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Dunkler Horizont

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Sie träumte. Zumindest hoffte sie, dass es ein Traum war.

Kathryn Janeway rannte. Rannte durch lange Korridore, die ihr seltsam bekannt vorkamen und von denen sie dennoch wusste, dass sie noch nie hier gewesen war. Es war eine Zweiteilung ihrer Wahrnehmung, in das, was sie wusste, und das, was sie fühlte, die so surrealistisch war, dass es nur ein Traum sein konnte.

Neben ihr trieben unaussprechliche Dinge in der Dunkelheit, sie wusste fast, was da trieb, wusste fast, was hier geschah. Doch sie konnte den Schleier nicht zerreißen, der darüber lag, so fein und filigran wie ein Spinnennetz und doch so verschleiernd, dass sie die Dinge nicht benennen konnte. Dabei war es von immenser Wichtigkeit, dass sie den Schleier zerriss. Sie wusste, dass ihr Leben davon abhing, und nicht nur ihr Leben.

Doch die Unerbittlichkeit des Traumes trieb sie weiter, ließ sie weiter durch den unheimlich langen Gang rennen.

Ein dumpfer Ton erklang nun, der langsam lauter wurde und immer lauter, ein unbestimmbarer Ton, dumpf und tief, der durch ihren Körper vibrierte und dafür sorgte, dass sich ihr Herz schmerzhaft in der Brust zusammenzog.

Der Ton wurde heller und steigerte seine Intensität. Janeway presste die Hände gegen die Ohren, aber damit ließ sich dieser Laut nicht vertreiben oder auch nur abschwächen. Er erschütterte ihren Körper, kochte in ihrem Blut, und sie wusste, dass er etwas Grauenvolles bedeutete, dass er ein Zeichen für etwas war, das zu schrecklich war, um es in ihr Bewusstsein einzulassen.

Lichter fluteten durch den Gang, und auf seltsame Weise waren sie noch erschreckender als die Dunkelheit, die wie Flecken von tiefstem Schwarz um sie herum trieben. Schwärzer als die Dunkelheit, schwärzer als alles, was existieren durfte.

Sie wusste, dass es ein Traum sein musste, es war eine Schwärze jenseits der Naturgesetze, es war wie ein Loch in der Wirklichkeit.

Janeway blieb stehen. Der Raum um sie herum hatte sich verändert, sie war in einer Art von Maschinenraum, der gleichzeitig so fremd war und andererseits auf unbestimmte Weise vertraut. Sie hatte so etwas schon einmal gesehen.

Drei konzentrische Ringe drehten sich träge, schienen den Naturgesetzen zu spotten, weil sie mitten im Raum in der Luft standen und sich das ganze Gebilde um drei Achsen gleichzeitig drehte.

In der Mitte dieser Ringe trieb eine hellgraue ovale Scheibe, die in Bewegung versetzt ihre eindimensionale Fläche verlor und sich mehr und mehr zu einer Kugel ausbildete.

Das furchterregende Geräusch stammte von den sich bewegenden Ringen, die mit der Unerbittlichkeit riesiger Pendel schwangen und bei Janeway eine Gänsehaut erzeugten. Sie waren so gewaltig groß, diese Ringe, und wenn sie sich bewegten, schnitten sie die Luft mit diesem unheilvollen Geräusch, das ihre Seele erschütterte.

Janeway schloss instinktiv die Augen, sie wollte nicht sehen, was auf der anderen Seite des dunklen Horizonts war.

”Ich habe es gesehen, ich habe es gesehen.” Chakotays Stimme ließ Janeway die Augen wieder öffnen. Erneut hatte sich die Umgebung verändert, und sie saß in einem Kommandosessel, aber es war nicht auf der Voyager>/i>.

Sie öffnete den Mund zum Schrei, als sie Chakotay sah. Er stand mit einem entrückten Lächeln vor ihr und hielt seine Hand vor sich. Blut tropfte von seinen Fingern, und auf seiner Handfläche lagen zwei blicklos starrende Augäpfel.

