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Im Schatten des Todes

von Martina Bernsdorf

„Widerstand ist zwecklos“ – Teil 2

Captain Kathryn Janeway schätzte den ruhigen Flug durch diesen Raumsektor. Es gab kaum Klasse M-Planeten, keine Rassen, die Anspruch auf ein Territorium erhoben, keine Konflikte. Einst hätte sie so eine Reise als langweilig bezeichnet, und der ungebrochene Forscherdrang in ihr erfreute sich an neuen Herausforderungen, aber sie hatte gelernt, auch die Phasen zu schätzen, in denen Ruhe und Frieden herrschte. Sie waren selten genug.

Ihr Blick wanderte zu ihrem ersten Offizier, der links neben ihrem Kommandosessel saß. Der ehemalige Maquis schien ihren Blick zu fühlen und wandte ihr den Kopf zu, er nickte mit einem leichten Lächeln, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Computerpadd richtete.

Janeway lächelte leicht, es schien, als würde Chakotay die Ruhe ebenso genießen wie sie. Endlich war einmal Zeit, Computerdaten aufzuarbeiten und auch die Gedanken schweifen zu lassen. Sie blickte wieder zum Sichtmonitor, wo sich in samtschwarzer Dunkelheit das All vor ihnen ausbreitete, nur von wenigen funkelnden Sternen durchbrochen, wie Diamanten auf einem endlosen Strand.

Es erinnerte sie an den Sternenhimmel, den Mark und sie an ihrem letzten Abend auf der Erde gesehen hatten. An dem Abend, ehe sie das Kommando über die Voyager übernommen hatte. Sie fragte sich noch immer, ob sie an diesem Abend nicht über wichtigere Dinge hätten sprechen müssen, statt am Strand zu liegen und die Sterne zu beobachten. Wenn sie nur gewusst hätte, dass es der letzte Abend war!

Janeway rief ihre Gedanken zur Ordnung, sie hatte nicht wissen können, dass die Trennung von Mark so viel länger sein würde, als sie sich beide je hätten vorstellen können, und was hätte sie anders machen sollen? War nicht alles wunderschön gewesen? Vielleicht auch durch das Unwissen, denn hätte sie diesen Abend genießen können, wenn sie gewusst hätte, dass sie Mark vielleicht nie wiedersehen würde? Hätten sie beide dann lachen können? Hätten sie sich im Mondschein lieben können?

Janeway seufzte leise und riss sich mit Macht aus den Erinnerungen. Inzwischen waren vier Jahre vergangen, vier Jahre, in denen Mark denken musste, dass sie vielleicht tot war. Vier Jahre, in denen er vielleicht schon ein neues Leben begonnen hatte. Manchmal wünschte sie sich, dass Mark sie bereits vergessen hatte oder sie nur noch eine liebe Erinnerung an alte Zeiten für ihn war. Es wäre einfacher gewesen, denn dann hätte sie selbst vielleicht ein neues Leben beginnen können. Aber solche Gedanken waren wie schleichendes Gift. Sie wollte nicht, dass Mark sie vergaß, sie wollte nicht, dass er ein neues Leben begann, nicht ohne sie.

„Wir werden einen Weg finden, sehr viel früher als berechnet nach Hause zu kommen.“ Chakotays Stimme riss Janeway aus den schmerzlichen Gedanken und Erinnerungen. Sie blickte erstaunt den Mann, den man seine indianische Herkunft so deutlich ansah, an.

Der erste Offizier lächelte erneut und zuckte leicht mit den breiten Schultern. „Man sah Ihnen gerade an, woran Sie dachten, Kathryn.“

Es war mehr als selten, dass Chakotay so einen vertrauten Ton anschlug. Dafür, dass er ein Maquis und ein abtrünniger Sternenflottenoffizier war, hatte er sehr schnell zurück in die Rolle eines ersten Offiziers unter dem Kommando eines Sternenflottencaptains gefunden. Manchmal wünschte Janeway fast, er würde hin und wieder vergessen, dass sie seine Vorgesetzte war.

„So sehr ich den Flug durch diesen ruhigen Sektor schätze, so wenig lenkt er meine Gedanken ab, es bleibt zu viel Zeit, um sich zu erinnern.“ Janeway fuhr sich durch ihr hellbraunes Haar, sie hatte erst vor kurzem Abschied von ihren langen Haaren genommen. Ein Zeichen dafür, dass sie Veränderung suchte? Mark hatte ihr langes Haar immer geliebt, selbst wenn sie es manchmal umständlich fand, die Haare zu einem Zopf oder Dutt zu bändigen.

Chakotay hob eine Augenbraue, wodurch die Tätowierung an seiner Stirn in Bewegung geriet. „Man sollte vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht, Captain.“

„Torres an Janeway“, B´Elannas Stimme drang über die Comleitung, und Janeway verdrehte leicht die Augen in Chakotays Richtung, so als wolle sie sagen: „Müssen Sie auch immer recht mit ihren Prophezeihungen haben?“

„Janeway, was gibt es, Lt. Torres?“ Sie hoffte, dass nichts Ernsthaftes passiert war, Torres´ Stimme klang aufgeregt und so, als sei sie außer Atem.

Seven ist auf den Weg zur Brücke.“

Janeway hob eine Augenbraue. Sie hatte von Tom Paris von dem Zwischenfall in der Mannschaftslounge gehört, als er seinen Dienst auf der Brücke angetreten war, und sich beim Holodoc erkundigt, der zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine Antworten gehabt hatte. Sie empfand Erleichterung darüber, dass es Seven anscheinend wieder gut ging.

