TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Asche 13 - ... und Staub zu Staub

von Gabi

Kapitel 2

Ich bitte die Einfallslosigkeit von zwei Bauchwunden zu entschuldigen. In meinem Kopf lagen dazwischen 14 Jahre. Die erste war schon veröffentlicht und konnte nicht verändert werden, die zweite war aus gegebenen Umständen nötig. ;)
Die Besucher und Angestellten wichen hastig beiseite, als der Mann zur Anmeldung stürmte. Der Blick in seinen Augen warnte jeden davor, auch nur eine Frage zu stellen. Er atmete schwer als sei er eine lange Strecke gerannt und er wirkte nicht so, als ob er beim Anblick von Türen, anderen Personen oder Rezeptionspulten damit aufhören wolle.

„Hier ist eine cardassianische Frau eingeliefert worden“, seine Stimme ging wie sein Atem, stoßweise. „Wo ist sie?“

„Wann soll das gewesen sein?“ Die Bajoranerin an der Anmeldung spulte automatisch ihren professionellen Fragenkatalog ab, den sie im Angesicht von schwierigen Besuchern parat hatte.

„Eine Cardassianerin! Verdammt! Wie viele haben Sie denn davon hier?“

Sie warf ihm einen Blick unter erhobenen Brauen zu, der ihm bedeutete, dass sie ihre Arbeit wenn überhaupt lediglich langsamer erledigen würde, wenn er unfreundlich wurde. Dann wandte sie sich ihrem Display zu. „Eine Cardassianerin …“, murmelte sie.

Einige Padds und ein elektronischer Stift fielen klappernd zu Boden, als der ungeduldige Besucher über den Anmeldetisch setzte. Eine große Hand fuhr zwischen ihre Finger und rief Daten aus den Krankenhausakten ab, bevor sie überhaupt reagieren konnte.

„Das können Sie nicht machen“, empörte sie sich.

Sein Gesicht wandte sich ihr kurzzeitig zu. Der Anblick der graublauen Augen und der markanten Kieferpartie machte ihr klar, wen sie vor sich hatte.

„Sie ahnen gar nicht, was ich alles machen kann“, bemerkte Shakaar. Er hatte gefunden, was er suchte und sprang nun über die Anmeldung zurück. Ohne sich weiter um die irritierte Krankenhausangestellte zu kümmern, hastete er die Halle hinunter zu den Aufzügen.

Als der Lift nicht in der Sekunde die Türen öffnete, in welcher er auf den Sensor schlug, eilte er zur Treppenhaustür, riss sie auf und sprintete die drei Stockwerke nach oben.

Es waren gerade einmal 26 Stunden vergangen, seit Serina und er Partner in einem Verbrechen wurden, das ihn sehr wohl den Hals kosten konnte, wenn es bekannt wurde. Er hatte kurzzeitig überlegt, sich den Behörden zu stellen, doch sie hatten sich beide dagegen entschieden, nachdem Serina aufgrund dieses Vorschlags beinahe einen hysterischen Anfall bekommen hatte. Unter Bajors Gerichtsbarkeit würde er wahrscheinlich mit Notwehr davon kommen, doch es würde unweigerlich Kreise nach Cardassia ziehen. Diesem System wollten weder er noch Serina sich aussetzen.

So hatte er die verstrichene Zeit damit zugebracht, seine nervöse Frau zu beruhigen und gleichzeitig seine Rücktrittsrede vorzubereiten.

Sie wollte bei der Übertragung nicht dabei sein, was er verstand. Stattdessen hatte sie versucht sich abzulenken, indem sie in der Stadt neue Sachen für Katalya kaufte. Ein Fehler, wie sich nun herausgestellt hatte. In diesen Tagen hatten die Propheten keine Ruhe für sie beide vorgesehen.

Vor wenigen Minuten hatte er die Nachricht erhalten, dass seine Frau nach einer versuchten Vergewaltigung mit schweren Verletzungen in der OP lag. Die Annahme, dass sie nun nach Ganor Tireks Tod keine Leibwachen mehr benötigte, hatte sich als verhängnisvoll falsch herausgestellt.

Immer noch rennend erreichte er schließlich den Vorbereitungsbereich der Chirurgie.

