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Asche 14 - Götterdämmerung

von Gabi

Kapitel 2

„Ich vermute nicht, dass die Schilde noch lange halten“, rief Commander Benteen von der taktischen Station. „Wir können die Energie nicht mehr umverteilen, die Belastung hat sich gleichmäßig über die gesamte Station ausgebreitet.“

„Ich brauche keine Vermutungen, ich brauche Fakten! Chief?!“ Colonel Kira war zu beschäftigt für Höflichkeiten. Sie versuchte sowohl die internen Stationskontrollen auf der Konsole vor sich im Blick zu halten als auch das gesamte Geschehen auf der OPS.

O’Briens Kopf blickte kurzzeitig aus der Technik-Grube. Er und seine beiden Mitarbeiter waren in atemberaubender Schnelligkeit damit beschäftigt, Verbindungen von EPS-Leitungen umzustecken, Subroutinen je nach Gebrauch zu aktivieren oder zu deaktivieren und immer mehr nicht essentielle Bereiche der Station in Standby-Modus zu legen.

„Grobe Schätzung: Fünf Stunden bis zum Zusammenbruch, zwei für die ersten strukturellen Probleme. Aber nageln Sie mich bloß nicht auf diese Zeiten fest.“

Die Kommandantin nickte knapp. Ihr Blick glitt über die unter der Decke eingelassenen Sichtfenster des Kuppeldoms. Selbst durch die 90 prozentige Dämmung schmerzte der Kampf ihrer Götter in den Augen. „Sichtschutz auf 95 Prozent“, ordnete sie an. Der bajoranische Offizier, der neben ihr an den internen Kontrollen stand, regelte die Abschirmung entsprechend.

Kira wollte nicht auf völlige Intransparenz gehen. Sie wollte nicht abgeschnitten sein, von dem respekt- und angsteinflößenden Geschehen um die Station herum. Die Außenkameras übertrugen kein verlässliches Bild auf die Monitore, weil die Interferenz durch die Energieausstöße viel zu groß war.

Dank der abermals verringerten Lichtdurchlässigkeit waren die Augen imstande das Geschehen besser aufzulösen. Kira nickte erneut. Dieses Mal grimmiger. Es war eindeutig zu erkennen, dass es nicht nur die pah wraiths waren, die versuchten, zur Station durchzudringen – zu Jeremiah? Zu ihr selbst? Die orangeroten Entladungen der Widersacher verwirbelten direkt oberhalb der Station mit den weißblauen der Propheten, die in den letzten Jahren zu einem Sinnbild ihres Glaubens geworden waren. Es stand völlig außer Frage, Maßnahmen einzusetzen, welche auch ihre Götter schädigen konnten.

„Wir müssen Chroniton-Partikel einsetzen“, bemerkte Commander Benteen, so als hätte sie Kiras Gedanken gelesen. „Wir müssen den Druck von den Schilden nehmen.“

Erneut war O’Briens Kopf zu sehen. „Die schwachen Impulse, die wir für die Einzelwesen hier auf der Station verwendet haben, würden der Masse da draußen nur ein schwaches Lächeln abringen. Um etwas zu bewirken, müssen wir die Schildenergie modifizieren und in die Phaser umleiten. Ich kann aber nicht garantieren, dass wir damit nicht das Wurmloch destabilisieren.“

Der bajoranische Offizier an Kiras Seite schreckte auf. Für den Augenblick vergaß er, dass er in einer Krisensituation nicht ungefragt das Wort zu ergreifen hatte: „Die Propheten bekämpfen?!“ Der ungläubige Schock, der in seinen Worten mitschwang, wurde von seinen bajoranischen Kollegen auf der OPS geteilt.

Kira war froh, dass nicht sie es sein musste, welche diese Bedenken äußerte. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was der Sternenflottenanteil ihrer Brückenoffiziere dazu gesagt hätte. So konnte sie innerlich ihrem Landsmann zustimmen, nach außen jedoch die Neutralität wahren, die einer Stationskommandantin zukam.

Commander Benteen strafte den Einwurf mit strengem Blick. Der bajoranische Offizier wandte sich augenblicklich wieder pflichtschuldig seinen Kontrollen zu.

„Das wird unsere allerletzte Maßnahme sein“, ließ sich Kira vernehmen. Bis der Zeitpunkt nicht gekommen war, musste niemand erfahren, dass sie diesen Befehl niemals würde erlassen können. Die Worte des Kai hallten noch in ihren Ohren nach. Mehr als jemals zuvor in ihrem Leben gab sie sich in die Hände ihrer Propheten.

Sie wandte sich um. Ihr Blick traf denjenigen Ezri Dax‘ an der wissenschaftlichen Station. Die junge Trill mühte sich redlich mit ihrem Kollegen der Beta-Schicht vernünftige Sensorabtastungen zustande zu bringen. „Lieutenant Dax. Ich möchte, dass Sie die Muster der pah wraiths isolieren. Wir müssen den Chroniton-Strahl so konfigurieren, dass er nur sie schädigt. Es sind nur die pah wraiths, die für uns und die Station eine Gefahr darstellen. Chief?!“ Sie wirbelte wieder in Richtung der Technikgrube.

„Wenn ich Daten habe, müsste ich das hinbekommen, Colonel“, ließ sich O’Brien zu Kiras Erleichterung vernehmen.

