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Wege zum Verrat

von Gabi

Kapitel 1

"Treue - auch einer der Wege zum Verrat"
(Japanisches Sprichwort)



Die Bar war bevölkert wie üblich. Und wie üblich hatte Quark alle Hände voll zu tun, dafür zu sorgen, dass keiner der Kunden ihn in irgendeiner Weise betrügen konnte - umgekehrt lag die Sache natürlich völlig anders. Wie üblich wickelte er seine kleinen Transaktionen mit diesem gejagtem Blick ab, den er sich angewöhnt hatte, seit er wusste, dass Odo in Form eines jeden Glases oder Stuhles in seiner Umgebung lauschen konnte. Doch wie immer ließ er sich nicht von seinem Geschäft abhalten. Heute jedoch betrat eine junge Frau die Bar, die Quark sehr wohl ablenkte. Der Akamarier, der sich eben noch in der vollen Aufmerksamkeit des Ferengi gesonnt hatte, fühlte sich plötzlich reichlich unwichtig.

"Quark!" ermahnte er den Ferengi, dessen Kopf gerade dabei war, eine Drehung zu vollführen, die sicherlich nicht für die Konstruktion seines Halses vorgesehen war. Quark winkte ungeduldig ab. "Nicht jetzt... siehst du nicht, was da drüben läuft?"

Der Akamarier folgte dem Blick des Barbesitzers und er stellte gelangweilt fest: "Eine Bajoranerin."

"Und was für eine!" Quark hatte sich schon von seinem Stuhl erhoben. Ohne sich noch einmal zu dem Akamarier umzuwenden, zischte er: "Behalte den letzten Satz in Gedanken, ich bin sofort zurück."

Damit war er auch schon auf dem Weg zur Bar.

Der Akamarier schüttelte den Kopf. Es gab sicherlich niemanden auf der Station, der Quark eine Besessenheit im Geschäftemachen absprechen würde, aber manches Mal sah es so aus, als ob seine Besessenheit für Bajoranerinnen dem in nichts nachstand. Ausgerechnet der Rasse, von der er als letztes erhoffen konnte, dass sie sich für ihn interessieren könnten.

"Ich habe Sie hier noch nie gesehen." Zuckersüße Worte säuselten der jungen Frau ins Ohr. Sie fuhr erschrocken herum und blickte einem breit grinsenden Ferengi ins Gesicht. "In diesem Fall geht der erste Drink natürlich auf das Haus."

Galant beförderte er ein - wenn auch kleines - Glas auf den Tresen. "Der Service des Barbesitzers steht gänzlich zu Ihrer Verfügung."

Sie kniff die Augen zusammen, nahm aber trotzdem das Glas.

"Mit was kann ich Ihnen dienen, Sie zauberhaftes Wesen? Ein Spiel, ein Besuch in den Holosuiten, meine Gesellschaft?"

Sie trank das Glas mit einem Zug leer und knallte es dem Ferengi dermaßen knapp vor die Finger, dass dieser sie rasch vom Tresen zog. Er lächelte etwas unsicher. "Noch ein Glas?"

"Füllen Sie es voll und hören Sie auf mit dem Süßholz raspeln", zischte die junge Frau. "Ich bin nicht des Vergnügens wegen hier!"

"Das ist aber jammerschade." Quark beförderte die Flasche zutage und füllte nach. "Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie eine ausgesprochen gute Figur ha..."

Dieses Mal traf sie seine Finger.

"Autsch!" der Ferengi blickte sie beleidigt an. "Womit habe ich das verdient?"

"Für die Bemerkung und den dazugehörenden Blick", bemerkte sie, als sie das Glas wieder an die Lippen setzte. "Ich bin keine Ihrer Dabo-Mädchen, also vergessen Sie es!"

Er beobachtete sie bewundernd, während er seine Finger rieb. Wieder leerte sie den Inhalt in einem Zug. Eben wollte sie ansetzen, ihn etwas zu fragen, als Quark von einem weiteren Neuankömmling abgelenkt wurde.

"Chief O'Brien! Sie sehen aus, als ob Sie einen guten Schluck gebrauchen könnten!"

O'Brien setzte sich in dem, was er selbst Sportbekleidung nannte, was aber im Prinzip aus einem alten T-Shirt und ein paar verwaschenen Boxershorts bestand, ein paar Stühle entfernt von der Bajoranerin an die Theke. "Ich war so nahe dran, Bashir dieses Mal zu schlagen“, berichtete er dem Ferengi und zeigte mit seinen Fingern die Minimalspanne an, die ihn vom Sieg getrennt hatte.

Die junge Bajoranerin hatte ihren Kopf ruckartig bei der Nennung des Namens O'Brien abgedreht und beschäftigte sich eingehend mit dem leeren Glas. Als Quark dem Chief einen Becher mit Bier hinstellte, und dieser danach griff, stand sie auf und ging langsam auf den Ausgang zu.

Quark bemerkte ihre Bewegung im Augenwinkel. "Halt, junge Dame! Der zweite Drink ging nicht mehr auf das Haus, Sie müssen ihn bezahlen!"

Die Bajoranerin beschleunigte ihren Schritt.

"Halt, habe ich gesagt!"

O'Brien blickte von seinem Bier auf und sah dem aufgeregten Ferengi nach, der versuchte, die junge Frau einzuholen. Sein Blick fiel auf die davoneilende Bajoranerin. Quark hatte mit seinen kurzen Beinen keine Chance, sie zu erwischen. Der Chefingenieur grinste in sein Bier. Ein paar lange Beine und ein hübsches Gesicht brachten es doch immer wieder fertig, den Ferengi hereinzulegen. Zu dumm, dass er selbst keines von beiden besaß. Dann schoss sein Kopf wieder in Richtung des Ausgangs. Irgendetwas am Gang der Frau war ihm verdammt bekannt vorgekommen. Aber sie war schon aus seinem Gesichtsfeld verschwunden.

Nach einigen Augenblicken kehrte Quark aufgeregt gestikulierend zurück.

"Es ist einfach nicht zu glauben!" schimpfte er lautstark. "Wo ist die Sicherheit, wenn man sie braucht? Ich werde von Odo verlangen, dass er die Sicherheitsleute um meine Bar verdoppelt...", er hielt kurz inne und kratzte sich am Ohr, als er sich überlegte, was dies dann für seine Transaktionen bedeuten würde "... oder besser doch nicht."

"Quark", O'Brien berührte ihn am Ärmel und beendete damit die geschäftsbezogenen Überlegungen. "Wer war das eben?"

"Diese Diebin?" fragte der Ferengi und fügte gleich darauf hinzu: "Diese ausgesprochen sexy aussehende Diebin."

"Ja, genau die", drängte der Chefingenieur.

Quark hob die Hände. "Ich weiß es nicht. Wir waren noch nicht so weit, dass wir uns bekannt machen konnten. Aber wenn ich sie erwische, dann wird sie mir das Glas bezahlen. Doppelt und dreifach", seine Augen nahmen einen träumerischen Ausdruck an, "Und ich weiß auch schon wie."

* * *


"Es war Ro Laren, ich bin mir fast sicher." O'Brien hatte sich neben seine Frau auf die Couch gesetzt. Gedankenverloren strich er ihr nun durch die Haare. "Was hat sie auf DS9 verloren?"

"Bist du dir ganz sicher, Miles?" Keiko O'Briens Blick war nicht weniger nachdenklich als der ihres Mannes. "Du weißt, was das bedeutet?"

"Oh ja, nur zu gut. Die Sternenflotte sucht sie. Ich müsste von Rechts wegen Commander Sisko Meldung machen, aber ich weiß nicht, ob ich das kann." Er sah seine Frau an. "Keiko, ich habe mit ihr zusammengearbeitet. Wir kannten uns nicht besonders gut, aber unsere Abneigung gegen die Cardassianer gab uns immerhin ein verbindendes Element. Ich weiß wirklich nicht, ob ich eine frühere Kollegin ausliefern kann..."

Sie nickte verstehend. "Solange du nicht sicher bist, dass sie es wirklich war, ist auch noch keine Notwendigkeit, irgendjemanden zu informieren..." Sie dachte kurz nach, "Ich frage mich nur, ob sie nicht durch ihr Hiersein eine Bedrohung darstellt. Was kann eine Maquis bei Quark wollen, wenn nicht Waffen?"

O'Brien stand auf und begann, vor dem Couchtisch hin und her zu laufen. "Zwischen den Stühlen, wie?" Er fuhr sich mit dem Ärmel über die noch feuchten Haare. "Ich werde ein Auge offen halten, aber hoffen, dass ich mich getäuscht habe."

