TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Asche 14 - Götterdämmerung

von Gabi

Kapitel 1

Ein letztes Mal bäumte sich Bajor auf, bevor den Grund eine trügerische Ruhe überkam. Das leichte Zittern, welches allgegenwärtig zwischen den Erdbeben zu spüren war, hatte aufgehört. Noch wagte niemand laut zu verkünden, dass es vorbei sei, doch in manchen Gesichtern spiegelte sich eine neue Zuversicht. Sollte es sein, dass das Schlimmste an ihnen vorüber gezogen war? Zumindest an Dahkur und den anderen Regionen der südlichen Provinzen. Die ängstlich hervorgebrachten Geschichten über pah wraiths, welche Valseras Ausruf wie das Wellenmuster eines Tropfens auf einer glatten Wasseroberfläche hinterlassen hatte, wurden leiser. Dafür erstarkten die noch zögerlich geflüsterten Worte über die Güte der Propheten.

… dann brannte der Himmel.

Nicht einmal das Feuerwerk nach Bekanntwerden des cardassianischen Rückzugs war auch nur im Entferntesten an die gleißende Intensität herangekommen, die nun im Norden von Ashalla dem Horizont jegliche Kontur nahm.

Das Murmeln, welches eben noch wie ein sanfter Teppich den Marktplatz überzogen hatte, war verstummt. Kein Laut war zu vernehmen, als sich die Augen aller Anwesenden in den Himmel hoben.

Wie eine rückwärtsgerichtete Sternschnuppe mit der Lichtstärke einer kleinen Sonne schoss der Strahl purer Energie in die Atmosphäre hinauf.

Niemand fragte, woher er stammte.

Jeder wusste es.

Shakaar Edon kniete auf dem Boden, wo ihn das letzte heftige Beben zurückgelassen hatte. Der rasche Herzschlag des Kindes, das er fest im Arm hielt, vollführte ein deutliches Stakkato gegen seine Brust. Sie sicher zu halten, war alles, woran der Bajoraner im Augenblick denken konnte. Vorsichtig drehte das Mädchen den Kopf, so dass es mit einem Auge blinzeln konnte, während der Rest des Gesichts geschützt im Tunikastoff ihres Vaters verborgen blieb.

„Was ist das, Papa?“

Der große Bajoraner starrte wie seine Landsleute in den Himmel hinauf. Er war nicht so gläubig wie es manch andere waren, doch die Lehren seiner Kindheit und der wöchentlichen Messen waren Teil seines Lebens wie es das für jeden Bajoraner war, der den Mut besessen hatte, während der dunklen Jahre auf dem Planeten auszuharren. Die Worte kamen ungebeten aus seiner Erinnerung, während er seine Tochter beschützend an sich drückte:

„Das Ende von Bajor, wie wir es kennen.“

* * *


„Commander, wie lange benötigen die pah wraiths um unsere Position zu erreichen?“

Benteen hatte den Monitor bereits wieder auf Außenkameras umgeschaltet. Auf höchster Vergrößerungsstufe war die helle Sternschnuppe zu erkennen, welche den Planeten verlassen hatte. Die Offizierin las die Daten der Telemetrie ab, die von einer zwischen DS9 und Bajor stationierten Mess-Sonde auf ihre Station übermittelt wurden. „Wie kommen Sie darauf, dass der Energiestrahl in unsere …“, Sie stockte kurzzeitig. „Sie haben recht, Colonel, der Strahl hält auf uns zu.“

Kira hob die Augenbrauen, leicht genervt darüber, dass ihr Erster Offizier sich immer noch nicht besser mit den Werten der Kultur auseinandergesetzt hatte, zu deren Schutz sie unter anderem hier stationiert war. „Die pah wraiths haben seit Jahrtausenden nur ein Ziel, und das ist der Himmelstempel“, erklärte sie knapp, dann wurde ihr Ton eine Spur eisiger: „Ich warte immer noch auf meine Antwort, Commander!“

„Die Geschwindigkeit ist nicht konstant, die beste Schätzung ist eine Stunde …“

„Dann haben wir nicht mehr viel Zeit.“ Kira richtete sich am Geländer auf und stieß dabei mit dem hinter ihr stehenden Bareil zusammen, den sie völlig vergessen hatte. Um sich zu stabilisieren legte er automatisch die Hand an ihre Hüfte. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, dann schüttelte Kira den Kopf. „Antos, ich möchte, dass du auf die Promenade zurück kehrst“, sie sah an ihm vorbei auf den Vorta, der mit großem Interesse das Geschehen auf der OPS verfolgte, „und nimm bitte den Botschafter mit.“

„Ich habe ein Anrecht darauf, auf dem Laufenden gehalten zu werden, wenn eine solche Bedrohung für das Wurmloch besteht“, bemerkte Weyoun ruhig.