„Sie können hier nicht herein, eine Operation ist am Laufen.“ Eine energisch wirkende Krankenschwester vertrat ihm den Weg. „Bitte setzen Sie sich vorne in den Wartebereich für Besucher.“

Shakaar baute sich in seiner vollen imposanten Größe auf, doch an der Bajoranerin war diese Demonstration verloren. „Da drin ist meine Frau!“

Die Bajoranerin hob ihre Augenbrauen. „Das kann nicht sein, wir haben eine Carda…“

„Verdammt, ja! Eine Cardassianerin! Sind Sie die einzige Person, welche die Nachrichtenkanäle nicht verfolgt? Sie ist meine Frau und ich will wissen, wie es ihr geht.“ Er blitzte sie ärgerlich an.

Die zusammengezogenen Brauen im Gesicht der Krankenschwester lockerten sich ein wenig. „Minister Shakaar!“ bemerkte sie in plötzlichem Erkennen.

„Ex-Minister“, korrigierte er sie ungeduldig. „Wie geht es ihr? Wann kann ich zu ihr?“

Sie hob die Hand und berührte ihn am Oberarm. Er ließ sie gewähren. So nervös wie er momentan war, wirkte diese Geste willkommen beruhigend auf ihn.

„Den Umständen entsprechend gut, bei ihr gab es keine Komplikationen, aber das Baby ist noch nicht über den Berg.“

Das Baby?“ Der Griff der Frau erschien ihm von einem Moment zum nächsten als die einzige Sicherheit in einem Wirbelsturm, der ihn drohte von den Beinen zu reißen. Ein Baby? Serina war …?

Der Blick der Krankenschwester nahm einen besorgten Ausdruck an. „Sind Sie in Ordnung? Sie wussten, dass Ihre Frau schwanger ist?“

„Ich … natürlich weiß ich …“, er starrte sie an, bewusst, dass die Fassungslosigkeit deutlich auf seinen Zügen lag, was eine Lüge aussichtslos machte. „Nein …“, gestand er, „nein, ich hatte keine Ahnung. Wir … wir waren eigentlich übereingekommen, dass wir einem Mischling unsere Gesellschaft nicht antun wollen.“ Er ließ sich gegen die Wand sinken, den Kopf in den Nacken gelegt. „Wie es aussieht, bin nur ich darin übereingekommen.“

„Verhüten Sie denn nicht?“ wollte die Krankenschwester von ihm wissen.

Serina hat …“ Er brach ab. Den leicht spöttischen Blick der Frau konterte er mit einem drohenden Funkeln, das sie vor jedem weiteren Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, warnte.

„Das Messer hat das Baby getroffen?“ wollte er stattdessen wissen. Seine Stimme schwankte. Auch wenn er bis vor einer Minute noch überhaupt nichts von dessen Existenz gewusst hatte, war der Gedanke daran, ein gemeinsames Baby zu verlieren beinahe unerträglich. Langsam ließ er sich an der Wand nach unten sinken, bis er auf dem Boden saß.

„Glücklicherweise nicht“, erwiderte sie mit warmem Ton. „Es hat jedoch die Plazenta und Versorgungsbahnen punktiert. Cardassianische Gynäkologie ist ein Punkt, der in der Ausbildung unserer Ärzte noch überhaupt nicht vorgesehen ist. Der Chirurg hat eine Video-Verbindung mit dem Sternenflotten-Arzt auf Deep Space Nine geschaltet. Er assistiert mithilfe der Föderations-Datenbanken.“

Shakaar nickte schwach. Er kannte Dr. Bashir nur flüchtig, doch er hatte einen sehr kompetenten Eindruck von ihm gewonnen. Die rasche und besonnene Hilfe, die der Terraner bei der Flutkatastrophe vor der Ilvianischen Küste geleistet hatte, war vorbildlich gewesen. Dennoch war es unerträglich hier draußen zu sitzen, während Fremde sich um die Gesundheit seiner Frau bemühten.

„Gibt es nichts, was ich tun kann?“ wollte er elend wissen.

