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Wie man plant und denkt

von Nerys

Kapitel 1

Wie man plant und denkt


Völlig in ihren Gedanken verloren starrte Atreia auf das Treiben unter ihr auf der Hauptebene der Promenade hinab. Angehörige einer Vielzahl von Spezies gingen hier ihrer Wege zwischen Läden, die eine Fülle unterschiedlicher Waren anpriesen. Dass Ulise, der langweilig war, sie unentwegt am Rockzipfel zupfte, nahm sie nur noch am Rande zur Kenntnis. Die bajoranischen Behörden hatten ihren Einwanderungsantrag mit fadenscheiniger Begründung abgelehnt. Es lag nur daran, dass sie Cardassianerin war, der Feind, und ihre Ziehtochter ein Bastard. Der vertragliche Frieden war noch jung und die Schrecken der Besatzung saßen zu tief. Atreia konnte das verstehen, obwohl es bedeutete, dass sie mit Ulise in einem Niemandsland zwischen den Welten gestrandet war. Beim Aufbruch von Cardassia hatte sie die Brücken hinter sich für immer abgebrochen. Durch die Veräußerung sämtlicher teurer Kleider und allen Schmucks aus ihrem Besitztum hatte sie die Mittel, sich und das Mädchen wenigstens für die nächste Zeit über Wasser zu halten, doch was Ulise brauchte, war ein stabiles kindgerechtes Umfeld. Ein Zuhause.

Weil ihre Überlegungen sich nur noch ergebnislos im Kreis drehten, entschloss sie sich schließlich, auf auf das belebte Hauptdeck der Promenade zurückzukehren und an einem der öffentlichen Computerterminals die Flugpläne der Personentransportschiffe einzusehen. Jäh fiel ihr auf, dass Ulises kleine Finger nicht mehr an ihrem Rock zogen. Bestimmt hatte sie sich zu sehr gelangweilt. Besorgt machte sich Atreia auf die Suche nach ihrer Ziehtochter. Hier auf der oberen Ebene, die mit ihren großen ovalen Fenstern nur als Panoramadeck diente, herrschte längst nicht so viel Trubel und es erwies sich als nicht ganz einfach, auskunftsfreudige Passanten zu erwischen. Ein junger Mann, der äußerlich einem Bajoraner glich, aber eine auffallend glatte Nase hatte, riet ihr schließlich, sich an das Sicherheitsbüro zu wenden.

Die eckige teils durchsichtige Tür, die so bezeichnend für die cardassianische Ästhetik war, glitt vor Atreia zur Seite und gab den Zugang zu einem spartanisch eingerichteten Büroraum frei, in dessen Mitte ein großer Schreibtisch stand. Zwei Personen in Uniformen der bajoranischen Miliz hatten einander dort gegenüber gesessen und blickten sie nun irritiert an. Der in Braun und Ocker gekleidete Mann war jedoch kein Bajoraner. Sein Gesicht war völlig glatt, fast wie eine alterslose Maske.

„Kann ich ihnen helfen?“, erkundigte er sich in einem neutralen undeutbaren Tonfall.

Atreia trat zögerlich ein paar Schritte weiter in den Raum. „Mir wurde empfohlen, mich an den Sicherheitschef zu wenden. Sind Sie das?“

Der seltsame Mann nickte in einer abgehakten Bewegung. „Ja, ich bin Constable Odo. Worum geht es?“

„Ich suche meine Tochter. Sie war mit mir auf der oberen Ebene der Promenade und muss weggelaufen sein, während ich für einen Moment die Leute unten beobachtete. Als ich wieder zu ihr sah, war sie fort. Ihr Name ist Ulise, sie ist noch klein, erst drei Jahre alt. Bitte helfen sie mir, sie zu finden.“ Mit wachsender Verzweiflung blickte sie den Sicherheitschef an.

„Ulise?“, wiederholte die Frau dem Constable gegenüber, die eine rote Uniform trug, und an deren Nase sich die vertrauten knorpeligen Rillen zeigten, verwundert. „Das ist ein bajoranischer Name.“

Atreia gab ein besorgtes Seufzen von sich. „Ja, das stimmt. Meine Tochter ist zur Hälfte bajoranisch.“

In beiden ihr entgegen sehenden Gesichtern zeigte sich die Überraschung. Während der Sicherheitschef sich der Konsole hinter seinem Tisch zuwandte, spürte sie die dunklen Augen der Bajoranerin weiterhin auf sich ruhen. Sie mied deren Blick und konzentrierte sich auf den Rücken des Mannes, der nun leise mit jemandem sprach, dessen Stimme vom Computer kam. Nach einer Weile drehte er sich ihr wieder zu und wirkte zufrieden, soweit sein Mienenspiel das verriet.

„Einer meiner Deputys hat Ihre Tochter gefunden und bringt sie her. Nehmen Sie doch inzwischen Platz.“ Er vollführte eine einladende Geste in Richtung des freien Stuhls neben der Bajoranerin und ließ sich wieder in den großen Sessel hinter dem Tisch sinken.

Unsicher folgte Atreia der Aufforderung. Ihr war nicht wohl, obgleich in den dunklen Augen der anderen Frau, die sie immer noch aufmerksam betrachtete, keinerlei Feindseligkeit lag. Großes Interesse vorschützend starrte sie auf ihre eigenen Hände hinab, deren unruhige Bewegung ihre Nervosität verriet.

„Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten“, wandte sich die Bajoranerin schließlich mit deutlicher Neugier an sie. „Sie sind die erste Cardassianerin mit einem Mischlingskind, die mir unterkommt. Andersherum war das früher ja leider keine Seltenheit.“

Atreia zwang sich dazu, ihr ins Gesicht zu sehen, während sie zu einer Antwort ansetzte. „Ich bin auf Bajor aufgewachsen. Ist es wirklich so abwegig, dass man die einzige Heimat, die man von Geburt an kennt, schätzt und liebt?“

Ihr Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Während meiner Jugend bin ich auf viele Cardassianer getroffen, aber auf keinen, der mehr in meiner Welt gesehen hätte, als Ressourcen. Ich muss zugeben, dass mich Ihre Einstellung sehr überrascht. Was führt Sie nach Deep Space Nine?“

„Ich wollte mit Ulise zurück nach Musilla. Sie wurde dort geboren und hätte es verdient, in ihrer Heimat am Meer aufzuwachsen. Aber es sollte nicht sein.“ Die junge Frau wandte sich abrupt um, als sie hinter sich das Geräusch der Tür vernahm.

Ein hochgewachsener Bajoraner in einer ockerfarbenen Uniform betrat das Sicherheitsbüro. Er wirkte entnervt, weil es ihm sichtlich schwer fiel, das in Tränen aufgelöste kleine Mädchen zu beruhigen, das er trug. Vor dem Constable und der Bajoranerin, denen er offenbar beiden unterstand, nahm er pflichtbewusst Haltung an.

„Ulise!“, rief Atreia erleichtert. Beim Anblick ihrer Tochter, die verängstigt, aber wohlauf zu sein schien, fielen ihr mehrere schwere Steine vom Herzen. Überglücklich nahm sie sie dem jungen Mann ab, der sie äußerst misstrauisch taxierte. „Vielen vielen Dank! Mögen die Propheten Sie für Ihre Hilfe segnen.“

Den beiden Bajoranern blieb bei diesen Worten der Mund offen stehen. Lediglich die Miene des Sicherheitschefs blieb starr. Der Deputy entfernte sich eilig, sobald sein Vorgesetzter ihn mit einem Kopfnicken entließ. Atreia konnte ihm seine ablehnende Haltung nicht verübeln. Sie wandte sich dem Constable zu, um sich für seine Unterstützung zu bedanken und bemerkte den Blick, mit dem die andere Frau das Mädchen ansah. Oder viel mehr durch es hindurch sah. Sie schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein.

„Ich weiß nicht wie ich Ihnen danken kann, Constable“, sagte sie nach einem Moment drückender Stille zu dem ungewöhnlichen Mann.

Er machte eine wegwerfende Geste. „Schon gut. In Zukunft sollten Sie aber besser auf Ihre Tochter aufpassen.“

Atreia war mit Ulise bereits vor der Tür, wo das pulsierende Leben auf dem Promenadendeck sie empfing, als sie die Stimme der Bajoranerin hinter sich hörte. Irritiert hielt sie inne, was dieser die Gelegenheit gab, zu ihr aufzuschließen.

„Wo wollen Sie denn jetzt hin?“, erkundigte sie sich ehrlich interessiert. Immer noch wirkte sie irgendwie fasziniert von dem Mischlingskind.

Die Cardassianerin zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Ich dachte, ich sehe mir die Flugpläne der abgehenden Personenshuttles an. Eines davon wird schon irgendwo hin fliegen, wo man jemandem wie mir Arbeit gibt.“

„In der entmilitarisierten Zone gibt es eine Reihe unabhängiger Kolonien. Ich denke, in einer davon, könnten Sie und Ihre Tochter eine neue Heimat finden, wenn Sie das möchten“, schlug die rothaarige Frau vor. „Ich kenne einen Frachtercaptain, der regelmäßig in diese Gegend Touren fliegt, und sicherlich bereit wäre, Sie beide mitzunehmen.“

Atreia blickte auf das tief dunkelblaue Meer hinaus. Wenn sie die Augen schloss, die salzige Luft inhalierte und dem Rauschen der Wellen lauschte, fühlte es sich an, als wäre sie wieder daheim in Musilla. Ein paar Schritte von ihr entfernt hockte Ulise im roten Sand und versuchte mit den Händen ein Loch zu graben, wobei sie ein Krebstier aufscheuchte, das eilig das Weite suchte. Am Himmel kreisten silbrig weiße Seevögel, deren harsches Geschrei der leichte Wind mit sich trug. Die hauptsächlich von Bürgern der Föderation und einer Hand voll Exil-Bajoranern bevölkerte Kolonie auf Hakton VII war nicht die Heimat, die Atreia sich erträumt hatte, doch sie war eine Chance, ganz neu anzufangen. Eine Chance, für die sie dem bajoranischen Major auf Deep Space Nine, der ihr dazu verholfen hatte, an Bord des Frachtschiffes Xhosa mitzufliegen, unglaublich dankbar war. Sie lächelte verträumt, als Ulise einen weiteren Krebs aufstöberte und vor Freude quietschte. Eines Tages, wenn das Mädchen alt genug war, um die Wahrheit zu begreifen, würde sie ihm von Joss erzählen.
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