Sie schlug sich in die Hände, um sich und ihre Offiziere zu motivieren. „Dann ist das nun unsere Priorität. Lieutenant Dax, Lieutenant Hima nehmen Sie sich die Leute, die Sie benötigen.“

Dax nickte pflichtschuldig. Kiras zur Schau gestellter Optimismus prallte wirkungslos an ihr ab. Sie versuchte bereits die letzte halbe Stunde aus den Daten schlau zu werde, welche ihre die Sensoren übermittelten. Doch noch waren nicht zwei Referenzmessungen identisch gewesen. Die Werte, welche ihr das Terminal derzeit übergab, hätte sie genauso gut auch auswürfeln können. „Chief?!“, rief sie mit wenig Hoffnung in Richtung der Technikgrube. „Könnten Sie sich vielleicht zweiteilen? Wir bräuchten unbedingt sensiblere Sensormessungen.“

„Einen Moment!“ O’Brien aktivierte seinen Kommunikator und orderte drei weitere Mitarbeiter seiner Abteilung auf die OPS. „Das bekommen wir alles geregelt“, erklärte er mit unterschwelligem Sarkasmus, „wir haben ja noch zwei lauschige Stündchen Zeit.“

„Nicht mehr unbedingt.“ Commander Benteens Finger flogen über die Kontrollen der taktischen Station. Wenigstens sah es so aus, als ob die internen Sensoren noch in annehmbaren Parametern arbeiteten. „Der Druck auf Pylon 3 hat die kritische Schwelle überschritten. Wir haben erste Brüche in der Außenhülle!“

Kira aktivierte augenblicklich ihren Kommunikator: „Reparaturteam sofort zu Pylon 3. Traumateam zu Pylon 3“, wechselte sie augenblicklich den Kanal. „Commander …“

„Dämmfeld steht!“, verkündete Benteen.

Kira nickte knapp, dann wirbelte sie zu O’Brien herum. „Ich dachte, Sie hätten gesagt, wir hätten noch zwei Stunden bis zu den ersten Schäden?“

Der Chefingenieur war bereits auf diesen Kommentar gefasst. Er hielt dem Blick seiner Kommandantin stand. „Ich habe auch gesagt, dass Sie mich nicht darauf festnageln sollen, Colonel!“


* * *


Das Kreischen herrschte nur in ihrem eigenen Kopf. Auf einer rationalen Ebene wusste sie das ganz genau, doch im Augenblick war kein Platz für Rationalitäten. Den Jungen an sich gedrückt, starrte Kasidy Yates in den Lichterwirbel hinaus. Von ihrem Quartier aus waren nur noch die Ausläufer des Wurmlochs zu sehen, doch auch diese wirkten bereits als würden sie in Flammen stehen. Das Raumphänomen hatte sich geöffnet, als die gebündelte Energie der pah wraiths darauf getroffen war und hatte sich seitdem nicht mehr geschlossen. Wie lange, substanzlose Finger griffen von dort die Ausläufer nach der Station und hielten sie fest in ihrem unbarmherzigen Griff.

Wenn Yates sich ein wenig bückte, konnte sie einen der Pylonen erkennen. Dort schien die Dämmschicht der Schilde besonders dünn zu sein. Immer wieder zuckten Energieentladungen auf, wo der Ansturm auf die Schilde traf. Fast glaubte sie, einen Knick im geschwungenen Bogen des Pylonen ausmachen zu können, doch ihr war klar, dass ihre Fantasie momentan mit ihr durchging.

Warum war sie so verdammt verantwortungsbewusst gewesen? Warum war sie nicht einfach mit der Xhosa gestartet ohne ihrem Arbeitgeber Bescheid zu geben? Sie könnte mit ihrem Frachter bereits außerhalb des bajoranischen Sektors und in Sicherheit sein.

Sie verstärkte den Griff um Jeremiahs Brust ein wenig mehr, während beide immer noch aus dem Fenster blickten. Sie hätte dann allerdings alle ihre Freunde im Stich gelassen, um ihren Sohn zu retten. Doch war es nicht das, was eine Mutter tat? Änderten sich nicht die Prioritäten mit der Geburt des eigenen Kindes radikal? Welchen Nutzen hatte ihr Hierbleiben für ihre Freunde? Was konnte sie hier ausrichten, was Kira, Dax, Bashir und die O’Briens nicht auch ohne sie erreichen würden?

Reflexartig löste sie einen Arm von Jeremiah und schlug mit der Faust gegen das transparente Aluminium des Fensters. Sie hatte Angst, das konnte sie nicht leugnen. Es war nicht die fassbare Angst davor, dass der Station etwas passierte, was die Bewohner der Vernichtung im All aussetzte. Es war die ungreifbare Angst davor, was passierte, wenn die Schilde nicht mehr im Stande sein würden, den Ansturm der pah wraiths abzuhalten. Sie wusste mit felsenfester Sicherheit, dass das Ziel der Energiewesen hier in diesem Quartier war, in ihren Armen.

Der Ton des Türsummers drang so unvermutet und laut in ihre düsteren Gedanken, dass sie vor Schreck einen kleinen Sprung tat. Im ersten Augenblick wollte sie nicht antworten, sich vor dem verbergen, was möglicherweise vor der Tür lauern mochte. Doch dann schalt sie sich eine Närrin. Ein pah wraith würde sich mit Sicherheit nicht mit dem Türmelder aufhalten.

„Herein“, sie konnte dennoch nicht verhindern, dass ihre Stimme ein wenig zitterte. Die Anspannung fiel beinahe physisch von ihr ab, als die sich öffnende Türe den Blick auf das besorgte Gesicht Jake Siskos freigab.

