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Asche 11 - Tag der Wahrheit

von Gabi

Kapitel 3

Ihr Blick suchte nach dem Kommunikator, doch sie hatte ihre Uniform früher am Abend gegen bequemere Kleidung getauscht. Das hilfeversprechende Gerät lag auf ihrem Nachttisch, eine im Augenblick unüberwindbare Distanz von ihr entfernt.

Kira wich zurück so gut es ging, doch sie hatte nicht viel Spielraum. Schon spürte sie die sanfte Manipulation, derer sie auch in Shakaars Gartenhaus erlegen war. Sie musste hier heraus, bevor es ihm gelang, sie völlig unter seine Macht zu bringen.

„Was willst du von mir?“ Jahrelanges Training im Kommandieren anderer Leute verliehen ihrer Stimme auch jetzt die gewünschte Autorität.

Die cardassianische Erscheinung – sie wusste nicht, ob sie von dem Eindringling als Dukat oder als pah wraith denken sollte – lächelte. Es war ein siegessicheres, herablassendes Lächeln, das sie ihm gerne aus dem Gesicht geprügelt hätte. Doch sie wagte es nicht, ihn zu berühren, sie hatte keinerlei Vorstellung, was dann passieren könnte.

„Alles.“ Er trat einen gelassenen Schritt vor, was Kira noch weiter an die Wand zurücktrieb. „Du hast es nie begriffen, aber wir haben von Anbeginn an zusammengehört. Unser beider Schicksal ist miteinander verflochten. Ich habe es akzeptiert, du hast es bekämpft. Es wird Zeit, dass du den Platz einnimmst, der dir bestimmt ist.“

Dukat – jetzt konnte sie dem Mann eine eindeutige Bezeichnung geben. Sie glaubte nicht, dass die pah wraith an einer einfachen Bajoranerin wie ihr Interesse zeigten. Doch der Cardassianer hatte schon immer ein perverses Verlangen nach ihr verspürt. Nun nutzte er die neue Macht, um sie endgültig in die Knie zu zwingen.

Sie spürte die Struktur des Glaubenszeichens in ihrem Rücken und wünschte sich, daraus Kraft ziehen zu können. Helft mir, flehte sie wortlos, helft mir irgendwie.

„Du weißt, dass ich das niemals tun werde“, bemerkte sie so ruhig wie möglich. „Mein Glaube ist zu stark, um von dir unterworfen zu werden.“

Das amüsierte Lachen ärgerte sie.

„Das ist etwas, was ich besonders an dir schätze, dein Sinn für Humor, Nerys.“

Sie hasste es, wenn er ihren Vornamen benutzte. Er klang aus seinem Mund so fremd, so besitzergreifend ... so sanft. Vehement schüttelte sie ihren Kopf. Sie wollte das aufkeimende Gefühl niederkämpfen, das er ihr suggerierte.

„Warum wehrst du dich?“ Er tat noch einen Schritt auf sie zu, ihr waren die Rückzugsmöglichkeiten ausgegangen. „Du weißt, dass du keine Chance gegen mich hast. Ergib dich mir. Du wirst Befriedigung erfahren wie du sie noch nie in deinem kurzen Leben gekannt hast. Komm her“, jetzt streckte er einen Arm nach ihr aus, „auf dich wartet Macht, wie du sie dir nicht einmal vorstellen kannst.“

„Niemals!“ Sie griff nach dem noch stehenden Kerzenständer und schlug die Flamme in das Gesicht des näherkommenden Manns, dann begann sie auf die Tür ihres Schlafzimmers zu zu rennen.

Doch eine Macht, die Jahrtausende in den Feuerhöhlen zugebracht hatte, war nicht mit einer Kerzenflamme einzuschüchtern. Noch bevor sie zwei Schritte weit gekommen war, wurde ihr Handgelenk gepackt.

Sie schrie auf, nicht vor Schmerz, sondern vor Verzweiflung. Die Berührung jagte Flammenzungen ihre Nervenbahnen entlang. Entsetzlich verführerische Gefühle begannen, von ihrem Körper Besitz zu ergreifen. Sie schlichen sich gemächlich über ihre Haut, unter ihre Haut, überall hin. Ihr Wille, sonst so stark und unbeugsam, fand sich einer unüberwindbaren Macht gegenüber. Sie konnte Hiebe verteilen, doch es würde ihr nicht gelingen zu verletzen. Sie war nur eine Sterbliche ... Propheten, warum helft ihr mir nicht?

