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Asche 03 - Wie ein leiser Hauch der Ewigkeit

von Gabi

Kapitel 2

Ezri Dax saß der Kommandantin von Deep Space Nine an deren Tisch gegenüber. Die Hände beider Frauen waren jeweils um Tassen geschlossen, deren Dampffahne von einem heißen Inhalt zeugte. Dax vermisste den Captain bis drei Wirte zurück, doch sie war froh darüber, dass es Kira war, welche den Posten übernommen hatte, und kein neues Gesicht, an welches sie sich erst wieder hätte gewöhnen müssen. Die Bajoranerin war ihr seit sieben Jahren eine Freundin – war Jadzia eine Freundin gewesen, verbesserte sie sich in Gedanken. Doch die Übergänge von einem Wirt zum nächsten waren viel zu fließend, um tiefergehende Dinge wie Freundschaften darüber zu beenden. Während ihrer Zeit als Ezri Dax auf der Station hatte sie nicht allzu viel Gelegenheit gehabt, mit der Privatperson Kira Nerys zu reden. DS9 war für sie gleichbedeutend mit Krieg gewesen. Jetzt, da es allmählich wieder ruhiger wurde, war die Zeit, auch auf persönlicher Ebene Änderungen einzuführen.

„Du ... Sie ...“ Sie nahm eine Hand von der warmen Tasse und fuchtelte damit in der freien Luft zwischen den Gesichtern der Frauen herum. „Entschuldigen Sie, Colonel, aber diese Anrede ist für mich einfach ... Ich meine, ich weiß, ich bin äußerlich eine Person, die Sie erst seit einem halben Jahr kennen.“ Dax ließ die Hand wieder sinken und verzog den Mund mit einer leicht frustrierten Mimik. „Es ist nicht an mir, das weiß ich, aber diese Dax,“ sie legte die Hand auf ihre Brust, „kennt diese Kira Nerys“, damit bewegte sie den Handrücken in Richtung der Bajoranerin, „schon recht lange. Es ist sehr komisch so. Und jetzt, da endlich wieder ein wenig Ruhe eingekehrt ist, wollte ich ...“

Kira lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Sie bemühte sich, eine halbwegs ernste Miene aufrecht zu halten. Es fiel ihr eingestandenermaßen schwer, in der quirligen, so jung wirkenden Trill vor sich die meist überlegene Jadzia wiederzufinden, doch sie mochte Ezri auch ohne den Bonus des Dax-Teils. Als sie das Kommando übernommen hatte, hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie viel Distanz sie aufrichten wollte – oder sollte. Sieben Jahre lang war sie eine von ihnen gewesen. Anfangs nur widerwillig, doch mit der Zeit waren ihre Offizierskollegen das nächste an Familie für sie geworden, das sie seit ihrer Rebellenzeit gekannt hatte. Sie wollte diese Familiarität nicht gegen eine einsame Distanz an der Spitze tauschen. Wenn es möglich war, wollte sie beides haben: Autorität und Freunde.

„Lieutenant Dax, ich denke, es ist an der Zeit, das Du vorzuschlagen“, half sie der nach den richtigen Worten ringenden Trill aus.

Dax verzog den Mund – Kira konnte sich momentan nicht daran erinnern, sie jemals mit unbewegtem Mund gesehen zu haben. „Ich glaube, das war es, was ich versucht habe zu sagen.“ Die Trill lachte über sich selbst. „Manchmal habe ich das Gefühl, die Sätze verlassen meinen Mund, ohne vorher sortiert worden zu sein.“

Kira hob ihre Teetasse. „Du?“

Dax berührte mit ihrer Tasse die andere. „Du.“ Sie grinste. „Jetzt fühle ich mich doch irgendwie erleichtert.“

Mit lächelndem Kopfschütteln setzte Kira den Becher an die Lippen, ihr Gegenüber tat es ihr gleich. Als Dax einen Schluck getrunken hatte, zog sie die Augenbrauen ein wenig zusammen. „Du wolltest mich aus einem anderen Grund sehen, oder?“

Nun lachte die Bajoranerin doch. „Richtig. Im Prinzip ging es mir um etwas anderes als darum, die richtige Anrede zu finden.“

Mit einem unschuldig wirkenden Lächeln hob Dax die Schultern um anzudeuten, dass ein kleiner Umweg Kira nicht von ihrem eigentlichen Pfad abbringen sollte.

„Wie ausgelastet sind ... bist du in deiner Arbeit als Counselor?“

„Nun ja ...“, sie zuckte abermals mit den Schultern, diesmal als Zeichen einer gewissen Unschlüssigkeit. „Ich kann nicht gerade behaupten, dass mein Büro überrannt wird. Die meiste Zeit bin ich im medizinischen Labor und helfe Julian bei Routinearbeiten aus. Es ist einfach so, dass wir hier verhältnismäßig wenig stationiertes Föderationspersonal haben. Die durchreisenden Händler – so sie ihre Routen wieder aufnehmen – nutzen den Zwischenstopp hier sicherlich nicht, um sich ihre Probleme von der Seele zu reden. Dann ist die Hälfte des dauerhaften Personals bajoranisch, und du weißt selbst, dass eure Ansprechpartner im Fall von Problemen eure Geistlichen sind. Ein Bajoraner, der psychischen Rat benötigt, wird den Tempel aufsuchen, nicht mich.“ Dax schob ihre Tasse beiseite, um mehr Platz für die unterstreichenden Handbewegungen zu haben. „Ich dachte mir, ob ich Commander Benteen in Bezug auf die Botschafter zur Hand gehen sollte. Im Augenblick kommen wöchentlich neue Parteien hier an, bei denen ich mir sicher bin, dass es früher oder später zu kleineren Problemen kommen wird.“