Ihr Stiefsohn trat zu ihr und berührte sie an der Schulter. „Ist alles in Ordnung, Kas? Ich wollte nach euch sehen. Auf der Promenade herrscht Chaos.“ Sein Blick fiel auf seinen Halbbruder und er streckte ihm die offene Handfläche entgegen. „Alles klar, Kumpel?“

Jeremiah ließ kurzzeitig von der begeisterten Betrachtung des Götterkampfes außerhalb der Station ab, um einzuschlagen. „Alles klar, Jake!“, bestätigte er. Im Gegensatz zu jedem anderen Humanoiden, dem der junge Mann auf seinem Weg hierher begegnet war, zeigte der Junge keinerlei Angst. Es lag eher freudige Erwartung in den schwarzen Augen des Kindes, was auf gewisse Weise noch erschreckender war.

Jake versteckte seine Sorge hinter einem brüderlichen Grinsen, dann wandte er sich wieder Yates zu. Seine Miene veränderte sich augenblicklich.

„Wir sind in Ordnung“, log sie, konnte sich den Zusatz jedoch nicht verkneifen: „Solange die Schilde halten.“

Jake nickte. Auch er sah nun zum Fenster hinaus. „Meinst Du mein Vater ist dort irgendwo?“, fragte er schließlich kaum hörbar.

Ein trauriges Lächeln huschte über Yates‘ Züge. Sie legte nun ihrerseits einen tröstenden Arm um Jakes Schulter – wobei sie sich auf die Zehenspitzen recken musste. „Wenn er da draußen ist, hoffe ich, dass er die Macht hat uns zu beschützen.“

„Das wird er.“

Sie standen eine Weile nebeneinander am Fenster und hingen ihren privaten Erinnerungen an bessere Tage nach. Jeremiah, von Sentimentalitäten unbeeindruckt, durchbrach die Stille dann und wann mit eingeworfenen Ausrufen von „Zisch“ oder „Bumm“, wenn eine Energieentladung an den Schilden besonders deutlich sichtbar war.

Abermals meldete sich der Türsummer.

Erschrocken wandte Yates sich an Jake. „Wer kann das sein?“

Ihr Stiefsohn blickte sie ein wenig überrascht an. „Wenn du die Person hereinbittest, wissen wir es“, folgerte er logisch, nicht im Klaren darüber, warum die Frau so ängstlich dreinblickte.

Zögerlich wies Yates den Computer an, ihr Quartier zu öffnen.

Die pah wraiths benötigten keinen Türsummer, aber Vedek Gawen tat es.

„Was wollen Sie?“ Yates zog augenblicklich Jeremiah wieder eng an sich. Beinahe unbewusst brachte sie sich dabei zwischen ihn und den Geistlichen.

Jake wich erstaunt über die Heftigkeit in der Stimme seiner Stiefmutter zurück. Der Vedek in der Türöffnung lächelte freundlich und wirkte harmlos.

„Die Zeit ist gekommen“, erklärte Gawen, und tat den Schritt in das Quartier hinein, der verhinderte, dass sie die Tür wieder vor ihm schließen konnte. „Ihrer Haltung entnehme ich, dass Sie sich dessen sehr wohl bewusst sind, Kasidy.“

„Nennen Sie mich nicht Kasidy“, erwiderte sie eisig.

„Sie haben Ihren Namen geändert?“ Die Mundwinkel des Geistlichen verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln. Er kam langsam näher.

Yates sah sich hektisch in ihrem Quartier um. Es befanden sich nur noch ein Sessel und der Couchtisch zwischen ihr und Gawen. Sie musste zusehen, dass sie zur Seite entkam, wenn er von den Möbeln vor einem direkten Zugriff auf den Jungen blockiert war. Der rationale Teil ihres Bewusstseins, der sich immer mehr in dem tiefsitzenden Unbehagen auflöste, welches die Macht über ihre Handlung übernahm, fragte sich, warum sie vor dem Mann plötzlich eine solche Angst hatte. Bisher war er ihr nur durch lästige, jedoch völlig harmlose Konversation und ein typisch bajoranisches Interesse am Sohn des Abgesandten aufgefallen.

Jake entging der innere Konflikt der Frau nicht. Auch wenn er nicht genau wusste, worin dieser bestand, war ihm klar, welche Stellung er beziehen musste. Mit einem großen Schritt trat er vor Yates und Jeremiah und damit in den Weg des Vedeks. „Sir, wie Sie sehen können, fühlt sich meine Mutter in Ihrer Gegenwart nicht wohl. Ich muss Sie daher bitten, das Quartier wieder zu verlassen“, erklärte er so höflich und bestimmt wie möglich.

Tatsächlich hielt Gawen inne. „Von deiner Mutter möchte ich überhaupt nichts.“ Er legte den Kopf ein wenig schief, so als lausche er einer inneren Stimme, die niemand außer ihm wahrnahm. Als er den Blick wieder hob, verstand Jake, was Yates‘ Problem war. In den dunkelbraunen Augen des bajoranischen Mannes flammten rote Lichter auf. Der Moment war rasch wieder vorbei, doch Jake war sich sicher, dass er keiner Sinnestäuschung erlegen war. Nicht mit all dem, was im Augenblick um die Station herum vor sich ging.

Er dachte an seinen Vater und gab seiner Stimme einen härteren Klang. „Verlassen Sie augenblicklich dieses Quartier, Vedek!“

Gawen trat einen weiteren Schritt vor. „Was passiert, wenn ich das nicht mache?“

„Dann muss ich die Stationssicherheit informieren.“ Jake hatte nicht vor, sich von der Lässigkeit des Geistlichen verwirren zu lassen.