Während ihre Kraft langsam nachließ und sie vor dem Cardassianer in die Knie sank, starrten ihre verzweifelten dunklen Augen in die triumphierenden des Mannes.

„Mein.“

Sie wusste, was ihr nun bevorstand, und es gab nichts, was sie dagegen unternehmen konnte.

Etwas in ihr bekam einen Riss.

* * *


Kasidy Yates sprang vom Sofa auf, als sie das Türsignal hörte. Sie hatte dort gesessen, seit Vedek Gawen sie verlassen hatte. Unbewusst hatte sie ein Kissen an sich gedrückt, während sie das Gespräch immer und immer wieder in ihrem Geist Revue passieren ließ. Sie hatte nicht gewagt, auf die Promenade zu gehen, um nach ihrem Sohn zu suchen, für den Fall, dass Bareil ihn in ihrer Abwesenheit zurückbrachte. So hatte sie nur da gesessen und ihre Sorgen genährt.

Nun rief sie kein ‚herein‘, sondern lief selbst zur Tür hinüber, um sie über die Sensorplatte zu öffnen.

Bareil hatte noch nicht einmal die Gelegenheit, den Mund zu öffnen, da hatte sie ihm schon Jeremiah vom Arm genommen.

„Wissen Sie, wie spät es ist?“ fuhr sie den verblüfften Mann an.

„Ich ...“

„Das ist verantwortungslos, Antos. Ich dachte, ich könnte mich auf Sie verlassen!“

„Aber ...“

„Was haben Sie sich dabei gedacht?“

Bareil merkte, dass sie im Begriff war, die Tür vor seiner Nase zu schließen. Er griff nach ihrer Schulter. Einen Augenblick sahen sie sich schweigend an. Was er in den Augen der Terranerin lesen konnte, gefiel ihm nicht.

„Es tut mir leid, dass ich die Zeit vergessen habe“, erklärte er leise. „Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Nein, das wird es nicht.“

Es musste mehr dahinterstecken als der Umstand, dass Bareil Jeremiah zu spät zurückgebracht hatte. Der Bajoraner hatte das Gefühl, von einem wichtigen Gespräch ausgeschlossen worden zu sein. Yates hatte eine Mauer vor ihm aufgezogen.

Sie musste das Unverständnis in seinen Augen gelesen haben. Für einen Moment wurde ihr Blick weicher, für einen Moment erwägte sie, dem Vedek nicht zu glauben.

„Sagen Sie mir eins, Antos, sind Sie der Meinung, dass mein Sohn Kräfte hat, von denen Sie mir nichts erzählt haben?“

Bareil konnte den Schreck nicht rechtzeitig überspielen. Er fühlte seine Hand fortgestoßen, und dann fand er sich auf der ausschließenden Seite einer geschlossenen Tür wieder.

Seufzend lehnte er sich an die gegenüberliegende Wand zurück und sank langsam in die Hocke. Was war eben passiert? Es war zu schnell gegangen, als dass er darauf reagieren konnte. Er hatte sie doch nur vor Sorgen um ihren Sohn bewahren wollen. Er hätte es ihr gesagt, wenn er gewusst hätte, was eigentlich los war. Er hätte den heutigen Abend mit ihr besprechen sollen, aber wie hätte er ihr erklären sollen, dass Kai Sarius bei Jeremiah gewesen war?

Er schüttelte den Kopf. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass er sehr wohl ihr Vertrauen missbraucht hatte. Doch er hatte niemanden verletzen wollen, er hatte doch nur ...

Bareil legte den Kopf auf die Knie. Ganz gleich, was er anfing, er machte immer alles falsch. Jedes Mal, wenn er so etwas ähnliches wie eine Zugehörigkeit zu jemandem aufgebaut hatte, ruinierte er sie durch seine Unachtsamkeit wieder.

Frustriert schlug er eine Faust gegen den Boden. Kasidy Yates war die einzige Person auf dieser Station, die ihn willkommen geheißen hatte, warum nur ...? Jemand musste ihr von Bareils Vermutungen erzählt haben, jemand ...

Sein Kopf schoss in die Höhe. Er hatte darüber lediglich mit Kira und dem Kai gesprochen. Und der Kai würde sicherlich nicht Captain Yates ins Vertrauen ziehen. Kira ...