* * *


Es war Mitte der Stationsnacht, als Quark die letzten seiner Gäste hinauskomplimentierte. "Kommt morgen wieder. Für heute muss ich schließen, sonst sitzt mir Odo im Nacken. ... Und bringt Eure Freunde mit!" rief er den scheidenden Gästen hinterher. Er wollte sich eben wieder umwenden, als er eine vertraute hochgewachsene Gestalt im Türrahmen lehnen sah.

"Sieh da, Sie kommen hoffentlich, um den Drink zu bezahlen."

Sie warf ihm eine Münze zu. "Daran soll es nicht liegen."

Quark näherte sich ihr mit unverhohlener Neugierde. "Darf ich fragen, was Sie vorhin zu dem blitzartigen Abgang veranlasst hat? Oder besser noch, warum Sie wiedergekommen sind?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Es gibt ein paar Leute auf der Station, die mich besser nicht zu Gesicht bekommen sollten."

"Chief O'Brien?"

"Chief O'Brien."

"Und warum?"

"Das geht Sie überhaupt nichts an", sie deutete mit dem Kinn auf den jetzt dunklen Barraum. "Haben Sie einen Platz, an dem wir reden können?"

Quark strich wie zufällig an ihrer Hüfte vorbei, während er ihr zuflüsterte: "Für Sie immer."

"Noch eine dumme Bewegung und Sie haben einen Knoten auf Ihren Flügelohren!"

Der Ferengi wandte sich verzückt um. "Hach, dieses bajoranische Temperament, wie kann man dem widerstehen?"

* * *


"Chief... Chief?" Major Kira trat hinter den Chefingenieur. Dieser fuhr erschrocken herum.

"Ja....?"

"Sie sind den ganzen Morgen schon so abwesend. Ist irgendetwas?"

"Nein, Sir. Nein, überhaupt nicht." O'Brien beeilte sich, ein paar wichtig aussehende Handgriffe an dem Terminal, das er gerade in Arbeit hatte, vorzunehmen. Er lächelte Kira unsicher zu. "Ich denke nur über diese Schaltkreise nach, Major, sonst nichts."

"Hm", die Bajoranerin nickte nur knapp und ging mit hinter dem Rücken verschränkten Armen wieder an ihre Station zurück. In manchen Augenblicken hatte ihre Gestik eine frappierende Ähnlichkeit mit derjenigen Odos, was O'Brien nicht unbedingt beruhigte. Ihn hatte das Problem 'Ro Laren' die halbe Nacht wachgehalten und ließ ihn auch jetzt am Morgen nicht zur Ruhe kommen. Ro Laren war desertiert. Die Sternenflotte-Bestimmungen in diesem Fall waren mehr als eindeutig: sofortige Auslieferung und Kriegsgericht. Und da Ro nicht das erste Mal vor Gericht stehen würde, war der Ausgang sicher. Den Rest ihrer Zeit würde sie in einem Gefangenenlager absitzen müssen. Das Bild der jungen Frau in einer Arresteinheit nagte an dem Iren. Er verspürte nicht die geringste Lust, seine frühere Enterprise-Kollegin auszuliefern. Aber genauso gut wusste er, dass man mit ihm nicht viel umsichtiger umspringen würde, wenn bekannt wurde, dass er einen Deserteur gedeckt hatte. Die Hoffnung, dass es sich nicht um Ro Laren gehandelt hatte, hatte er mittlerweile begraben. Je öfter er sich das Bild der davoneilenden Bajoranerin ins Gedächtnis rief, desto sicherer war er sich, dass es sich um sie gehandelt hatte. Er musste versuchen, irgendwie mit ihr in Kontakt zu kommen. Früher oder später würde Quark erfahren, was die junge Frau auf der Station wollte und wie sie zu finden war. Er musste sich einfach öfter bei dem Ferengi sehen lassen.

Während er sich wieder den Schaltkreisen zuwandte, entging ihm der misstrauische Blick, den Kira ihm über die Ops hinweg schenkte.

* * *


Sobald seine Schicht beendet war, fand O'Brien sich wieder in Quarks Bar ein. Ein erster Blick über die Örtlichkeit zeigte ihm keine große dunkelhaarige Bajoranerin. Er nahm an der Theke Platz und wartete darauf, dass Quark sich ihm zuwandte.

Kam es ihm nur so vor, oder beäugte der Ferengi ihn erst prüfend, bevor er sich schließlich näherte?

"Chief, was kann ich für Sie tun?" fragte der Barbesitzer übertrieben freundlich.

"Ein Bier und eine Auskunft", gab ihm der Chefingenieur zur Antwort.

"Das Bier ist kein Problem", Quark kniff die Augen zusammen. "Was für eine Auskunft?"

"Haben Sie die Bajoranerin von gestern Abend wieder gesehen?"

"Welche Bajoranerin? Es kommen und gehen hier täglich viele von ihnen."

O'Brien seufzte. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, warum der Ferengi im Lügen eigentlich nicht besser war, wo doch so viele seiner Geschäfte davon abhingen. Diese ausweichende Antwort sagte ihm deutlich, dass Quark sie gesehen hatte und dass er aus einem bestimmten Grund O'Brien keinerlei Auskünfte darüber geben wollte.

"Die Bajoranerin, die Sie gestern Abend um die Zeche geprellt hat", erklärte der Chief dennoch so geduldig wie möglich.

"Ach", machte Quark gedehnt, während er das Getränk vor dem Iren abstellte, "diese Bajoranerin."

O'Brien spielte mit dem Gedanken, den Ferengi an den Ohren zu ziehen, um dessen Gehirngänge zu beschleunigen. "Ja, diese Bajoranerin..."

"Wie war noch gleich die Frage?"

Mit einem frustrierten Seufzen knallte der Chief seinen Krug auf den Tresen. "Quark, was soll der Mist?" fluchte er. "Ich wollte bloß wissen, ob Sie die Frau noch einmal gesehen haben - ich wollte keine Geschäftsgeheimnisse von Ihnen preisgegeben haben."

Der Ferengi machte Anstalten, sich dem nächsten Gast zuzuwenden. Im Umdrehen meinte er: "Nein, wenn ich jetzt darüber nachdenke, habe ich sie nicht mehr gesehen... Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, Chief. Das sollten wir bei Gelegenheit einmal wiederholen." Damit befand er sich außerhalb der Reichweite O'Briens. Der Ire seufzte resigniert in sein Bier.

* * *


Am Eingang zu Quark's stieß Kira beinahe mit der Frau zusammen, die sich eilig umgedreht hatte. Mit einem gemurmelten "'Tschuldigung" entfernte diese sich auf der Promenade. Kira blieb ein paar Sekunden unschlüssig stehen und blickte der Frau nach. Die große Bajoranerin hatte kurz vor Kira Quark's betreten, dann aber wohl jemanden oder etwas in der Bar gesehen, was sie zu einer eiligen Flucht veranlasst hatte. An sich kein verwunderlicher Umstand. Kira selbst überkam von Zeit zu Zeit beim Anblick von Quarks Etablissement der dringende Wunsch, irgendwo anders zu sein. Aber sie hatte etwas in den Augen der anderen Bajoranerin gesehen, in dem Bruchteil, als diese ihr das Gesicht zugewandt hatte. Ein Ausdruck, den Kira schon länger nicht mehr gesehen hatte. Die Bajoraner, welche sich in diesen Tagen auf DS9 befanden, waren Militärangehörige, die für die Station arbeiteten, Händler, die ihr Glück suchten, oder Spieler mit denselben Absichten. Aber deren Augen strahlten nicht das aus, was Kira glaubte in der großen Bajoranerin gesehen zu haben. Furcht und Leidenschaft hatten im Blick dieser Frau gelegen. Der Ausdruck, den Kira so oft in ihrem Leben gesehen hatte, den sie selbst sah, wenn sie in den Spiegel starrte - der Ausdruck in den Augen der Widerstandskämpfer.

Mit einem leichten Kopfschütteln betrat sie die Bar. Sie nahm sich vor, die Frau anzusprechen, wenn sie ihr das nächste Mal wieder über den Weg laufen sollte. Sie ließ ihren Blick über die versammelten Gäste im Raum schweifen. Kein bekanntes Gesicht befand sich darunter - nein, Kira korrigierte sich in Gedanken, kein bekanntes, sympathisches Gesicht befand sich darunter. Dann bemerkte sie jedoch Chief O'Brien am Tresen, der allem Anschein nach ein Selbstgespräch mit seinem Bierkrug führte. Kira schüttelte abermals den Kopf, dieses Mal allerdings mit einem leichten Lächeln. O'Brien war derjenige der Sternenflotten-Offiziere, mit dem sie glaubte, am besten zurechtkommen zu können. Natürlich war da noch Dax, aber die unkonventionelle Trill stellte für Kira nicht wirklich die Sternenflotte dar.