Seit sie entschieden hatte, dass Seven wieder zu einem Menschen zurückverwandelt werden sollte, fühlte sie sich verantwortlich für sie. Im Grunde fühlte sie sich für jedes Mannschaftsmitglied verantwortlich, aber noch mehr für Seven. Es war nicht Sevens Wahl gewesen, wieder ein Mensch zu werden. In manchen schlaflosen Nächten hörte sie noch die Stimme der Borg, die ihr vorwarf, nicht besser zu sein als die Borg selbst, weil sie ihren Wunsch danach, eine Borg zu bleiben, nicht respektiert hatte.

Es war zwar ungewöhnlich, dass Seven die Brücke aufsuchte, sie war der Ingenieurabteilung und dem astrometrischen Labor zugeteilt, aber nichts daran rechtfertigte Torres´ Aufregung.

„Und?“

Torres klang etwas gereizt. „Das wissen wir auch nicht, eigentlich sollte sie auf der Krankenstation bleiben, ihre neuralen Netze sind zum größten Teil noch nicht voll funktionstüchtig, aber sie hat den Befehl des Doktors ignoriert und ist losgerannt mit dem Worten ‘ich muss Captain Janeway sprechen’.“

Janeway runzelte die Stirn und blickte zu Tuvok. Es beunruhigte sie immer, wenn Seven Befehle ignorierte. Es war entsprach eigentlich nicht dem Wesen der Borg. Die Tendenz der ehemaligen Borg, immer mehr individuelle Entscheidungen zu treffen, beunruhigte Janeway, da ihre Entscheidungen oft im Widerspruch zu den Gesetzen der Sternenflotte standen. Sie wusste nicht, was sie erweckt hatte, als sie Seven ihre Individualität zurückgegeben hatte, und das machte ihr manchmal etwas Angst.

Die Tür zum Turbolift öffnete sich zischend.

„Nun, wir werden ja gleich herausfinden, was Seven auf dem Herzen liegt.“ Janeway stand auf und stemmte die Arme in die Hüften. Sie würde mit der Borg ein ernsthaftes Wort über die Befehlsgewalt des Doktors reden müssen.

Seven stürmte im Laufschritt auf die Brücke, ignorierte die fragenden Blicke, die auf sie gerichtet wurden, und rannte zur Navigationskonsole.

„Wir müssen hier weg. Sofort! Warp 9!“ Ihre Stimme überschlug sich fast, und Janeway nahm erstaunt das Gefühl darin wahr - Angst.

„Was ist passiert, Seven?“ Janeway sprach sanft. Die Augen der ehemaligen Borg waren geweitet, und sie hatte die Hände so fest um die Lehne von Paris´ Sessel geschlungen, dass sie mit ihren noch immer übermenschlichen Kräften das Plastik verformte.

„Keine Zeit für Erklärungen, wir müssen sofort weg! SIE kommt!“ Seven griff kurzerhand über Paris hinweg auf die Schaltfläche und gab in fieberhafter Hast einen Kurs ein.

„Hey, so geht das aber nicht.“ Paris griff nach Sevens Hand, während er einen Blick zum Captain warf, um ihre Befehle zu hören. Tuvok an der Sicherheitskonsole trat einen Schritt vor und zog gleichzeitig seinen Phaser.

Sevens Gedanken überschlugen sich, vielleicht war es ohnehin schon zu spät, aber es würde definitiv zu spät sein, wenn sie sich mit der Beschränktheit und Langsamkeit der menschlichen Sprache abgab. Sie wischte Paris mit einem beinahe beiläufigen Schlag vom Sessel. Sie hörte Janeways scharfen Befehl, fühlte, wie der Captain hinter sie trat und nach ihrem Arm griff. Es war keine Zeit für die ohnehin so schwerfälligen Verhaltensweisen der Menschen. Seven stieß Janeway zur Seite und fühlte gleichzeitig den Schlag gegen ihren Rücken, als sich Phaserenergie an ihr entlud. Sie bedauerte, Tuvok nicht erklären zu können, was vor sich ging. Der Betäubungsstrahl ließ sie wanken, der nächste Phaserschuß wurde von einem neu generierten borgeigenen Körperschild abgelenkt.

Tuvok würde den Phaser rekonfigurieren, sie musste sich beeilen, ehe er sie wirklich außer Gefecht setzen konnte.

Seven überbrückte mit einem alphanumerischen Borgcode die Sperre, die Harry Kim oder sonst ein Brückenoffizier über die Navigationskonsole errichtet hatte, und gab den Befehl ein.

Die Voyager sprang den Sternen entgegen.

Für einen Sekundenbruchteil.

Ein gewaltiger Ruck ging durch das gesamte Raumschiff. Metall schrie gequält auf, als das Bewegungsmoment von einem Augenblick zum anderen gestoppt wurde. Leitungen zerrissen funkensprühend, die Außenhülle der Voyager knisterte und riss an manchen Stellen ein. Kleine Lecks entstanden, die von den automatischen Sicherheitssystemen noch versorgt werden konnten. Alles, was nicht fest angeschraubt oder verankert war, wurde von diesem Ruck zu Boden geschleudert.

Die Voyager schüttelte sich wie ein waidwundes Tier.

Janeway wusste nicht, was vor sich ging, aber sie wusste, wenn sie nicht binnen weniger Sekunden die Energie des Warptriebwerks abschalten konnte, würde es die Voyager zerreißen. Auf allen Vieren kroch sie bis zur Navigationskonsole. Sie ließ ihre zitternde Hand über das Tastenfeld wandern, bis sie die Notabschaltung fand.