Die Krankenschwester betrachtete ihn mit nachdenklichem Mitleid. „Sie können von allen unüberlegten Handlungen absehen und die Ärzte ungestört ihre Arbeit machen lassen.“

Er nickte müde.

„Und es wäre vielleicht hilfreich, wenn wir den Hausarzt Ihrer Frau kontaktieren könnten.“

Shakaar blickte auf. Natürlich! Serina würde eine Schwangerschaft niemals ohne ärztliche Hilfe sich entwickeln lassen. Interspezies-Paarungen waren im besten Fall kompliziert. Dass bajoranische und cardassianische Genome zusammen passten, hatten bajoranische Frauen während des Widerstands zur leidlichen Genüge erfahren, doch die Dunkelziffer der Fehlgeburten und schwersten Schäden durch Komplikationen war größer als diejenige der gesunden Ergebnisse. Und Shakaars Wissen nach gab es keinen einzigen Fall, in welchem eine cardassianische Frau einen Mischling ausgetragen hatte. Nein, Serina hätte sich mit Sicherheit an Gantt gewandt, und mit noch größerer Gewissheit würde sein langjähriger Freund aus dem Widerstand später Ärger mit ihm bekommen, dass er in diesem besonderen Fall nicht seine ärztliche Schweigepflicht ihm gegenüber gebrochen hatte. „Dr. Gantt Asmir. Er praktiziert im Ärztehaus in der Nähe der Meridorn.“

Die Krankenschwester nickte. Mit einem Blick, der ihn deutlich aufforderte, genau dort sitzen zu bleiben, wo er jetzt saß, wandte sie sich den verschlossenen Türen des Operationsraums zu. Shakaar bemühte sich, etwas zu erkennen, als sie hindurch trat, doch die Ärzte und Assistenten versperrten die Sicht auf das Bett. So tat er das Einzige, das er im Augenblick tun konnte. Er senkte seinen Kopf auf die Knie und begann zu beten.

* * *


Bereits der Weg zu den Höhlen verlangte dem mutigen Pilger Respekt und äußerste Wachsamkeit ab. Hier oben nahe der Baumgrenze wagten nur noch wenige Gehölze der Allmacht des Steins zu trotzen. In geschützten Mulden reckten sie ihre oft bizarr anmutenden Glieder trotzig den Gewalten von Wind und Regen entgegen. Klein und unbedeutend wirkten sie gegen die Majestät der quarzhaltigen Felsenformationen, welche blau gefärbt durch Dumortierit-Einschlüsse, sich dem wolkenverhangenen Gewitterhimmel entgegenstreckten und am Horizont mit dessen Farbe verschmolzen.

Ein schmaler, gerade einmal drei Fuß breiter Pfad hatte Vedek Gawen die letzte Stunde an der Flanke des Berges entlanggeführt, den todbringenden Abgrund stets zu seiner Linken. Die finalen eineinhalb Stunden bis zum Eingang der respektzollenden Höhlen waren nur zu Fuß zurückzulegen. Nirgendwo gab es ein Plateau, welches groß genug für das Aufsetzen eines Gefährts wäre. Selbst die Transporterstationen, die im Zuge der technischen Aufrüstung nach Ende der Besatzung vermehrt entstanden, hätten einen Reisenden nicht näher heranbringen können. Eine schwache Varianz der Koordinaten würde unweigerlich im Absturz enden.

Gawen versuchte, sein Gewicht stets auf die schützende Bergseite zu verlagern, während er sich vorsichtig voran tastete. Das Gewicht des Buches auf seinem Rücken verstärkte sein Trägheitsmoment. Eine hastige Drehung konnte ihn über die Kante des Pfades bringen, bevor er entgegen steuerte. Dementsprechend behutsam führte er jede seiner Bewegungen aus. Er war erleichtert, dass zumindest hier am Berghang nur eine leichte Brise wehte. In großen Zeichen befanden sich am Gleiterparkplatz die Hinweise an Pilger und neugierige Besucher, dass der Weg bei starkem Wind nicht betreten werden durfte. Der letzte Part, der über eine ungesicherte Brücke führte, war selbst bei schwächeren Winden eine heikle Angelegenheit.

