weiteren versichernden Blick zu Bashir ergriff Delon die ausgestreckte Hand und ließ sich in die Runde der Bajoraner ziehen.

Bashir und Dax zogen sich unauffällig zurück.

* * *


Die Begeisterung, mit welcher Kira Nerys die Darbietung ankündigte, war ansteckend. Der Bajoranerin war deutlich der Stolz anzumerken. Dax und Bashir warfen sich mehrfach belustigte Blicke während der flammenden Einführungsrede zu. Doch ihr Hauptinteresse galt nicht Kira, sondern dem Geschehen an Pylon 2. Derjenige Teil der oberen Promenadengalerie, von welchem aus man eine gute Sicht auf jenen Pylon hatte, war für den heutigen Abend im Bereich der großen Aussichtsfenster bestuhlt worden. Der normale Besucherstrom wurde auf der inneren Galerie umgeleitet. An beiden Enden des abgetrennten Bereichs waren Lautsprecher aufgestellt worden, mittels jener die Musik übertragen wurde, welche die Tänzer gleichzeitig auch über ihre Kopfhörer vernahmen. Es waren nicht die leisen Töne, welche die Sternenflottenoffiziere für gewöhnlich mit bajoranischer Musik in Verbindung brachten, sondern ein orchestrales Werk von monumentalen Ausmaßen, passend für die Überwindung der Schwerkraft.

Die ersten Gestalten lösten sich nun von der Luftschleuse des Pylonen die Anzüge waren in leuchtenden Farben gehalten und wurden über Außenscheinwerfer von der Station angestrahlt, so dass die zierlichen Gestalten für die Zuschauer gut sichtbar vor dem nachtschwarzen Hintergrund des Alls hervorstanden. Sie sammelten sich für einen Augenblick als kleiner Punkt, dann strebten sie in perfekter Formation in die Schwerelosigkeit hinaus. Ihre Bewegungen wurden von Düsen an den Anzügen gesteuert. Es wirkte so leicht und so vollkommen und doch war jedem Zuschauer bewusst, welche Körperbeherrschung und welches Feingefühl nötig waren, um die Formationen zu halten und nicht unkontrolliert in die unendliche Weite davon zu treiben. Die Tänzer drehten und wandten sich in perfekter Harmonie zur Musik.

Dax wagte kaum zu flüstern, so atemlos war die Stimmung im Publikum. „Was ist mit Palis?“

Bashir nickte zum Pylon hinüber. Dort standen noch zwei weitere Tänzer, die das Geschehen bisher nur verfolgt hatten. Der Arzt brachte seine Lippen an Dax‘ Ohr: „Indunda hat sie dazu überreden können, eine kleine Formation an der Hand eines Partners zu versuchen.“

„Das ist ja wunderbar!“ gab Dax begeistert zurück, wurde aber von den hinter ihr sitzenden Zuschauern um Ruhe gebeten.

In der Musik trat eine Zäsur ein. Die Außenscheinwerfer wurden ausgeschaltet. Für einen Moment verschmolzen die zerbrechlich wirkenden Tänzer mit der Dunkelheit des Alls.

Dann startete das Feuerwerk. Auf der den Aussichtsfenstern abgewandten Seite wurden kleine Kunstwerke gezündet. Es erschienen helle blaue Sterne vor einem Hintergrund kleiner orangefarbener Sonnen. Zwischen ihnen explodierten immer wieder Kaskaden aus silbern glänzendem Gelb.

Bashir starrte das Feuerwerk mit offenem Mund an. „Das ist mein Blumenstrauß“, hauchte er der verständnislos blickenden Dax zu.

Die Tänzer erschienen nun dunkel vor der Helligkeit des Hintergrundes. Je zwei von ihnen fassten sich an den Händen. Das Paar am Pylon schickte sich an, sich zu ihnen zu gesellen, um an dem symphonischen Schattenspiel teilzunehmen.

* * *


Sie streckte ihren Fuß hinaus. Eine letzte Fessel verband sie mit der festen Materie der Plattform, ein letztes Ziehen, ein letztes Aufflackern ihrer eigenen Angst. Unwillkürlich wandte sie ihren Kopf um. Ihre Augen suchten nach dem einen Gesicht hinter den Fenstern. Natürlich konnte sie ihn nicht ausmachen, doch für sich selbst glaubte sie einfach fest daran, seinen beruhigenden Blick zu spüren. Es war alles, was sie brauchte.

Sie stieß sich ab. Ihr Körper bog sich in neugefundener Freiheit und Grazie.

So einfach.

So unendlich einfach...

Als ihre Hand die Finger des Tänzers berührten, und sie sich in das Ballet im Licht des flammenden Blumenstraußes einreihten, wusste sie, dass sie ihre persönliche Schwerkraft besiegt hatte...



„Unsere größte Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind. Unsere größte Angst ist, dass wir kraftvoll sind, über alles Messbare hinaus. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. Wir fragen uns selbst: „Wer bin ich, um strahlend, prächtig, begabt, fabelhaft zu sein?“ Eigentlich: Wer bist Du, es nicht zu sein? Du bist ein Kind Gottes. Dein Klein-spielen dient der Welt nicht. Es ist nichts Erleuchtetes dabei, wenn Du schrumpfst, damit andere sich in Deiner Gegenwart nicht unsicher fühlen. Wir sind geboren, um den Schein Gottes, der in uns ist, kundzutun. Er ist nicht nur in einigen von uns. Er ist in jedem. Und wenn wir unser Licht strahlen lassen, geben wir ganz bewusst anderen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Indem wir uns von unserer eigenen Angst befreien, wird unsere Gegenwart unwillkürlich andere befreien.“

Nelson Mandela

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