Von einem Moment zum anderen erstarb das ohrenbetäubende Crescendo von überlastetem Metall und wich einem leiseren Geräusch, einem mechanischen Wispern von sterbenden Systemen und zerstörten Leitungen.

„Was zum Teufel...“, Tom Paris rappelte sich langsam auf die Beine, während Schadensmeldungen die Brücke überfluteten. Er begegnete Janeways Blick. In ihren graublauen Augen stand Sorge, aber auch der feste Wille, mit der Krise fertig zu werden, welcher Art sie auch sein mochte.

Janeway strich sich über die Stirn und fühlte das Blut, das aus einer Platzwunde an ihrer Stirn tropfte, an den Fingerspitzen. Sie ignorierte es und blickte zu Seven of Nine, die sich, wie der Rest der Crew, wieder auf die Beine gekämpft hatte. Ihre hellen Augen wirkten leer, und etwas wie stille Resignation lag in ihren Zügen.

„Es ist zu spät.“

Was immer das auch bedeuten sollte, Janeway war entschlossen, es genauso zu ignorieren wie die Platzwunde an ihrer Stirn. Der Sichtschirm war ausgefallen, und die Voyager war damit blind. Blind gegenüber der Gefahr, von welcher Art auch immer sie sein mochte.

„Harry?“ Janeways Frage galt dem jungen Asiaten, der bereits eifrig dabei war, die Energiezusammenbrüche zu umgehen, um Hilfsenergie auf die optischen Systeme der Voyager freizusetzen.

„Jetzt müsste es gehen.“ Kims Worte wurden prompt mit einem von Störungsstreifen verstümmelten Bild beantwortet. „Moment“, der Ensign kalibrierte noch ein System und zweigte weitere Hilfsenergie ab.

Auf dem Sichtschirm bildete sich ein klares Bild.

Janeway wünschte sich in dem Augenblick, als ihr bewusst wurde, was sie sah, dass es Kim nicht gelungen wäre, das System zu reparieren.

Es war riesig.

Es war viel größer als alles, was sie zuvor von dieser Art von Schiffen gesehen hatte.

Es füllte den Sichtschirm bis weit über die Ränder aus. Alles was sie sahen, war ein einziger dunkler Abschnitt, hier und da traf Sternenlicht auf Metall und reflektierte matt.

Es war ein Borgkubus.

Es war der gewaltigste Borgkubus, den man sich vorstellen konnte.

Aus seinem Innern hatte ein giftgrüner Traktorstrahl die Voyager umfangen und für ihren reichlich harten Stopp gesorgt.

„Bei den Göttern!“

Janeway konnte Chakotays Ausruf nur stumm zustimmen.

„Alle Energie auf die Waffensysteme!“ Sie würden ihre Haut zumindest so teuer verkaufen, wie es nur ging, schwor sich Janeway grimmig. Mit einem harten Griff packte sie Seven of Nine am Arm und riss sie zu sich herum.

„Woher kommt dieser Borgkubus?“ Sie fragte sich, ob sie einen Fehler gemacht hatte, vielleicht hatte Seven auf irgendeine Weise Kontakt mit den Borg aufgenommen. Vielleicht hatte sie alles Leben an Bord der Voyager verraten.

„Es ist IHR Schiff, in dem Moment, als ich fühlte, dass SIE in der Nähe und aus ihrem Schlaf erwacht ist, habe ich versucht, uns hier wegzubringen. Es war nur zu spät.“ Seven starrte auf den Borgkubus. „Widerstand ist zwecklos.“

Janeway fühlte Zorn in sich auflodern, und ehe sie sich wieder unter Kontrolle bekam, schlug sie Seven kräftig mit der flachen Hand in das Gesicht.

Die ehemalige Borg blinzelte überrascht und hielt sich die Wange.

„Wer ist SIE? Und wie kommt es, dass ein Borgkubus in einem System so weit entfernt von ihrem Operationssektor ist? Sie bestätigten, dass wir den Borgsektor verlassen hatten, Seven!“ Janeway funkelte die ehemalige Borg an.

„Die Borg waren schon in den meisten Bereichen des Deltaquadranten, dies ist nicht der momentane Operationssektor, aber SIE hat sich schon vor Jahren zurückgezogen, nach dem letzten Kampf. Ihren Befehlen folgen die Borg, sie musste nicht einmal wachen, um den Kampf zu führen. Assimilation ist Teil ihres Wesens, ihre Befehle lenken das Kollektiv, ihre Stimme ist die einzige Stimme.“

„Wessen Stimme?“ Janeway verstand nichts, bisher hatte sie die Borg als gesichtslose Masse erlebt, als ein Kollektiv ohne jede Individualität.

„Die der Borgqueen.“ Sevens Blick flackerte. „Wir haben nicht die geringste Chance, nicht gegen SIE.“

„Eine Königin?“ Tuvok trat neben Janeway, alles was er vorbereiten konnte, hatte er getan.

„Sie ist die Herrscherin über das Kollektiv. Ihre Gedanken sind immer unsere Gedanken gewesen. Sie ist das Individuum, das über alles herrscht.“

„Wenn eine Einzelperson das Kollektiv lenkt, dann können wir die Borg aufhalten, indem wir sie töten.“ Tuvoks Stimme war vollkommen ruhig. Janeway beneidete ihn um diese Ruhe im Angesicht der Vernichtung.