Jene Brücke kam nun in Sicht, als Gawen sich um die letzte Flanke des blauen Steinmassivs schob. Er hatte zwar bereits etliche holographische Aufzeichnungen dieser heiligen Stätte studiert, doch heute war es das erste Mal, dass er sich persönlich hier befand. Kein noch so plastisches Bild konnte der Realität gerecht werden. In Stein gemeißelte Treppenstufen führten zu dem großen rechteckigen Eingang hinauf, der wie ein dunkel drohendes Maul aufragte. Der den Zugang umgebende Stein war mit Szenen-Reliefs aus den Prophezeiungen geschmückt und wurde auf der linken Seite von einer stilisierten Darstellung der ersten bajoranischen Kai bewacht, die weit über die hohe Öffnung hinausragte.

Zwischen Vedek Gawen und dem ersten Ziel seiner Reise befand sich die Brücke. Vor Jahrtausenden errichtet, überspannte sie die tiefe Einkerbung zwischen den beiden Felsaufwerfungen. Niemand war seither auf die Idee gekommen, Geländer anzubringen. Noch heute mussten die Pilger die letzten Schritte auf schmalem Grat überwinden, den Blick fest auf das Ziel gerichtet.

Folge dem Weg der Propheten und wanke nicht. Ein Zaudern nach links oder rechts kann deinen Untergang bedeuten. Noch nie waren die Worte der alten Litanei so plastisch vor seinen Augen gestanden. Jetzt, da er fast am Ende seiner Reise angekommen war, überkamen ihn Zweifel. Wandelte er überhaupt noch auf dem Pfad der Propheten? War er gekommen, um die endgültige Wahrheit zu bringen, wie er sich das in den letzten Tagen stets versichert hatte, oder wich er ab auf einer Seitenstrecke, die in die Vernichtung führte?

Er atmete tief durch, löste sich von der Sicherheit vorgaukelnden Festigkeit des kahlen Bergmassivs und tat den ersten Schritt auf den schmalen Steg hinaus. Es lag nicht an ihm sein Handeln zu beurteilen. Die Augen fest geradeaus gerichtet, gab er sich in die Hände seiner Götter.

* * *


Kasidy Yates hielt die Hand ihres kleinen Sohns fest, als sie über die belebte Promenade gingen. Sie wollte möglichst verhindern, dass er zwischen den vielen Auslagen herumstreunte, etwas sah, das er unbedingt haben wollte und nicht durfte, und es dann wieder zu einem Eklat kam. Seit sie Bareil vor zwei Tagen aus ihrem Quartier und so unmissverständlich aus ihrem Privatleben geworfen hatte, bereute sie diese Entscheidung. Der Bajoraner mit dem dunklen Wuschelkopf konnte gut mit dem Jungen umgehen und hatte ihr in den letzten Monaten etliche Sorgen abgenommen. Sie liebte Jeremiah, das stand außer Frage, er war ihr Sohn und alles, was ihr von Benjamin geblieben war. Doch sie konnte auch nicht leugnen, dass er ihr ein wenig unheimlich war. In manchen Momenten fürchtete sie sich fast vor ihm, vor allem dann, wenn er eine Person oder einen Gegenstand mit diesem Blick betrachtete. Das Gespräch mit Vedek Gawen und die Reaktion, die Bareil auf die diesbezügliche Frage gezeigt hatte, hatten sie von dem überzeugt, was sie bisher nicht wahrhaben wollte: Jeremiah war nicht nur körperlich anders als andere Kinder, er war es ganz offensichtlich auch geistig.

Sie hatte sich noch nicht dazu durchringen können, Dr. Bashir mit dieser Tatsache zu konfrontieren. Zu sehr hatte sie noch die Qualen vor Augen, die Benjamin durchgemacht hatte, als er von pagh’tem’far , den heiligen Visionen, heimgesucht worden war. Sie fürchtete, dass das, was mit Jeremiah geschah, etwas Ähnliches war.

Daher war in ihr der Plan herangereift, ihren Job auf Bajor zu kündigen, die Xhosa zu nehmen und weit weg zu fliegen. Heraus aus dem Einflussbereich des Planeten, des Wurmlochs und dieser verdammten Religion. Vielleicht würde sich dann alles zum Besseren wenden. Auf jeden Fall war sie es ihrem Sohn und sich selbst schuldig, dies herauszufinden.