Mit ein paar raschen Schritten bahnte sie ihren Weg zum Tresen.

"Chief, ist der Platz neben Ihnen noch frei?"

O'Brien hob den Kopf und erkannte erstaunt die Bajoranerin. Mit einer einladenden Handbewegung beeilte er sich zu versichern: "Aber natürlich, Major."

Kira nahm den Barhocker in Besitz. "Alles in Ordnung mit Ihnen, Chief?" fragte sie, während sie Quark mit einer herrischen Geste herbeorderte. "Sie erschienen mir heute etwas... nun... beschäftigt."

Eine Nuance zu hastig erwiderte er: "Nur die Schaltkreise, nur die Schaltkreise, Major."

Kira bekam keine Gelegenheit, ihm einen weiteren fragenden Blick zuzuwerfen, da Quark auf ihre Handbewegung hin sofort herbeigeeilt kam. Während der Ferengi die junge Frau mit Komplimenten und den üblichen Annäherungsversuchen überschüttete, betrachtete O'Brien sie von der Seite. Er musste das Problem 'Ro Laren' mit irgendjemandem besprechen, auf den er einen Teil der Verantwortung abwälzen konnte. Was passieren würde, wenn er es Sisko meldete, war ihm nur zu gut bewusst. Aber Kira...? Sie musste imstande sein, seine Gründe für das Zögern nachzuvollziehen. Wenn nicht sie, wer dann?

Daher nahm er seinen Mut zusammen, als Quark endlich von der Frau abgelassen hatte, und fragte sie: "Major?"

"Chief?" Kira bemerkte den ernsten Blick des Starfleet-Offiziers. Sie hatte geahnt, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

"Ich muss Ihnen etwas gestehen", setzte O'Brien nach einer kurzen Pause fort.

Damit erwischte er die Bajoranerin kalt. Was konnte es geben, das der Chief ihr zu gestehen hatte? Grübelnd nahm sie ihr Glas und folgte O'Brien, der sich zu einem der etwas abgelegeneren Tische aufmachte.

"Was wollen Sie mir gestehen?" fragte sie, als sich die beiden gesetzt hatten. "Sind die Andockschleusen ausgefallen? Arbeiten die Replikatoren mit halber Energie? alles keine Dinge, um so eine Miene zu ziehen..."

"Nein, nein“, winkte O'Brien ab. Er wünschte sich, die Bajoranerin würde schweigen und ihn einfach nur reden lassen. Es würde ihm so leichter fallen, seine Gedanken zu ordnen.

Als hätte sie seinen Wunsch erraten, machte Kira keine weiteren Vorschläge, sondern wartete ab.

O'Brien betrachtete seinen halbvollen Bierkrug. "Hier auf der Station befindet sich jemand, der von der Sternenflotte desertiert ist und auf den daher ein Kriegsgericht wartet...", begann er schließlich.

Kira nickte nur und schwieg weiter. O'Briens Problem erwies sich als ein wirkliches Problem.

"... ich habe mit ihr auf der Enterprise zusammengearbeitet", fuhr der Chief fort. "Wenn ich Commander Sisko Meldung mache, erwartet sie ein Kriegsgerichtsverfahren..."

"Und daher kommen Sie zu mir", Kira nahm einen Schluck. "Das hört sich für mich aber nach einer reichlich Sternenflotten-internen Angelegenheit an. Was kann ich da tun?"

O'Brien zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hatte nur das Bedürfnis, mit jemandem zu reden... und ich hatte das Gefühl, dass Sie es vielleicht verstehen können, Major", fügte er etwas linkisch hinzu. Im Augenblick war ihm schon überhaupt nicht mehr so klar, warum er gedacht hatte, er könne irgendetwas lösen, indem er darüber mit Kira sprach. Sie hatte ja recht, es war eine Starfleet-interne Angelegenheit. "Sie ist Bajoranerin", fügte er wie in Selbstverteidigung hinzu.

Kiras Augen wurden groß. "Schlanke Person, etwa so groß wie Dax, dunkle kinnlange Haare?"

O'Brien starrte sie an. "Richtig, wie...?"

"Sie ist mir vorhin aufgefallen, als ich die Bar betreten habe. Sie hat sie im gleichen Augenblick fluchtartig verlassen, als hätte sie jemanden gesehen, mit dem sie nicht zusammentreffen wollte. Der Blick in ihren Augen war so gejagt... so, so...", sie verstummte. Das "wie mein eigener" murmelte sie nur noch für ihr eigenes Glas. O'Brien bekam es nicht mehr mit.

Schließlich blickte sie wieder auf. Der Chief betrachtete sie mit einem Ausdruck im Gesicht, der ihr sagte, dass er auf die eine oder andere Weise von ihr eine Lösung für das Problem erwartete.

"Was, bei den Propheten, macht sie hier auf einer Station, die von der Sternenflotte kommandiert wird? Sie weiß ja wohl, dass sie gesucht wird, oder?" fragte Kira schließlich.

O'Brien leerte den Rest seines Kruges. "Sie ist eine Maquis."

* * *


Kira Nerys stand vor dem Altar des Stationstempels. Sie hatte eine Handvoll der Kräuter entzündet, die der Prylar den Gläubigen zur Verfügung stellte, und betrachtete nun die schemenhaften Figuren, welche der Rauch in der leicht bewegten Luft bildete. Schließlich schloss sie die Augen und erhob die Arme zur Meditation. Die ruhige Umgebung des Tempels verfehlte auch auf sie nicht ihre Wirkung. Langsam ließ sie ihre Gedanken abschweifen.

In der Bar vorhin war sie nahe daran gewesen, Quark mit einem seiner eigenen Gläser zu bearbeiten. Wie auch schon bei Chief O'Brien hatte der Ferengi auf stur gestellt, als sie Informationen über diese Ro Laren einholen wollte. Auch der deutliche Hinweis darauf, dass sowohl sie als auch der Chief davon wüssten, dass die Frau eine Maquis war, hatte nichts genutzt. Ihre Sympathie für den gnomenhaften Barbesitzer war dadurch nicht größer geworden. Schließlich waren sie so verblieben, dass Quark Ro ausrichten sollte, dass sie wüssten, wer sie war. Natürlich hatte der Ferengi versichert, dass er das nicht machen könne, weil er die Dame selber nicht kenne - Kira hoffte jedoch, dass der Zwerg wenigstens einmal etwas richtig machte. Wenn die dunkelhaarige Bajoranerin erfuhr, dass ihre Gegenwart hier bekannt war, würde sie die Station verlassen und damit O'Briens Loyalitätskonflikt lösen. Das war zumindest ihrer beider Plan gewesen.

Langsam senkte sie die Arme wieder. Warum hatte sie sich da überhaupt mit hineinziehen lassen? Schon lange Zeit zuvor hatte sie sich vorgenommen, Commander Sisko ihr volles Vertrauen zu schenken und ihn nicht mehr zu hintergehen. Was sie von der Sternenflotte halten sollte, wusste Kira immer noch nicht genau, aber sie vertraute ihrem kommandierenden Offizier völlig. Doch auf der anderen Seite konnte sie O'Briens Haltung sehr gut verstehen. Persönliche Loyalität war ein Konzept, welches ihr nicht fremd war... Das Beste war es wirklich, wenn diese Ro Laren die Station so schnell wie möglich verließ und sie einfach vergessen konnten, dass sie jemals hier gewesen war.

Ihre Arme lagen nun vollständig an ihrem Körper, und Kira öffnete die Augen wieder.

* * *


Sie hatte noch nie so viele Bajoraner auf einmal gesehen. Die Tatsache, dass sie eine von ihnen war, drang nicht vollständig in ihr Bewusstsein. Seit sie Bajor vor so vielen Jahren verlassen hatte, trug sie in ihrem Unterbewusstsein die Schuld mit sich herum, ihrer Heimat in einer Notlage den Rücken gekehrt zu haben. Nicht dass sie hätte irgendetwas ausrichten können, wenn sie geblieben wäre - höchstwahrscheinlich würde sie in diesem Fall nicht einmal mehr leben. Aber sie bekam das Gefühl einfach nicht los, dass auf ihrer Stirne in großen roten Buchstaben das Wort "Feigling" stand und dass jeder Bajoraner, dem sie begegnete, es deutlich würde lesen können.