Der Vedek hob die Schultern in einer bedauernden Geste. „Dann tu, was du nicht lassen kannst.“ Mit einer Bewegung, die zu rasch für eine Gegenwehr war, streckte er den Arm aus und schleuderte Jake beiseite. Der junge Mann war nicht auf die Kraft vorbereitet gewesen, die hinter dieser Bewegung steckte. Hätte sich das rote Funkeln in den Augen des Vedeks zuvor noch mit einer Sinnestäuschung erklären lassen, machte diese mühelose Kraftaufbietung deutlich, dass es sich nicht mehr um einen gewöhnlichen Bajoraner handelte.

Jake hielt sich die Seite, wo er gegen den Fensterrahmen krachte. So leicht würde er sich nicht aus dem Weg räumen lassen. Es war an ihm, die Position seines Vaters in dessen Abwesenheit zu vertreten. Er kämpfte die Erinnerung an die ausgesprochen unangenehme Erfahrung nieder, die er bereits einmal mit den pah wraiths gemacht hatte. Er wusste aus erster Hand, was sie mit einem Körper machen konnten, wenn sie erst einmal davon Besitz ergriffen hatten.

„Ich lasse nicht zu, dass Sie den beiden etwas antun“, brüllte er, als er sich mit mehr Mut als Verstand nach vorne auf den Vedek schnellte. Kurz vor dem Zusammenprall von Körper auf Körper, wurde er von Energieentladungen getroffen. Es war ein Gefühl, als hätte er sich ungebremst in ein Sicherheitsfeld geworfen. Für einen Augenblick spielten die Nervenimpulse in Jakes Körper verrückt und er zuckte unkontrollierbar. Er sah, wie sich der Vedek daran machte, ihn einfach beiseite zu schieben, wie Yates wie paralysiert mit Jeremiah im Arm vor dem Fenster stand. Mit immenser Willensanstrengung, zwang er seinen Körper, wenigstens in Richtung des Vedeks zu stürzen.

„Kas“, zwängte er hervor, auch seine Zungenmuskeln wollten ihm nicht mehr gehorchen. „Flieh!“

Er spürt noch den Aufprall auf die Gestalt des Vedeks, merkte, dass er diesen ins Wanken bringen konnte und für einen Moment in seinem Weg hinderte. Dann traf ihn abermals der Arm des besessenen Bajoraners, und da ihm momentan keiner seiner Muskeln gehorchte, hatte er nicht die Möglichkeit, sich in irgendeiner Weise vor dem erfolgenden Aufprall zu schützen. Sein Kopf berührte den Fensterrahmen und seine Welt wurde dunkel.


Yates hatte den ungleichen Kampf mit übelmachender Faszination angestarrt. Sie konnte Jake doch nicht einfach alleine lassen, wenn er ihr schon so beherzt zu Hilfe kam… Andererseits wäre Jakes Hilfe vollkommen umsonst gewesen, wenn sie sich jetzt nicht bewegte. Dass sie dem Vedek gewachsen wäre, machte sie sich erst gar nicht vor. Darüber hinaus galt es, Jeremiah in Sicherheit zu bringen. Er war im Augenblick das Wichtigste. Wenn der Vedek ihn bekam, dann war alles umsonst. Sie presste den Jungen an sich und begann zu rennen. Um die Couchgarnitur herum erreichte die sie Quartierstür, die immer noch offen stand. Sie gönnte sich einen kurzen Moment des Triumphs, als sie es tatsächlich auf den Korridor hinaus schaffte, ohne dass der Vedek Hand an sie oder ihren Sohn hatte legen können. Jetzt galt es zu rennen, ganz gleich wohin, einfach nur fort von hier.


Vedek Gawen verließ Sekunden später das Quartier. Er rannte nicht. Ganz gleich, wohin sich die Frau des Abgesandten auch wenden mochte, für sie gab es auf dieser Station kein Entkommen mehr.

* * *


Bareil stutzte einen Moment, als er die Tür zu Kasidy Yates‘ Quartier offenstehen sah. Er war bereits einige Zeit ziellos auf der Station herumgelaufen ohne sich im Klaren darüber zu werden, was er jetzt machen sollte. Auf der Promenade war bereits leichte Panik ausgebrochen, die Stationssicherheit hatte alle Hände voll zu tun, einigermaßen die Ordnung zu bewahren. Die Schilde arbeiteten nicht mehr auf voller Leistung, die heftigen Entladungen außerhalb begannen sich nun auf die Struktur der Außenhülle zu übertragen. Immer wieder bebte die Station. Medi-Teams waren im Dauereinsatz, um Sturzverletzungen zu behandeln. Die Station war von jeder Kommunikation abgeschnitten, so viel hatte Bareil mitbekommen. Sie konnten also keine Hilfe von Bajor oder gar der Föderation erwarten, weil niemand wusste, dass sie in Gefahr schwebten und wie groß diese war. Eine Evakuierung war aufgrund der Energiehülle, welche die Wurmlochwesen um sie bildeten nicht möglich. Genauso wenig war ein Transport außerhalb der Station auf ein eventuelles Rettungsschiff – so es die Sensoren überhaupt wahrnehmen konnten, und jemand ein solches schicken sollte – machbar.

Sie konnten lediglich ängstlich in ihrer Blechdose sitzen und darauf hoffen, dass jemand mit dem Dosenöffner kam und ihnen freundlich zuwinkte.