Es fühlte sich nur so seltsam und falsch an, das ohne Bareil zu tun. Seit Jeremiahs Geburt war er an ihrer Seite gewesen, hatte sich wie ein Vater um ihren Sohn gekümmert. Und sie musste sich eingestehen, dass er mit Jeremiah teilweise besser als sie zurecht kam, weil er nicht von der mütterlichen Sorge zerfressen war, die sie lange Stunden der Nacht wachliegen ließ. Der Junge selbst hatte bereits nach dem Bajoraner gefragt und war ganz offensichtlich mit Yates‘ ausweichenden Antworten nicht zufrieden.

Sie glaubte nicht, dass er ihr, seiner Mutter, etwas antun würde – sie wollte es nicht glauben. Doch genauso wenig war sie erpicht darauf, die Überprüfung dieser Theorie herauszufordern ...

Ein Ruck ging durch ihre Hand. Jeremiah hatte etwas auf der Promenade entdeckt, das ihm gefiel. „Da ist Antos!“

Sie blickte in Richtung des ausgestreckten Arms ihres Sohns. Der Bajoraner stand vor der Auslage eines kleinen Schmuckgeschäfts und betrachtete eine Kette nach der anderen mit skeptischem Blick. Der hinter dem Tisch stehende Händler hatte offensichtlich ein Sortiment zur Begutachtung bereitgelegt und sprach mit ruhigen, jedoch begeisterten Worten auf den Mann ein.

Als Yates nicht sofort reagierte, begann Jeremiah heftig an ihrer Hand zu rütteln. „Ich will zu ihm!“ Die dunklen Locken des kleinen Jungen wippten auf seinem Kopf, als er heftig mit dem Fuß aufstampfte. Der Blick, den er dabei seiner Mutter zuwarf, ließ ein Nein als Antwort nicht zu. Yates betrachtete die schwarzen Perlen, das Tor zu einer ihr unverständlichen Seele, und fühlte erneut wie verborgene Finger in ihrem Magen wühlten. „Jeremiah, wir …“

Durch den Tumult aufmerksam gemacht, hob Bareil den Kopf. Der Anblick Jeremiahs ließ ihn lächeln, seine Miene wurde jedoch schlagartig wieder ernst, als er den Blick vom Jungen zur Mutter wandern ließ. Seine Haltung drückte Unsicherheit aus.

Es tat Yates ein wenig weh, den verletzten Ausdruck in den dunklen Augen zu sehen. Auch wenn er es manchmal ungeschickt anstellte, wollte Bareil hilfreich sein. Daher nickte sie ihm zu, woraufhin er überdeutlich ausatmete. Er ging in die Hocke und breitete die Arme aus.

Jeremiah riss sich los und rannte zu seinem väterlichen Freund hinüber. Bareil erhob sich mit ihm in den Armen, wirbelte ihn einmal um die eigene Achse und hätte dabei beinahe die Schmuckauslage umgerissen, die er eben noch betrachtet hatte.

Der Händler ließ einen erschrockenen Ruf erklingen, so dass der Bajoraner seinen lebendigen Kreisel noch rechtzeitig abbremsen konnte.

„Wo warst du, Antos?“ wollte der Junge wissen, nachdem Bareil ihn wieder auf dem Boden abgesetzt hatte.

„Ach, ich hatte so hier und da etwas zu erledigen“, log der Mann. „Erwachsenenarbeit halt.“

Kasidy Yates hatte die beiden nun auch erreicht. Nach kurzem Zögern berührte sie den Oberarm des Bajoraners. „Antos, es tut mir leid, dass ich Sie neulich aus dem Quartier geworfen habe, ohne Sie zu Wort kommen zu lassen.“ Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Können Sie mir noch einmal vergeben?“

Er umarmte sie und drückte sie kurzzeitig an sich. Die Erleichterung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Aber natürlich. Ich kann Sie verstehen, Kas.“ Er warf dem Jungen einen knappen Blick zu, „es ist alles ein wenig viel im Moment. Geht es Ihnen gut?“

Sie nickte, doch ihre abgespannte Miene erzählte eine andere Geschichte.

