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Weil ich so nicht leben will

von Nerys

Kapitel 1

Weil ich so nicht leben will


Voller Abscheu betrachtete Atreia die Ziergegenstände auf dem großen Arbeitstisch. Einige davon hatten sich bereits auf Bajor im Büro ihres Vaters befunden, andere waren jedoch neu. Ein gerahmtes Bild zeigte zwei Jungen und ein Mädchen vor dem Hintergrund eines großen Hauses, dessen Architektur eindeutig bajoranisch anmutete. Diese Zeit, in der es ihre liebste Beschäftigung gewesen war, mit ihren Brüdern im Garten zu tollen, schien ihr so lange her zu sein, fast wie ein anderes Leben. So viel hatte sich seitdem verändert und das Heim ihrer Kindheit war längst nicht mehr ihr Zuhause. Ihr Blick glitt weiter zu einer bleichen Knochenschnitzerei, neben der eine kleine goldglänzende Statue stand. Vorsichtig streckte sie die Fingerspitzen aus, um das kühle Metall zu berühren. Die Figur stellte eine Kriegerin in kampfbereiter Pose, mit Brustharnisch über dem kurzen Kleid und erhobenem Schwert dar. Es war keine Cardassianerin. Das schimmernde Abbild der bajoranischen Frau strahlte zugleich Mut und Schönheit aus. Jäh erweckte das Geräusch der Tür ihre Aufmerksamkeit und sie drehte reflexartig den Kopf zur Seite, wo neben dem wuchtigen Sessel ihre Ziehtochter Ulise auf dem Boden hockte. Das kleine Mädchen war so beschäftigt mit zwei hölzernen Spielfiguren, die bajoranische Tiere darstellten, dass es nichts um sich herum mitbekam.

„Atreia“, tönte eine tiefe Stimme durch den Raum. Gul Lorpak, gekleidet in seine Militäruniform, betrat mit schweren Schritten das Arbeitszimmer. „Deine Mutter sagte schon, dass du wieder hier bist. Wie schön. Ich hatte ja noch gar keine Gelegenheit, dir zum Abschluss deines Studiums zu gratulieren.“

Eilig erhob sich die junge Frau und trat um den Schreibtisch herum, damit ihr Vater das spielende Kind noch nicht bemerkte. Mit ausgesprochenem Widerwillen ließ sie sich von ihm auf die Wangen küssen. Einst hatte sie ihn geliebt und bewundert, doch jetzt erfüllte sein Anblick ihr Herz nur noch mit Wut und Trauer. Er reichte ihr stolz lächelnd eine schön verzierte Schmuckschatulle aus dunklem Holz.

„Was ist das?“ Sie nahm das rechteckige Kästchen skeptisch entgegen.

„Ein Geschenk von deiner Mutter und mir für deinen Erfolg.“ Er blickte sie abwartend an. „Willst du es nicht öffnen?“

Obwohl der Inhalt Atreia nicht im Geringsten interessierte, betätigte sie den Verschlussmechanismus, der mit einem hörbaren Klicken aufsprang. Vorsichtig klappte sie den Deckel auf. Darunter kam ein Bezug aus dunkelrotem Samt zum Vorschein, auf dem ein Set aus einer Halskette, Ohrringen und einem Armband lag. Alle Schmuckstücke zeichneten sich durch einen erschreckend vertrauten tropfenförmigen Anhänger mit einem eingefassten blutrot funkelnden Stein aus.

„Ich habe deine Kette durch Zufall bei bajoranischem Diebesgesindel wiedergefunden“, erklärte ihr Vater. „Sie ist frisch aufpoliert und ich habe das Armand mit den Ohrringen dazu anfertigen lassen. Freust du dich?“

Atreia spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie vor dem inneren Auge Joss‘ überraschtes Gesicht sah, nachdem sie ihrer Freundin die Kette zum Geschenk gemacht hatte. Der schwarze Stein hatte an ihrem schlanken weißen Hals zauberhaft gewirkt. Angewidert schleuderte sie ihrem Vater die Schatulle vor die Füße, sodass die Schmuckstücke scheppernd herausfielen. Hinter sich hörte sie leise Ulises zarte Kinderstimme.

„Was soll denn das?“, rief ihr Vater überrascht aus. Sein Gesicht verzog sich zu einer ärgerlichen Grimasse, die ihn mehr denn je wie den Mann aus der Videoaufzeichnung der Strafanstalt aussehen ließ.