Ro Laren wandte sich von der Auslage ab, die sie betrachtet hatte. Langsam schlenderte sie die Promenade entlang. Der Ferengi hatte ihr gestern Nacht erklärt, dass er erst heute Abend Bescheid wüsste, ob er die Instrumente, welche Ro erstehen sollte, beschaffen konnte. Bis dahin musste sie sich gedulden. Angesichts der Tatsache, dass sie von der Sternenflotte steckbrieflich gesucht wurde, wäre es sicherlich vernünftiger, auf dieser Station die Wartezeit in ihrem Quartier zu verbringen. Aber Vernunft war noch nie ein Gesichtspunkt gewesen, nach dem Ro ihr Leben ausgerichtet hatte. Seit Jahren war sie nicht so nahe an ihren Heimatplaneten herangekommen. Das tiefe Gefühl von Schuld hatte sie stets davon abgehalten, ihn zu besuchen. Jetzt wollte sie sich so lange wie möglich unter ihre eigenen Leute mischen. Sie gab sich als reisende Händlerin aus und hatte mit dem einen oder anderen Bajoraner Gespräche über Bajor geführt. Niemand schien hier die Buchstaben auf ihrer Stirn lesen zu können.

Die einzige Vorsicht, die sie walten lassen musste, war Miles O'Brien nicht über den Weg zu laufen. Es hatte sie völlig unvorbereitet getroffen, ihn hier vorzufinden. Das Informationsnetz der Maquis war noch nicht gut genug ausgebaut, um vollständige Besatzungs-Dateien liefern zu können. Ro war sich sicher, dass der Ire sie gestern Abend in der Bar nicht gesehen hatte, er schien viel zu sehr damit beschäftigt zu sein, dem Ferengi etwas zu erzählen. Sie musste dafür sorgen, dass dies auch so blieb.

Ro ließ ihren Blick weiter über die Promenade wandern, zwischen all den Austellungsfenstern und Zugängen der Spielsalons und Geschäfte befand sich auch das Tor des bajoranischen Tempels. Es wirkte in diesem regen Treiben irgendwie deplatziert. Ein schwaches Lächeln erhellte die Züge der großen Bajoranerin. Sie selbst bezeichnete sich nicht als sonderlich religiös, aber sie wusste recht gut, dass die Mehrheit ihres Volkes teilweise sogar fanatisch an der Lehre der Propheten hing. Vielleicht sollte sie sich ebenfalls einmal im Tempel umsehen.

Gerade als Ro sich zu dem Bogentor aufmachen wollte, trat eine Bajoranerin von dort auf die Promenade hinaus. Sie trug die Uniform des Militärs und kam Ro irgendwie bekannt vor. Die Militärangehörige verharrte kurz im Torbogen und ließ ihren Blick über die Promenade schweifen. Als sie Ro sah, schien sie zu stocken. Die Maquis wandte sich vorsichtshalber langsam wieder dem Ausstellungsfenster zu, vor dem sie stand. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie die Offizierin sich in ihre Richtung zu bewegen begann. Das war sicherlich lediglich Zufall, aber Ro musste dennoch eine aufsteigende Panik niederkämpfen. Intensiv starrte sie die Ausstellungsstücke an - sie bekam gar nicht mit, um was es sich dabei handelte -, in der Hoffnung, damit den Schritt der anderen Bajoranerin abzulenken. Diese steuerte aber immer noch zielstrebig auf sie zu. Jetzt nahm das Panikgefühl überhand, und Ro beschloss, einen unauffälligen Rückzug anzutreten. Sie wandte sich vom Fenster ab, um die Promenade in einem 90 Grad Winkel zu der Offizierin zu überqueren. Aber dazu kam es nicht mehr. Kaum hatte sie sich umgedreht, fiel ihr eine Hand auf die Schulter. Jetzt davonzurennen wäre einem Schuldgeständnis gleichgekommen, daher atmete sie einmal tief durch und drehte sich um.

"Ja, bitte?" fragte sie so harmlos, wie sie nur konnte.

"Ro Laren?"

Die Maquis setzte einen erstaunten Ausdruck auf. "Sie müssen mich verwechseln", teilte sie der anderen Bajoranerin mit. "Mein Name ist Thor Cabani."

"Spielen Sie nicht mit mir! Der Name 'O'Brien' sagt Ihnen dann wohl auch nichts..."

Ro hoffte, dass sie das Zucken in ihrem Gesicht rechtzeitig hatte unterdrücken können. Der Ingenieur hatte sie DOCH gesehen gehabt. Fieberhaft überlegte sie sich, wie sie nun entkommen konnte. Die Bajoranerin schien alleine zu sein, jedenfalls konnte Ro keine Sicherheitsleute in der Nähe ausmachen. Sie schätzte, dass sie der kleineren Offizierin in einem Nahkampf körperlich überlegen war. Aber es musste schnell gehen...

"Hören Sie, Ro. Ich habe nicht vor, Sie festzunehmen. Ich will Ihnen nur sagen, dass einige Leute hier wissen, wer Sie sind und warum Sie hier sind. An Ihrer Stelle würde ich verschwinden solange ich das noch könnte. Von Rechts wegen müsste ich Sie dem Commander melden. Aber wenn Sie innerhalb der nächsten Stunde die Station verlassen, dann vergesse ich einfach, dass ich Sie gesehen habe."

Ro starrte die andere Bajoranerin an. "Was...?"

In diesem Augenblick meldete sich der Communicator am Uniformkragen der Offizierin. Beide Frauen fuhren etwas zusammen.

"Kira hier."

"Major", war Siskos Stimme zu vernehmen, "wir haben eine Offiziersbesprechung, kommen Sie bitte unverzüglich in den Konferenzraum."

"Ich bin sofort bei Ihnen. Kira, Ende." Sie wandte sich wieder der Maquis zu. "Hören Sie auf meinen Rat. Ich weiß ohnehin nicht, warum ich das hier mache... also sehen Sie zu, dass Sie sich verziehen. Wenn jemand anders Sie erkennt, kann ich nichts mehr machen." Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte die Promenade entlang, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Ro starrte ihr entgeistert nach. Sie verspürte den drängenden Wunsch, ihren Kopf kräftig zu schütteln, um sich zu versichern, dass sie nicht träumte. Was war das gewesen? Was hatte die Frau dazu veranlasst, sie zu warnen? Sie sah sich um, niemand schien auf das seltsame Gespräch aufmerksam geworden zu sein. Und wenn es eine Falle war? Nein, mental schüttelte sie ihren Kopf. Wenn O'Brien sie erkannt hatte, dann saß sie hier nicht als Maquis auf der Anklagebank - dazu hätten die Leute sie ohnehin erst auf frischer Tat ertappen müssen - sondern als Deserteurin, und dazu brauchten sie keinerlei weitere Beweise. Also keine Falle, denn die Offizierin hätte sie genauso gut gleich hier gefangen nehmen können. Ihr Blick fiel wieder auf den Eingang zum Tempel.

"Ich denke, es ist an der Zeit, euch zu danken", murmelte sie in Richtung des Heiligtums. Sie würde ihre Sachen aus ihrem Quartier holen, Quark noch einen kurzen Besuch abstatten und sich dann so rasch wie möglich für den nächsten Flug von der Station einchecken. Man sollte das Glück nicht herausfordern.

* * *


"Es geht um folgende Person", Commander Sisko aktivierte den Tischbildschirm und drehte ihn so, dass die anwesenden Offiziere das Bild erkennen konnten.

Beim Anblick der dunkelhaarigen Frau warf Major Kira dem Chief einen unauffälligen Blick zu. Auch O'Briens Gesicht versteinerte sich ein wenig. Da aber die anderen Offiziere den Computerbildschirm betrachteten, bemerkten sie nichts von dem verschwörerischen Austausch.

"Das ist Ro Laren, Bajoranerin, Mitglied der Maquis, und von der Sternenflotte wegen Desertation gesucht. Das Hauptquartier hat mich unterrichtet, dass die Möglichkeit besteht, dass sie sich auf DS9 befindet. Ihre Spur verlor sich auf einem Raumhafen, der unter anderem auch unsere Station anfliegt. Es ist möglich, dass sie sich unter einem der Namen Sylva Nagya, Thor Cabani oder Kermes Orit hier eingecheckt hat. Ich möchte, dass Sie die Augen offen halten. Deserteure sind höchste Prioritätsstufe bei Hauptquartier. Constable", er wandte sich an den Sicherheitschef. "Überprüfen Sie die Passagierlisten und informieren Sie mich, falls sich jemand mit einem dieser Namen auf der Station befindet oder befunden hat."