„Die Borgqueen ist zu gut geschützt, Sie werden sie niemals aufhalten können.“ Seven klang ebenso ruhig wie der Vulkanier.

„Wir müssen zuerst die Voyager aus diesem Traktorstrahl befreien.“ Janeway wünschte sich, B´Elanna Torres wäre auf der Brücke, aber sie war vermutlich in einem der steckengebliebenen Turbolifte, und daran ließ sich momentan nichts ändern.

„Das scheint unmöglich zu sein, Captain.“ Tuvok hatte bereits erste Berechnungen angestellt. Der dunkelhäutige Vulkanier blickte auf den Sichtschirm. „Die Voyager hatte bereits auf Warp 8 beschleunigt, als der Traktorstrahl uns stoppte. Dazu ist eine unglaubliche Energie notwendig, nichts, das wir an Bord haben, könnte diesen Strahl brechen.“

„Der Traktorstrahl hat seinen Vektor verändert.“ Chakotay deutete auf dem Sichtschirm, auf dem das Borgschiff bereits ein wenig näher wirkte. „Sie ziehen die Voyager an den Kubus.“

„Sie werden das Raumschiff ebenso assimilieren wie jedes Leben an Bord.“ Seven blickte sich um. „Uns bleibt nicht viel Zeit.“

Janeway wechselte einen Blick mit Chakotay und Tuvok.

„Dann bleibt uns keine Chance mehr?“

Sie wünschte, einer der Männer würde einen Plan vorschlagen, egal, wie tollkühn er auch sein mochte. Doch sie schwiegen, mehr noch, sie sah die stumme Zustimmung zu dem, was letztendlich noch die einzige Waffe war, die einzige Waffe, um ihre Individualität zu erhalten. Die einzige Waffe gegen die Borg.

Janeway ging zu ihrem Kommandosessel zurück. „Initiiere Selbstzerstörung, Janeway...“ Sie kam nicht dazu den Befehl auszusprechen, überall auf der Brücke materialisierten sich Borg.



* * * * *




Chakotay versuchte erst gar nicht gegen die Borg zu kämpfen. Phaser leckten wie Irrlichter über die Brücke, aber die Borg stellten sich zu schnell mit Körperschilden auf die Phasermodulationen ein. Es waren zu viele Borg, als dass es ins Gewicht fallen würde, dass zwei oder drei von ihnen getötet wurden.

Er wich den zugreifenden Armen eines Borg aus und sprang mit einem verzweifelten Hechtsprung über den Kommandosessel. Sie mussten erst einmal von der Brücke verschwinden. Als Maquiskämpfer hatte er gelernt, dass das erste Ziel sein musste, am Leben zu bleiben. Es war kein Mut, sich gegen einen übermächtigen Feind zu stellen, wenn es eine Chance gab zu fliehen. Man würde sich später reorganisieren können, man würde Widerstand leisten können, aber das alles ging nur, wenn man überlebte, wenn man als Individuum überlebte.

Chakotay rollte über die Schulter ab und kroch auf dem Bauch bis zu einer der Jefferies-Röhrenabdeckungen. Von dort aus würde man in die Jefferies-Röhren einsteigen können, und die Borg würden sie nicht so einfach fangen können.

Um ihn herum tobte der Kampf, aber er ließ sich nicht davon ablenken, er durfte jetzt nicht hinsehen, wer in Gefahr war. Er durfte nicht darauf achten, wer vor Schmerz schrie. Er durfte nicht darüber nachdenken, von wem der Gestank nach verschmortem Fleisch stammte.

Chakotay löste die Schrauben der Verkleidung und hoffte, dass noch die meisten der Brückencrew lebten, bis er es geschafft hatte.

Tuvok hatte die ersten Borg mit gezielten Schüssen des Phasers getötet, aber die Borg stellten sich zu schnell auf die Phasermodulationen ein, als dass sie effizient bekämpft werden könnten. Er bemerkte, dass Janeway mit Tom Paris an der Navigationskonsole Deckung gesucht hatte und von dort aus auf die Borg feuerte, ohne wesentlich mehr zu erreichen als er selbst.

Chakotays Aktion hingegen war die logische Konsequenz im Angesicht der Übermacht. Er suchte einen Fluchtweg, und Tuvok würde ihn decken, solange es nur möglich war.

Ein Stück Wandverkleidung glühte unter dem Schuss eines Borg auf, Metallsplitter regneten auf den Vulkanier herab. Er warf sich auf den Boden, rollte auf der Schulter ab und schoss erneut auf den Borg, der zielstrebig auf ihn zukam und damit auch auf Chakotay. Körperschilde hielten dem Phaser stand, der Borg stoppte nur für Sekundenbruchteile in seiner Bewegung.

„Widerstand ist zwecklos“, die Stimme klang monoton und kalt.

Tuvok trat gegen die Beine des Borg und brachte ihn zum Straucheln. Während der Borg sein Gleichgewicht wieder herstellen wollte, sprang der Vulkanier wieder auf die Beine und schlug mit einem gezielten Handkantenschlag gegen den Kehlkopf des Borg, an eine der wenigen Stellen seines Körpers, der nicht von Implantaten bedeckt war. Er fühlte, wie der Kehlkopf unter dem Schlag zerschmettert wurde. Der Borg griff sich an die Kehle und wankte einige Schritte zurück, ehe er zu Boden stürzte.

