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Straße der Heilung

von Emony

Kapitel 1

Dichter Nebel war über Nacht vom Meer heraufgezogen, ließ einen Teil der Stadt und vor allem auch die Golden Gate Bridge beinahe vollkommen verschwinden. Für gewöhnlich mochte Leonard die Natur und auch den Nebel, selbst wenn dieser nicht ganz ungefährlich war. Bei starkem Nebel ereigneten sich oft Unfälle – er hatte zahlreiche Unfallopfer während seiner Kadettenjahre an der Akademie behandelt – und es gab genug Gruselgeschichten, die selbst ihm hin und wieder – in einem Moment der Schwäche – eine Gänsehaut bescherten. Dennoch mochte er den Nebel grundsätzlich, fand ihn sogar beruhigend.

Allerdings empfand er den Nebel im Moment eher hinderlich, da er versuchte seinen Freund zu finden, der sich seit seiner Entlassung aus der Krankenstation zunehmend zurückgezogen hatte. Er hatte Jim vorgeschlagen sich mit einem Counselor zusammenzusetzen, um die Ereignisse der letzten Wochen aufzuarbeiten, aber Jim war ein sturer Bock und glaubte, wie mit allem anderen, allein damit klarkommen zu müssen.

Jim hatte seinen Mentor verloren und sich letztlich selbst für seine Mannschaft geopfert. Er war gestorben und durch Khans Blut, das jetzt durch seinen Kreislauf zirkulierte, von Leonard wieder zum Leben erweckt worden. Das waren Dinge, denen Jim sich augenscheinlich nicht stellen wollte. Und Leonard wusste nur zu gut wie ungesund es war, traumatische Erlebnisse zu ignorieren. Sie würden Jim auf ewig verfolgen und belasten.

„Verdammt“, fluchte der Arzt und wedelte mit den Händen, als könne er damit den Nebel vertreiben, natürlich war das vergebens und insgeheim wusste er das auch. Er zückte seinen Kommunikator und klappte ihn auf. „McCoy ruft Captain Kirk.“ Ganz automatisch blieb er stehen und lauschte in die Stille der Morgendämmerung. In der Ferne färbte sich der Horizont allmählich zartrosa. Es würde nicht mehr lange dauern bis die Sonne aufging. Leonard hatte seit zwei Tagen nichts mehr von Jim gehört, daher hielt er es nicht mehr aus zu warten, und zu hoffen, dass er sich irgendwann melden würde.

„Jim, verdammt! Wenn du mich hörst, dann antworte mir.“ Jim war sehr oft zum Pier gegangen, als sie noch gemeinsam an der Akademie studiert hatten. Er hatte es genossen zuzusehen, wie die Küste langsam zum Leben erwachte und wie sich der Nebel zurückzog. Leonard hatte ihm hin und wieder Gesellschaft dabei geleistet, wenn seine Schichten auf der Krankenstation es zugelassen hatten. Meistens war Jim jedoch ganz allein hierhergekommen.

Es war auch nicht auszuschließen, dass Jim gar nicht hier war und er sich irrte, diese Möglichkeit schloss er jedoch aus. Er war sich ziemlich sicher, Jim gut genug zu kennen, um zu wissen, dass es ihn an den Pier verschlagen hatte.

„Jim …“ Er hielt den Kommunikator dicht an seinen Mund. Seine Sichtweite betrug kaum zehn Meter. „Rede mit mir, Jim. Ich sehe doch, dass die Leitung offen ist. Wo bist du?“

Es knisterte, dann hörte er ein Räuspern und Leonard war, als fiele ihm ein Stein vom Herzen.

„Jim, geht es dir gut? Bist du verletzt?“ Dass Jim irgendwo verletzt herumlag, war nicht auszuschließen, auch damit hatte Leonard im Verlauf ihrer Freundschaft – sehr zu seinem Leidwesen – mehr als einmal Erfahrung gemacht. „Bitte antworte mir.“

Es fiel Leonard schwer irgendwas zu hören, außer seiner eigenen Schritte auf dem Asphalt. „Verdammt nochmal, Jim, wieso sagst du denn nichts?“ Er sah sich nach allen Richtungen um, in der Hoffnung irgendwo zumindest die Silhouette einer Person wahrzunehmen, die Jim sein könnte, aber der Nebel war undurchdringlich.

Die Bank, von der aus Jim so gerne die Sonne aufgehen sah, war nicht mehr weit entfernt. Leonard konnte sie noch nicht sehen, aber er war oft genug hier gewesen, um den Standort genau zu kennen. Er kannte die Strecke dahin auswendig und beschleunigte seine Schritte. Die Straßenlaternen gingen allmählich aus, während der Himmel ein zunehmend tieferes Violett annahm.

„Ich mache mir Sorgen um dich“, sprach Leonard weiter in das Gerät. Seine Finger waren bereits ganz Rot von der Kälte an diesem Herbstmorgen. Zudem fror Leonard zunehmend, obwohl er eine recht dicke Jacke trug. In Georgia war es um diese Jahreszeit nie so kalt. Jim war die Kälte vermutlich eher gewohnt, aber auch er sollte – besonders in seiner derzeitigen Verfassung – nicht stundenlang in dieser feuchten Kälte sitzen.

„Bitte, Jim …“ Für gewöhnlich schrie er seinen Freund an, fluchte und schimpfte, wenn dieser sich stur stellte und ihm auf die Nerven ging, aber Leonard hatte so ein Gefühl, dass Jim jetzt eher einen einfühlsamen Freund brauchte, als einen der ihm den Kopf wusch.