”Ich habe hinter den dunklen Horizont geblickt, Kathryn, und ich möchte, dass Sie es auch sehen.” Chakotays Stimme klang verändert, die Klangfarbe wurde tiefer und klang älter.

Janeway weigerte sich, zu ihm aufzusehen, sie wollte nicht die blutigen, leeren Augenhöhlen sehen, wollte nicht sehen, dass aus Chakotay ihr Vater wurde.

”Du hast mich sterben lassen!” Die neue Stimme ließ Janeway doch wieder die Augen öffnen, und diesmal war sie sich sicher, dass es nur ein Traum sein konnte.

Der junge Mann vor ihr war tot. Er war schon sehr lange tot, und er war ein alter Bekannter aus ihren Alpträumen, wo er sich sehr lange Zeit aufgehalten hatte. Er hatte sie oft schreiend aufwachen lassen. Er hatte sie lange Monate zur Schiffcounselor getrieben, bis sie fähig gewesen war, ihm in die Augen zu sehen, bis sie sich mit dem Traum konfrontieren konnte.

”Du hast mich sterben lassen, Kathryn.” Seine Worte waren anklagend, und während er sprach, begann seine Nase zu bluten.

So fing es immer an.

Sie versuchte wegzusehen, aber in all den Alpträumen hatte sie das nie gekonnt. Sie hatte immer zugesehen, wie er aus den Ohren und den Augen zu bluten begann, wie die Adern unter seiner Haut anschwollen und platzten, bis die Dekompression seinen Körper zerriss.

Die Schiffscounselor hatte sie schließlich mit dem Wissen ihres Volkes vertraut gemacht, wie man Traumdämonen bekämpfen konnte.

Janeway erinnerte sich an die Lektionen, die sie schließlich in die Lage versetzt hatten, die Alpträume zu bannen. Sie blickte den inzwischen schrecklich blutenden Mann an.

”Es ist ein Traum, nur ein Traum, und ich gehe jetzt und entziehe dir damit jede Energie. Wenn ich mich umdrehe, wirst du verschwinden. Du bist nur ein Schatten, du bist nur hier, wenn ich zulasse, dass du hier bist!” Sie drehte sich um, hörte nicht mehr auf seine flehende Stimme und bezwang den Impuls, über ihre Schulter zu blicken, ob er noch da war.

Sie fühlte, wie sie langsam aus dem Traum erwachte, sie fühlte bereits die glatte Struktur ihrer Bettdecke unter ihren Fingern, als seine Stimme nahe an ihrem Ohr zischelte.

”Wir werden uns wiedersehen, Kathryn, hinter dem dunklen Horizont werden wir zusammen sein und dann, oh ja, dann werde ich dir eine Welt zeigen hinter der Haut, hinter dem Fleisch. Eine rote Welt, eine Welt voll süßem Schmerz.”

Janeway erwachte mit dem Schrei nach Licht auf den Lippen. Sie stieß wild die Bettdecke von sich und strampelte sich frei, ehe ihr bewusst wurde, dass sie nicht mehr träumte. Sie war in der ansonsten so wohligen Behaglichkeit ihres Bettes, in ihrem Quartier auf der Voyager>/i>.

Sie vergrub den Kopf in den Händen und atmete tief ein und aus, solange, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte. Sie saß in ihrem Bett und starrte an die vertrauten Wände ihres Quartiers, während sie über ihren Alptraum nachdachte.

Es war sehr lange her, seit sie das letzte Mal einen derartigen Traum gehabt hatte. So surrealistisch er auch gewesen war, so intensiv wahr und echt hatte er sich angefühlt.

Janeway blickte auf den Chronometer. Es waren noch Stunden bis zu ihrer Schicht, und sie hatte noch nicht viel Schlaf abbekommen.