Ehe Tuvok dazu kam, einen weiteren Borg anzugreifen, fühlte er, wie ein Hitzestrahl über seinen Rücken strich und ihn zu Boden schleuderte. Schmerz durchraste das Bewusstsein des Vulkaniers und trieb ihn an den Rand der Bewusstlosigkeit. Er versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Eine Hand wie eine Stahlklaue schloss sich schmerzhaft um seinen Arm und riss ihn auf die Beine, die andere Hand, ebenso kalt und hart, griff nach seiner Kehle und drückte zu.

Tuvok starrte in die Augen seines Mörders, aber es waren keine Augen, nur zwei rote biomechanische Borgaugen blickten ihn mitleidlos an, während der Griff des Cyborgarmes sich verstärkte. Der Sicherheitschef wusste, dass ein menschliches Genick unter diesem Griff bereits gebrochen wäre. Er fühlte, wie der Borg seinen Kopf weiter drehte, fühlte den stechenden Schmerz in seiner Halsmuskulatur, die der Drehung nicht mehr Widerstand leisten konnte, und erwartete jede Sekunde, das Geräusch seiner brechenden Wirbel zu hören.



* * * * *




Es war wie ein fleischgewordener Alptraum.

Seven schüttelte leicht den Kopf, während sich überall Borg rematerialisierten. Der analytische Teil von ihr bemerkte, dass es weniger Borg waren, als bei so einer Operation eigentlich verwendet wurden. Es schien, als ob die Borgqueen diesem Raumschiff nicht sehr viel Aufmerksamkeit zollte. Dennoch würden die Borg an Bord ausreichen. Eine kleine Assimilation für eine Rasse, die gewohnt war, Millionen und Milliarden Wesen zu verschlingen.

Ein Teil von ihr fühlte sich zu den Borg hingezogen, es war eine tiefe Sehnsucht nach dem, was das Kollektiv gewesen war, eine Sehnsucht nach dem, was ihr Jahrzehnte lang vertraut gewesen war. Ein seltsames Gefühl von Nähe verband sie mit den Borg.

Sie ignorierte die um sie zuckenden Phaserblitze, den Funkenregen aus zerstörten Leitungen, der sich über die Brücke der Voyager ergoss. Der Kampf der Wesen, die sie aufgenommen hatten, die sie verwandelt hatten, die sie vom Kollektiv getrennt hatten, war seltsam fremd und fern.

Die Borg griffen sie nicht an.

Seven fragte sich, ob sie fühlte, dass sie ein Teil von ihnen war? Fragte sich, ob es wehtun würde, wieder ein Teil des Kollektivs zu werden.

Es hatte wehgetan, fast wieder ein Mensch zu werden, es war logisch anzunehmen, dass der Weg zurück ebenso schmerzhaft sein würde.

Ein Gefühl flackerte in ihr auf, das seltsam unvertraut war, sie versuchte es zu analysieren und stellte erstaunt fest, dass es Angst war.

Angst wovor? Ein Teil von ihr sehnte sich danach, wieder Borg zu sein, sehnte sich nach dem Kollektiv, sie fühlte sich manchmal so einsam und isoliert unter den Mannschaftsmitgliedern der Voyager. Sie fühlte sich unverstanden, und jedes Mal, wenn sie auf ihre Individualität vertraute, schien Captain Janeway sie dafür zu bestrafen. Welchen Vorteil hatte es ihr gebracht, ein Mensch zu werden? Sie war nicht einmal gefragt worden!

Seven beobachtete den Kampf auf der Brücke, während sie dastand, unbehelligt von den Borg und in der Hitze des Kampfes von ihren Mannschaftskameraden vergessen.

Mannschaftskameraden?

War sie, Seven of Nine, nicht viel mehr eine Borg? Wäre es nicht besser gewesen, sich auf ihre Seite zu stellen? Sie würden ohnehin siegen, das sagte ihre Erfahrung, das sagte ihr Wissen um die Kampfkraft der Borg. Sie würden assimiliert werden. Man würde sie nicht fragen, genauso wenig, wie Janeway sie gefragt hatte.

Seven fühlte tiefes Unbehagen über diesen Gedanken. War es wirklich das, was sie wollte? Wieder ein Teil des großen Gesangs zu werden, wieder ein Teil der einen Stimme? Es hatte seine Vorteile, Borg zu sein. Es gab keine Gefühle, die so fremd und peinigend sein konnten, es gab keine Verantwortung, es gab keine Fehler.

Seven blinzelte, als ein Phaserschuß nur um Haaresbreite an ihrem Kopf vorbeizischte und eine Konsole hinter ihr verdampfte. Sie sah, wie Chakotay eine Luke öffnete, und hörte, wie er über den Lärm hinweg schrie, dass sie verschwinden mussten.

Sie sah, wie ein Borg seine Hand vorstieß und zwei dünne Stacheln in das Fleisch eines Ensign eindrangen. Sah, wie er sich auf dem Boden wälzte, während die Nanotechnik, die ihm injiziert worden war, seine biologischen Systeme überrannte und ihn assimilierte.

Sie sah, wie ein Borg Tuvok auf die Beine riss, seinen Hals umklammerte und seinen Kopf zur Seite bog. Sie wusste, dass den vulkanischen Sicherheitschef nur noch wenige Sekunden von seiner Zerstörung trennten.

Zerstörung?

Nein, er würde nicht zerstört werden, er würde sterben!

Seven of Nine wusste, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Sie musste mit den Borg kämpfen, um eine Borg zu sein, oder sie musste mit den Menschen kämpfen, wenn sie ein Mensch sein wollte.