Er sprang auf. Sie hatte ihm erklärt, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte, aber es war ihm nicht klar gewesen, dass sie ihn so sehr hasste, dass sie ihm den Halt nahm, den er hier gefunden hatte. Warum tat sie ihm das an? Er hatte sich so sehr bemüht, seit er auf dieser Seite angekommen war. Es war nicht gerecht. Niemand konnte erwarten, dass er innerhalb eines Tages zu einem Heiligen wurde. Es musste doch auch etwas zählen, dass er sich bemühte.

Bareil begann, den Korridor zu den Offiziersquartieren hinunter zu rennen.

Es war nicht gerecht.

* * *


Jede Faser ihres Körpers brannte nun. Sie begann die Macht zu ahnen, von der Dukat gesprochen hatte, doch sie wehrte sich dagegen, so gut es ihr noch möglich war. Schicht um Schicht hatte er ihr Inneres freigelegt, hatte Räume betreten, die für jeden versperrt waren, hatte Ängste und Sehnsüchte empor geholt.

Er spielte mit ihr, demonstrierte seine Macht über sie, beruhigte und besänftigte sie, um sie gleich darauf wieder aufzuwühlen.

Und alles, was sie tun konnte, war ihn hilflos anzustarren, wie er ihren Körper und ihre Seele mühelos in Besitz nahm. Sie hatte nie gewusst, wie leicht ihr Wille zu brechen war, wie unbedeutend all das war, was sie wollte.

Er kniete sich nun ebenfalls vor sie nieder. Wie in Zeitlupe sah sie, wie sein anderer Arm sich hob. Sie wollte nicht wissen, zu was er fähig war, wenn beide Hände sie berührten.

Tränen liefen über Kiras Wangen, als er jedes Selbstverständnis, das sie von sich gehabt hatte, mit einer kaum merklichen Handbewegung als irrelevant fortwischte.

Der Türsummer erklang.

Sie schrie. Schon längst begrabene Hoffnung begann wieder in ihr zu glimmen. Sie war nicht allein, wer immer auf der anderen Seite der Tür stand, konnte ihre Seele retten.

Der Cardassianer hatte überrascht über ihren Ausbruch losgelassen. Sie war zu schwach, um vor ihm fortzurennen, doch wenn sie es schaffte, bevor er sie wieder berührte ...

Sie schrie erneut auf und die Verzweiflung gab ihr die Fähigkeit, irgendwo in diesem unartikulierten Laut ein ‚Herein‘ hervor zu pressen, welches der Computer als Anweisung zum Öffnen der Türen verstehen konnte.

Sie konnte die Frustration des Cardassianers spüren.

Bareil stürmte ins Zimmer.

„Das ist nicht fair. Wenn du mich so sehr hasst, dann werde ich dich in Ruhe lassen – aber das gibt dir kein Recht, meine Zukunft zu ...“

Der Bajoraner hielt in seinem Zorn inne, als die Information, die seine Augen aufgenommen hatten, endlich in seinem Gehirn ankam.

Kira lag im Durchgang zu ihrem Schlafzimmer auf dem Boden. Tränenspuren hatten sich in ihr Makeup gefressen, ihre linke Hand zuckte unregelmäßig. Es war nicht ersichtlich, ob sie bei Bewusstsein war.

„Nerys!“ Erschrocken kniete er sich zu ihr hinunter. All das, was er ihr an den Kopf hatte werfen wollen, war vergessen. Behutsam nahm er sie in den Arm. „Nerys, was um alles in der Welt ist passiert? Nerys ...“ Er wiegte sie um gleichsam sowohl sie als auch sich selbst zu beruhigen.

Was sollte er jetzt tun? Er musste die Krankenstation benachrichtigen – doch dann vergab er eine Möglichkeit, bei ihr und für sie da zu sein. Doch wenn er es nicht tat, und ihr dadurch etwas Ernsthaftes zustieß? War er schon wieder im Begriff, etwas völlig falsch zu machen?

„Nerys ...“ Er strich ihr Haar aus dem Gesicht zurück. „Was ist bloß passiert?“

Als er mit dem Finger die Tränen fortwischte, sah sie auf. In ihren Augen konnte er den Schrecken ahnen, den sie durchlebt hatte.

„Antos?“ Ihre Hand klammerte sich um seinen Arm. „Bist du das?“

Er nickte und wagte es, ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn zu geben.