Kira zwang sich ebenfalls zu einem sachlichen Tonfall. „Und das werden Sie auch. Commander Benteen wird alle Botschafter über die Situation informieren, nachdem ich mit meinem Ersten Offizier eine Lagebesprechung abgehalten habe.“

Der Vorta neigte ein wenig den Kopf. „Das weiß ich zu schätzen, Colonel.“ Dann folgten er und Omet’iklan dem Bajoraner zum Turbolift.

Kira strich die zivilen Besucher augenblicklich wieder aus ihren Gedanken. „Commander, Chief, ich möchte Sie in meinem Büro sehen.“ Sie wirbelte herum und eilte die Stufen zum Kommandanturbüro hinauf.

Commander Benteen und Chief O’Brien trafen kurz nach ihr ein. Auf einen Wink der Bajoranerin setzten sich die beiden.

„Mit was haben wir es hier zu tun?“, erkundigte sich Benteen noch bevor ihr Körper die Sitzfläche des Stuhls berührt hatte. „Besteht eine Gefahr für die Station?“

Kira verzichtete darauf, die Sternenflottenoffizierin darauf hinzuweisen, dass es nicht an ihr war, das Wort zu ergreifen. Die Situation war zu ungewöhnlich, um auf ein striktes Protokoll zu pochen.

„Ich bin mir nicht sicher“, gestand sie. Ihr Blick glitt flüchtig zu O’Brien hinüber, doch dieser deutete ebenfalls ein Schulterzucken an. „Wir haben in der Vergangenheit ein paar Mal mit den pah wraiths zu tun gehabt, doch dabei hat es sich stets um Einzelerscheinungen gehandelt, nie um ein Kollektiv. Die Bedrohung galt dabei stets Personen, nicht der Station.“

Benteen zog nachdenklich die Brauen zusammen. „Und was geschieht, wenn diese … pah wraiths … auf das Wurmloch treffen?“

Abermals sah Kira zu ihrem Chefingenieur hinüber. O’Brien schüttelte kaum merklich den Kopf. „Da kann ich genauso gut raten wie Sie, Colonel. Wir haben die Energieentladungen gesehen, als Sie und Jake als Medien für die Abrechnung zwischen zweien dieser Wesen dienten“, er zerteilte mit den Händen den Bereich vor sich über dem Schreibtisch, „doch wir haben nicht einmal den geringsten Anhaltspunkt, von wie vielen Energiewesen wir auf der einen wie auf der anderen Seite ausgehen sollen, wieweit wir die damaligen Geschehnisse extrapolieren können, von welcher Energiefreisetzung wir hier sprechen, oder“, sein Gesicht nahm bei den nächsten Worten einen frustrierten Ausdruck an, „was sich physikalisch überhaupt im Inneren des Wurmlochs abspielt. Da sind wir in der Erkenntnis genauso weit wie bei seiner Entdeckung.“

Kira nickte, ihre Finger standen bereits wieder kurz davor, den Rhythmus ihrer Nachdenklichkeit auf der Tischplatte kund zu tun. „Mir genügt für den Augenblick Ihre beste Vermutung.“

Der Chefingenieur hob beide Hände in einer Geste allumfassender Ahnungslosigkeit. „Nach unserem derzeitigen Wissen könnte gar nichts passieren, weil das Wurmloch alles schluckt – oder es könnte das Wurmloch und die Station in einer spektakulären Energieentladung zerreißen … dazwischen ist alles möglich. Ich weiß es einfach nicht, Colonel.“ Die Frustration darüber, keine hilfreiche Antwort geben zu können, war dem blonden Mann deutlich ins Gesicht geschrieben.

Seine Kommandantin nickte abermals. Ihre Ungeduld wollte O’Brien auf eine Aussage festnageln, doch sie hatte gelernt sich zu beherrschen – vor allem in Situationen, in denen ihre aufbrausende Art nicht im Geringsten hilfreich war.