Die Entscheidung fiel Seven of Nine so viel leichter, als sie je gedacht hätte.



* * * * *




Tuvok bekam keine Luft mehr, bunte Kleckse explodierten vor seinen Augen, der Schmerz in seiner Halsmuskulatur war noch heftiger als der im Rücken, dort, wo ein Borgdisruptor ihn verbrannt hatte. Er starb, das war eine seltsam nüchterne Feststellung, und sie erfüllte den Vulkanier nur mit dem tiefgreifenden Gefühl, versagt zu haben.

Ein schrecklich knirschendes Geräusch dröhnte in seinen Ohren. Im ersten Augenblick dachte er, dass es von ihm stammte, dass der Borg ihm das Genick gebrochen hatte. Dann fühlte er, wie der Griff um seine Kehle sich noch einmal schmerzhaft verstärkte, um ihn dann freizugeben. Seine Beine gaben unter ihm nach, und er sank auf das Deck, während er krampfhaft nach Luft schnappte. Es bereitete ihm Mühe, nach oben zu sehen, aber er drehte dennoch den Kopf so weit, dass er sehen konnte, was geschehen war.

Der Borg, der ihn hatte töten wollen, stand aufrecht, seine Arme waren herabgesunken, die rote Leuchtdiode in seinem künstlichen Auge flackerte, und ein Funkenregen stob aus seinem Brustkorb, dort, wo eine schmale Hand ihn von hinten durchdrungen hatte. Elektrisches Feuer leckte über seinen Körper, und das rote Licht in den Borgimplantaten, die anstelle seiner Augen angebracht waren, verlosch.

Seven of Nine zog ihre Hand zurück, der tote Borg, seinem Halt beraubt, krachte scheppernd zu Boden. Sie betrachtete nachdenklich ihre Hand. Allein das Exoskelett aus Borgtechnik hatte sie in die Lage versetzt, den Borg auf diese Weise zu töten. Die Energieentladungen prickelten noch an ihrer Hand, und ein wenig rotes Blut benetzte ihre Finger.

Seven riss sich gewaltsam aus dieser Betrachtung und verbannte die widersprüchlichen Gefühle, die der Tod des Borg in ihr hervorgerufen hatte, in die hintersten Kammern ihres Bewusstseins. Es war nicht die Zeit, darüber nachzudenken, warum sie sich schlecht fühlte. Sie hatte als Borg sehr viele Leben genommen, und nie hatte sie auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, nie hatte sie etwas gefühlt. Aber da war sie auch Borg gewesen, ohne eigenes Bewusstsein, ohne Individualität. Doch jetzt war nicht die Zeit für solche Betrachtungen. Die Borg würden sie jetzt nicht länger als Ihresgleichen einordnen.

Sie beugte sich zu Tuvok herab und betrachtete seine Wunde am Rücken. Der Stoff seiner Uniform war schwarz verkohlt, und darunter konnte man verbranntes Fleisch sehen.

„Sie sind beschädigt.“ Seven griff nach seinem Arm und blickte sich um. Chakotay hatte inzwischen die Abdeckung der Jefferies-Röhre entfernt, und einige der Brückenbesatzung waren bereits durch diesen Zugang geflohen. Captain Janeway und Tom Paris hatten sich ebenfalls zum ersten Offizier durchgekämpft und schossen auf die Borg, die sich ihnen näherten. Die Körperschilde der Borg stellten sich rasch auf die Phasermodulation ein, aber jeder Schuss hielt sie ein wenig auf.

„Lassen Sie mich hier, Seven.“ Tuvok brachte die Worte nur mühsam hervor. Die ehemalige Borg blickte ihn überrascht an.

„Ich bin schwer verletzt und würde uns nur in Gefahr bringen.“ Tuvok blickte sich auf der Brücke um. Überall lagen Splitter von zerplatzten Computerkonsolen, Kabelstränge hatten sich aus der Decke gelöst und hingen funkensprühend herab. Einige tote Borg lagen auf dem Boden verteilt, und dazwischen Crewmitglieder, tot oder im Griff der Nanotechnik, die sie unweigerlich zu Borg assimilieren würde.

Seven dachte über den Einwand kurz nach, ehe sie wieder am Arm des Vulkaniers zerrte, diesmal mit mehr Kraft und Nachdruck. „Ihre Bitte ist inakzeptabel.“

Tuvok biss die Zähne zusammen, während er sich verbot, in einen Schockzustand zu verfallen. „Das ist ein Befehl, Seven of Nine“.

Seven hob die Augenbraue. „Irrelevant, Sie sind nicht in der Lage, Befehle zu erteilen.“

„Ich kann nicht gehen, lassen Sie mich liegen, und verschwinden Sie.“ Tuvok fühlte, wie er die Kontrolle über seine Emotionen zu verlieren drohte. Begriff die ehemalige Borg nicht, dass sie ihr Leben riskierte, indem sie sich um ihn kümmerte? Dass sie ihrer aller Leben in Gefahr brachte, wenn sie zuließ, dass sie einen schwerverletzten Mann mitschleppten? Durch die Jefferies-Röhren? Er würde sie nur aufhalten und damit zu einer leichteren Zielscheibe der Borg machen.

Seven, Tuvok, schnell!“ Chakotays Stimme dröhnte über den Kampflärm hinweg.

Die Borg traf eine Entscheidung.

Es war logisch, den Vulkanier zurückzulassen.

Es war ineffizient, mit einem verletzten Mann zu fliehen.

Es war die einzig richtige Entscheidung.