Odo nickte. "Ich werde mich sofort daran machen."

"Das war alles", beendete Sisko die Unterrichtung. "Halten Sie die Augen offen."

Einer nach dem anderen verließen die Offiziere den Konferenzraum. Als Kira durch die Tür trat, wartete O'Brien schon auf sie. Der Chief bedeutete mit dem Kinn, dass er mit ihr sprechen wollte. Unauffällig gingen sie in einen ruhigeren Korridor.

"Was jetzt?" fragte O'Brien frustriert. "Wenn Quark ihr unsere Nachricht nicht hat zukommen lassen, läuft sie womöglich ins offene Messer."

Kiras Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. "Ich habe sie vorhin auf der Promenade gesprochen und sie gewarnt..."

O'Brien blickte sie erstaunt an.

"... aber sie wird jetzt nicht von der Station kommen. Odo überprüft die Abflüge", sie zuckte resigniert mit den Schultern. "Entweder wir finden sie zuerst, oder wir können nichts tun."

"Und was ist, wenn wir sie gefunden haben?" fragte der Chief.

Kira verschränkte ihre Arme. "Sie haben mich da hineingezogen, Chief. Es wäre schön, wenn von Ihnen ein Vorschlag käme. Ist Ihnen überhaupt klar, dass wir hier aktiv die Befehle des Commanders hintergehen? Ich verspüre wenig Lust, dafür gerade stehen zu müssen..."

"In Ordnung, Sir", O'Briens Tonfall klang nun etwas 'offizieller'. "Ich verstehe." Er wollte sich umwenden, aber Kira hielt ihn am Arm fest.

"Ich habe nicht gesagt, dass ich nichts damit zu tun haben möchte", sie seufzte. "Ro Laren ist Bajoranerin. Ich meine, ich kann ihre Gründe verstehen, warum sie die Sternenflotte verlassen hat, um sich dem Maquis anzuschließen... ich könnte nicht einmal sagen, ob ich an ihrer Stelle nicht genau dasselbe getan hätte. Aber es wäre mir um einiges lieber gewesen, wenn sich die Sache hätte unauffällig lösen lassen." Sie lief den Korridor hinunter. "Kommen Sie, Chief. Wir müssen sie finden, bevor es die anderen tun."

* * *


Die Promenade war bevölkert wie üblich. Schwatzende, geschäftige Personen gingen an Kira vorüber in allen Farben und Gestalten. Doch sie konnte keine große dunkelhaarige Bajoranerin unter ihnen ausmachen. Sie hoffte inbrünstig, dass die Sicherheit Ro Laren nicht kalt in deren Quartier erwischt hatte. Den Barbesitzer wollte Kira nicht fragen. Auf der einen Seite war sie nicht sicher, ob sie überhaupt eine brauchbare Antwort von ihm erhalten würde, und auf der anderen Seite barg ein zu großes Interesse die Möglichkeit, dass Quark seinerseits unangenehme Fragen stellte. Und die Vorstellung, durch den Ferengi erpressbar zu werden, war mehr als Kira ertragen könnte.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Promenade gewahrte sie nun die vertraute Gestalt des Sicherheitschefs. Sofort bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge auf ihn zu.

"Odo", rief sie ihn an. "Wie sieht es aus? Haben Sie die Person ausfindig machen können, die von der Sternenflotte gesucht wird?"

Ohne seine Aufmerksamkeit von dem bunten Strom um sich herum abzuwenden, nickte der Gestaltwandler. "Wie Commander Sisko vermutet hat, befindet sie sich auf der Station und zwar unter dem Namen Thor Cabani. Allerdings wollte sie wohl schon abreisen, denn das Quartier, welches sie gemietet hat, war leer, als wir ankamen", der Sicherheitschef blickte Kira nun direkt an. "Oder es hat sie jemand gewarnt."

Die Bajoranerin versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als sie nachfragte: "Dann kann es sein, dass sie sich gar nicht mehr auf DS9 befindet?"

"Nein. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt davon, dass sie sich noch hier befindet", erwiderte Odo, der nun wieder die Promenade mit Blicken absuchte. "In der letzten Stunde hat kein Schiff die Station verlassen, und ich habe einen Zeugen, der angibt, die Gesuchte innerhalb dieser Zeitspanne gesehen zu haben. Sie muss sich hier irgendwo verstecken."

Kira nickte, während sie überlegte, wie groß wohl die Chance war, dass O'Brien und sie Ro Laren vor der Sicherheit finden könnten - und was sie dann unternehmen würden. Das Logischste wäre, sich aus der Angelegenheit herauszuhalten - nach allem war es immer noch ein Sternenflotten-internes Problem - aber die Bajoranerin spürte ein Feuer in sich brennen, welches sie davon abhielt, einfach nur zuzusehen. Loyalität war ein seltsames Konzept.

"Ich werde meine Augen offen halten", versprach sie, als sie sich wieder von dem Sicherheitschef abwandte. Mit großen Schritten ging sie die Promenade entlang, um aus der Sichtweite des Gestaltwandlers zu gelangen. Gerade hatte sie sich dazu entschlossen, jedes Geschäft einzeln abzusuchen, als ihr Kommunikator piepte.

"Kira hier."

"Major?" die Stimme O'Briens erklang fragend.

Kira sah sich um. "Ich bin alleine, Chief, sprechen Sie."

"Wir sind vor ihrem Quartier, Sir. Es wäre gut, wenn Sie sofort kommen könnten."

"Ich bin sofort bei Ihnen, Ende." Die Bajoranerin seufzte und zwang ihre Beine, noch weiter auszuholen.

Als sie in die schwach erleuchteten Gänge der Crew-Quartiere einbog, konnte sie die Gestalt des Chefingenieurs vor ihrer Tür ausmachen. Er schien alleine zu sein.

"Wo ist sie?" wollte Kira sofort wissen, als sie bei O'Brien angelangt war.

Der Ire nickte mit dem Kinn zu einer geschlossenen Türe weiter den Gang hinunter. "Im Moment noch in dem freien Quartier dort unten, aber dort kann sie nicht bleiben. Die Sicherheit wird alle unbenutzten Räume durchsuchen. Wegen Keiko und Molly kann ich sie unmöglich mit zu mir nehmen...", er machte eine Pause und blickte erst Kira, dann deren Quartiertüre bedeutungsvoll an.

"Bei mir?" die Bajoranerin schlug sich ungläubig auf die Brust. "Denken Sie sich etwas Besseres aus, Chief!"

"Mir fällt nichts Besseres ein, Sir", O'Brien zuckte reuevoll mit den Schultern. Er fühlte sich nicht wohl dabei, Major Kira so tief in eine Sache mit hineinzuziehen, die im Prinzip auf nichts anderem als seinen eigenen Gefühlen begründet war. Aber wozu waren Gefühle da, wenn man ihnen nicht von Zeit zu Zeit mehr vertraute als jedem geschriebenen Gesetz? "Die Offiziersunterkünfte werden sicherlich nicht durchsucht..."

"Und was glauben Sie, wie lange sie bei mir bleiben soll?" schnappte Kira frustriert. "Odo weiß, dass sie sich auf der Station befindet, er überprüft alle startenden Schiffe - und Sie kennen seine Gewissenhaftigkeit. Er macht das, wenn es sein muss, für das nächste Jahr. Soll diese Frau vielleicht bis zum Ende ihres Lebens in meinem Quartier bleiben? Vergessen Sie es!" Aber noch während sie ihren Frust herausließ, war der Bajoranerin bewusst, dass sie nachgeben würde. O'Brien stand wie das Unglück selbst vor ihr und er tat ihr leid. Wenn er eine frühere Kollegin vor der Sternenflotte "retten" wollte, wer war dann Kira, um sich ihm in den Weg zu stellen? Während der Besatzung war sie selbst um jede Hilfe froh gewesen. Wie es aber weitergehen sollte, blieb ihr im Moment ein Rätsel.

* * *


"Darf ich Sie etwas fragen?" Die dunkelhaarige Bajoranerin hatte ein Bein untergeschlagen und saß auf Kiras Bett.

Kira war dabei, die Uniformjacke aufzuhängen. Sie wandte sich nun zu Ro um. "Wenn Sie wissen wollen, warum ich das für Sie mache, dann fragen Sie lieber nicht. Ich weiß es nämlich nicht!" Kira kehrte zum Bett zurück, ihre Arme zerteilten die Luft zu beiden Seiten ihres Körpers. "Wenn man Sie hier findet, dann kostet mich das vielleicht meinen Posten - und ich könnte es Commander Sisko nicht einmal verübeln."