Sie ließ sich langsam wieder zurücksinken und schloss die Augen. Das grausige Bild von Chakotay, auf dessen Handfläche seine Augen lagen, drängte sich wieder in ihren Verstand, und sie riss die Augen wieder auf. Sich bewusst, dass sie diese Nacht keinen Schlaf mehr finden würde, stand Janeway auf und zog sich an.

* * *
* *

Das astrometrische Labor war eine seltsame Welt für sich.

Es war der Ort, an dem sich Seven of Nine am wohlsten fühlte. Hier fühlte sie sich geborgener als selbst in der Regenerierungseinheit in Cargobay 2. Vielleicht war es ein Indiz für den Prozess, der sie wieder zurück zu ihrer Menschlichkeit führte, dass sie dieses Labor dem assimilierten Lagerraum mit all dem Borgequipment vorzog.

Seven genoss die Stille. Um diese Zeit war niemand außer ihr im astrometrischen Labor. Es war ein seltsam zwiespältiges Gefühl, das sie hierher trieb. Als ehemalige Borg fühlte sie eine tiefe Sehnsucht nach einem Kollektiv, nach Verbindung zu den anderen Besatzungsmitgliedern, und gleichzeitig fühlte sie sich ausgeschlossen.

Sie fühlte sich auch nach knapp einem Jahr an Bord der Voyager fremd. Noch immer gab es so viel, das sie nicht verstand und nicht mit der Mannschaft teilte, und oft wollte sie es nicht einmal teilen. Manchmal schätzte sie es sogar, eine Außenseiterin zu sein, bot es eine seltsame Befriedigung, außerhalb des Kollektivs der Mannschaft zu stehen.

So viele der vielschichtigen sozialen Umgangsformen und Regeln waren ihr fremd, schienen ihr sinnlos und ineffizient. Es gab so viel, das sie gar nicht erlernen wollte.

Eine kleine, steile Unmutsfalte bildete sich auf ihrer Stirn, als sie das Zischen der aufgleitenden Türschotts vernahm. Störungen in diesen stillen Stunden im astrometrischen Labor waren ihr höchst unwillkommen. Sie schätzte den Drang der meisten Crewmitglieder nach sinnloser Kommunikation nicht. Sie war meist höchst ineffizient, bot wenig an verwertbaren Informationen und rief höchstens ein profundes Unbehagen in Seven wach, wenn sie die seltsamen Zwischentöne innerhalb dieses small talks nicht wahrnahm oder deuten konnte.

Seven fand es bezeichnend, dass die Menschen diese Form eines Gespräches schon selbst als klein bezeichneten.

Sie hoffte, dass nicht Harry Kim diese nächtliche Stunde für einen Ausflug in das astrometrische Labor gewählt hatte. Er war innerhalb der Crew eine besonders kommunikatives Mitglied in Sachen small talk. Und ihre Interpretationsversuche seiner Art Gespräche mit ihr schienen falsch gewesen zu sein. Sie hatte angenommen, sein Verhalten diene dem Versuch, eine nicht der Reproduktion dienende, sexuelle Verbindung zu ihr zu schaffen. Dass sie sich mit dieser Interpretation anscheinend so geirrt hatte, hatte Seven als persönlichen Rückschlag gewertet in dem Versuch, die Menschen zu verstehen.

”Ich wusste nicht, dass Sie um diese Zeit noch arbeiten.” In der Stimme schwang ein Hauch einer Entschuldigung mit und noch etwas anderes, ein seltsamer Unterton, den Seven nicht interpretieren konnte.

Sie empfand allerdings fast so etwas wie Erleichterung darüber, dass es Captain Janeway war, die ihre geschätzte Ruhe unterbrach. Zwar waren die Gespräche mit Janeway oft sehr kontrovers, aber zumindest waren sie selten small talk.