Die Leuchtdiode, die eine offene Verbindung anzeigte erlosch plötzlich. Frustriert klappte Leonard den Kommunikator zusammen, dann sah er sich abermals um. Direkt geradeaus konnte er ganz vage die Bank erkennen, von der aus man direkt die Golden Gate Bridge und das Meer im Blick hatte. Nun ja, wenn nicht gerade dichter Nebel alles verschlang, so wie an diesem Morgen.

Und dann sah er Jim. Leonard seufzte, beschleunigte seine Schritte erneut und blieb dann unmittelbar hinter der Bank stehen, auf der Jim saß. Sein erster Impuls war es ihn zu schimpfen, aber Jim war kein kleines Kind mehr, auch wenn er sich gerne wie eines benahm, oder zumindest wie ein ungezogener Teenager. Diese letzte Mission hatte seinen Freund sehr verändert, und so sehr er sich auch oft gewünscht hatte, Jim würde endlich verantwortungsvoller und reifer werden, so vermisste er den alten Jim plötzlich sehr. Da war nichts mehr von der alten Unbeschwertheit geblieben, dafür Jim zu viel erlebt.

Behutsam legte er seinem Freund die rechte Hand auf die Schulter. „Darf ich mich zu dir setzen?“

Jim nickte schwach, sah Leonard jedoch nicht an. Der Arzt ging um die Bank herum, betrachtete das Gesicht seines Freundes für einen langen Moment – sah Spuren von Tränen auf dessen Wangen – und setzte sich schließlich links neben ihn. „Du bist stark unterkühlt, Jim.“ Noch während er sprach, zog er seine Jacke aus, die er seinem Freund um die Schultern legte. Es spielte keine Rolle, dass er selbst fröstelte. Jims Lippen waren bereits bläulich, was Leonard verriet, dass er schon seit Stunden hier in der Kälte sitzen musste.

„Warum kommst du nicht zu mir, wenn dich was bedrückt, Jim? Ich bin dein Freund.“ Jim reagierte kaum darauf, dass Leonard versuchte ihn zu wärmen. Es war fast so, als nähme er die Gegenwart des anderen Mannes kaum wahr. „Bitte, Jim, rede mit mir.“

„Wer bin ich, Bones?“

Leonards Herz setzte im ersten Schreckmoment einen Schlag aus, doch dann besann er sich wieder. „Du bist mal wieder der Held, der die Welt gerettet hat.“ Ein erzwungenes Lächeln huschte für den Bruchteil einer Sekunde über seine Züge.

„Bin ich das?“ Jims Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Ja, das bist du.“

„Ich fühle mich nicht so. Ich fühle mich so leer und matt, als wäre ich …“ Er hielt inne und blickte stur aufs Meer hinaus.

„Als wärst du was, Jim?“, hakte Leonard behutsam nach.

„Als wäre ich immer noch tot. Das alles fühlt sich so unwirklich an, wie ein schlechter Traum, aus dem ich nicht mehr erwachen kann. Wenn ich in den Spiegel sehe, ist es als fehle ein Teil von mir. Als wäre ich nicht mehr vollständig, nicht mehr ich selbst. Ich fühle mich nicht, wie ein Held.“

Leonard schluckte schwer. Jim hatte immer ein Held werden wollen, so wie sein Vater. Pike hatte ihn dazu herausgefordert und Jim hatte sich darauf eingelassen. Allerdings hatte Pike damit gewiss nicht erreichen wollen, dass Jim – genau wie sein eigener Vater – auf dem Weg zum Heldentum sein Leben ließ. „Ich bin kein Counselor, Jim. Aber ich denke, dass dieses Gefühl normal ist, wenn man, wie du … wenn …“ Ihm war plötzlich, als schnüre ihm eine imaginäre Hand den Hals zu. Als Jim gestorben war und tot zu ihm auf die Krankenstation gebracht wurde, hatte Leonard sich zum ersten Mal in seiner Zeit als Arzt vollkommen machtlos gefühlt. Nein, nicht machtlos, sondern ohnmächtig. Und genauso fühlte er sich jetzt wieder, da er an diesen schrecklichen Moment zurückdachte.

„Wenn man gestorben ist?“, half ihm Jim auf die Sprünge, doch diesmal lag kein bisschen Spott in seiner Stimme, wie Leonard es ansonsten von seinem Freund gewohnt war.

„Ja.“ Leonards Stimme klang selbst in seinen Ohren rau und belegt, daher räusperte er sich. Jim war nicht der einzige mit einem Trauma, aber er hatte definitiv das schlimmste von allen erlitten. „Schließ mich nicht aus, Jim. Lass mich dir helfen.“ Leonard sah seinen Freund durchdringend an. „Ich bin immer für dich da, das weißt du hoffentlich.“

Jim schloss für einen Moment die Augen und als er sie wieder öffnete, sah er Leonard direkt an. Tränen der Dankbarkeit verschleierten seinen Blick. „Ich weiß, Bones.“

Für einige Augenblicke sahen sie einander schweigend an, dann legte Leonard ihm den rechten Arm um die Schulter und zog ihn zu sich heran. „Komm her …“ Nie zuvor hatte Leonard so viel Unsicherheit in Jims Blick gesehen, das brach ihm beinahe das Herz. Es gab nichts, das er nicht für seinen Freund tun würde und irgendwie musste es ihm gelingen, Jim das klarzumachen. Er spürte wie Jim die dargebotene Geborgenheit dankend annahm, als dieser sich an Leonards Schulter schmiegte.

Die Straße der Heilung war eine lange und beschwerliche, doch Leonard war fest entschlossen, Jim auf seinem Weg zu begleiten.
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