„Das kleinere kannst du meiner Meinung nach streichen“, seufzte Kira, ihr lag noch immer der Zwischenfall mit Weyoun im Magen. Sie mochte sich nicht ausmalen, was noch alles an Unfällen auf sie wartete. Sie blickte die Counselor nachdenklich an. „Ich bin mir mit Commander Benteen einfach noch nicht sicher. Was ihre Arbeit angeht kann ich mich nicht beklagen, doch persönlich besteht sie aus einer mehrschichtigen Lage von Abwehrmauern – nicht dass ich Expertin darin wäre, natürlich.“

„Natürlich.“ Dax nickte. „Du willst, dass ich hinter ihre Mauern schaue?“

„Wenn ich ehrlich sein soll, dann hatte ich dich eigentlich hergebeten, weil ich mich gefragt habe, wie viel von Jadzia in Ezri Dax ist – und ob das ausreicht, um zumindest vorübergehend auch ein wenig in der wissenschaftlichen Abteilung auszuhelfen. Aber mit deinem Vorschlag hast du mich auf einen Gedanken gebracht.“

Die Trill grinste. „Es geht doch nichts über eine breitgefächerte Anlage. Im Ernst, es würde mir Spaß machen, mich ein wenig auf dem Gebiet der Wissenschaft fortzubilden – und in der Freizeit werde ich sehen, ob Commander Benteen nicht doch irgendwo eine freundschaftliche Neigung besitzt.“

Die Kommandantin nickte nachdenklich. „Sie soll aber auf keinen Fall den Eindruck erhalten, dass du auf sie angesetzt worden seist.“

„Ich bin die Diskretion in Person“, versicherte Dax ernst.

Irgendwie bezweifelte Kira diesen Punkt.

Bevor sie noch etwas erwidern konnte, meldete sich ihr Intercom.

„Colonel, eine Nachricht von Premierminister Shakaar.“

Kira nickte Dax zu, dass ihre Unterhaltung beendet war und ließ sich das Gespräch durchstellen.

* * *


Die sich öffnenden Türflügel der Ratskammer gaben den Blick auf eine etwas exotisch wirkende Delegation frei. Kira verkniff sich ein Grinsen bei der Vorstellung, wie sie auf die restlichen schon versammelten Minister und Geistlichen wirken mussten. Shakaar hatte anscheinend einen Hang zu aufsehenerregenden Auftritten entwickelt – und seine wohldokumentierte Neigung zu Frauen bekam ebenfalls neue Nahrung. Seine momentane Außenpolitik in Sachen Cardassia stützte er fast ausschließlich auf die Schultern von Frauen, und nur eine davon stammte von Bajor.

Seite an Seite mit Shakaar betrat Kira die Halle. Auf der anderen Seite des Premierministers schritt Serina Tirek und neben der Kommandantin von DS9 befand sich Captain Kasidy Yates.

Jaro Essa, welcher sich am Fenster mit Vedek Gawen unterhalten hatte, wandte sich um. Beim Anblick der Begleiterinnen des Premierministers schüttelte er den Kopf. „Ich gebe es einfach auf, Sie zu fragen, was dieser Auftritt nun wieder bedeuten soll“, erklärte er mit betont resigniert erhobenen Handflächen. Die ersten Momente in jeder Ministerversammlung waren immer die wichtigen, um Stimmungen zu kreieren – und er hatte nicht vor, diesen Vorteil Shakaar zu überlassen.

„Das freut mich zu hören.“ Die Laune des Premierminister war unübersehbar gut – stets ein schlechtes Zeichen. „Dann können wir wenigstens ohne Ablenkung zu den wichtigen Dingen des Tages kommen.“ Er nickte Jaro freundlich zu, dann wies er seinen Begleiterinnen Plätze am Ende des hufeisenförmigen Tisches zu.

Serina Tirek war erleichtert, dass ihr erstes offizielles Erscheinen vor der bajoranischen Ministerkammer nun ein wenig in der Kuriosität unterging, welche die zweite Nichtbajoranerin auslöste. Colonel Kira war in bajoranischen Regierungskreisen hinlänglich bekannt. Ihre neue Stellung als Befehlshaberin der das Wurmloch bewachenden Raumstation gewährte ihr automatisch das Recht, auf Wunsch an den Versammlungen teilzunehmen – welches sie jedoch so selten nutzte wie sie konnte, wenn nicht gerade Shakaar sie ausdrücklich darum bat.

Kasidy Yates hingegen war nicht nur wegen ihrer terranischen Herkunft ungewöhnlich. Für die Bajoraner war sie die Frau, welche der Abgesandte geheiratet hatte – und es war nicht zu übersehen, dass sie auch die Frau war, die sein Kind trug. Ihre Anwesenheit verursachte eine gewisse Scheu gepaart mit Bewunderung und Unbehagen.

„Captain Yates ist soeben von ihrem ersten Flug nach Cardassia Prime zurückgekehrt“, erhob Shakaar seine Stimme, als alle ihren Platz in der Runde eingenommen hatten. Er nickte der Terranerin aufmunternd zu.

Sie erhob sich und musste sich nicht im Geringsten anstrengen, die Aufmerksamkeit zu erlangen. Es wäre ihre entschieden lieber gewesen, sie hätte nicht in so vielen Augenpaaren den Geist von Benjamin Sisko gesehen. „Die ersten Hilfsgüter sind angenommen worden, und nach dem, was ich sehen konnte, sind sie bitter nötig.“ Yates lächelte leicht, als sie hinzufügte: „Die cardassianische Regierung lässt Bajor ihren Dank ausrichten.“ Sie machte eine Pause. Sie wusste, dass sie soeben historische Worte gesprochen hatte. Bajor hatte von Cardassia sehr viel zu hören bekommen, doch niemals Worte des Dankes.