Sie drehte sich zum Captain um. Obwohl Janeway ihre Uniform trug, wirkte sie so, als sei sie soeben erst aufgewacht. Seven hob eine Augenbraue, sie registrierte die dunklen Ringe unter Janeways Augen und eine Art von Müdigkeit in ihrem Gesicht, die nichts mit mangelndem Schlaf zu tun hatte, als vielmehr mit der Qualität des Schlafes.

”Ich...” Seven stockte. Die Lektionen des Doktors über korrektes soziales Verhalten hatten sie in letzter Zeit etwas vorsichtiger mit ihren Worten umgehen lassen. Sehr oft schien unverhohlene Wahrheit und Offenheit die Menschen zu verletzen.

”Ich mag diese stillen Stunden.”

Janeway hob leicht die Augenbraue und lächelte ein klein wenig. Sie wusste, dass vor wenigen Monaten Seven noch gesagt hätte, dass sie die Anwesenheit von anderen Menschen als irritierend und ineffizient empfände.

Sie trat neben Seven und stützte die Hände auf die Konsole auf, während sie auf das graphische Bild blickte, welches sich vor ihnen zeigte.

”Ich mag diese stillen Stunden auch sehr gerne, Seven.”

Die Borg hob leicht fragend das metallene Implantat über ihrem linken Auge an.

Janeway kniff die Lippen zusammen. Sie war nicht hier, um mit Seven über ihre Träume zu sprechen. Eigentlich fragte sie sich selbst, was ihre Schritte ausgerechnet in das astrometrische Labor getrieben hatte.

Um diese Zeit war die Voyager ein stiller Ort, nur die Nachtcrews in Maschinenraum und Brücke waren aktiv. Hatte sie ihr Weg hierhergeführt, weil sie insgeheim damit gerechnet hatte, zumindest hier jemanden anzutreffen? Sie wusste vom Holodoc, dass Seven ihre Ruhezeiten nicht einhielt und er sie oft ermahnen musste, dass sie ausreichend Schlaf und Regenerationszeiten einlegte.

”Woran arbeiten Sie?”

Seven registrierte, dass Janeway mit dieser Frage von irgendetwas ablenken wollte, sie fragte sich nur, wovon?

”Ich versuche den Kurs in den Alpha-Quadranten zu optimieren. Zwar habe ich bereits einen Kurs gefunden, der die Reise um 5,21 Jahre verkürzen wird, aber dies erscheint mir immer noch inakzeptabel lang zu sein. Bei der gegenwärtigen Berechnung erreiche ich zumindest einen Zeitersparnisquotienten von 19 Sekunden pro Tag unserer Reise.”

Seven beobachtete Janeway aus dem Augenwinkel. Die Information schien Janeway nicht sonderlich viel zu sagen, und sie hoffte, dass der Captain sie nicht fragte, warum sie solche Berechnungen überhaupt anstellte.

Im Grunde wollte sie gar nicht in den Alpha-Quadranten. Doch es war für eine Borg mehr als inakzeptabel, die Zeit mit sinnlosen Aktivitäten zu füllen. Sie verstand den Drang der Voyagercrew nach Freizeit nicht, selbst das holographische Notfallprogramm versuchte sie immer wieder dazu zu bringen, dass sie sich Zeit auf dem Holodeck nahm.

”Träumen Sie eigentlich manchmal, Seven?” Janeways überraschende Frage ließ die ehemalige Borg sie nun doch direkt anstarren.

”Träume, Captain?”

Janeway nickte und forschte in dem Gesicht der jungen Frau. In den hellblauen Augen der ehemaligen Borg erkannte sie Unbehagen.

Janeway schüttelte den Kopf, hob die Hand und rieb sich leicht über die Nasenwurzel. ”Vergessen Sie bitte die Frage, Seven.”

Sie wollte keinesfalls in die Privatsphäre der Borg eindringen. Seit Seven ihre Individualität lebte, war sie sehr empfindlich, was ihre Persönlichkeitsentfaltung anging. Etwas Rebellisches steckte in Sevens Wesen, das Janeway ein wenig Angst machte.