„Würde es etwas helfen, wenn wir den Zusammenstoß abschwächen?“

Benteen riss die Augen auf. „Sie denken doch nicht daran, die Station …“

Kira gebot ihr mit erhobener Hand zu schweigen. „Chief?“

„Ich würde es nicht empfehlen“, gab O’Brien zu bedenken. „Deep Space Nine befindet sich bereits nahezu in direkter Linie zwischen Bajor und dem Wurmloch. Ich denke, dass wir mit halber Schubkraft uns in die Bahn der pah wraiths bringen könnten. Doch welche Auswirkungen das auf die Station hat, möchte ich mir gar nicht ausmalen. Ich glaube kaum, dass unsere Schilde einem solchen Energieausstoß gewachsen sind – und ehrlich gesagt möchte ich das auch nicht im Ernstfall ausprobieren.“

„Danke, Chief“, bemerkte Benteen knapp mit einem rügenden Blick zu Kira, dass diese überhaupt eine solch irrwitzige Idee in Erwägung ziehen konnte.

Die Bajoranerin sah sie mahnend an, dann wandte sie sich wieder O’Brien zu. „Okay, gut … Wir haben knapp eine Stunde Zeit, bevor das eintrifft, von dem wir nicht die geringste Ahnung haben, was es sein wird …“ Ihre Augen spiegelten deutlich die Unzufriedenheit über die Situation wider. „Chief, Ihre Aufgabe ist es, diese Zeit zu nutzen, um an unserer Ahnungslosigkeit etwas zu ändern. Spannen Sie jedes Crewmitglied ein, das Sie benötigen. Ich werde Ihnen Lieutenant Dax zuweisen. Ich hoffe, es sind genügend Erinnerungen von Jadzia vorhanden, so dass Sie Ihnen wissenschaftlich zur Seite stehen kann.“ Innerlich verfluchte Kira den Umstand, dass das Sternenflottenoberkommando es immer noch nicht geschafft hatte, den seit Jadzias Tod vakanten Posten des Wissenschaftsoffiziers neu zu besetzen. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und aktivierte ihren Kommunikator. „Kira an Dax“, nach der Bestätigung durch die Trill fuhr sie fort, „es tut mir leid, aber ich muss dich aus deiner seelsorgerischen Tätigkeit holen. Wir brauchen Jadzias wissenschaftliche Kenntnisse auf der OPS, und zwar augenblicklich. Kira, Ende.“

„Commander“, richtete sie endlich die Aufmerksamkeit auf ihren Ersten Offizier, „Sie unterrichten die Botschafter von der derzeitigen Situation. Ich kann in all dem Chaos hier nicht auch noch aufgebrachte Diplomaten benötigen.“

Benteen nickte mit einer Miene, als ob ihr das Ziehen eines Zahns ohne Betäubung bevorstand. Auch wenn sie es liebend gerne getan hätte, konnte sie schlecht etwas gegen diese Anweisung sagen. Die undankbare Aufgabe des diplomatischen Kindermädchens fiel in ihren Zuständigkeitsbereich. „Was soll ich ihnen sagen, Colonel?“

Kira öffnete die Handflächen. „Was wir über das Geschehen wissen.“

„Aber wir wissen so gut wie nichts“, begehrte Benteen auf.

„Und das verpacken Sie in so viele gut klingende Worte wie möglich.“ Benteen hatte den Eindruck, dass kurzzeitig ein leicht gehässiges Lächeln über die Züge der Bajoranerin huschte, doch es war so rasch vorüber, dass sie sich möglicherweise getäuscht hatte.

„Und was machen Sie, Colonel?“, fragte sie etwas misstrauischer als nötig.

Kira beschloss, den Tonfall zu ignorieren. „Ich werde zusehen, dass ich endlich nach Bajor durchkomme, um zu erfahren, was genau passiert ist.“

* * *


Nachdem die Orbitalkamera über der nördlichen Hemisphäre durch die gleißende Energieentladung zerstört worden war, hatten die Nachrichtensender wieder auf Bodenübertragung umgestellt. Das allgemeine Bild war dasjenige erwartungsvoller Konfusion gepaart mit unterschwelligem religiösem Fanatismus. Auf einem Kanal versuchte der Sprecher der Vedekversammlung ein wenig die Wogen zu glätten, wobei es ihm nicht sonderlich erfolgreich gelang, seine eigene Ahnungslosigkeit zu verbergen.