Ro hob ihre Augenbrauen. "Umso mehr würde mich natürlich der Grund interessieren."

"Der Grund ist Chief O'Brien", Kira ließ sich neben Ro auf das Bett fallen. "Ihm haben Sie diese Aktion zu verdanken."

"Und Sie schulden ihm etwas?" hakte Ro nach.

Kira schüttelte den Kopf. "Nein, eigentlich nicht... aber wer sonst hätte ihm helfen können?"

Die Maquis griff nach der kleinen Statue, die Kira auf dem Nachttisch stehen hatte, und drehte sie in ihren Händen. "Was auch immer der Grund ist, ich bin Ihnen dankbar dafür. Die Strafeinheit auf der Erde steht auf meiner Beliebtheitsskala nicht unbedingt an erster Stelle... was ist das?"

"Hm?" Kira hatte den Kopf auf die Hände gelegt und über ihr Vorgehen nachgegrübelt. Nun sah sie auf. Ro hielt ihr die kleine Statue vor die Augen. "Fragen Sie mich nicht nach der tieferen Bedeutung - jemand hat sie mir auf der Befreiungsfeier gegeben", ein reuevolles Grinsen huschte über das Gesicht der rothaarigen Bajoranerin, "Ich könnte nicht einmal mehr sagen, wer das war. Aber für mich ist dieses kleine Ding ein Symbol für unsere Befreiung."

Ro betrachtete das Kunstwerk nachdenklich von allen Seiten.

"Wie war es?" fragte sie schließlich leise.

"Was?"

"Wie war die Befreiungsfeier? Ich... ich war nicht auf Bajor zu dieser Zeit...", fügte sie kaum hörbar hinzu.

Kira setzte sich auf. Der Glanz in ihren Augen veränderte sich, als sie sich erinnerte. "Es war Ende und Anfang zugleich", sie lächelte schief. "Wenn ich ehrlich bin, dann war ich wohl viel zu betrunken, um mich richtig zu erinnern. Aber ich war niemals zuvor und niemals danach wieder so glücklich."

"Niemals danach?" hakte Ro nach.

Kira schüttelte den Kopf. "Die Ernüchterung kam sehr schnell. Bajor war am Boden. Die Cardassianer waren fort, gut. Aber das hieß nur, dass wir aus der Sklaverei eines greifbaren Feindes in diejenige eines abstrakten gestoßen wurden. Wir hatten nichts! Viele sind einfach verhungert, bevor auch nur das kleinste bisschen Ordnung eingekehrt war, „ sie zuckte mit den Schultern, "ich denke, einen Teil unseres jetzigen Status haben wir der Föderation zu verdanken...", sie blickte Ro an.

Die dunkelhaarige Frau stellte die Statue wieder auf die Kommode zurück. "Daran zweifle ich keinen Augenblick. Ich habe lange genug in der Sternenflotte gedient, um zu erkennen, dass sie einige brauchbare Ansichten haben..."

"Aber...?"

"Aber keine Konsequenz! Manchmal ist reden einfach nicht genug. Wissen Sie, warum ich desertiert bin?"

"Nein."

"Ich hatte den Auftrag, den Maquis zu infiltrieren, um einen geplanten Angriff zu vereiteln. Ich war dort, ich habe die Leute gesehen, mit ihnen gelebt. Es sind gute Leute, sie sind nicht der Feind! Ich habe erlebt, wie Cardassianer eine Siedlung überfallen haben. Und was macht die Sternenflotte? Sie gehen gegen den Maquis vor, nicht gegen diejenigen, welche die Verträge verletzen, die Cardassianer. In diesem Moment ist mir endlich klar geworden, wo ich hingehöre", sie blickte zur Decke, doch nicht schnell genug. Kira hatte das Glitzern in ihren Augenwinkeln bemerkt. "Ich habe lange genug mit der Schuld gelebt, Bajor im Stich gelassen zu haben. Jetzt kann ich etwas gut machen - und wenn es heißt, dass ich dabei gegen die Föderation vorgehen muss. Können Sie das nicht verstehen, Major?"

Kira blickte sie einige Sekunden schweigend an, dann erwiderte sie: "Was glauben Sie, warum Sie hier sind - und nicht schon längst in einer Zelle?"

* * *


Als der Türmelder ertönte, fuhr Kira auf. Mit einem Satz war sie im Wohnbereich. Ro war ebenfalls alarmiert aufgestanden.

"Rasch, verschwinden Sie im Schlafzimmer", zischte Kira ihr zu, bevor sie mit lauter Stimme zur Tür hinüber rief: "Ich komme gleich".

Durch die Tür konnte man gedämpft die Stimme des Chiefs hören. "Ich bin's, O'Brien!"

Kira und Ro atmeten gleichzeitig aus.

"Herein", rief die Major.

O'Brien trat rasch durch die sich öffnende Tür, um dieser sogleich die Möglichkeit zu geben, sich wieder zu schließen.

"Wie geht's?" erkundigte er sich bei den beiden Frauen und der Unterton der Reue war nicht zu überhören.

Kira grinste schief. "Recht gut, wenn man bedenkt, dass ich das Gefühl habe, die Sicherheit würde jede Minute das Zimmer stürmen."

"Ich fühle mich auch nicht viel wohler“, gab der Chief zu. "Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie wir aus dieser Situation wieder herauskommen, und mir ist eine Idee gekommen."

"Tatsächlich?" Kira konnte nicht allen Sarkasmus aus der Stimme halten. Es war an der Zeit, dass der Chief ebenfalls mit etwas Hilfreichem ankam, wenn sie sich für ihn schon so weit in den Schlamm gesetzt hatte. "Ich hoffe, sie funktioniert."

"Major, können Sie eine Uniform des Sicherheitspersonals besorgen?" fragte der Ire.

Kira nickte. "Kein Problem."

"Gut", O'Brien sah zu der Maquis hinüber. "Mit genügend Verkleidung sollte es möglich sein, Sie auf eines der andockenden Schiffe zu schleusen. Ich habe die Aktionen der Sicherheit verfolgt und die Schiffe sind alle ziemlich gründlich untersucht worden. Vor den Andockschleusen stehen Posten, um zu verhindern, dass jemand aus der Station während der Aktion dort Zuflucht sucht. Ich glaube nicht, dass Odo die Schiffe bei dieser Sicherheitsvorkehrung später noch einmal überprüfen lässt..."

Kira unterbrach seine Erklärung, indem sie beide Hände hob. "Einen Moment mal, Chief. WIE sollen wir sie auf eines der Schiffe bringen?"

Der Chief neigte seinen Kopf. "Das werde ich übernehmen. Und wenn ich Quark dafür eigenhändig verprügeln muss."

* * *


Der Ferengi beäugte das PADD misstrauisch. Odo hielt es ihm mit einer Ruhe vor das Gesicht, als hätte er alle Zeit der Welt. Schließlich, als er glaubte, eine glaubwürdig lange Spanne mit nachdenklicher Miene verbracht zu haben, schüttelte Quark den Kopf. "Nie gesehen."

"Sicher?"

"Würde ich lügen?"

Odo strengte sich nicht einmal mehr an, verächtlich zu seufzen. Diese surrealistische Frage von Seiten des Ferengi gehörte einfach zur Prozedur. Stattdessen blickte sich der Gestaltwandler in der Bar um. "Ich kann mir vorstellen, dass die Sternenflotte es zur Priorität machen würde, dieses Etablissement zu schließen", begann er schließlich bedächtig, "wenn bekannt würde, dass der Besitzer mit Deserteuren gemeinsame Sache macht..."

"Hmpf!" Quarks Kopf fuhr erschrocken aus der Betrachtung von Ro Larens Bild hoch. Einen Sekundenbruchteil starrte er den Sicherheitschef ungläubig an, dann schlich sich das vertraute Grinsen wieder auf seine Züge. Sarkastisch bemerkte er: "Aber, aber, Odo. Ihre Methoden werden ja immer verzweifelter."

"Ja?" Odos Gesichtsausdruck blieb unleserlich. "Das wird sich ja noch zeigen", sein Daumen berührte Ros Nase, "wo finde ich diese Frau, Quark?"

Der Ferengi setzte seine "ich-bin-beleidigt-dass-Sie-mir-nicht-glauben"-Miene auf, während er mit abschließender Bestimmtheit log: "Zum letzten Mal, ich kenne sie nicht. Das habe ich heute Mittag auch schon Major Kira und Chief O'Brien mitgeteilt." Dann wandte er sich ab, um seine Gläser zu polieren.