Seven hob nun die rechte Augenbraue. Sie fragte sich, was eigentlich im Moment vorging. War dies eines dieser gefürchteten Gespräche, in denen es nicht darauf ankam, was das Gegenüber sagte, sondern darauf, was es nicht sagte? Menschen nannten die Interpretation solcher Gespräche zwischen den Zeilen lesen.

Seven fand das wiederum bezeichnend dafür, wie ineffizient das ganze Kommunikationsverhalten der Humanoiden doch war.

Doch in den graublauen Augen des Captains erkannte sie zumindest ein Gefühl, mit dem sie inzwischen vertraut war. Es war eine Mischung aus altem Schmerz und Angst.

”Ja, Captain, ich fange an zu träumen, wenn ich in der Regenerationseinheit bin.” Sie stockte. ”Manchmal wünschte ich, ich würde nicht träumen.”

Janeway blickte sie an. ”Sie meinen, Sie haben Alpträume?”

Seven nickte langsam. ”Die meisten meiner Träume sind von dieser Art, ich empfinde diese Erfahrungen als ausgesprochen störend. Borg träumen nicht. So wenig ich zurück zum Kollektiv möchte, so würde ich dennoch zu schätzen wissen, wenn ich meine Augen schließen könnte, ohne dass ich mich dieser dunklen Welt ausliefere.”

Janeway schloss kurz die Augen. Wieder sah sie Chakotay vor sich, mit der blutverschmierten Hand und den blutigen Augen.

Sie öffnete die Augen wieder und blickte die ehemalige Borg an. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und legte sie auf Sevens linke Hand, die noch immer mit dem borgimplantierten Exoskelett und externen Nervenbahnen bedeckt war.

”Wir alle würden manchmal zu schätzen wissen, wenn wir diese dunkle Welt unserer Alpträume kontrollieren könnten. Auch wenn Ihnen der Holodoc einen Vortrag über die Wichtigkeit solcher Träume halten könnte, manchmal wünschen wir uns alle einfach nur ein wenig Frieden, wenn wir die Augen schließen, und nicht die Hölle, die da auf uns lauern kann.”

Janeway bemerkte die Verwirrung in den hellen Augen der Borg und zog ihre Hand wieder zurück. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, mit Seven über Alpträume zu sprechen. Generell hatte sie nicht vorgehabt, soviel von sich selbst preiszugeben und für ein paar Momente nicht der Captain zu sein, nicht die erfahrene Offizierin, die alles unter Kontrolle hatte.

Ehe sie etwas sagen konnte, piepste leise die Konsole vor ihnen, und Janeway war dankbar um diese Ablenkung, die sofort Sevens Aufmerksamkeit beanspruchte. Die linke Hand der Borg huschte mit übermenschlicher Geschwindigkeit über das Tastenfeld.

”Was haben Sie entdeckt?”

Seven veränderte die Einstellungen der graphischen Emitter. ”Ich habe das Gebiet, auf das uns der modifizierte Kurs als nächstes bringen würde, gescannt. Die Langstreckensonde scheint auf etwas Merkwürdiges gestoßen zu sein.”

Janeway hob eine Augenbraue. Seven hatte eine Langstreckensonde gestartet?

Eigentlich hätte sie über so einen Vorgang informiert werden müssen, zumindest hätte Seven sich an einen der Offiziere wenden müssen, ehe sie einfach eine Sonde startete. Zudem waren diese Systeme codiert, und Seven hatte keinen Zugangscode zu den Hauptsystemen der Voyager.

Was allerdings bei einer Borg nicht viel heißen musste. Sie hatte vermutlich die Sicherheitsprotokolle einfach mit alphanumerischen Borgcodes überschrieben und sich keine Gedanken darum gemacht, dass sie damit gegen sämtliche Befehlsroutinen verstieß.