Gerne wäre er jetzt auf der OPS an Kiras Seite, einfach nur neben ihr stehen und ihr durch seine stille Gegenwart Kraft spenden. So jedenfalls die offizielle Version, mit der Bareil sein Selbstvertrauen schützen wollte. In Wahrheit erhoffte er sich ein wenig Zuversicht von der resoluten Bajoranerin. Er hatte nicht gerade Angst, dazu verstand er zu wenig von dem, was um ihn herum vor sich ging. Doch eine unangenehme Unruhe breitete sich immer mehr in ihm aus und er hatte keine Aufgabe, um sich davon abzulenken.

Die Station war aus solidem Duranium erbaut, um den Unbillen des Alls, wie Sonneneruptionen oder vorbeiziehenden Kometen zu trotzen. An den Kräften dort draußen gemessen, war es jedoch nur eine Eierschale, die sie hier auf der Station vom Kältetod im All schützte. Nicht wirklich der beruhigendste aller Gedanken, dem man nachhängen konnte.

Daher war Bareil fast schon unpassend erleichtert, als er den umgestürzten Sessel in Yates‘ Quartier erblickte und den wie leblos daneben liegenden Jake Sisko. Es stellte immerhin eine Ablenkung von seinen Grübeleien dar.

„Jake!“ Er kniete sich neben den jungen Mann nieder und versuchte, den Puls zu fühlen. Er hoffte, dass das bei Terranern an ähnlichen Stellen wie bei Bajoranern möglich war. Das Herz fand er schließlich auf der falschen Seite des Brustkorbs und zur großen Erleichterung präsentierte sich seiner Hand und dem daneben aufgelegten Ohr ein gleichmäßiger Takt. Er vermied es, Jake zu bewegen. Stattdessen trat er an die Kommunikationseinheit an der Wohnzimmerwand, benötigte nur wenige Augenblicke, um den privaten Zugangscode der Besitzerin zu knacken und informierte dann die Krankenstation.

Er setzte sich neben Jake auf den Boden und wartete. Es dauerte nicht lange, da begannen sich die Lider des jungen Mannes zu bewegen. „Kas!“, krächzte er nur halb bei Bewusstsein. Der Ton in der Stimme alarmierte Bareil.

„Nicht bewegen, Jake. Ich weiß nicht, ob du dir nicht was gebrochen hast. Ein Medi-Team ist gleich bei dir.“

Auf Bareils Stimme hin, fokussierten Jakes Augen den Bajoraner. „Kas ist in Gefahr. pah wraiths!“ Die Augen des bajoranischen Mannes weiteten sich. Mehr brauchte Jake nicht zu sagen. Von einem Moment auf den anderen hatte Bareil mehr Aufgabe als ihm lieb war.

Nervös lief er im Quartier auf und ab, bis das Medi-Team eintraf, dann eilte er auf den Korridor hinaus. Einer Eingebung folgend lenkte er seine Schritte in Richtung Promenade. Mit Visionen der Propheten hatte alles angefangen, es war nur folgerichtig, dass damit auch alles endete.

* * *


Von Zeit zu Zeit rief O’Brien Anweisungen für Systemrekalibrierungen in die Technikgrube hinüber. Er arbeitete neben Dax an der wissenschaftlichen Station und versuchte immer noch die Sensoren dazu zu bewegen, ihnen irgendeinen Unterschied im Muster der Energiewesen auszuspucken.

Nach der siebten Neujustierung fluchte er leise. „Ich wünschte, Dax wäre hier.“

Ezri Dax hob ihren Kopf von den Zahlenkolonnen, welche ihr die Konsole präsentierte. „Ich bin hier!“

Der Chief sah irritiert auf, dann röteten sich seine Wangen ein wenig. „Ich meinte nicht Dax, ich ...“

„Ich weiß.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Jadzia.“

Der Ire schenkte ihr ein schräges Lächeln. „Nichts für ungut. Ich könnte nur sehr gut eine brillante Theoretikerin für meine praktische Herangehensweise gebrauchen.“

Dax erwiderte das unangenehme Lächeln. „Ich bemühe mich nach Kräften. Aber ich weiß nicht, ob ich hieraus selbst nach einem Jahr Studium schlau werden würde – ganz zu schweigen davon, dass wir nicht im Mindesten ein Jahr haben.“ Sie fixierte ihren Blick wieder auf die Sensordaten. „Ich fürchte, wir müssen auf die Praxis vertrauen.“

Er wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn und seufzte. „Meine bevorzugte Vorgehensweise.“

Die Tür zum Büro der Kommandantin öffnete sich. Das Zischen besaß einen geradezu aggressiven Unterton.

„Chief! Wie sieht es aus?“ Kira griff nach dem Treppengeländer, als die Station sich ein weiteres Mal aufbäumte. Sie atmete tief durch, bis der Boden sich nicht mehr gegen diejenigen, die auf ihm standen, wehrte. Dann setzte sie ihren Weg zur wissenschaftlichen Station fort.

Er schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich finde keine Möglichkeit, die Energiemuster zu separieren. Sie sind identisch.“

„Sie können nicht identisch sein!“ Kiras Glaube an ihre Götter hielt die Oberhand über die rationale Offizierin.

„Es tut mir leid, Colonel, aber wie es bisher aussieht, sind die Unterschiede …. eher philosophischer Natur, nicht physikalischer“, versuchte Dax es auf die diplomatische Art.

„Suchen Sie weiter. Das ist kein Ergebnis, das ich akzeptieren kann.“

„Aye, Sir.“ O’Brien nutzte den Moment, in welchem Kira sich zum Zentrum der Ops umwandte, um eine Grimasse in Dax‘ Richtung zu schneiden. Die Trill zog ein Gesicht als hätte sie Säure geschluckt.