Ein anderer Sender brachte ein Interview mit einem Vertreter der pah wraith Sekte, der wesentlich selbstsicherer auftrat als der Sprecher der offiziellen Staatsreligion, dafür jedoch hanebüchene Halbwahrheiten von sich gab, die selbst Kasidy Yates, deren erklärtes Ziel es war, sich nicht mit der bajoranischen Religion auszukennen, abstrus erschienen. Die dunkelhaarige Frau wunderte sich ohnehin, wie es manche Nachrichtenstationen immer wieder schafften, genau die richtigen Experten zu jedem Zeitpunkt jeder noch so großen Krise vor die Holoaufzeichner zu bekommen. Sie mutmaßte stark, dass außerhalb des Übertragungsfeldes ein paar Laienschauspieler saßen, die sich entsprechend der aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Entwicklung rasch in das eine oder andere Gewand warfen, um dann ein paar eingeübte Allgemeinplätze von sich zu geben.

Jeremiah, der zuvor so gebannt vor dem Monitor gesessen hatte, schien das Gerät nun nicht mehr zu interessieren. Der Junge stand am Fenster und starrte in die Finsternis des Alls hinaus. Er schien etwas zu suchen, doch Yates konnte sich nicht vorstellen, um was es sich dabei handelte. Er schien in Richtung Bajor zu blicken, doch sie war sich nicht ganz sicher, ob die Fensterreihe ihres Quartiers dafür überhaupt in der korrekten Ausrichtung lag.

Die Haltung des Jungen war erwartungsvoll angespannt. Sein kleiner Körper, der demjenigen eines Fünfjährigen glich, hielt sich aufrecht, die schwarzen Locken erzitterten von Zeit zu Zeit.

Seine Mutter kniete sich neben ihn. „Jerry, ist alles in Ordnung mit dir?“ Sie versuchte, die Aufmerksamkeit ihres Sohnes auf sich zu ziehen, doch dieser starrte weiterhin gebannt ins All hinaus. Yates schauderte. Er wirkte so weise, so fremd, so als würde er Figuren in einem Spiel bewegen, dessen grundsätzlichste Regeln sie noch nicht einmal begriffen hatte. Ein entsetzliches Gefühl von Einsamkeit überkam sie und ließ ihre kauernde Gestalt zittern. Wie konnte es sein, dass ihr eigen Fleisch und Blut ihr so fremd war? Dass sie regelrecht Angst vor dem Jungen empfand, den sie eigentlich als Säugling im Arm halten und beschützen sollte. Jeremiah war alles, was ihr von Benjamin übriggeblieben war. Sie wollte ihn lieben und ehren – nicht ihn fürchten.

Als sie nicht verhindern konnte, dass Tränen ihren Blick verschleierten, wandte der Junge sich um. „Du musst keine Angst haben, Mama“, erklärte er mit einer Gewissheit, die sie abermals zusammenzucken ließ. „Alles wird gut, wenn sie kommen.“

Yates hob die Hand an, um ihrem Sohn mit den Fingern über die Wange zu streichen. Sie spürte eine groteske Genugtuung über den simplen Umstand, dass er aus profanen Materialien wie Haut und Fleisch bestand.

„Wer kommt?“, flüsterte sie, obwohl sie die Antwort überhaupt nicht wissen wollte.

Ein ganz und gar kindliches Lächeln erstrahlte auf Jeremiahs Zügen, nun wirkte er wie ein gewöhnlicher, hübscher Junge. „Die neuen Götter“, er wandte sich erneut dem Fenster zu. Aus dem fernen Juwelenteppich der unbeweglichen Sterne, löste sich ein Edelstein und nahm langsam, aber deutlich an Größe zu, als er sich der Station näherte, „Und ich bin einer von ihnen.“

* * *


Dieses Mal wurde sie augenblicklich zum Kai durchgestellt. Kira verspürte eine gewisse Erleichterung darüber, dass das geistliche Oberhaupt offensichtlich unversehrt war, wenn seine Miene auch deutlich ausdrückte, dass er schon weitaus bessere Tage gesehen hatte. Sein sonst recht jugendliches Antlitz wirkte eingefallen, die grünen Augen müde, das stets korrekt aus den Schläfen gekämmte blonde Haar, hing ihm in die Stirn.