Sie packte den Vulkanier unter den Armen, zog ihn hoch und warf ihn über ihre Schulter. Er war schwer, aber sie war noch immer soweit Borg, dass ihre Körperkraft die der Humanoiden an Bord bei weitem überstieg. Sie eilte zu Chakotay und Janeway, die den Zugang zur Jefferies-Röhre noch immer verteidigten. Entsetzen spiegelte sich im Gesicht des Captains, als sie die Verletzung von Tuvok sah. Tom Paris, der bereits im Schacht saß, nahm den Vulkanier unter den Armen und zog ihn in den Schacht hinein.

Chakotay blickte sich wild auf der zerstörten Brücke um. Das Licht war ausgefallen, und die Notenergie reichte nur für ein diffuses Zwielicht. Rauch aus zerschmolzenen Computerleitungen quoll dick und träge über die Brücke, Funkenregen blitzte auf. Zwischen dem Rauch konnte man Borg sehen, sie waren nicht mehr weit entfernt.

„Verschwinden wir, Captain.“

Janeway schaute sich um. Das war ihre Brücke gewesen, jetzt glich sie einem Schlachtfeld. Würde sie je wieder im Sessel des kommandierenden Offiziers sitzen? Oder würden sie alle in wenigen Stunden ihrer Menschlichkeit beraubt werden? Borg werden? Sie blickte zu Seven, die seltsam ruhig wirkte. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, und das erfüllte Janeway mit Stolz. Sie war eine von ihnen.

„Gehen wir“, erklärte Janeway mit einem letzten Blick über die Brücke der Voyager. Chakotay stieg in den Schacht.

Ein Phaserblitz zuckte zu dem Borg, der ihnen am nächsten war, und hielt ihn auf. Mit einem Ruck riss Janeway den Kopf herum, um zu sehen, wer geschossen hatte.

Die Brücke war nur noch ein Ort des Todes und der Assimilation.

„Der Schuss kam von dort.“ Seven deutete durch den Rauch zu der Konsole, an der Harry Kim seinen Dienst verrichtete. Der Qualm ließ Janeways Augen tränen, aber sie sah, wie sich eine Hand über die Konsole hob und einen weiteren Schuss auf die vorrückenden Borg abgab. Der Weg zwischen ihm und der Jefferies-Röhre war noch frei, aber das konnte er vermutlich durch den dichten Rauch nicht sehen.

„Harry!“ Janeway taumelte, als ein Ruck durch die Voyager ging. Sie blickte zum Sichtschirm. Die Voyager war noch dichter am Borgkubus angelangt, und sie konnte sehen, wie sich dünne Kabel von dem Kubus lösten und sich ihrem Schiff näherten. Was hatte Seven gesagt? Dass sie das Schiff genauso assimilieren würden wie die Mannschaft?

„Captain!“ Harry Kims Kopf hob sich über die Konsole. Rußspuren zogen sich über das Gesicht des jungen Asiaten, Panik lag in seinen Augen.

„Kommen Sie, schnell.“ Janeway blickte zu den vorrückenden Borg. Seven hatte einen Phaser aus der Hand eines toten Ensign gewunden und schoss auf die Angreifer. Sie wechselte einen Blick mit dem Captain, beide wussten sie, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleiben würde.

„Ich kann nicht, mein Bein ist eingeklemmt.“ Harrys Stimme zitterte.

Janeway blickte zu Seven. „Gehen Sie in den Schacht, ich komme mit Harry nach.“ Sie wartete nicht darauf, dass Seven ihrem Befehl Folge leistete, sondern rannte los.

Rauch brannte in Janeways Augen, sie hörte das Zischen eines Borgdisruptors, der wie eine glühende Nadel ihren Arm streifte, und sprang mit einem verzweifelten Satz hinter die wissenschaftliche Konsole, hinter der sich Harry in Sicherheit gebracht hatte. Sie landete schmerzhaft auf den Knien und blickte in die schockgeweiteten Augen des Ensigns. Neben ihm lag ein toter Borg. Harry Kims Bein war unter einer herab gebrochenen Strebe eingeklemmt.

Janeway zog an dem Metall, es schien sich keinen Millimeter bewegen zu wollen. Harry zitterte und schnappte nach Luft.

„Ich schaffe das schon, keine Angst.“ Janeway fühlte, wie das scharfkantige Metall in ihre Hände schnitt, aber sie wollte verflucht sein, wenn sie Kim hier zurückließ. Das war ihr Schiff, das war ihre Mannschaft, und sie würde nicht ohne ihn gehen. Sie zerrte wieder mit aller Kraft an der Metallstrebe, doch sie bewegte sich nicht.

„Lassen Sie mich das machen, Captain.“ Sevens Stimme klang bestimmt.

Janeway blickte zu der blonden Frau auf, und obwohl diese wieder einen ihrer Befehle ignoriert hatte, war sie froh, die ehemalige Borg an ihrer Seite zu wissen. Sie räumte bereitwillig den Platz und warf einen Blick über die Konsole. Zwischen dem Rauch bewegten sich schwarze, hartumrissene Schemen. Hier und da zerriss ein roter Lichtstrahl den Qualm und das auf der Brücke herrschende Zwielicht.

Seven griff die Strebe und blickte zu Harry Kim. „Es wäre möglich, dass es Sie weiter beschädigt, Ensign.“

Der junge Asiate schien sie nicht wahrzunehmen, er keuchte und krallte mit den Fingern auf dem glatten Boden. Seven runzelte die Stirn. Sie wusste, was Schmerz war und dass es schwer war, dies als Humanoider zu kontrollieren, dennoch schien ihr Kims Reaktion ungewöhnlich, sie erinnerte sie fast an etwas.