Mit unheilvollem Metallknirschen erreichte ein weiterer Energieausbruch des Machtkampfes die Station. Kira griff zu spät nach der Konsole, die Kante schlug ihr empfindlich in den Magen. Mit zusammengebissenen Zähnen akzeptierte sie O’Briens helfende Hand, als die Umgebung wieder zur Ruhe kam. „Wie lange halten die Schilde noch?“

Der Chief hielt seine Stimme ebenso bedeckt, wie die Kommandantin das getan hatte, jedoch aus anderen Gründen. „Eine Stunde ... im besten Fall.“

Für einen kurzen Augenblick verrieten die dunklen Augen der Bajoranerin die Panik, die in ihr herrschen musste. Doch sie hatte sich bewundernswert rasch wieder im Griff. Sie nickte. „Genug Zeit, um eine Lösung zu finden.“ In der ihr eigenen Art war die Bemerkung wahrscheinlich als Ermunterung gedacht, doch sie bewirkte bei O’Brien das Gegenteil. Einmal mehr hatte er das Gefühl, dass die Verantwortung auf seine Schultern gelegt wurde. Er würde auch in einer Stunde nichts anderes sagen können, als das, was ihm die Sensoren jetzt mitteilten.

„Sir!“ Die schneidende Stimme von Commander Benteen forderte die Aufmerksamkeit. Sie versuchte über Interkom mit Lieutenant Nog die innere Sicherheit zu koordinieren. Eine Aufgabe, die mit jedem Ansturm gegen die Station hoffnungsloser wurde. Die Zivilisten waren gefangen in einem Papierschiffchen, welches einem wetterleuchtenden Ozean ausgesetzt war, ohne genau zu wissen, was vor sich ging, und ohne jede Möglichkeit ihr Schicksal in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Besonders in Krisenzeiten zog die Terranerin ihr Vertrauen aus den strengen Regelwerken der Sternenflotte. Als Offiziere hatten sie immer eine Aufgabe zu bewältigen und selten den selbstzerstörerischen Luxus, über zu Vieles nachzudenken. Als sie sich jetzt ihrer Vorgesetzten näherte, wurde ihr deutlich bewusst, dass diese Frau kein Sternenflottenregelwerk besaß, um sich daran festzuhalten. Ihre gesamte Stärke musste aus ihr selbst kommen.

„Ich würde gerne mit Ihnen sprechen, Colonel.“

Kira nickte und versuchte, den schmerzenden Magen zu ignorieren.

Als Benteen sah, dass die Kommandantin hier auf der Ops mit ihr reden wollte, neigte sie den Kopf in Richtung des Büros. Was sie zu sagen hatte, war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Kira nickte abermals. „Kommen Sie in mein Büro, Commander.“

„Sie müssen etwas unternehmen.“ Benteen wartete nicht ab, bis Kira sich gesetzt hatte. „Wie lange wollen Sie noch warten? Bis die Schilde zusammenbrechen?“

Die Bajoranerin hatte nun ihren Tisch umrundet und blickte ihren Ersten Offizier ernst an, was dieser ein nachträgliches „Sir!“ abrang.

„Glauben Sie, ich bin mir der Tragweite der Situation nicht bewusst?“ wollte die Kommandantin mit erstaunlicher Ruhe wissen.

Benteen straffte ihre Haltung. „Doch, ich bin mir sicher, dass Sie wissen, was auf dem Spiel steht.“

„Aber ...?“

„Aber Sie messen den Konsequenzen eine andere Bedeutung zu als der Rest der Station.“

Kira hob ihre Augenbrauen. „Es war mir nicht bewusst, dass Sie die Meinung aller Bewohner von Deep Space Nine kennen.“

„Sie wissen genau, was ich meine.“ Die Anspannung ließ Commander Benteen abermals das Sternenflotten-Protokoll vergessen. „Geben Sie O’Brien den Befehl die Phaserbänke zu modifizieren. Das ist unsere einzige Chance, und Sie wissen das auch.“

„Wir haben noch ein wenig Zeit. Ich will nicht vorschnell handeln.“ Kira maß die Terranerin mit kritischem Blick. Es wäre sinnlos, ihr erklären zu wollen, welche Bedeutung der Himmelstempel und die Propheten für ihr Volk hatten und wie gering sich dagegen die Bedeutung der Station und ihrer Bewohner ausmaß. Wie konnte jemand von ihr verlangen zwischen dem Einen und dem Anderen zu wählen? Sie liebte die Station und die ihr darauf anvertrauten Individuen. Doch wenn es zum Äußersten kommen sollte, dann würde sie nicht die Hand heben können, um sie zu schützen – der Preis, den dies forderte war viel zu hoch, als dass sie ihn bezahlen könnte. Ihre gesamte Hoffnung lag darin, dass ihre Götter schützend ihre Hände über sie halten würden. Doch wie sollte sie das einer Ungläubigen begreiflich machen?