„Du weißt ja nicht, was du getan hast!“, entfuhr es ihr hasserfüllt. All der Zorn in ihrem Inneren brach aus ihr hervor wie eine starke Woge Meerwassers. „Sie war keine Diebin! Sie hat dir unter deiner Folter die ganze Zeit die Wahrheit gesagt, aber du wolltest es nicht hören. Die Kette war ein Geschenk. Ich schenkte sie ihr!“

Verständnislos die Stirn runzelnd musterte Gul Lorpak seine Tochter. „Das glaube ich dir nicht! Du bist Cardassianerin, was hättest du mit einem verlausten bajoranischen Gör zu schaffen? Eine Lügnerin und eine Diebin war das, mehr nicht.“

„Hör auf! Wage es nicht, so über Joss zu reden!“, brüllte die junge Frau aufgebracht. „Ich habe sie geliebt. Und du hast sie zerstört. Du hast sie getötet! Du…“

Sie zuckte zurück, als etwas klatschend gegen ihre Wange schlug. Ihr Vater stand wutentbrannt mit erhobener Hand vor ihr. Die Ohrfeige war nicht fest gewesen, aber ausreichend, um die Rage zu unterbrechen, in die sie sich gebracht hatte.

„Was bildest du dir ein, so mit mir zu sprechen? Ich bin dein Vater!“ Obwohl er nicht schrie, klang seine Stimme tief und drohend.

Atreia schüttelte den Kopf. Mühsam versuchte sie, die Tränen zurückzuhalten, die sich in ihren Augen sammelten. „Du bist nicht mehr mein Vater. Ich kam nur zurück, um den Rest meiner Sachen zu holen. Ich verlasse Cardassia.“ Sie wechselte ohne Unterbrechung in flüssiges Bajoranisch. „Ulise, komm zu mir, wir gehen.“

Als das kleine Mädchen hinter dem Schreibtisch hervorgetrippelt kam und von seiner Ziehmutter behutsam auf die Arme gehoben wurde, riss Gul Lorpak fassungslos die Augen auf. Er vertrat ihr den Weg aus dem Arbeitszimmer. „Wessen Bastard ist das?“

„Das ist Joss‘ Tochter“, antwortete die junge Frau drohend leise. „Einer von deinen Soldaten ist ihr Vater, oder vielleicht sogar du selbst? Ich möchte nicht wissen, was ihr meiner geliebten Joss alles angetan habt. Ich werde Ulise als mein eigenes Kind großziehen. Und jetzt geh mir aus dem Weg!“

Doch er machte keine Anstalten, sie durchzulassen. Immer noch starrte er ungläubig das Mädchen an. „Du bist verrückt! Wohin willst du überhaupt? Du bist Cardassianerin, das ist dein Erbe und du gehörst hierher.“

„Ich kann und möchte nicht länger Teil eines Volkes sein, das zu solchen Grausamkeiten fähig ist. Bajor ist ein Teil von Ulise und auch von mir, so war es schon immer. Lass uns vorbei.“

„Wenn du jetzt gehst, Atreia, brauchst du nie wieder zu kommen. Hast du mich verstanden?“, entgegnete ihr Vater. Er machte jedoch einen Schritt beiseite, um den Weg aus dem Raum freizugeben und taxierte seine Tochter abschätzig.

„Warum sollte ich das? Meine Heimat ist Bajor.“ Sie durchquerte rasch das Büro, doch an der Tür blieb sie noch einmal stehen und blickte zu dem Cardassianer auf, dessen einst liebevolles Gesicht voller Härte war. „Leb wohl.“

Er hielt sie nicht auf und sie sah nicht zurück. Einzig der Abschied von ihrer Mutter fiel Atreia schwer und sie bat sie, ihren Brüdern Grüße zu bestellen. Mit einer Reisetasche um die Schulter und ihrer Ziehtochter an der Hand ließ sie das Haus ihrer Familie hinter sich. Die heiße trockene Luft Cardassias empfing sie.

„Gehen wir nach Hause?“, piepste Ulise neben ihr fragend.

Atreia blickte zu ihr hinab und nickte lächelnd. Auch wenn sie noch nicht wusste, wie ihr Leben mit dem Mädchen auf Bajor aussehen sollte, war ihr doch klar, dass es nicht leicht sein würde. Ulise war ein Halblut, ein Kind zweier Welten, das in keiner davon wirklich willkommen war. Am Grab ihrer Freundin hatte Atreia geschworen, das Mädchen vor allem Übel zu beschützen, damit das Schicksal keine grausame Wiederholung fand. Joss lebte in ihrer Tochter weiter.

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