Eine Welle tiefen Mitgefühls überkam Kira. Für sie als einfache Gläubige war die derzeitige Situation bereits sehr aufwühlend und verstörend. Wie viel schlimmer musste es da dem Kai selbst ergehen. Alles, wofür sein Amt und seine Person standen, befand sich in Gefahr.

Nerys, wie sieht es aus?“, eröffnete er folglich ohne höfliche Umschweife das Gespräch, er schien erleichtert, sie in der Leitung zu haben.

Kira neigte das Haupt vor dem Monitor. „Eure Eminenz, die pah wraiths haben Kurs auf den Himmelstempel genommen. Wir schätzen, dass sie in etwa einer Stunde auf die Propheten treffen …“

Die Zeit der Abrechnung.“ Sarius‘ Augen waren zwar auf die Übertragungskamera gerichtet, doch er schien durch sie hindurch zu sehen. „Die Propheten stehen uns bei.“

„Was soll ich tun?“ Der rationale Teil in ihr wusste, dass der Kai ihr in dieser Frage so wenig helfen konnte wie jeder andere auch. Doch der Teil in ihr, der seit Kindheitstagen die Person des Kai als den alleinigen Heilsbringer verehrt hatte, hoffte auf Führung. Sie befand sich in einer Position, in welcher sie sich nicht mehr an viele Personen um Beistand wenden konnte. Die Einsamkeit der Kommandantur lag schwer auf ihren Schultern.

Der blonde Mann seufzte, seine Gestalt straffte sich ein wenig, sein Blick richtete sich nun wieder auf Kira. „Sie müssen den Propheten mit allen Mitteln beistehen“, erklärte er bestimmt. „Ich weiß nicht, wie viel Sie auf der Station ausrichten können, doch das Wenige, das möglich ist, das tut. Die Propheten sind mit Ihnen, Nerys, sie werden Sie leiten.

Kira neigte den Kopf erneut vor dem Bildschirm. Ihre Züge spiegelten ihre feste Entschlossenheit. „Ich werde mich ihnen als würdig erweisen.“

Davon bin ich überzeugt“, der Kai genehmigte sich ein trauriges Lächeln. „Ich hoffe, dass es nicht zum Äußersten kommt, doch wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Raumstation in große Gefahr geraten könnte.

Die Entschlossenheit der Kommandantin nahm für einen Moment beinahe grimmige Züge an. „Dessen bin ich mir bewusst, Eminenz, doch es geht um eine höhere Sache.“

Dieses Mal war es am Kai, den Kopf zu neigen. „Ich bewundere Ihre Stärke, Nerys.“ Er schien kurzzeitig nachzudenken. „Ist es möglich, dass Deep Space Nine das Geschehen überträgt?

Kira zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon. Die Telemetrie-Sonde funktioniert in beide Richtungen. Ich werde sofort meinen Kommunikationsoffizier daran setzen.“

Danke, Nerys. Ich werde hier auf Bajor alles in die Wege leiten. Die Propheten stehen uns bei.“ Mit diesen Worten beendete der Kai die Transmission.

„Die Propheten stehen uns bei“, flüsterte Kira dem nun wieder dunklen Monitor zu.

* * *


“Ist die Station in Gefahr? ...”

„Müssen wir evakuieren? Sind überhaupt genügend Transportmöglichkeiten für eine spontane Evakuierung vorhanden? ...“

„Kann die Station rechtzeitig vom Wurmloch wegbewegt werden? …“

„Ich verlange, dass uns die externe Kommunikation wieder zur Verfügung gestellt wird. Bajor ist nun ja aus der Schusslinie heraus.“

Commander Erika Benteen seufzte lautlos. Die diplomatischen Vertreter verschiedener Föderationswelten und föderationsnaher – zumindest räumlich gesehen – Welten hatten sich in der Messe versammelt. Sie konnte es als kleinen Vorteil verzeichnen, dass zumindest Madame Troi nicht anwesend war, da die Betazoidin eine Residenz auf Bajor einem Quartier auf der Station vorgezogen hatte. Die resolute Dame besaß die unangenehme Eigenschaft, jedwede Diskussion augenblicklich an sich zu reißen und zu einer persönlichen Unterhaltung zu machen. Doch auch ohne Lwaxana Trois Gegenwart waren sogenannte Diplomaten wie Gul Madred imstande, eine sachliche Besprechung in eine unterschwellige Kriegserklärung zu verwandeln. Immerhin war sein unhöflich hervorgebrachter Einwurf wenigstens etwas, mit dem sie arbeiten konnte.