Vorschnell handeln? Diese Station wird auseinanderbrechen, wenn die Schilde fallen.“

Kira beugte sich über den Tisch vor. Ihr Vorrat an gelassener Überlegenheit war aufgebraucht. Es war niemandem geholfen, wenn sie in dieser Situation ihr Temperament durchgehen ließ. Doch Benteens Zweifel an ihrer Führerschaft rührten zu sehr an den Selbstzweifeln, die an ihr nagten. „Und auch das ist mir bewusst“, bemerkte sie bedrohlich leise. „Wenn Sie keine anderen Vorschläge haben als diejenigen, die ich ohnehin schon kenne, würde ich empfehlen, dass Sie wieder an Ihren Posten zurückkehren, Commander. Ihre Bedenken sind notiert.“

„Ich werde einen offiziellen Protest im Log-Buch eintragen.“

„Das ist Ihr gutes Recht.“

Benteen trat zur Tür zurück. „Natürlich wird Sie das nicht stören, denn wenn diese Station von Ihren Göttern zermahlen wird, bleibt auch kein Logbuch mehr übrig.“ Die Tür öffnete sich und Benteen wandte sich mit einem knappen „Sir!“ wieder der Kommandozentrale zu.

Kira wartete bis die Terranerin die Treppen hinuntergegangen war. Sie sah noch, wie der Erste Offizier einen Vertretungsoffizier an die taktische Station winkte und sich dann auf den Weg zum Turbolift macht. Die Bajoranerin dachte nicht weiter darüber nach, sie schwang ihren Sessel zum Fenster herum. Durch die Sichtdämpfung starrte sie in den Endkampf ihrer Götter.

Was sollte sie tun? Sie hatte darauf gesetzt, dass es O’Brien gelingen würde, die Energiemuster ihrer Propheten und der pah wraiths zu isolieren. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass es sich um ein und dieselbe Form handeln könnte. Wie konnten ihre Götter und die verdammten Widersacher sich so ähnlich sein?

Sie verspürte den Drang, die Verantwortung jemandem anderen zu übergeben. Sie sehnte sich nach geistlichem Beistand. Doch ihr Platz war hier auf der Ops, sie konnte sich jetzt nicht den Luxus gönnen, den Stationstempel aufzusuchen. Was in den nächsten Stunden hier geschah, war ganz alleine ihre Entscheidung. Und sie würde mit den Konsequenzen leben müssen.

Für die Sternenflottenoffiziere gab es keine Frage, wie sie vorzugehen hatten. Sie würden die Station versuchen zu retten, selbst wenn das bedeutete, dass sich das Wurmloch für immer schloss. Doch sie war kein Sternenflottenoffizier – und mit dem heutigen Tag bezweifelte sie auch, dass sie das jemals wurde - Ihre Prioritäten würden stets andere sein.

Wenn sie jetzt den Befehl gab, den Himmelstempel zu beschießen, dann hatte Deep Space Nine vielleicht wirklich eine Chance, der Zerstörung zu entgehen. Doch was für ein Leben läge dann vor ihr – und jedem anderen Bajoraner?

* * *


Erst als sie aus dem Verbindungskorridor auf die Promenade hinausstürmte, wagte Kasidy Yates es, für einen Augenblick stehen zu bleiben und nach Luft zu schnappen. Die mittlerweile regelmäßigen Erschütterungen der Station hatten ihr einiges an Balance abverlangt. Dazu kam, dass Jeremiah die Größe und das Gewicht eines fünfjährigen Jungens besaß, was sie schmerzhaft in ihrem Rücken merkte.

Kurzzeitig setzte sie ihren durch den hektischen Aufbruch irritierten Jungen ab, um sich ein wenig strecken zu können. Ihr lief die Zeit davon. Sowohl in Hinsicht der Verfolgung durch Vedek Gawen als auch, was die Geduld ihres Sohnes betraf. Deutlich war es in Jeremiahs Blick zu erkennen, dass er begann, die Verwirrung der Ereignisse abzuschütteln, um seinem Unwillen Platz zu machen, dass er nicht mehr am Fenster stehen durfte, um das abenteuerliche Knistern an den Ausläufern der Station zu betrachten.

Yates‘ Blick huschte zur oberen Promenadengalerie hinauf. Sollte sie sich mit ihm dort an eines der Aussichtsfenster stellen? Jeremiah wäre dann zufrieden, denn der Blick von dort war um einiges besser als aus ihrem kleinen Quartiersfenster, und sie wären in der relativen Sicherheit der Öffentlichkeit. Doch noch bevor sie den zweiten Gedanken zu Ende gedacht hatte, war Yates‘ klar, dass die Gegenwart anderer Stationsbewohner ihr keinerlei Schutz vor dem Vedek bieten würde. Sie würde lediglich vor mehr Zeugen als in ihrem Quartier scheitern.

Sie blickte sich um. In kleinen Grüppchen sah sie Sicherheitspersonal patrouillieren und die aufgebrachten Stationsbewohner ermahnen, sich in sichere Bereiche zurückzuziehen und nicht die Promenade zu blockieren.

Ja, das war es! Sie würde Jeremiah zum Sicherheitsbüro bringen. Vielleicht bot das Personal dort und die Energiefelder der Zellen eine gewisse Barriere für den besessenen Vedek. Auf jeden Fall würde sie sich unter Personen, die Waffen trugen, wesentlich sicherer fühlen.

„Komm, Jerry“, versuchte sie mit möglichst aufmunternder Stimme ihren Sohn zum Gehen zu bewegen. „Lass uns Lieutenant Nog besuchen. Er kann dir sicherlich wieder etwas Spannendes mit seinen vielen Überwachungskameras zeigen.“ Der Sicherheitschef hatte Jeremiah das letzte Mal mit den Monitoren spielen lassen, was den Jungen fasziniert hatte.

„Ich will aber den Kampf sehen“, maulte Jeremiah, doch seine Gegenwehr war nicht so heftig wie befürchtet. Die Leute auf der Station ohne deren Wissen beobachten zu können, war ebenfalls ein kurzweiliges Spiel. Zwar beschwerte er sich noch ein wenig, doch er folgte seiner Mutter auf die Promenade hinaus.