Nickend nahm der Sicherheitschef das PADD wieder an sich. Dann hielt er in der Bewegung inne. "Heute Mittag?" fragte er den Rücken des beleidigten Barbesitzers.

"Habe ich doch gesagt...", Quark wollte eben wieder zu einer Tirade betreffs seiner Ehrbarkeit loslegen, als er im Umdrehen den nachdenklichen Gesichtsausdruck Odos bemerkte. Unwillkürlich überkam ihn das Gefühl, etwas Unvorsichtiges gesagt zu haben, aber es wollte ihm nicht einfallen, was das gewesen sein könnte. Während sein Gehirn ratterte, wie er sich aus der Situation - was immer diese auch sein sollte - wieder herausreden könnte, beachtete Odo ihn nicht weiter. Seine Augen betrachteten das Bild der Maquis, während sein lippenloser Mund die Worte "heute Mittag" zu formen schien. Ohne sich weiter um den verblüfften Ferengi zu kümmern, stand er auf und verließ die Bar.

* * *


Quark war nicht viel Zeit vergönnt, um sich zu fragen, in welche Falle des Sicherheitschefs er diesmal hineingeraten sein könnte. Es dauerte nicht lange, bis er den Chief mit großen Schritten auf die Bar zu kommen sah. Er sandte einen stummen Seufzer zum Ferengi-Himmel, und beschloss, dass diese einzelne Bajoranerin - so gut aussehend sie auch immer war - diesen ganzen Ärger einfach nicht wert war.

Natürlich platzierte sich O'Brien direkt vor dem Barbesitzer, natürlich hatte sein Gesicht wieder diesen typischen "ich-brauche-eine-Auskunft"-Ausdruck und natürlich begann er mit den Worten:

"Quark, es geht um die Bajoranerin..."

"Ach...?" der Ferengi lehnte sich gutmütig über den Tresen und versprach mit ruhiger Stimme: "Den nächsten, der mir mit dieser Frau kommt, klage ich wegen persönlicher Belästigung an..."

"Quark! Es ist mein Ernst!"

"Meiner auch."

O'Brien packte ihn am Kragen seiner maßgeschneiderten Jacke. Quark wollte lautstark protestieren, doch der Chief legte ihm einen Finger über den Mund. Überrascht über diese Aktion hielt der Ferengi erst einmal still.

"Ich habe nichts gegen Sie vor, Quark. Ganz im Gegenteil, indem ich zu Ihnen komme und Ihnen das erzähle, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, riskiere ich Kopf und Kragen. Also wäre es mir verdammt lieb, wenn Sie sich einmal kooperativ zeigen würden!" Er ließ den Barbesitzer wieder los.

Dieser hielt immer noch still. Der Chief wirkte außergewöhnlich nervös, und Nervosität war ein guter Zug an einem Gesprächspartner. Die Unterhaltung versprach interessant zu werden.

O'Brien sah sich rasch um, dass auch wirklich niemand in der Nähe saß, dann flüsterte er: "Ich weiß, wo Ro Laren ist. Sie wird momentan stationsweit gesucht, und sie muss von hier verschwinden. Ich möchte nicht, dass sie vor dem Kriegsgericht endet."

Quark beeilte sich, ein Glas und eine Flasche zutage zu fördern, um dem Gespräch einen geschäftlichen Anstrich zu geben. Während er so langsam wie möglich einschenkte, hakte er nach: "Damit ich Sie richtig verstehe, Chief. SIE wollen von MIR, dass ich Ihnen bei einer strafbaren Aktion helfe?"

"Quark!" O'Brien hatte Mühe, seine Stimme unter Kontrolle zu halten.

Der Ferengi hob abwehrend die Hände. "Ich wollte die Angelegenheit nur klargestellt haben."

"Sie braucht ein Schiff, auf dem sie sich verstecken kann, bis die Suche abgeblasen ist..."

"Odo wird sie dort aufspüren..."

"Ich denke nicht, dass er die angedockten Schiffe noch einmal durchsuchen lässt. Es kann sie niemand betreten, ohne die Sicherheit zu passieren..."

"Und wie wollen Sie dann..."

"Das ist mein Problem, nicht das Ihre. Sie müssen mir einen Captain finden, der bereit ist, sie zu verstecken - und der, wenn möglich, eine große Bajoranerin als Besatzungsmitglied hat."

Quark bedachte den Chefingenieur mit einem Blick, den er sonst nur einem sehr jungen Ferengi schenken würde, welcher das Wort "gratis" in den Mund genommen hatte. "Ist das alles?"

Ein weiteres Mal huschte O'Briens Blick durch die Bar. "Ich bezahle natürlich für diese Gefälligkeit."

Augenblicklich erhellten sich die Züge des Barbesitzers. "Warum sagen Sie das nicht gleich, mein lieber Chief!" Er hob einen spielerisch tadelnden Finger. "Immer erst den starken Mann heraushängen, was?"

O'Brien seufzte lautlos und enthielt sich jeden weiteren Kommentars. Quark hatte unterdessen ein PADD unter seiner Theke hervorgeholt und murmelte Dinge wie "Gefahrenzulage, Sonderpreis wegen Sternenflotten-Angelegenheit, Krisensicherung..." und ähnliches. Schließlich hielt er das Display dem Iren unter die Nase. O'Brien nickte nur resigniert.

"Sie haben Ihr Schiff, Chief!"

* * *


"Und, wie sieht es aus?" Kira blickte erwartungsvoll auf.

"Ähem...", O'Brien legte die Stirn in Falten. "Anders..."

"Na, bitte!"

"... allerdings habe ich noch niemals eine Bajoranerin vom Sicherheitspersonal mit so viel Rouge gesehen", fügte er zweifelnd hinzu.

"Meinen Sie?" Kira betrachtete ihre Arbeit skeptisch. Sie musste zugeben, dass Ro Laren ein wenig danach aussah, als sei sie in einen Farbtopf gefallen. Die Maquis griff ihrerseits nach dem Handspiegel, der neben ihr lag. Auch ihre Stirn legte sich in Falten, als sie das Ergebnis sah.

"Kira, ich glaube, ich muss O'Brien recht geben", bemerkte sie. "Ich sehe eher aus wie eine von Quarks Dabo-Mädchen."

"Hmm", Kira trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. "Ich hätte Jadzia doch mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Sie hat mir einmal erklärt, dass man eine Persönlichkeit durch Make-Up völlig verändern kann. Es scheint, dass dazu aber andere Fähigkeiten als meine nötig sind. Hmmm..." Sie betrachtete Ros Gesicht aus verschiedenen Winkeln.

Der Chief gestikulierte in Richtung Tür. "Soll ich Keiko ...?"

"Nicht nötig", warf Ro ein. "Wir werden das doch irgendwie hinbekommen."

Nach einigen weiteren Versuchen stimmten auch O'Brien und Ro dem Resultat zu. Mit der Perücke und der Uniform der Sicherheit, die Kira organisiert hatte, erschien die Maquis auf den ersten Blick tatsächlich wie eine andere Person.

"Auf in den Kampf", forderte O'Brien. "Ich möchte die Angelegenheit endlich hinter mir haben."

Die Drei traten aus Kiras Quartier auf den Korridor hinaus. Ihnen allen war klar, dass der schwierigste Teil noch vor ihnen lag. Und weder Kira noch O'Brien verspürten die geringste Lust, sich auszumalen, was geschehen würde, wenn das Sicherheitspersonal an den Andockschleusen Verdacht schöpfte.

Schließlich gelangten sie in den äußeren Ring und damit zu den Schleusen. Die Posten, die den Zugang zu dem von Quark vermittelten Schiff bewachten, waren schon von weitem zu erkennen.

"Okay, Leute", zischte Kira. "Wir sind auf einer ganz normalen Inspektion. Chief, halten Sie Ihren Werkzeugkoffer so, dass er deutlich sichtbar ist. Ro, tun Sie einfach so, als gehörten Sie hierher." Sie atmete tief durch. "Im Prinzip sollten sie uns nicht einmal anhalten. Wozu bin ich hier Erster Offizier!"