„Wollen Sie jetzt etwas kaufen?“ brachte sich der Händler wieder in Erinnerung. Er war damit beschäftigt, die Auslagestücke wieder zurecht zu rücken, die durch Bareils stürmische Begrüßung verrutscht waren.

Bareil wandte seine Aufmerksamkeit von der Frachterkommandantin und deren Sohn ab und schenkte dem Mann ein entwaffnendes Lächeln. „Wollen schon, doch ich kann die Preise leider nicht bezahlen.“

Auch der Blick von Yates wandte sich nun der Auslage zu. Zwischen mit Ketten behangenen Korallenbäumen, auf Wurzeln aufgereihten Armbändern und zu langen Ketten aufgefädelten Anhängern lag eine Reihe ausgesprochen hübscher Colliers auf schwarzer Samtunterlage zur Begutachtung aus. Für den Moment waren ihre Sorgen vergessen, als sich die Brauen der Terranerin neckisch hoben. „Sie wollten mir ein Entschuldigungsgeschenk machen, Antos. Das war aber doch nicht notwendig.“ Sie blickte ihn herausfordernd an.

Bareil lenkte sein Lächeln vom Händler zu ihr um und vertiefte es dabei. Im Angesicht dieses Lächelns war es ausgesprochen schwer ihm nicht auf der Stelle alles zu vergeben und zu verzeihen. Er erfasste ihre Hand und hauchte einen charmanten Kuss darauf. „So bezaubernd ich Sie finde, Kas, ich war eher auf der Suche nach etwas Passendem für unsere verehrte Kommandantin.“

Yates‘ Augenbrauen hoben sich noch ein Stückchen weiter, unverhohlene Neugierde lag in ihren Zügen.

Bareil war erfreut darüber, dass sie sich aus ihrer momentanen Sorge reißen ließ. Daher beugte er sich zu ihr hinunter und flüsterte etwas freizügiger, als er das vorgehabt hatte: „Ich habe die letzten beiden Nächte in ihrem Quartier zugebracht.“

Der kräftige Schlag auf die Schulter ließ ihn in seiner gebückten Haltung ein wenig wanken. Nun blitzte wieder eine Ahnung der resoluten Frachterkommandantin hindurch, als welche er sie vor Jeremiahs Geburt kennengelernt hatte. „Das ist wunderbar, Antos“, erklärte sie ehrlich erfreut, um dann ebenfalls die Stimme zu senken. „Wie war es?“

Bareil lächelte. Ein träumerischer Zug umspielte seine schmalen Lippen und ließ sein Gesicht sehr weich wirken. „Sie ist einfach fantastisch. Kas, ich bin total verknallt in sie – wie ein Schuljunge.“ Sein wildes, dunkles Haar, das ihm in langen Strähnen in die verträumt begeisterten Augen fiel, unterstrich den Eindruck eines Jungen zusätzlich.

Das Seufzen, welches der Stille nach dieser Aussage folgte, ließ sowohl Bareil als auch Yates den Kopf wenden. Der Schmuckhändler richtete sich rasch wieder aus seiner vorgebeugten Haltung auf und hob entschuldigend die Hände. „Sie sind nun wirklich nicht zu überhören“, verteidigte er sich. „Wissen Sie was, wenn es für unsere Stationskommandantin sein soll, gebe ich Ihnen einen Rabatt von zehn Prozent. Was sagen Sie?“

Bareil betrachtete erneut die ausgelegten, funkelnden Schmuckstücke und deren Preisetiketten, dann lächelte er entschuldigend. „Ich sage, dass das ein sehr großzügiges Angebot von Ihnen ist – ich es mir aber leider immer noch nicht leisten kann.“

Yates straffte sich. Kiras Herz zu erobern war das, was sich der Bajoraner immer erhofft hatte, und was sie sich selbst stets für ihn gewünscht hatte. Sie versicherte sich, dass Jeremiah immer noch zufrieden das Treiben auf der Promenade beobachtete, dann legte sie eine Hand auf Bareils Unterarm. „Antos, ich schieße Ihnen etwas dazu. Sozusagen als Abfindung.“