Auf halbem Weg zum Sicherheitsbüro kamen sie am Eingang des bajoranischen Tempels vorbei. Davor hatte sich eine Menge Gläubiger versammelt, zu denen Prylar Egil beruhigende Worte sprach. Dadurch, dass die Station von jedem Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten war, hatten sich die Bajoraner aus dem zur Katastropheninformation eingerichteten Bereich entfernt und hier wieder eingefunden. Viele waren sich nicht sicher, ob die Sorge um ihre Angehörigen in den vom Erdbeben heimgesuchten Provinzen auf Bajor oder die Sorge um ihre derzeitige Situation überwog. Doch in beiden Fällen war der beruhigendste Ort für einen gläubigen Bajoraner im Einflussbereich der Geistlichen und ihrer Götter.

Yates stutzte. Sie war sich nicht sicher, ob den Energiewesen mit Waffen beizukommen war. Jedoch zeigte der andauernde Kampf außerhalb der Station, dass es eine Macht gab, die sich ihnen zumindest gleichwertig entgegenstellen konnte. Kurzentschlossen hob sie trotz des protestierenden Rückens ihren Sohn wieder auf die Arme. Grober als es sonst ihre Art gewesen wäre, bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge. Sie holte tief Luft, als sie sich Angesicht zu Angesicht mit dem Prylar wiederfand. Dann sprach sie die Worte, die sie eigentlich verachtete: „Der Sohn des Abgesandten benötigt die Hilfe der Propheten.“

Prylar Egil nickte lediglich. Wenn er überrascht war, dann ließ er es sich nicht anmerken. Er trat beiseite, um Yates und den Jungen in den Tempel einzulassen. Dann wandte er sich wieder der Menge zu: „Durch seinen Sohn ist der Abgesandte nun bei uns. Die Propheten halten ihre Hände über uns …“

Yates schritt durch den schwach erleuchteten Gang, bis sie in die Andachtskammer kam. Diese war leer, doch im angrenzenden Vorbereitungsraum konnte sie leises Gemurmel hören. Sie hielt Jeremiah fest an sich gepresst. Der Junge hatte begonnen, sich gegenihren Griff zu wehren. Ihm war dieser Tempel nicht geheuer, und er versprach mit Sicherheit keine gute Unterhaltung. „Ich will zu den Monitoren oder zum Aussichtsfenster“, erklärte er bestimmt, als Yates ihn schließlich herunterlassen musste. Doch sie hielt immer noch seine Hand fest umschlungen. Sie war nicht gewillt, diese Finger loszulassen, für nichts auf der Welt.

„Lass los, Mama, lass los!“

Yates ignorierte den Ton in der Stimme ihres Sohnes, der ihr deutlich machte, dass er kurz davor stand, wieder etwas Unkontrollierbares zu tun. Sie zerrte ihn in den Nebenraum.

Dort saßen die vier Akolythen, die im Tempel Dienst taten, in einem Kreis auf dem Boden und murmelten Gebete vor sich her. Nervosität lag in der Luft. Ein Blick ans hintere Ende des Vorbereitungszimmers machte klar, warum. Hinter einem einbruchsicheren Schutzschild stand der Drehkörper der Kontemplation. Der sonst so unscheinbare Reliquienschrein schien von innen heraus zu leuchten, so als ob in seinem Inneren ein ganz privates Wetterleuchten stattfand. Immer wieder zuckten an den Rändern des Gefäßes Energieentladungen auf, die im Zusammenspiel mit dem Kraftfeld aufknisterten. Jeremiah vergaß seine Proteste und verfolgte das Schauspiel. Dieses Mal zeigten seine Augen keine Begeisterung sondern verhaltene Furcht.

Der Älteste der Akolythen war auf die Ankömmlinge aufmerksam geworden. Er unterbrach sein Gebet und erhob sich aus seiner knienden Haltung. Die anderen blickten nun ebenfalls auf.

„Was können wir für Sie tun?“, fragte er unsicher. Normalerweise war es am Stationsprylar sich um Gläubige zu kümmern, die den Tempel zur Andacht aufsuchten.

Ein weiterer Akolyth erkannte den Jungen. „Der Sohn des Abgesandten“, erklärt er, indem er den Kopf respektvoll neigte. Die anderen taten es ihm augenblicklich gleich.

Yates war zum ersten Mal froh um diese seltsame Verehrung. Der Umstand würde es ihr leichter machen, Hilfe zu bekommen. Sie schob Jeremiah ein wenig vor sich, damit klar war, dass es einzig und alleine um ihn ging.

„Er benötigt Ihre Unterstützung und das Asyl des Tempels“, erklärte sie hastig.

Der ältere Akolyth, der als erster gesprochen hatte, blickte sie verwundert an. „Vor wem ist der Sohn des Abgesandten auf der Flucht?“

Die anderen Geistlichen hatten ihre Gesichter Yates und ihrem Sohn zugewandt, die immer noch im Eingang standen. In ihren Augen konnte die Frau nun einen Anflug von Erleichterung ausmachen, doch die Blicke galten nicht ihr. Sie schienen an ihr vorbei zu sehen.

„Vedek Gawen, wie gut, dass Ihr …“, begann einer der jüngeren Akolythen.

Yates wandte sich wie in Zeitlupe um. Sie blickte in das lächelnde Antlitz ihres Verfolgers.

„Vor ihm!“, erklärte sie mit lauter, zitternder Stimme.
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