„Die Kanäle werden wieder selektiv freigegeben“, bestätigte sie, und brachte damit ein wenig Ruhe in das allgemeine Stimmengewirr. „Ich werde dafür sorgen, dass diejenigen in Ihren Quartieren Prioritäten erhalten.“

Gul Madred, der zu einem weiteren verbalen Schlag ausholen wollte, sah sich durch diese Antwort seiner Munition beraubt. „Danke“, war daher alles, was er erwidern konnte, jedoch mit einem arroganten Unterton, um nicht ganz den Boden zu verlieren.

„Commander, befinden wir uns hier auf Deep Space Nine in Gefahr?“ wiederholte die vulkanische Botschafterin die sicherlich vordringlichste Frage.

„Ich denke nicht“, erwiderte die Sternenflottenoffizierin vorsichtig.

„Sie denken? Doch Sie wissen es nicht mit Sicherheit?“

Ein weiterer lautloser Seufzer wurde in Benteens Brust erstickt. Anders als Cardassianer mussten Vulkanier nicht erst versuchen arrogant zu klingen. Bei ihnen war es als Rassemerkmal bereits genetisch verankert.

„Wir sehen uns einem Präzedenzfall gegenüber“, bestätigte Benteen. „Wir haben keine Ahnung von diesen Energiewesen, die von Bajor kommen. Colonel Kira ist sich jedoch absolut sicher, dass die Station nicht ihr Ziel ist, sondern das Wurmloch.“

„Die Bajoraner sollten sich doch mit ihren Göttern auskennen“, warf Gul Madred spöttisch ein. „Was sagen denn die heiligen Leute?“

Benteen zog eine Braue hoch, was sie für einen Moment mimisch in die Nähe der vulkanischen Botschafterin stellte. „Wenn ich es richtig verstanden habe, dann waren diese Energiewesen für Tausende von Jahren in den Feuerhöhlen eingesperrt, bis sie ins Reich der Mythen rückten. Es gibt keine wissenschaftlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit.“

„Und warum sind sie jetzt draußen?“, wollte der deltanische Botschafter wissen.

Dieses Mal gestattete die Terranerin ihrem Seufzen eine wahrnehmbare Form anzunehmen. „Das wüssten wir auch gerne. Wegen der schweren Erdbeben herrscht auf Bajor einiges an Chaos …“, das gemurmelte wie immer Madreds ignorierte sie geflissentlich, „Den offiziellen Stellen liegen noch keine abschließenden Erkenntnisse vor.“

„Auf jeden Fall wäre es logisch, wenn Sie die Station so weit wie möglich von dem Wurmloch fortbewegen“, schloss die Vulkanierin.

Dieser Anmerkung konnte Benteen mit vollem Herzen zustimmen. „Das ist korrekt.“

„Was ist mit Chroniton-Strahlen?“, meldete sich die Klingonin Grilka zu Wort, die bisher schweigend zugehört hatte. „Den Aufzeichnungen zufolge, welche die Sternenflotte mit uns über das Wurmloch geteilt hat, kann diese Art von Strahlung die Energiewesen schädigen.“

Benteen nickte. Sie konnte sich Colonel Kiras Meinung zu diesem Thema lebhaft vorstellen, dennoch erwiderte sie: „Wenn es zum Äußersten kommen sollte, werden wir natürlich Chroniton-Strahlen einsetzen. Der Schutz der Station und ihrer Bewohner steht für die Sternenflotte an erster Stelle.“

„Das können Sie nicht machen“, war die Stimme des Vorta zu vernehmen. Er hatte sich in seinem Sessel am Ende des Tischs noch steifer als es sonst seine Art war aufgesetzt. Sein Tonfall und seine Haltungen waren ungewohnt agitiert. „Ein Beschuss des Wurmlochs könnte den Zugang zum Gamma-Quadranten vernichten.“

An den ausdruckslosen Blicken, welche ihm von beiden Seiten des langen Konferenztischs zugeworfen wurden, erkannte er rasch, dass niemand außer ihm darin ein Problem sah.

* * *


Es stellte sich heraus, dass die vage Schätzung der Kollision von pah wraiths und Propheten genau dies war – vage.