Der Bajoraner geriet aus dem Konzept. Sein Lächeln wankte. Gerade hatte er noch den Eindruck erhalten, dass die Frachterkommandantin ihm seine Verschwiegenheit in Sachen Jeremiah vergeben hatte. „Abfindung, was …?“

Seine Noch-Arbeitgeberin winkte ab. „Ich erklär es Ihnen gleich, jetzt lassen Sie uns erst einmal etwas Schönes für Kira aussuchen.“

Er nickte verwirrt. Yates‘ Miene war offen und freundlich und ihr Angebot sehr großzügig. Denn wie üblich hatte sich Bareil von der äußeren Form leiten lassen ohne dabei den Preis zu beachten. Als der Juwelier ihm die ersten Colliers zur näheren Betrachtung angereicht hatte, war ihm rasch klar geworden, dass kaum ein Stück auf dieser Auslage dem Inhalt seiner Geldbörse entsprach. Kira mit einem Geschenk zu überraschen, welches er auf ihrer eigenen Station gestohlen hatte, stand ebenfalls außer Frage.

So beschloss er, seine Frage für den Moment beiseite zu schieben und das Angebot anzunehmen.

Die nächsten Minuten diskutierten er, Yates und der Schmuckhändler begleitet von gelegentlichen Anmerkungen Jeremiahs, welche Farbe und Form am besten zu der Frau seiner Träume passte.

Schließlich war zu aller Zufriedenheit ein dreireihiges silbernes Collier mit Hämatit und grünem Turmalin eingepackt. Jeremiah wurde am Nebenstand mit einem großen Lutscher versorgt, so dass er zufrieden an Bareils Hand ging, und sich seine Mutter mit dem Bajoraner unterhalten konnte.

„Ich möchte mit der Xhosa die Station verlassen“, erklärte sie Bareil, nachdem sie in einen der Verbindungskorridore zwischen Promenade und Habitatring getreten waren. „Ich glaube, dass es ihm besser geht, wenn er aus dem Einflussbereich dieser Wurmlochwesen heraus kommt.“

Bareil nickte schweigend. Er betrachtete Jeremiah, der den Eindruck machte, dass er gänzlich in den Genuss seines Lutschers versunken war. Im Augenblick wirkte er wie ein gewöhnliches Kind - wenn man sein Geburtsdatum nicht ahnte. Doch der Bajoraner war sich sicher, dass der Junge die Unterhaltung sehr wohl mitbekam und wusste, was es für ihn bedeutete. Yates‘ Erklärung entbehrte nicht einer gewissen Logik. Seine Visionen, die Aufmerksamkeit der Priester, Benjamins Verstrickung mit der bajoranischen Religion – all das wies daraufhin, dass die Propheten etwas mit Jeremiahs Zustand zu tun hatten. Ihr Vorschlag passte nur nicht in das Bild, das Bareil von seiner eigenen Mission hier auf der Station hatte. Er betrachtete das hübsch verpackte Geschenk in seiner Hand. Mit Kasidy Yates mit zu fliegen stand außer Frage. Visionen hin oder her. Nicht jetzt, wo er es endlich geschafft hatte, eine kleine Flamme dort zu nähren, wo er vorhatte, einen unlöschbaren Flächenbrand zu entfachen.

Doch war es nicht seine Aufgabe, die Seele des kleinen Jungen zu retten?

Vielleicht bestand seine Rolle auch darin, im richtigen Moment, die richtige Idee zu unterstützen?

„Ja, ich glaube, diese Entscheidung ist gut“, stimmte er ihr daher nachdenklich zu.

Irgendetwas fühlte sich dabei jedoch nicht richtig an.

* * *


Er spürte seine Gegenwart, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Er hatte das schwere Buch nun von seinem Rücken genommen und näherte sich damit der Schlucht, von welcher er in den Aufzeichnungen seiner früheren Mentorin Winn Adami gelesen hatte. Er selbst hatte die Feuerhöhlen nie betreten. Warum das so war, konnte er nicht sagen. Er war nicht abergläubisch, Aberglaube war ohnehin ein Konzept, welches sehr schwer in einem Volk zu verwirklichen war, dessen Götter nicht nur in den Köpfen existierten. Es war ihm einfach nie in den Sinn gekommen.