„Halt mich fest, lass mich nicht allein, lass mich bloß nicht allein!“

Er lächelte traurig. Das war eine Bitte, der er nichts mehr hinzuzufügen hatte. Er erhob sich, nahm sie auf den Arm und trug sie zu ihrem Bett hinüber. Dort streifte er ihre und seine Stiefel ab und setzte sich auf die Matratze. Mit einem leisen Seufzen zog er Kira in seine Umarmung, strich die Decke über ihr glatt und begann sie mit ruhigen, nichtssagenden Sätzen in ein restlos erschöpften Schlaf zu wiegen.

* * *


„Ich denke, das Problem Bareil hätten wir gelöst.“ Gawen brauchte sich nicht umzuwenden, um sich die Gegenwart seines Meisters zu bestätigen. Er sprach die Wand an, vor der er gesessen und gelesen hatte. „Jeremiahs Mutter wird ihm nicht mehr ohne weiteres ihren Sohn anvertrauen.“

Gut ...

Nun drehte sich der Vedek doch um. Die Stimme des Kost Amojan wirkte ungewöhnlich abgelenkt.

Die Erscheinung lehnte neben der Quartierstür. Seinem Gesicht fehlte die übliche Überlegenheit.

Es gefiel dem Vedek nicht. „Was ist passiert? Ich hatte erwartet, von Euch noch gestern Nacht etwas zu hören.“

Der pah wraith winkte ungeduldig ab. „Diese Form hier muss ein Ende haben.“ Seine Augen begannen zu glühen. „Ich bin es leid, nur mit einem Teil meiner mir zustehenden Kraft ausgestattet zu sein

Gawen lehnte sich im Stuhl zurück und beobachtete den Kost Amojan. Im Augenblick hatte dieser nichts Erschreckendes, Gehorsamgebietendes an sich. Etwas oder jemand hatte ihn ganz offensichtlich aus der Fassung gebracht. In dem Vedek meldete sich ein kleiner Gedanke zu Wort, ob diese Macht es wirklich wert sei, ihr zu dienen. „Das soll sich ja angeblich ändern, wenn wir das Buch finden.“

Der pah wraith fixierte ihn. „Ich hoffe, ich habe gerade nicht den Tonfall in deiner Stimme gehört, den ich glaube gehört zu haben.“ Von innen heraus begann der Cardassianer zu glühen und sich Stück für Stück in die flammengebietende Gestalt zu verwandeln, als welche er Gawen zum ersten Mal begegnet war. „Dass ich noch zu schwach bin, mehrere Personen unter meinen Willen zu zwingen, heißt nicht, dass ich es bei einer einzelnen nicht kann.“

Der Vedek spürte den unsichtbaren Stoß, der ihm die Luft aus den Lungen trieb. Erschrocken sprang er auf, um dann mitsamt dem Stuhl umzufallen. „Hört auf ...“, röchelte er. „Meister!“

Ich dulde keinen Ungehorsam. Das sollst du wissen.

„Ich weiß ...“ Als Gawen wieder frei atmen konnte, erhob er sich vorsichtig vom Boden. „Ich weiß.“

Ich habe die Nacht damit verbracht, das Buch zu erspüren“, informierte der Kost Amojan ihn, nachdem die Haltung des Vedek wieder demütig genug war. „Ich glaube, ich weiß jetzt, wo du es finden kannst.“

* * *


Er hatte die Nacht über kein Auge zugemacht. Kiras Schlaf war so unruhig, dass sie ihn ohnehin immer wieder aufgeweckt hätte. Die Frau schien sich in einer privaten Hölle zu befinden und Bareil befürchtete, dass sie die Nacht kein bisschen ausgeruht hatte.

Gegen Morgen war ihr Schlaf ruhiger geworden, und seit zwei Stunden saß er einfach nur da und beobachtete die Züge der Frau, die in seinem Schoß schlief. Er wollte sie so gerne streicheln, doch er befürchtete, dass er sie mit der Berührung aufwecken würde. Und er hatte momentan kein Bedürfnis danach zu erleben, wie Kiras Reaktion ausfallen würde, wenn sie erkannte, bei wem sie die Nacht verbracht hatte.

Schließlich senkte sich seine Hand aber doch auf ihr Haar herunter. Es war so weich und seidig, wie es durch seine Finger glitt. Er seufzte leise.

Kira schlug die Augen auf. Für den ersten Augenblick hatte sie keinerlei Ahnung, wo sie sich befand. Sie erinnerte sich klar und deutlich an die Heimsuchung der letzten Nacht, an die Demütigung, die Verzweiflung.