Die bajoranischen Regierungsmitglieder sahen einander an, ein Teil von ihnen blickte zu Serina Tirek hinüber. Selbst auf den Gesichtern derjenigen, die sogleich wieder ihre missbilligend gelangweilte Miene zur Schau stellten, um ihre politische Gegnerschaft deutlich zu machen, schien für einen kostbaren Augenblick ein anderer Ausdruck durch. In diesem Moment verstand Kasidy Yates, um was es Shakaar ging. Sie blickte auf und erwiderte sein Lächeln mit ihrer eigenen Freude. Hier stand sie und war ernsthaft glücklich darüber, dass die bajoranische Regierung im Grunde ihres pagh tatsächlich eine Basis besaß, ihre Angst zu überwinden, und gemeinsam aufzustehen – Teile von Benjamin hatten eindeutig auf sie abgefärbt!

„Natürlich möchte ich nicht verschweigen, dass das Misstrauen sehr groß ist“, fuhr sie schließlich fort. „Bajors Hilfe kam vollständig unerwartet. Ich denke, noch ist das Gefühl sehr stark, dass es einen Haken gibt, ein trojanisches Pferd sozusagen ...“ Sie bemerkte die verwunderten Blicke aller Anwesenden und wurde daran erinnert, dass sie die einzige Terranerin in der Runde war. „Eine Redewendung aus meiner Kultur“, erklärte sie. „Etwas, das äußerlich den Eindruck eines Geschenkes hat, sich innerlich aber als eine Falle entpuppt.“ Sie wartete wieder ein wenig. „Und es bleibt die Tatsache bestehen, dass Cardassia die Hilfe abgelehnt hätte, wenn es dem Planeten nicht so schrecklich ging. Vielen dort widerstrebt der Gedanke, dass es Bajor ist, dem sie nun Dank schulden. Wir werden versuchen, diesen Abgrund, der uns trennt, Schritt für Schritt zu überqueren, doch es wird sehr langsam gehen. Wenn Sie meine Ansicht hören wollen, dann meine ich, dass sich jeder noch so kleine Schritt für Ihre beiden Völker mehr als lohnt.“

Auf diese Erklärung erhielt sie von der Hälfte der versammelten Bajoraner ein eher zweifelndes Stirnrunzeln. Die Minister rechneten in Gedanken aus, wie viele kostbare Grundversorgungsmittel Bajor einer undankbaren Rasse hinwarf.

Captain Yates setzte sich wieder. „Auf jeden Fall war es eine sehr weise Entscheidung von Mrs. Tirek, eine neutrale Person zu schicken. Es war überaus hilfreich bei den Verhandlungen.“

Die Aufmerksamkeit und das Wort waren somit fließend an die Cardassianerin weitergegeben worden. Etwas zögernd erhob diese sich von ihrem Platz. „Als erstes möchte ich Ihnen und Bajor meinen persönlichen Dank dafür aussprechen, dass Sie mein Volk unterstützen. Ich weiß ganz genau, welche Opfer dies nicht nur materiell von Ihnen abverlangt. Doch lassen Sie mich versichern, dass nicht jeder Cardassianer zu stolz und zu arrogant ist. Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Sie vielen aus meinem Volk durch Ihr Einverständnis das Leben retten – und glauben Sie mir, diese Personen werden echte und tiefe Dankbarkeit empfinden.“ Sie neigte den Kopf ein wenig vor der Ratskammer, einmal weil sie nicht unbedingt zu lange den kritischen Blicken ausgesetzt sein wollte, zum anderen jedoch, um ihre Achtung auszudrücken. Sie hatte befürchtet, dass sie keinen zusammenhängenden Satz von sich würde geben können, bevor sie von Shakaars Gegnern unterbrochen wurde. Doch die Minister und Geistlichen ließen sie ausreden.

Sie nahm ein Padd auf. „Die Hilfslieferungen sollen sich im Folgenden auf drei Standbeine stützen. Auf der einen Seite werde ich fortfahren, gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium Produktionsüberschüsse zu lokalisieren und bereitzustellen,“ sie nickte freundlich Ministerin Asim zu, einer der Personen, die ihre Abneigung gegenüber der Cardassianerin nicht verbarg, jedoch zu Shakaar so loyal eingestellt war, dass sie auch dann seine Entscheidungen mit trug, wenn sie eigentlich anderer Meinung war. Eine Charaktereigenschaft, welche Serina Tirek fasziniert als typisch bajoranisch einordnete, denn sie hatte ein solches Verhalten in dem Ausmaß noch nirgends anders erlebt. „Dann wird ein Fonds eingerichtet, in welchen Bajoraner das spenden können, was sie entbehren können und wollen, und drittens werden mit Hilfe von Colonel Kira über DS9 und die Föderation ebenfalls Waren bereitgestellt. Wir hoffen, dass wir auf diese Weise möglichst rasch und möglichst unbürokratisch viel bewirken können.“

Sie setzte sich, ihre Erleichterung verbergend. Niemand hatte sie unterbrochen, und auch wenn viele Gesichter ablehnend wirkten, war es doch eine höfliche Ablehnung.