Janeway konnte mit Mühe ein Seufzen unterdrücken. Sie würde mit Seven ein weiteres ermüdendes und für beide Seiten ausgesprochen unangenehmes Gespräch über Befehlshierachie und Befugnisse halten müssen. Doch zuerst wollte sie wissen, was selbst eine Borg als merkwürdig bezeichnete.

”Was hat die Sonde aufgefangen?” Janeway kniff die Augen zusammen, als sich die graphischen Bilder vor ihr in rasender Geschwindigkeit abwechselten, während Seven die Ergebnisse der Sonde auswertete. Sie fragte sich, ob Seven wirklich die Informationen, selbst mit dem noch immer borgunterstützten Sehvermögen ihres linken Auges, so schnell verarbeiten konnte.

”Hier.” Seven ließ eines der Bilder stoppen. Ein dunkler Fleck, der sich matt gegenüber den helleren Sternen dahinter abhob, fesselte anscheinend ihre Aufmerksamkeit.

”Können wir das noch vergrößern?”

Das Bild übersprang mehrere Zoomschritte und enthüllte mehr und mehr von einem Raumschiff.

Inzwischen war der Zoom so nah, dass man Einzelheiten der baulichen Eigenheiten erkennen konnte. Janeway betrachtete die schlanke Konstruktion mit den zwei dickeren, ovalen Enden.

”Hat es eine Kennung?” Janeway blickte zu Seven.

”Es ist ein sehr stilles Schiff, es strahlt keinen Notruf aus, es scheint nicht einmal über einen Warpantrieb zu verfügen, denn es lassen sich keine Messungen von Warpenergie feststellen. Keine Antimatierie. Es ist sehr still und sehr merkwürdig. Und das Merkwürdigste ist vielleicht das.” Seven deutete mit dem Finger auf die Mitte des Schiffes.

”Ich kann nichts Besonderes erkennen.” Janeway kniff wieder die Augen zusammen.

Seven runzelte leicht die Stirn, ehe sich ihre Stirn wieder glättete. ”Natürlich, ich vergaß die Ineffizienz des menschlichen Sehvermögens.”

Janeway verzog kurz das Gesicht. Seven war immer noch sehr gut darin, die Menschen auf ihre körperlichen Beschränkungen hinzuweisen.

Der Zoom vergrößerte den Abschnitt, der Seven so faszinierte.

Auf dem dunklen Metall des schlanken Raumschiffes konnte man nun Schriftzeichen erkennen. Sie waren einstmals vermutlich weiß gewesen, aber der Flug durch das All hatte ihre Farbe weitgehend abgeschliffen. Trotzdem waren noch immer die Umrisse der Zeichen so gut zu erkennen, dass man sie entziffern konnte.

Es waren vertraute Schriftzeichen.

Das Raumschiff trug einen englischen Namen.

Dark Horizon.

* * *
* *

Sternenlicht brach sich matt auf der geschwungenen Konstruktion des Raumschiffes. Janeway saß in ihrem Kommandosessel und betrachtete das Bild. Seit sie es das erste Mal im astrometrischen Labor gesehen hatte, beunruhigte sie der Anblick der Dark Horizon.

War es nur ein seltsamer Zufall, dass der Name des Raumschiffes sie unwillkürlich an ihren Alptraum erinnerte? Gab es überhaupt so etwas wie Zufall im Universum?

”Meine Güte, das ist der reinste Fliegende Holländer.” Tom Paris schüttelte leicht den Kopf und rieb sich unwillkürlich über die Arme, an denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte, etwas, das Janeway gut nachvollziehen konnte.

Das schweigende Raumschiff löste bei den meisten Mannschaftsmitgliedern Unbehagen oder gar Furcht aus.

Es war ein Totenschiff, daran zweifelte Janeway keine Sekunde. Kein Licht erhellte die Dunkelheit des Raumschiffes, keine Energieanzeigen, keine Lebensanzeigen. Es schien nichts zu sein als ein dunkler Metallsarg im Weltall.