Seven, heben Sie endlich diese verdammte Strebe an.“ Janeway hielt sich bereit, um Harrys Bein unter der Metallstrebe hervorzuziehen. Doch die ehemalige Borg machte keine weiteren Anstalten zu helfen. Sie blickte zu dem toten Borg an Harrys Seite. Sein Cyborgarm war von einem Phaserschuß versengt, aber die zwei biegsamen Stacheln für die Assimilation waren ausgefahren, und ein wenig Flüssigkeit glitzerte daran.

Rote Flüssigkeit.

Blut.

Seven richtete sich abrupt auf und ließ die Strebe los. „Wir müssen hier verschwinden, Captain, wir können nichts mehr für Ensign Kim tun.“

Janeway sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. „Heben Sie die Strebe an, Seven.“ Die Stimme des Captains war gefährlich leise.

„Nein.“ Seven deutete auf Harry. Seine Adern traten deutlich hervor, während er nach Luft rang und Janeway und Seven aus angsterfüllten Augen anstarrte. „Er ist assimiliert.“

„Unsinn, er ist im Schockzustand.“ Janeway zerrte an Harrys Bein, so als könne sie ihn so befreien.

„Nein.“ Sevens linke Hand umfing Janeways Handgelenk und zog ihre Hand weg. Ihre eisblauen Augen zeigten fast etwas, das man als Mitleid hätte benennen können. Aber Janeway fühlte nur Zorn, heißen und wilden Zorn. Dies war ihr Schiff, ihre Mannschaft, sie trug die Verantwortung. Sie wollte diese Wut nur zu gerne an dieser ehemaligen Borg entladen, an einer Frau, die achtzehn Jahre lang das willfährige Werkzeug dieser Rasse gewesen war.

Sie riss ihre Hand frei und zog den Phaser. „Tun Sie es, Seven.“

„Captain, sehen Sie sich ihn doch an. Er befindet sich im Assimilationszustand.“

Janeway schüttelte den Kopf, obwohl ihr Verstand wusste, dass Seven recht hatte. Sie konnte bereits die graue Färbung von Harrys Haut wahrnehmen, hier und da bewegte sich etwas unter seiner Haut, dort, wo die Nanotechnik Borgimplantate schuf.

Die ehemalige Borg blickte den Captain an. „Wir können ihm nicht mehr helfen, aber wenn wir noch länger bleiben, dann werden wir selbst assimiliert werden.“

Der Phaser in Janeways Hand zitterte. „Wir können ihn mitnehmen, und wenn wir den Holodoc finden, kann er...“.

Sevens Hand schoss vor und wischte mit einem Schlag den Phaser aus Janeways Hand.

„Wir haben keine Zeit, kommen Sie freiwillig mit, oder ich werde Sie niederschlagen und zum Schacht tragen. Auf keinen Fall nehmen wir einen Borg mit in den Schacht!“ Sie deutete auf Harry Kim.

Janeway wusste, dass Seven recht hatte, sie wollte es nur nicht wahrhaben. Sie blickte in die schockgeweiteten Augen des Ensigns, berührte seine Stirn, fühlte, wie sich unter der Haut etwas bewegte. Stumm bat sie ihn mit ihren Augen um Verzeihung und stand auf.

Ein Disruptorblitz zuckte über die Konsole und traf Seven an der Schulter, die blonde Frau wurde gegen die Wand geschleudert, während Energie über ihren Körper leckte und ihr borgeigenes Körperschild zum Aufflackern brachte. Ein weiterer Treffer ließ eine Teil der Wand neben ihr explodieren. Metall kreischte ohrenbetäubend, als sich weitere Deckenstreben lösten und die ehemalige Borg unter sich begruben.

Seven!“ Janeways Schrei war das einzige noch menschliche Geräusch auf der Brücke. Sie rannte zu den herab gebrochenen Streben und zog die losen Teile weg. Blut floss unter dem Plastik und Metall hervor.

„Widerstand ist zwecklos.“ Die unmenschlich kalte Stimme ließ Janeway herumwirbeln. Ein nahezu nachlässiger Schlag eines Cyborgarmes traf ihren Kopf, schleuderte sie dennoch einige Meter über den Boden. Ihr Bewusstsein flackerte auf wie eine Flamme in einem Wirbelsturm. Sie sah, wie die Borg ohne Mühe die Strebe von Harry Kims Bein emporhoben und wegschleuderten. Blut tropfte in ihre Augen, verklebte die Wimpern.

Sie sah, wie die Borg näher rückten, während sich ihr Blickfeld immer mehr verengte. Die Dunkelheit nahm immer mehr Raum ein, während Arme sich nach ihr ausstreckten. Aber es waren keine warmen, menschlichen Arme, die tröstende Umarmung versprachen, es waren kalte, harte, scharfe Borgarme, und in ihrer Umarmung war nur das Ende aller Gefühle und Gedanken zu finden. Janeways Bewusstsein verlosch in Dunkelheit, noch ehe die Borg sie berührten.

Chakotay hatte durch den Rauch nicht sehr viel sehen können, aber genug, um zu wissen, dass Seven und Janeway nicht mehr zurückkommen würden. Schmerz und Trauer verzerrte sein Gesicht, dann griff er nach der Abdeckplatte und zog sie hinter sich zu.
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