Zu ihrer Linken erhob sich nun Kira Nerys. In ihrer Haltung war keinerlei Zögern zu sehen. Wo Kira ging und stand, tat sie das stets mit der Aura einer Person, die das Recht hatte, exakt zu dieser Zeit an diesem Ort zu sein. Die Cardassianerin beneidete sie um diese Eigenschaft - und nicht nur darum. Kira war die Hälfte ihres Lebens mit Shakaar zusammen gewesen, und er hatte sie geliebt. Sie fürchtete, dass sie ihn verlieren würde, wenn Kira sich entscheiden sollte, ihn wieder als ihren Geliebten zu wollen.

„Ich werde sehen, was sich von der Station aus machen lässt“, erklärte Kira. „Auf Bitte des Premierministers wird der Transportverkehr DS9 als Stützpunkt verwenden. Das spart Zeit und entlastet die bajoranische Flugabfertigung.“ Geflissentlich sah sie nicht zu Minister Bojan hinüber, um zu verhindern, dass sich die Meinung darüber, was sie von dessen Verzögerungstaktik hielt, in ihre Züge schlich. „Zwischen Bajor und DS9 pendeln dann nur Routine-Transporter. Ich habe veranlasst, dass ein Frachtraum geräumt wird, um jederzeit zur Verfügung zu stehen. Wir sind einsatzbereit.“ Sie beugte sich vor, beide Hände zur Bekräftigung auf die Tischplatte gelegt. „Und wenn ich noch etwas Persönliches sagen darf: Das, was wir hier machen, ist genau das Richtige! Ich war dort als das Dominion die Zerstörung angeordnet hat. Ich habe Seite an Seite mit Cardassianern gekämpft. Wir haben eine gemeinsame Chance, wenn wir unsere Angst besiegen!“

„Große Worte.“ Nun endlich erhob Minister Jaro die Stimme. „Ich muss gestehen, es hört sich alles sehr schön an. Mein Kompliment an die drei soeben vernommenen Damen“, er nickte dem Tischende nicht unfreundlich zu. „Ihre Arbeit ist gut. Die Vision klingt vielversprechend, warten wir ab, ob sie der Realität standhalten kann. Wenn die Wirtschaft darunter zu leiden beginnt, gehören die Hilfslieferungen der Vergangenheit an.“

„Das kann ich versprechen.“ Shakaar stand auf. „Ganz gleich, wie sehr ich an ein Ideal glaube, ich werde es nicht auf Kosten von Bajor durchsetzen. Die Taten sollen richten, nicht die Vorurteile.“

„In diesem Punkt sind wir uns ausnahmsweise einig“, bestätigte Jaro.

Im weiteren Verlauf wurden Detailfragen gestellt, die sich vor allem an Serina Tirek und Kasidy Yates richteten, und welche die beiden zu allgemeiner Zufriedenheit und – in Serinas Fall – großer Erleichterung zum Großteil ausführlich beantworten konnten.

Als es keine Wortmeldungen mehr gab, hob Shakaar eine Hand. „Bevor sich diese Versammlung wieder auflöst, wollte ich noch etwas Persönliches mitteilen.“ Er holte tief Luft, als sich alle Blicke ihm zuwandten. Er hatte es sich nicht so schwer vorgestellt. Doch als Premierminister konnte er nicht darauf hoffen, dass sein Privatleben unbemerkt nebenher laufen würde. Es war besser, er teilte die Neuigkeit vor der Ministerkammer mit, als dass es langsam durch die Presse an die Öffentlichkeit sickerte. „Serina Tirek und ich werden in bajoranischer Tradition heiraten.“

Die Reaktionen auf diese Ankündigung waren sehr gemischt. Während der Stimmenpegel anschwoll, ging Shakaar um den Tisch herum zum Fußende, an welchem die Cardassianerin saß. Er fasste ihre Hände und zog sie von ihrem Stuhl hoch. „Ich weiß, welche Gefühle in Ihren Köpfen nun vor sich gehen. Ich habe meine Kraft und meine Arbeit der bajoranischen Politik verschrieben, jedoch nicht mein gesamtes Privatleben.“

Serina Tirek wünschte sich im Augenblick irgendwohin außerhalb dieses Raumes. Nur die Tatsache, dass Shakaar ihre beiden Hände festhielt, verhinderte, dass sie das Weite suchte. Sie hörte die gemurmelten Bemerkungen, glaubte, die missbilligenden Blicke zu spüren, während sie selbst ihre Augen auf den Premierminister gerichtet hielt. Neben ihnen konnte sie Kira sitzen sehen, welche diese Neuigkeit ebenfalls sichtlich geschockt hatte. Die Atmosphäre im Raum sprach von Unschlüssigkeit.

Eine Bewegung hinter ihr brach das Eis.

„Ich freue mich für Sie beide.“ Mit einem strahlenden Lächeln trat Kasidy Yates vor sie und legte ihnen die Hand auf die Schulter. „Meine Damen und Herren“, sprach sie zu den restlichen Anwesenden. „Hier haben wir das Beispiel dafür, welche Chance wir haben.“ Sie schluckte kurz und sagte dann etwas, was sie nie gedacht hätte, sich sagen zu hören. Doch im Augenblick war es gleichgültig, ob sie an ihre Worte glaubte oder nicht. Sie wusste, dass die Bajoraner es tun würden. „Wenn der Abgesandte noch unter uns wandeln würde, hätte er diese Verbindung mit der Freude seines Herzens gesegnet. .... Ich segne sie hiermit an seiner Stelle.“

Shakaar blickte überrascht zu der zierlichen Terranerin hinunter. „Danke“, flüsterte er.