Eine Viertelstunde früher als angenommen wurde die Station in ihren Grundfesten erschüttert, als die Erscheinung der Antipropheten wie eine zornige Sternschnuppe knapp an Deep Space Nine vorbei zog. Die Schilde waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf maximale Leistung gefahren, doch die unerträgliche Helligkeit konnten sie nicht bannen.

„Sichtschutz auf der gesamten Station auf 70 Prozent“, rief Colonel Kira. Die Ops war inzwischen voll besetzt, teilweise doppelt mit Personal der Alpha- und Beta-Schichten. Im Fall der Fälle brauchten sie alle Hände.

Ezri Dax hatte die wissenschaftliche Station eingenommen und versuchte mit den eingehenden Daten so gut wie möglich umzugehen, ihr Counterpart der Beta-Schicht half, wo es ging. Doch da Deep Space Nine in erster Linie keinem wissenschaftlichen Zweck diente, war die Besetzung eines voll ausgebildeten Wissenschaftsoffiziers auf die Alpha-Schicht beschränkt – und dieser war von der Sternenflotte immer noch nicht designiert worden.

O’Brien hatte sich in seine Grube zurückgezogen, um die Energieflüsse möglichst effizient zu leiten. Für den Augenblick gab er alles, was er erübrigen konnte, auf die Schirme. Zwei Techniker standen ihm zur Seite und folgten seinen Anweisungen.

„Schilde halten“, berichtete Commander Benteen zu aller Erleichterung von der taktischen Station.

„Sichtschutz steht“, meldete zeitgleich der bajoranische Offizier von den allgemeinen Stationskontrollen.

„Gut.“ Kiras Blick fixierte den riesigen Wandmonitor, während sie hinter den diensthabenden Kommunikationsoffizier trat. „Haben wir Verbindung zur Vedekversammlung?“

Der Bajoraner nickte und aktivierte den Kanal. Das Logo der Versammlung erschien kurzzeitig, machte jedoch augenblicklich einem Prylar Platz. „Colonel Kira Nerys, Deep Space Nine“, stellte sie sich knapp vor, „steht die Übertragung?“

Die Perspektive auf dem Hauptmonitor wechselte, um dem Energiestrahl zu folgen. In einem Tanz aus Weiß und Blau öffnete sich der Himmelstempel in all seiner Pracht, um die Lanze des Herausforderers zu empfangen. Für einen verstörenden Moment fühlte sich Kira bei diesem Anblick an den Akt der Zeugung erinnert.

Dann bestätigte der Geistliche: „Wir empfangen das Bild, danke Colonel Ki…“

Die in der Leere des Alls erschreckend lautlose Explosion erschütterte Deep Space Nine und zerriss die Kommunikation. Alle Monitore fielen aus. Das die Station umgebende All gab seine schwarze Farblosigkeit auf. Selbst bei 70 Prozent Sichtschutz war die Energie-Sinfonie durch die Fenster deutlich wahrzunehmen.

Das Blauweiß des Himmelstempels verwirbelte mit dem Orangerot des Widersachers. Verschiedene Schattierungen von Lila umwoben die Station und machten es unmöglich Genaueres zu erkennen.

„Wir müssen die Station hier weg bringen.“ Commander Benteens Stimme war das erste humanoide Geräusch, welches die gespenstische Stille durchbrach.

„Unmöglich“, erwiderte Kira. Auch wenn ihr Blick in fast scheuer Faszination auf dem Schauspiel vor den Außenfenstern ruhte, hatte ihre Bemerkung keinen religiösen Hintergrund. „Wir benötigen alle Energie für die Schilde.“

„Die Colonel hat recht“, erklang O’Briens Stimme aus den Tiefen der Technikgrube. „Wenn ich jetzt etwas für die Schubdüsen abzweige, kann ich nicht dafür garantieren, dass die Schilde halten.“

Ein weiterer Ruck ging durch die Station. Wer nicht sicher an seiner Station stand, hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben.

„Was war das?“ wollte Kira wissen.

Benteen und Dax überflogen die hektischen Datenkolonnen, welche ihnen die taktische und die wissenschaftliche Station lieferten. Die enormen Energiemengen irritierten die empfindlichen Sensoren.