Die Drei setzten sich in Bewegung. Natürlich nahmen die Posten Habachtstellung an, als sie Major Kira auf sich zukommen sahen. Es gab wenige Soldaten auf der Station, die besonderen Wert darauf legten, die Aufmerksamkeit der Bajoranerin durch undiszipliniertes Verhalten auf sich zu ziehen. Es war nicht nötig, dass Chief O'Brien seinen Werkzeugkoffer zur Schau stellte. Kira nickte den Posten knapp zu und betrat dann gefolgt von den beiden anderen die Schleuse. Niemand kam auf die Idee, dass die Offizierin hier eventuell nichts zu suchen hätte.

Zwei Schleusentore weiter standen sie im Inneren des bajoranischen Frachters, dessen Captain bei Quark noch die eine oder andere Spiel-Schuld zu begleichen hatte. Als der Schiffs-Kommandant die drei Besucher begrüßte, winkte er eine große Bajoranerin zu sich.

"Quark gab mir zu verstehen, dass Sie Namin brauchen würden, Major?"

Kira nickte. "Es ist wichtig, dass wir auch zu dritt wieder dieses Schiff verlassen, sonst würden die Posten sofort Verdacht schöpfen."

Die Maquis zog die Perücke vom Kopf, und Kira nahm sie entgegen. "Ziehen Sie bitte diese Perücke und die Uniform an, Namin. Sobald das Abflug-Verbot aufgehoben wird, können Sie ohne Probleme zu ihrem Schiff zurückkehren. Niemand wird wissen, dass Sie nicht schon die ganze Zeit über auf der Station gewesen sind."

Währenddessen hatte Ro sich auch aus der senffarbenen Uniform geschält. "Ich schulde Ihnen einiges, Captain", grinste sie schief.

Der Bajoraner betrachtete sie interessiert. "Sie bezahlen für die Passage? Quark hat mir versichert, dass Sie..."

Ro winkte ab. "Natürlich bezahle ich. Das meine ich auch nicht", sie ruderte ein wenig mit den Armen. "Im Moment helfen mir nur einfach so viele Leute, dass ich allmählich so etwas wie schleichende Dankbarkeit empfinde."

"Danken Sie den Propheten, dass diese Ihre Schritte geleitet haben", erwiderte der Captain ernst.

"Wissen Sie was?", entgegnete die Maquis, "ich glaube, das werde ich tatsächlich tun." Sie wandte sich wieder zu Kira und O'Brien um. "Chief, danke." Sie drückte ihm die Hand, was der Ingenieur mit einem erfreuten Gesicht erwiderte.

"Kira, ein klein wenig habe ich das Gefühl bekommen, Bajor näher gekommen zu sein. Es war bewundernswert, was Sie für mich getan haben. Ich hoffe sehr, Sie bekommen dadurch keine Schwierigkeiten."

Unangenehm berührt winkte Kira ab. "Vergessen Sie's. Denken Sie beim nächsten Cardassianer, den Sie treffen, einfach an mich."

Ro grinste. "Das werde ich."

Kira wandte sich wieder an den Captain. "Sie haben uns nie gesehen, verstanden?"

"Verstanden!"

Mit einem knappen Kopfnicken bedeutete sie, dem Chief und der nun mit Perücke und Uniform versehenen Namin, ihr zurück zur Andockschleuse zu folgen.

* * *


Kira saß am Tisch in ihrem Zimmer. Es war vorüber. Vor einer Stunde hatte Commander Sisko offiziell den Abflug-Stopp beendet. Länger hatten die angedockten Schiffe nicht mehr hingehalten werden können. Mehrere Captains hatten schon vehement Beschwerden eingelegt. Kira war zugegen gewesen, als Odo dem Commander berichtet hatte, dass er die gesuchte Deserteurin nicht hatte finden können und dass wahrscheinlich sein vermeintlicher Zeuge die Frau verwechselt haben musste. Der Blick, den der Sicherheitschef der Bajoranerin bei diesen Worten zugeworfen hatte, war ihr kalt den Rücken hinuntergelaufen. Sie wusste nicht, ob Odo etwas vermutete, aber sie fühlte sich mehr als schuldig. Sie wollte nicht, dass er das Gefühl hatte, seinen Job nicht gründlich zu erledigen. Odo musste wissen, dass er gewissenhaft wie immer vorgegangen war - und dass sie daran schuld war, dass er mit leeren Händen vor den Commander treten musste. Kira wusste nicht, was der Sicherheitschef mit ihr machen würde. Aber dieses Geständnis war sie ihm und sich selbst einfach schuldig.

Die Bajoranerin stand auf, griff nach ihrer Uniformjacke und verließ ihr Quartier.

* * *


Der Sicherheitschef blickte von seiner Arbeit auf, als sich die Türen zu seinem Büro öffneten.

"Ich habe Sie schon erwartet, Major."

Kira blieb überrascht stehen. "Ja?" Odos Eröffnung nahm ihr in gewisser Weise den Schwung, mit welchem sie sich schließlich aufgerafft hatte zu gestehen. "Warum?"

Odo stand auf und umrundete seinen Tisch, bis er vor der Bajoranerin stand. "Sie sagen es mir, Kira."

Der ruhige Blick des Gestaltwandlers entnervte die Frau. Odos Gesicht wirkte so offen und ehrlich, dass sie sich nur umso elender fühlte. Aber dennoch senkte sie ihre Augen nicht. Einmal holte sie noch tief Luft, um sich zu wappnen, dann gestand sie mit fester Stimme: "Ich bin daran schuld, dass die Starfleet-Deserteurin nicht gefunden wurde, Odo." Eine Verteidigung wollte sie erst hervorbringen, wenn sie eine Ahnung davon hatte, wie groß der gerechte Zorn des Gestaltwandlers ausfallen würde.

Doch anstatt Ärger auszudrücken wirkte Odo nachdenklich. Er trat einen Schritt von der Bajoranerin zurück und lehnte sich gegen die Tischkante. Er nickte. "Ich habe mir so etwas gedacht", bemerkte er schlicht.

Kira starrte ihn entgeistert an. "Wie...?"

"Unglücklicherweise war Quark in dieser Hinsicht einmal hilfreich. Als er mir sagte, dass Sie sich nach Ro Laren zu einem Zeitpunkt erkundigt hatten, als Commander Sisko noch keinen Ton von ihr erwähnt hatte, konnte ich mir den Rest denken."

Der offene Mund der Bajoranerin klappte wieder zu."Und?"

"Und... was?"

Kira hob hilflos die Arme. "Was gedenken Sie, mit mir zu machen?"

"Was würden Sie an meiner Stelle tun?" kam die Gegenfrage.

"Ich bin nicht an Ihrer Stelle", stellte Kira leise fest.

Der Sicherheitschef schien zu seufzen. "Warum? Warum machen Sie mir meine Arbeit oft so schwer? Wenn ich Ihr Geständnis dem Commander melde, dann trifft es sicherlich nicht nur Sie, richtig?" er betrachtete sie mit geneigtem Kopf.

Kira nickte leicht.

"Und es würde mit Sicherheit nicht ohne Auswirkung auf Ihre Stellung hier bleiben", fuhr Odo fort. "Da das Problem nichts mit Bajor zu tun hatte, kann ich mir nicht vorstellen, dass unsere Regierung etwas unternimmt. Aber es könnte gut sein, dass Sisko einen neuen Verbindungsoffizier verlangt... Wollen Sie dieses Risiko eingehen?"

Kira schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht, Odo. Aber ich konnte nicht einfach nur dastehen und zusehen. Ro Laren ist so..."

"Sehen Sie, ich auch nicht", unterbrach der Gestaltwandler.

Die Bajoranerin blickte ihn fragend an. Sie konnte deutlich erkennen, wie die Gefühle in seinem konturenlosen Gesicht miteinander im Widerstreit lagen: Pflichtbewusstsein und ... etwas anderes, was Kira beinahe als Zuneigung interpretiert hätte. "Odo?"

Er stieß sich vom Tisch ab, umrundete diesen und schien seine vorher unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen zu wollen. Ohne zu Kira aufzusehen, murmelte er: "Ich verspüre keine Lust, einen neuen Verbindungsoffizier einzuarbeiten. Dazu habe ich einfach keine Zeit."

"Odo...?"

Er winkte mit der Hand, während er vorgab, mit seinen Daten beschäftigt zu sein. "Gehen Sie, Major, bevor ich es mir noch einmal anders überlege."

Die Bajoranerin hatte keinerlei Interesse, ihr Glück zu strapazieren. Bevor sie durch die Türen des Büros trat, wandte sie sich aber noch einmal um. "Danke, Odo. Das werde ich Ihnen nie vergessen!"

Der Sicherheitschef sah erst wieder auf, als sich die Türen geschlossen hatten. Eine Zeit lang blickte er der Frau noch schweigend hinterher.

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