Sie lächelte verschwörerisch und zwinkerte ihm kaum merklich zu. Sie war lange genug mit Sisko zusammen gewesen um zu wissen, mit welchen Worten man Bajoraner zum Nachdenken brachte. „Gern geschehen.“ Irgendwie war heute Abend etwas passiert. Sie fühlte sich seltsam zugehörig und das erste Mal wieder glücklich, seit Ben gegangen war. Jetzt wusste sie, warum sie die Bitte um die Hilfslieferungsflüge angenommen hatte – es war genau das Richtige für sie.

Ihre Worte hatten die Barriere bewegt, die sich unmerklich zwischen dem Paar und dem Rest des Raumes aufgebaut hatte. Obwohl teilweise ganz und gar nicht einverstanden, verließen die Minister und Geistlichen die Versammlung, indem sie an Shakaar und Serina vorbeigingen und ein paar Gratulationsworte verloren. Überrascht waren sie alle, doch manche schienen sich wirklich für sie zu freuen, was Shakaar erleichterte. Kira nickte der Cardassianerin freundlich zu, dann umarmte sie ihren früheren Kampfgefährten, jedoch war nicht zu übersehen, dass sie es ihm übelnahm, dass er sie nicht schon vorher ins Vertrauen gezogen hatte. Wenn sie alleine gewesen wäre, hätte er sich nun sicherlich auf eine heftige Diskussion einstellen müssen.

Der letzte, der an ihnen vorbeiging, war Jaro Essa.

„Ich habe allmählich das Gefühl, dass Sie die Regierungsgeschäfte so führen wie Sie Krieg geführt haben, Shakaar. Schätzen Sie sich glücklich, dass die Wahlen noch nicht anstehen.“ Er neigte den Kopf ein klein wenig. „Meinen Glückwunsch Ihnen beiden.“

Als auch er den Raum verlassen hatte, ließ Serina sich gegen Shakaar sacken. „Ich habe keine Ahnung, wie ich das durchstehen soll. Edon, wenn du die nächsten Wahlen verlierst, bringe ich mich um.“

Er verschränkte seine Arme in ihrem Rücken, um sie fest an sich zu ziehen. Serina war von ähnlicher Größe wie Kira, so dass er bei einer Umarmung bequem sein Kinn auf ihren Kopf legen konnte. Tief atmete er den unaufdringlichen Duft ihrer frisch gewaschenen Haare ein.

„Und ich werde das für dich schon vorher erledigen, falls das gerade nicht nur so daher gesagt war“, warnte er zärtlich. „Serina, wenn ich die Wahlen verliere, dann war es der Wille der Propheten. Sie haben meine Beziehung zu Nerys beendet, weil uns andere Wege bevorstanden. Ich hatte das nie begriffen – doch jetzt ist mir völlig klar, dass sie wussten, dass du kommen würdest. Hier ist der Weg, der mir vorbestimmt ist.“ Er nahm ihre rechte Hand und drückte sie gegen seine Brust. „Cardassia und Bajor gemeinsam. Es ist so, wie Captain Yates es gesagt hat. Wenn wir beide es nicht schaffen, dann wird es unseren Völkern niemals gelingen.“

* * *


Kasidy Yates blickte sich erstaunt um, als ihr Name auf dem Korridor gesprochen wurde. Ein dunkelhaariger, sehr gepflegt wirkender Geistlicher trat auf sie zu.

„Vedek ...?“

„Vedek Gawen.“ Er verneigte sich vor ihr. „Verzeihen Sie bitte meine Aufdringlichkeit, Captain Yates, doch ich konnte nicht verhindern, vorhin in der Versammlung eine besondere Präsenz an Ihnen wahrzunehmen.“

Sie sah ihn nachdenklich an. Es wirkte nicht wie ein altmodischer Annäherungsversuch. Also musste es sich um irgendetwas Religiöses handeln. Und so sehr sie die Bajoraner mochte, ihren Propheten stand sie mehr als skeptisch gegenüber. Sie waren das, was ihr den Mann, den sie liebte, genommen hatte. Sie hatte nicht vor, dies zu vergeben.

„Was wollen Sie damit sagen?“ erkundigte sie sich misstrauisch.

Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich weiß es selbst nicht. Daher wollte ich Ihre Erlaubnis erfragen, Ihr pagh zu erfühlen.“

„Mein pagh?“ Unbewusst tat sie einen Schritt zurück, um sich aus seiner Reichweite zu bringen. Es war eine grobe Geste, das wurde ihr bewusst. „Entschuldigung“, sie trat wieder ein wenig näher. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist mir jedoch nicht lieb, wenn Sie mein pagh erfühlen wollen.“

„Dieses Recht haben Sie selbstverständlich.“ Er betrachtete sie geduldig. „Ihr Kind ist von den Propheten berührt.“

Es lag ihr auf der Zunge zu erwidern, dass dies keine sehr schwierige Beobachtung sei, wenn man bedachte, wer der Vater war, als der Vedek hinzufügte: „Haben Sie Visionen?“

Sie würde es zwar Alpträume nennen, aber in der Selbstverständlichkeit der Bajoraner würden sie sicherlich als Visionen gedeutet werden.

„Nein“, log sie. Ohne dass sie es hätte erklären können, beunruhigte seine Frage sie. Sie hatte das Gefühl, als ob die Temperatur um sie herum plötzlich gefallen sei. „Nein, keine Visionen.“

Vedek Gawen verneigte sich noch einmal, um seinen Abschied kundzutun. „Dann habe ich mich wohl geirrt. Entschuldigen Sie bitte.“

Als er gegangen war, blickte Yates sich alarmiert um. Jemand war noch hier.

Doch sie fand sich alleine auf einem leeren, steinernen Korridor.