„Die Schilde zeigen eine gleichmäßige Belastung“, erklärte Benteen schließlich ungläubig, „nicht nur auf der dem Wurmloch zugewandten Seite.“ Ihr Blick löste sich von den Anzeigen und wanderte zu ihrer Vorgesetzten hinüber, von der sie sich eine Erklärung erhoffte. „Ich dachte, diese Wesen interessieren sich nicht für die Station?“

In Kiras tiefdunklen Augen flackerte es auf. Sie glaubte wieder den erschreckenden mentalen Zugriff zu verspüren, den der pagh wraith in Dukats Form auf sie ausgeübt hatte, sie erinnerte sich der Worte Bareils, als der darüber sprach, was mit Siskos Sohn los sein könnte … Die eisigen Finger, die versuchten nach ihrem Herzen zu greifen und sie zu paralysieren, konnte Kira nur mit erheblichem mentalen Kraftaufwand abschüttelten.

„Das dachte ich auch.“

* * *


Auch wenn er wusste, dass es sinnlos war, riss er die Arme schützend über den Kopf, als das Flammenmeer ihn einhüllte. Er spürte den heißen Atem seiner Götter, wusste, dass die Hitze sein Fleisch verkohlen würde. Nur kurzzeitig fragte er sich, ob der Schmerz lange andauerte. Während er auf die Auflösung wartete, sickerte nur allmählich die Erkenntnis zu ihm durch. Seine Körper war immer noch in eine schützende Hautschicht gehüllt. Eine angenehme Kühle so ganz unähnlich dem Höllenfeuer aus dem Abgrund strich ihm über Hände und Gesicht.

Vedek Gawen senkte langsam die Arme und blinzelte. Da war kein Feuer mehr, nicht mehr das zischende Geräusch der verbrennenden Luft. Die Umgebung, die allmählich als klares Bild vor ihm auftauchte, bestach durch graue, trübe Wände, eindeutig aus von Humanoiden bearbeiteten Materialien, nicht aus in Jahrmillionen gewachsenem Stein.

„Ich bin auf der Raumstation“, keuchte der Geistliche endlich. Es war niemand da, an den er die Worte richten konnte, doch es tat gut, die eigene Stimme zu hören. Ein dankbares Lächeln weichte seine angespannten Züge auf. „Ich lebe.“

Sie hatten ihm gesagt, dass er hierher kommen solle, dass er zu dem Kind gehen solle. Doch als die Flammen begonnen hatten, sich als lebendige Feuerwalze aus dem Abgrund in das Höhlensystem zu ergießen, war ihm jede Hoffnung auf ein Überleben abhanden gekommen.

Nun richtete er sich auf und sah sich um. Anscheinend kümmerte es niemanden, dass ein bajoranischer Vedek quasi aus dem Nichts auf der oberen Galerie der Promenade aufgetaucht war. Besser gesagt: vielleicht würde es jemanden kümmern, wenn diese Person auf ihn geachtet hätte. Doch wohin er auch blickte, standen die Stationsbewohner in ängstlich schweigenden oder leise diskutierenden Grüppchen beisammen und starrten in die Energiewirbel hinaus, in denen Blau und Orange einen wilden Tanz vollführten. Überall auf der Station waren Sichtverkleidungen herabgelassen worden, welche mittlerweile über 90 Prozent der Intensität abschirmten. Doch auch mit dieser Abminderung schmerzte das Licht.

Sieh niemals in das Antlitz Deiner Götter, schoss es dem Vedek durch den Sinn, als er schließlich die Augen senkte. Denn sie werden Deinen Hochmut bestrafen.

Der Boden erzitterte. Die Station wirkte wie ein Schiff auf hoher See, den Urgewalten der Winde ausgesetzt. Der Ansturm war ohrenbetäubend. Die Energieentladungen an den Schilden waren im Inneren der Station beinahe fühlbar. Zwar weigerte sich das Nichts des Alls, jedwedes Geräusch des tobenden Infernos zu übertragen, doch waren die Pufferzonen an den äußeren Pylonen so dünn, dass das Metall die Botschaft des Endkampfes aufnahm und weitergab.

Gawen lächelte erneut. Seine Götter zeigten endlich die Macht, zu der sie fähig waren, und es war gut so. Mit innerer Klarheit wusste der Vedek, dass es nicht mehr darum ging, wer den Endkampf der Götter gewann, es war nur wichtig, dass er ausgeführt wurde.

Geh zum Kind.

Genau das gedachte Vedek Gawen nun zu tun.
Rezensionen