Konnte dies wirklich ein Raumschiff von der Erde sein? Lange verschollen?

Auf der Hülle des stillen Schiffes hatte sich ein Hauch von Sternenstaub abgesetzt, ein Indiz dafür, dass es schon sehr lange hier trieb, nur bewegt von Gravitationsfeldern und Sonnenstürmen.

”Der Computer hat seine Analyse beendet.” Tuvoks Stimme verriet, dass selbst er bei dieser langen Suche Ungeduld verspürt hatte.

Janeway drehte sich in ihrem Kommandosessel so weit, dass sie zu dem Vulkanier aufsehen konnte. ”Und?”

Tuvok hob die linke Augenbraue, als er die Daten überflog, dann hob er auch die rechte Augenbraue, und Janeway wusste in dem Moment, dass ihr nichts von dem gefallen würde, was der Vulkanier zu berichten hatte.

”Es ist definitiv ein terranisches Raumschiff. Die Dark Horizon wurde während der Eugenischen Kriege gebaut. Noch lange vor der Phönix und dem ersten Warpflug.”

Janeway blickte auf das stumme Raumschiff, das Relikt einer anderen Zeit. Deshalb wirkte es vielleicht auf so merkwürdige Weise vertraut und doch surreal zugleich.

”Wie in aller Welt kommt das Raumschiff hierher? In den Deltaquadranten? Wenn es noch nicht einmal über Warpantrieb verfügte, ist das einfach vollkommen unmöglich! Selbst das nächste Wurmloch ist so weit von der Erde entfernt, dass man ohne Warpantrieb mehrere hundert Jahre gebraucht hätte, um dorthin zu gelangen!” Tom Paris deutete anklagend auf den Sichtschirm, auf das Raumschiff, das eigentlich nicht hier sein durfte.

Tuvok hob die Schultern in einer unbestimmten Geste leicht an. ”Es gibt dafür vielleicht eine Erklärung. Das Raumschiff wurde in einer Zeit gebaut und verschwand in einer Zeit, von der wir nur noch sehr wenige Aufzeichnungen und Überlieferungen haben. Die Eugenischen Kriege haben Kontinente ausgelöscht und mehrere Milliarden Menschenleben gekostet. Sehr wenige Aufzeichnungen über militärische Operationen und Raumschiffe überstanden diese Zeit. Im Grunde ist die Dark Horizon ein Mythos. Es gibt sehr viele Wissenschaftler auf der Erde, die bezweifeln, dass es dieses Raumschiff je gab. Und es gibt sehr viele Wissenschaftler auf Vulkan, die ihnen zustimmen würden.”

Tuvok blickte auf den Sichtschirm. ”Ich selbst würde es bezweifeln, wenn ich nicht mit eigenen Augen dieses Raumschiff hier sehen würde.”

Er bemerkte Janeways Blick, der ihn ermahnte, endlich zum Wesentlichen zu kommen.

”Die Dark Horizon war ein Prototyp eines Raumschiffes, das große Entfernungen mittels Raumfaltung überwinden wollte. Eine Technik, von der viele Visionäre geträumt haben, doch die sich nie als realistisch erwies. Der Gedanke war, den Raum zu falten und damit von einem Punkt des Universums zum anderen ohne nennenswerte Zeitverzögerung zu gelangen. Der Theorie war, das gesamte Raumschiff mittels magnetischer Spannung so in Schwingungen zu versetzen, dass sich eine Art von Dimensionstor öffnete, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Der Krieg vernichtete die wissenschaftlichen Berechnungen, und der Schöpfer des Antriebsystems war an Bord des Prototyps.”

Tuvok blickte erneut auf das dunkle, stille Raumschiff.

”Die Dark Horizon verschwand und tauchte niemals wieder auf.”

”Bis heute.” Janeway beendete seinen Satz, und in ihrer Stimme schwang mit, dass sie wünschte, dieses Raumschiff niemals entdeckt zu haben.
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