* * *


Es tat gut zuzuschlagen. Mit jedem satten Geräusch, das der Ball auf ihrem Schläger verursachte, fühlte sie sich ein wenig besser. Sie hatte einen Gegner mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad kreieren lassen, so dass sie schon nach zehn Minuten schweißüberströmt in ihrer Hälfte des Springball-Spielfeldes herum hetzte. Doch genau das brauchte sie jetzt, um ihre Frustration abzureagieren.

Natürlich war es Edons gutes Recht zu heiraten, wen er wollte. Kira selbst hatte sich auch nicht gerade viel Zeit gelassen, um eine neue Beziehung zu beginnen. Dennoch ... seltsamerweise war es ein gewaltiger Unterschied, ob er eine Geliebte hatte, oder diese zu seiner Frau machte. Kira fragte sich zwar schon seit zehn Minuten, warum das so war, denn es änderte nichts an den Gefühlen, die er für die Cardassianerin empfand. Sie musste sich gestehen, dass sie verletzt war, dass er diese Entscheidung getroffen hatte, ohne sie ins Vertrauen zu ziehen, dass sie es wie jeder andere ebenfalls in der Ratskammer hatte erfahren müssen.

Ein weiterer kräftiger Schlag schickte den Ball über das Netz. Erstaunlicherweise war sie besonders gut in Springball, wenn sie wütend war.

Und wenn sie die Schichten von persönlicher Empörung fort wischte, war sie auch wütend über ihn, dass er seine privaten Wünsche über Bajor stellte. Darauf angesprochen würde Edon dies sicherlich vehement von sich weisen, doch es musste selbst ihm klar sein, dass diese Entscheidung sein Amt schädigte. Was jetzt alles hinter vorgehaltener Hand getuschelt werden würde ... Auf der anderen Seite stand Jaro Essa – dessen Amnestie sie ebenfalls seit jeher für einen Fehler Shakaars hielt, wie hatte er ihm vergeben können, dass dieser sie gefoltert hatte? – ein rechtschaffener Bajoraner, der für den Augenblick gute Miene zu den Hilfslieferungen machte, damit seine Fähigkeit demonstrierte, auch von seiner Meinung im Allgemeininteresse zurückzustehen, und der mit Sicherheit sofort mit einem triumphierenden „ich habe es gleich gesagt“ an die Öffentlichkeit treten würde, wenn auch nur die kleinste Kleinigkeit schief lief. Jaro war ein Politiker und Diplomat, Shakaar ein Soldat und Visionär. Auf lange Sicht gesehen hatte Shakaar keinerlei Chance gegen seinen Gegner. Das war sicherlich der Hauptgrund für Kiras Laune. Sie wollte Shakaars Bajor, nicht dasjenige von Jaro. Die Visionen ihres einstigen Kommandanten waren schon immer das gewesen, wofür sie gekämpft hatte.

Das Gesicht des computergenerierten Gegners zeigte echte Überraschung, als der nächste Ball mit einer solchen Gewalt in sein Feld donnerte, dass er nicht die geringste Chance hatte, ihn zu erwischen.

Die Tür zur Holosuite öffnete sich. Commander Benteen konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, bevor der Querschläger an der nun wieder durchgehend solide wirkenden Wand hinter ihr abprallte.

„Was fällt Ihnen ein?!“ Kira war noch derart in Rage, dass sie sich nicht rechtzeitig daran erinnerte, auf professionelle Ruhe umzuschalten.

Benteen hob entschuldigend die Hände, wobei sie wieder ihren Standort wechselte, als der Ball mit nur unwesentlich geringerer Kraft ein weiteres Mal zurückkehrte. Colonel Kira hingegen stand in der Mitte ihres Spielfelds und ließ den Ball unbeachtet seine Bahnen an ihr vorbeiziehen.

„Ich habe versucht, Sie über den Communicator zu erreichen, doch anscheinend tragen Sie ihn nicht bei sich.“

Kira erinnerte sich daran, dass sie tatsächlich ihre Uniform mit allem Drum und Dran in die Ecke ihres Quartiers geworfen hatte, nachdem sie ihren Sporteinteiler angezogen hatte.

„Und ich habe etwa eine halbe Minute lang das Signal dieser Holosuite betätigt, aber keine Antwort erhalten.“ Diesmal war die Geschwindigkeit des Balls genügend gedrosselt, dass Benteen ihn auffangen konnte. „Bei dem Schwierigkeitsgrad, den Sie eingestellt haben, wundert mich das nicht.“ Ein winziger Hauch von Anerkennung schwang bei dieser Feststellung in der Stimme der Terranerin mit. Er reichte aus, um Kira augenblicklich einlenken zu lassen.

„In Ordnung.“ Sie wies den Computer an, die Simulation zu beenden. In dem nun beinahe leeren Raum griff sie nach einem in der Ecke liegenden Handtuch. „Ich brauche das von Zeit zu Zeit“, erklärte sie die Einstellung. „Wenn man nicht seinem Körper alles abfordert, vergisst man allzu rasch, wer man eigentlich ist.“

„Der Meinung bin ich ebenfalls.“

Kira blickte interessiert über den Rand des Handtuchs, mit welchem sie soeben ihr Gesicht abgetrocknet hatte. Es war ein Bestandteil der bajoranischen Religionslehre, dass die Seele nur dann genügend Raum für sich hatte, wenn man den Körper nicht verweichlichte. Das Fasten war ebenfalls eine Ausdrucksweise dafür.

„Sie spielen nicht zufällig Springball?“ erkundigte sich Kira einer momentanen Eingebung folgend.