Ihren Aufzeichnungen nach hatte Winn öfters diese Schlucht besucht, bevor sie an ihrem letzten Tag das Buch des Kosst Amojan mitgebracht hatte, es war als hatte sie sich auf ihren letzten Tag vorbereiten wollen ...

Gawen wollte reflexartig ein kurzes Gebet für das pagh seiner Mentorin an die Propheten schicken, doch dann stockte er. Er war sich nicht mehr sicher, an welche Propheten er seine Worte richten sollte. Je näher er der Schlucht kam, desto stärker wurden die Zweifel in ihm, ob er wirklich das Richtige tat. Wie Winn vor ihm lag ihm viel an seinem Volk. Zu behaupten, dass es ihm nicht um Macht ging, wäre eine Lüge gewesen. Natürlich ging es ihm um Macht – er bezweifelte die Ehrlichkeit einer jeden Person, die ihm erklären würde, nur aus Fürsorge um andere zu handeln. Doch es ging nicht nur um Macht. Jedes Streben danach musste im Einklang mit dem Wohlergehen Bajors stehen. Und hierin lag das Problem: Wer konnte sagen, was der beste Weg für sein Volk war? Die Pfade waren oft so verschlungen, dass der Blick, der geradeaus ging, nicht das Ende sondern den Anfang zeigen konnte.

Wer hatte beispielsweise geahnt, dass die Ablehnung des Föderationsbeitritts, von dem sich viele Schutz erhofften, verhindert hatte, dass Bajor vernichtet wurde? Ließ sich dahingehend nicht auch die Aussage, dass eine Befreiung der pah wraith das Ende Bajors einleitete, anders deuten?

Der Vedek ließ den Höhlentrakt hinter sich und trat auf die freie Fläche hinaus, welche die Schlucht begrenzte. Es war kalt. Aus der Tiefe zogen Winde herauf und erfassten die weiten Ränder seiner Robe, wenn er zu nahe an den Abgrund trat. Auch das hatte er in Winns Aufzeichnungen gefunden: Die Feuerhöhlen entsprachen nicht im Mindesten ihrem Namen.

Gawens Blick wanderte am Rand der Schlucht entlang, wo das Sims nach ein paar Metern in einer Felswand endete, die sich wie eine Kuppel über seinem Standort erhob. Wie ein Vorhof, schoss es ihm durch den Kopf. Doch ein Vorhof zu was?

Der Abgrund zu seinen Füßen gab keine Antworten preis. Schon nach wenigen Metern schluckte er alles einfallende Licht. In der Länge zog er sich wie eine Prozessionsstraße an dem Sims entlang, kein Anfang und kein Ende waren auszumachen. Gawen versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was er über die Höhlen gelesen hatte, doch er erinnerte sich nicht daran, ob der Graben das gesamte System durchzog.

Was würde geschehen, wenn er die pah wraiths befreite? Daran, dass er es konnte, hegte er keinen Zweifel, wie ihm in diesem Augenblick klar wurde. Die Macht, die er in Form der alten Schrift in den Händen hielt, war realer als alles um ihn herum. Es waren keine Worte, wie sie Kinder aufsagten, wenn sie versuchten, mit dem Unbekannten zu spielen, es war ein Präzisionsinstrument – unfehlbarer als alles technische Gerät der Föderation. Warum es Winn nicht gelungen war, würde ihm auf ewig verschlossen bleiben. Ob sie im letzten Moment gestrauchelt war? Ob sie zu nahe an den Abgrund gelangt war? Der pah wraith in Dukats Form, der ihn besuchte, hatte sich darüber ausgeschwiegen, und andere Zeugen gab es nicht.

Gawen kniete sich nieder und legte das Buch aus den Händen. Es war ihm bewusst, dass nicht er die Worte benutzen würde, sondern die Worte ihn. Er machte sich keine falschen Illusionen über seine Rolle in diesem Spiel. Was jedoch würde der Ausgang sein? Warum zögerte er jetzt, wo ihm zuvor alles so richtig erschienen war?

Der Vedek setzte sich auf seine Fersen zurück, faltete die Hände in seinem Schoß – und begann zu warten.
Rezensionen