Sie hob ihren Kopf. Der Mann in ihrem Bett war nicht Dukat. Sie atmete ihre Erleichterung hörbar aus. Sie war noch nie so erfreut gewesen, diese Version von Bareil zu sehen.

Der Mann saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und beobachtete sie abwartend. Sie konnte ihm ansehen, dass er mit einer Anfuhr rechnete.

Langsam erhob sie sich von seinem Schoß. Sie betrachtete ihn, sie betrachtete sich. Sie waren beide völlig bekleidet.

„Du hast die letzte Nacht nicht ausgenutzt?“ fragte sie schließlich. Ihre Stimme zitterte als Nachwirkung des Schreckens, den sie erlebt hatte.

Den überraschten Ausdruck in seinem Gesicht ordnete sie unter ‚echt‘ ein. „Bei deinen Propheten, Nerys! Das würde ich niemals tun!“

„Gut“. Sie nickte gedankenverloren, während sie sich völlig im Bett aufsetzte. Sie wandte Bareil nun den Rücken zu. Mit beiden Händen fuhr sie sich durch die Haare. Was genau war passiert? Wie hatte es überhaupt passieren können? Warum war sie so schwach gewesen? Sie merkte, dass ihre Hände zitterten und presste sie gegen ihre Schläfen.

„Nerys?“ Die leise Stimme hinter ihr machte ihr Bareils Gegenwart wieder bewusst, die sie beinahe schon vergessen hatte. „Was ist geschehen?“

Sie schnaubte resigniert. Ihre Hände lösten sich in einer hilflosen Geste von ihrem Gesicht, ihre Schultern zuckten leicht. „Er wollte mich ... er hat mich ...“ Mehr brachte sie nicht über ihre Lippen. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. „Ich will nicht darüber sprechen ... noch nicht.“

Sie wandte den Kopf und nun konnte Bareil sehen, dass sich in ihren Augen erneut Tränen gesammelt hatten. Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln, welches den Mann selbst an einem eisigen Tag gewärmt hätte.

„Ganz gleich, was ich sonst von dir denke, Antos. Du hast mir gestern Nacht das Leben gerettet, das werde ich nicht vergessen.“

Sie berührte leicht seine Hand.

* * *


„Wer sind Sie?“ Vash sah sich einem bajoranischen Vedek gegenüber, nachdem sie den Besucher in ihr Quartier gelassen hatte. Sie befand sich nicht gerne in Gegenwart dieser Geistlichen. Nicht, weil sie etwas gegen deren Religion gehabt hätte. Religion war kein Punkt, der sie jemals interessiert hatte, wenn es nicht in Form von greifbaren Artefakten war. Doch seit ihrer ‚Beihilfe‘ bei der Freilegung von Teilen B’halas erwartete sie irgendwie stets, dass einer von ihnen herausfand, was sie alles hatte verschwinden lassen.

„Vedek Gawen“, stellte sich der dunkelhaarige Mann vor. Sein Lächeln machte deutlich, dass er etwas von ihr wollte.

„Und?“ Geduld war keine besondere Stärke der Terranerin, eine überraschende Eigenschaft für eine Archäologin.

„Wie ich sehe, liegt Ihnen nichts an höflicher Konversation. Also möchte ich gleich zum Punkt kommen.“

„Ich bitte darum, meine Zeit ist kostbar.“ Vash ließ sich betont gelangweilt in einen Sessel fallen.

„Ich suche ein Buch, von dem ich Grund habe anzunehmen, dass es sich in Ihrem Besitz befindet.“

„Ein Buch ...“ Sie ließ sich nichts anmerken. „Was für ein Buch?“

Die Augen des Vedek suchten den Raum ab. „Eigentlich nichts Weltbewegendes. Es hat für meinen Orden aber einen traditionellen Wert. Im Prinzip ist es auch weniger ein geschriebenes Buch als vielmehr ein Notizbuch.“ Er beobachtete ihr Gesicht. „Es hat nur leere Seiten.“

Vash betrachtete ihn gleichgültig. „Und was gibt Ihnen die Idee, dass ich es hätte?“

„Nennen Sie es eine Eingebung.“

„Die muss Sie leider getäuscht haben.“

„Ich werde selbstredend dafür bezahlen.“

Jetzt besaß er die Aufmerksamkeit der Archäologin. „Das ist natürlich eine völlig neue Sachlage. Was bieten Sie dafür?“

Gawen lächelte. „Was verlangen Sie?“

Vash überlegte. Sie hatte das Gefühl, dass sie dieses Buch blockierte, seit es sich in ihrem Besitz befand. Sie glaubte dem Vedek nicht, dass es sich lediglich um ein Jahrtausend altes Notizbuch handelte. Doch hatte sie nicht schon längst mit dem Gedanken gespielt, es loszuwerden, um endlich ihrer Wege ziehen zu können.