„Ich habe es noch nie getan“, räumte Benteen ein, „doch ich habe darüber gelesen. Es klingt für mich wie eine Version von Squash, und das spiele ich.“

„Falls Sie das Bedürfnis haben, Ihren Körper zu fordern ...“ Die Bajoranerin schwenkte das Handtuch einmal durch den Raum. „Ich stehe zur Verfügung.“

„Ich denke, das würde mir gefallen.“ Das kleine Lächeln, welches über die Züge der Terranerin huschte, machte deutlich, wie sehr es ihr gefallen würde. Kira lächelte ebenfalls angriffslustig. Mit Benteen als Gegnerin konnte sie sicher sein, dass niemand auf die Idee kam, aus falscher Scheu Zurückhaltung zu üben und nicht alles im Spiel zu geben. Es versprach, eine lohnende Herausforderung zu werden.

„Die Abmachung gilt, Commander.“

„Colonel.“ Benteen schob die Gedanken an einen sportlichen Schlagabtausch für den Moment beiseite. „Ich wollte Ihnen mitteilen, dass Cardassia nun ebenfalls einen Botschafter entsandt hat. Er kam mit der Xhosa auf Bajor an. Es ist Gul Madred.“

Die Betonung machte Kira klar, dass die andere erwartete, der Cardassianer wäre ihr bekannt. Sie überlegte. „Gul Madred? Sollte mir der Name etwas sagen? Ich erinnere mich an keinen Gul dieses Namens auf Bajor.“

„Nicht Bajor.“ Die leichte Ungeduld mit allem Bajoranischen schien nun wieder bei Benteen durch. „Gul Madred ist für Folterungen von Sternenflottenoffizieren während der cardassianischen Kriege verantwortlich. Durch die Veränderung der Beziehungen zwischen der Föderation und Cardassia, ist er jedoch nie offiziell als Kriegsverbrecher gelistet worden.“

Kira nickte. Sie zog das Band ab, mit welchem sie ihr kinnlanges Haar zurückgehalten hatte. „Irgendwie besitzen immer die Falschen die Fähigkeit des Überlebens. Es ist mir ein Rätsel, warum diverse Regierungen so viel Wert darauf legen, uns potentielle Unruhestifter zu schicken.“

„Um die Seele zu stärken, darf man nicht zu sehr in Annehmlichkeiten verfallen“, bemerkte Benteen trocken.

Kira schoss ihr einen warnenden Blick zu. Es behagte ihr nicht, dass sich die Terranerin offensichtlich näher mit der bajoranischen Kultur beschäftigt hatte und dennoch zu der Entscheidung gelangt war, diese als minderwertig abzutun.

„Glauben Sie, Sie können neutral mit ihm umgehen? Oder ist es besser, wenn ich ihm einen anderen Verbindungsoffizier zuteile? Lieutenant Dax ...“

„Ich habe noch nie persönliche Gefühle mit meiner Arbeit interferieren lassen.“ Benteens Erwiderung klang beinahe beleidigt.

„In Ordnung. Wo befindet sich Gul Madred jetzt?“

„Er wird heute Abend auf DS9 ankommen. Seine Nachricht lautete, dass er vorher noch etwas auf Bajor zu erledigen hätte.“

* * *


Sie hatte nicht damit gerechnet, sich einem Cardassianer gegenüber zu finden, als sie den Kopf hob. Für den ersten Augenblick war Panik das vorherrschende Gefühl, das sie jedoch sofort niederkämpfte. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass sich außer ihr noch andere Cardassianer auf Bajor aufhielten. Der Mann vor ihr war etwa Mitte fünfzig, eine elegante, distinguierte Erscheinung, die nur dadurch geschmälert wurde, dass er ein Bein etwas nachzog, als er sich nun auf ihren Schreibtisch zu bewegte.

„Serina Tirek?“ fragte er. Sie konnte keine Freundlichkeit in seinem neutralen Ton entdecken.

„Die bin ich.“ Ärgerlicherweise schwankte ihre Stimme dabei.

„Gul Madred“, stellte sich ihr Gegenüber vor. „Ich bin der Botschafter der neu gebildeten cardassianischen Regierung. Und bevor ich nach DS9 weiterreise, wollte ich sehen, wie sich eine Landsmännin von mir hier auf Bajor macht.“

Sie erhob sich und neigte den Kopf, wie es sich in Anerkennung des Rangs gehörte. „Gul Madred, ich grüße Sie.“

„Ich kannte Ihren Mann.“

Ihr Kopf schoss wieder nach oben. Madreds neutraler Ausdruck hatte einem anderen Platz gemacht, und dieser war nicht positiv eingestellt. Unwillkürlich suchten ihre Hände nach der Tischkante, um sich ein wenig Halt zu verschaffen. Sie bereitete sich innerlich auf das nun Folgende vor.

„Eigentlich gedachte ich, Ihnen mein Beileid auszusprechen, doch was musste ich erfahren, als ich meinen Fuß in dieses Gebäude setzte? Ich will nicht unhöflich sein, doch ich muss Sie fragen, was Ihnen denn überhaupt heilig ist, wenn Sie nicht einmal eine Woche für Ihre Trauer benötigen, bevor Sie sich entschließen, einen Bajoraner zu heiraten, der mehr Cardassianer auf dem Gewissen hat als die meisten anderen seines Volkes!“

Sie erwiderte nichts, versuchte lediglich, irgendwie seinem Blick standzuhalten. Das war bei den stechenden, intelligenten Augen schwierig genug.

„Sie haben eine Verantwortung der Tradition gegenüber, Madame Tirek. Die Familie Gul Tireks befand sich zur Zeit des dominischen Angriffs in ihrem Domizil auf Takoon und hat so die Abschlachtung durch das Dominion überlebt. Sie haben mir aufgetragen, Ihnen die Nachricht zu überbringen, dass sie die Tochter des Guls im Schoß der Familie zurück erwarten, wenn Sie selbst sich schon weigern, Ihren Pflichten als Schwiegertochter nachzukommen. Hiermit betone ich diese Forderung noch einmal nachdrücklich: Wenn Sie sich in Ihr Unglück stürzen wollen, Madame Tirek, dann wird Sie niemand davon abhalten können, doch das Kind gehört nach den Gesetzen Cardassias in die Obhut der Familie.“

„Nein.“ Es war eine leise Erwiderung, doch sie war stolz, immerhin den Mund aufzubekommen. Genau diese Vorhaltungen waren es, die sie so gefürchtet hatte. Serina war konservativ von ihren Eltern erzogen worden. In jede Faser ihres Seins war ihr von früh auf das Bewusstsein um cardassianische Tradition eingebläut worden. Dagegen zu rebellieren fühlte sich selbst für sie falsch an. Eine Cardassianerin ehrte ihren Mann und dessen Familie. Liebe war ein untergeordneter Faktor in vielen Beziehungen. Vielmehr spielten taktische und sinnvolle Überlegungen eine Rolle. Nach den gleichen ungeschriebenen Gesetzen verließ eine Cardassianerin auch mitsamt ihren Kindern den Mann, wenn dieser vor dem cardassianischen System versagt hatte, oder schlimmer noch, sich als Verräter entpuppte. Es gab nicht wirklich gesetzliche Vorschriften, die einen grundlosen Ehebruch untersagten – wobei grundlos immer im Zusammenhang mit dem Wohle Cardassias definiert wurde, nicht über persönliche Gefühle. Doch gesellschaftliche Ächtung hatte oft einen wesentlich stärkeren Arm als jedes Gesetz. Dass sie sich nicht unbefangen vor ihrem eigenen Volk zu Shakaar bekennen konnte, zeigte, wie tief dieses Traditionsdenken selbst in einer grundlosen Ehebrecherin verwurzelt war.

„Nein?“ Gul Madreds Blick war eisig. Zu sehr erinnerte ihn diese junge Frau daran, was seine eigene Frau ihm angetan hatte. In dem Fall hoffte er allerdings, dass diese Anstand genug besessen hatte, unter Cardassianern zu bleiben. Er konnte seine eigene Frau nicht belangen, doch er konnte diese vertane Gelegenheit an Serina Tirek wiedergutmachen. „Sie wollen mir nicht allen Ernstes erklären, dass Sie Gul Tireks Tochter die Chance vorenthalten wollen, in einer cardassianischen Umgebung aufzuwachsen?“

Sie hätte ihm liebend gerne gesagt, dass im Augenblick Cardassia sicherlich nicht der geeignetste Ort für irgendein Kind war, um dort aufzuwachsen – doch das wäre angesichts der verheerenden Situation auf ihrer Heimat taktlos gewesen.

„Ich werde nicht nach Cardassia zurückkehren und ich werde meine Tochter bei mir behalten, weil ich der Meinung bin, dass es das Beste für sie ist.“ Sie musste sich bemühen, ihren Ton sachlich zu halten. Sie spürte, wie die Hilflosigkeit in dieser Situation ihre trotzige Seite hervor kehren wollte.

„Sie wollen Ihr die väterliche Seite nehmen? Sie sind egoistisch!“

„Sie wird einen Vater haben.“

Madreds Augen funkelten. „Sie werden nicht zulassen, dass er sie adoptiert.“ Es war keine Frage, es war ein Befehl.

„Doch.“

Der Gul legte seine Hände nun ebenfalls auf die Tischplatte. Sie musste alle Kraft zusammennehmen, um nicht zurückzuweichen. „Sie ruinieren die Zukunft von Gul Tireks Tochter durch eine Abmachung, die vor Cardassias Gesetzen nicht einmal gültig ist? Sie beleidigen die Tradition ihrer Eltern und spucken all denen ins Gesicht, die so sehr gelitten haben.“

Es war unfair, sie mit dem Schicksal ihres Heimatplaneten auf diese Weise zu konfrontieren. Die Haltung entglitt ihr. „Verlassen Sie mein Büro!“ zischte sie.

„Sie wollen die Wahrheit nicht hören.“

„Und Sie haben überhaupt keine Ahnung von der Wahrheit. Verlassen Sie mein Büro, bevor ich mich vergesse.“

Er lächelte und sie wusste, dass sie verloren hatte. „Das würde ich gerne sehen. Lediglich eine weitere Demonstration ihrer Untauglichkeit als cardassianische Mutter. In diesem Punkt ist nicht das letzte Wort gesprochen, machen Sie sich auf Konsequenzen gefasst.“

Mit halboffenem Mund starrte sie den Gul an, um ihre Fassung ringend. „Sie wollen mir drohen?“

„Oh nein, auf dieses Niveau lasse ich mich nicht herab.“ Er richtete sich wieder auf. „Ich habe lediglich das angesprochen, was unweigerlich geschehen wird.“

„Raus!“

In einer ironischen Geste verneigte er sich vor ihr. „Einen schönen Tag, Madame Tirek.“

Erst als er das Zimmer verlassen hatte, wurde ihr bewusst, dass ihre Tür – wie stets – weit offen gestanden hatte. Jeder, der sich im Gang aufgehalten hatte, war Zeuge dieses peinlichen Austauschs geworden. Als sie hastig um den Tisch herum eilte, prellte sie sich schmerzhaft den Oberschenkel an dem schweren Holz. Sie fluchte, schlug die Tür ins Schloss und ließ dann ihren Tränen freien Lauf.
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