„10.000. Ich weiß, dass es sehr viel mehr wert ist, aber ich weiß auch, dass die bajoranischen Orden nicht in Geld schwimmen.“ Sie lächelte. „Manchmal habe ich dieses entsetzlich weiche Herz.“

Der Ausdruck auf dem Gesicht des Bajoraners änderte sich nicht. „Einverstanden. Aber zuerst würde ich gerne sehen, dass Sie es wirklich haben.“

Vash erhob sich. Sollte es so einfach sein? Sie traute dem Vedek nicht über den Weg. Sie wusste aus Erfahrung, dass die bajoranischen Klöster keine Gelder hatten, um Artefakte zurückzukaufen. Ohne ihm den Rücken zuzuwenden ging sie zu ihrer Reisetasche, deren einziger Inhalt nach wie vor das schwere Buch war.

Sie bückte sich, um es herauszuheben. Spielten ihre Augen ihr einen Streich, oder hatte es tatsächlich leicht zu glühen begonnen? Etwas irritiert legte sie es auf dem Wohnzimmertisch ab.

„Sie haben das Schloss aufgebrochen“, bemerkte der Vedek, der sich zurückhalten musste, das Buch zu berühren. Auch wenn er es selbst noch nie gesehen hatte, wusste er sofort, was er vor sich hatte. Niemals hatten sie vermutet, dass es mehr als eine Abschrift des Kost Amojan gab. Sein Meister hatte Recht. Vor ihm lag der Schlüssel zur Neuordnung dieses Sektors. Und die Frau hatte nicht die geringste Ahnung, welche Macht sie beherbergte.

„Das dürfte ja wohl zu einer Preisminderung führen.“

„Vergessen Sie es.“ Vash stützte die Hände in der Hüfte auf. „10.000 oder gar nichts.“

„Sie sind eine harte Geschäftsfrau.“ Gawen trat näher, um das Buch in Augenschein zu nehmen. Er verabscheute das, was er als nächstes zu tun hatte, doch sie ließ ihm keine andere Wahl. „Doch leider weiß ich nicht, wo ich das Geld auftreiben sollte.“

Das Messer befand sich so schnell in seiner Hand, dass Vash keine Zeit blieb zu reagieren. Ein tonloser Laut entrang sich ihrem Mund, als die scharfe Klinge ihr schutzloses Fleisch traf. Mit auf den Bauch gepressten Händen sank sie auf einen Sessel zurück. Ungläubig starrte sie den Vedek an, der, als sei nichts geschehen, nun den schweren Einband des Buches anhob.

Gawen sah nicht zurück. Es lag nicht in seiner Natur zu töten, er wollte nicht den Blick der sterbenden Frau sehen. Er wollte vergessen, was er eben getan hatte. Mit zitternder Hand hob er das Messer über die erste leere Seite. Langsam formte sich an dessen Spitze ein einzelner Tropfen roten Blutes, schwoll durch nachlaufende Flüssigkeit an, glitzerte kurz im Licht des Quartiers und gab dann der Schwerkraft nach.

„Wollten Sie nicht immer wissen, worin das Geheimnis des Buches liegt?“ flüsterte er.

Vash war mittlerweile kreidebleich geworden. Sie hatte das Gefühl, dass alleine ihre Hände das Leben in ihr zurückhielten. Verrückterweise spürte sie keinen Schmerz, nur eine immer größer werdende Traurigkeit. Sie starrte an dem Geistlichen vorbei auf den Tisch. Von dem Mittelpunkt aus, an welchem das Blut – ihr Blut – die Seite getroffen hatte, fraß sich Schrift auf das leere Papier. In dem Maß, in welchem sich das Blatt mit mehr und mehr Buchstaben bedeckte, spürte sie ihre Kräfte schwinden. Es war, als würde das Leben aus ihr heraus in das Buch hineingezogen.

Dann wurde es schwarz vor ihren Augen.

Die nächste FF in dieser Reihe ist Asche 12 - Asche zu Asche (ich weiß, klingt blöd zusammen ... das war ursprünglich für 3 Bände gedacht, von denen nur der erste den Titel "Aus der Asche" trug)
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