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Asche 14 - Götterdämmerung

von Gabi

Kapitel 3

In der Krankenstation ging es zu wie in einem Bienenstock. Die Meldungen über Verletzungen nahmen kein Ende. Bashir gingen allmählich die Medi-Teams aus. Er hatte jeden, dem er habhaft werden konnte für den Dienst aktiviert. Doch immer öfters mussten die Anfragen nach Sanitätern auf eine Warteliste gesetzt werden. Im Andockring waren bereits Hüllenbrüche zu verzeichnen, wo die Schilde dem Ansturm nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Bisher schien es so zu sein, dass das entsprechende Personal dort rechtzeitig evakuiert werden konnte, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis es zur ersten Katastrophe kam.

Vor wenigen Minuten war auch noch Jake Sisko mit mehreren Knochenbrüchen eingeliefert worden und sein unzusammenhängendes Gestammel von einem besessenen Vedek half nicht, um die Gesamtsituation zu entspannen. Bashir hatte die Stationssicherheit darüber informiert, doch Lieutenant Nog erging es ähnlich wie ihm: Auch dem Ferengi ging an allen Enden das Personal aus.

Julian Bashir sah überrascht auf, als Commander Benteen im Türrahmen stand. Er half seiner Crew wo es nur ging mit all den Schürf- und Schlagwunden, welche sich die Stationsbewohner bei den immer häufiger auftretenden Erschütterungen der Station zuzogen.

„Doktor.“ Die Frau wirkte angespannt, Bashir hätte ihre Miene beinahe als unsicher bezeichnet, wenn er jemals erlebt hätte, wie sich bei Erika Benteen Unsicherheit zeigte.

„Commander, alles in Ordnung? Haben Sie eine Lösung unseres Problems gefunden?“

„Darüber möchte ich mit Ihnen sprechen – unter vier Augen.“

Kurze Zeit später blickte Bashir sie nachdenklich an. Sie saßen sich nun in seinem Büro gegenüber. „Damit keinerlei Unklarheiten zwischen uns bestehen – Sie haben mich gerade darum gebeten, Colonel Kira medizinisch für unzurechnungsfähig zu erklären und sie ihres Kommandos zu entheben?“

Der Arzt hielt es Commander Benteen zugute, dass diese ganz offensichtlich unter ihrer eigenen Bitte litt. Es wirkte nicht wie ein Schritt, der ihr leicht gefallen war, was für Bashir persönliche Boshaftigkeit gegenüber ihrer Vorgesetzten weitestgehend ausschloss.

Sie nickte. „Glauben Sie mir bitte, dass ich mich sehr unwohl bei dieser Anweisung fühle, doch in Anbetracht der Ernsthaftigkeit unserer Situation sehe ich keine andere Möglichkeit. Ich habe das noch nie in meiner Laufbahn als Sternenflottenoffizierin getan“, fügte sie wie zur Entschuldigung hinzu.

Bashir stützte sein Kinn auf, presste die Hände allerdings sofort wieder gegen die Tischplatte, als die Station erneut erschüttert wurde. Aus dem Untersuchungsbereich war das Klirren umstürzender Instrumente zu hören.

„Die Schilde halten nicht mehr lange.“ Benteen, die sich ebenfalls an den Tisch klammerte, erhob ihre Stimme, um sich über den allgemeinen Lärm Gehör zu verschaffen. „Wir haben einfach keine Zeit mehr.“

„Colonel Kira weiß, was sie tut“, beharrte Bashir. Allmählich wagte er es wieder, die Hände anzuheben. „Ich kenne sie schon sehr lange. Sie ist nicht der Typ, der in einer schwierigen Situation labil wird.“

„Und wie oft hat sie in der Vergangenheit schon die Entscheidung treffen müssen, das Wohlergehen dieser Station gegen dasjenige ihrer Götter abwägen zu müssen?“

Er begegnete ihrem Blick, die offene Sorge darin war nicht gespielt. Vor ihm saß eine Frau, die sehr wohl davon überzeugt war, dass Kira imstande wäre, Deep Space Nine zu opfern. Bashir wäre froh, er hätte diese Sorge mit vollster Überzeugung beiseite wischen können.

„Noch nie“, gestand er. „Bisher lag die Verantwortung immer bei Captain Sisko.“

Sie nickte, so als hätte er ihre Befürchtung untermauert.

„Dennoch kann ich Ihnen nicht helfen“, fügte der Arzt hinzu. „Ich kann niemanden für medizinisch unzurechnungsfähig erklären, weil er moralische Bedenken hat.“

„Aber der gesunde Menschenverstand ...“

„Wir haben es hier mit einem bajoranischen Verstand zu tun – Sie haben mittlerweile sicherlich schon mitbekommen, dass Bajoraner manche Dinge etwas anders sehen ...“

Das ungeduldige Schnauben sagte ihm deutlich, dass sie das hatte.

„… und untersagt uns die Hauptdirektive nicht, fremde Lebensformen zu vernichten, um uns selbst zu retten?“, ignorierte er ihre Reaktion.

Benteen stand auf, mehr frustriert als verärgert. „Ihnen ist sehr wohl klar, dass wir es hier nicht mit einer prä-Warp-Kultur zu tun haben, sondern mit einer Lebensform, welche uns dermaßen weit überlegen ist, dass wir uns nicht einmal auf derselben Entwicklungsskala einordnen können. Denen ist unser Leben völlig gleichgültig. Alles, was wir tun, ist, unser eigenes Leben und das von jedem Lebewesen auf dieser Station zu retten! Ich hatte gehofft, dass Sie mich verstehen. Doch anscheinend ist jeder auf dieser Station erpicht darauf in Stücke gerissen zu werden.“

Bashir erhob sich ebenfalls. „Was immer das wert ist – ich verstehe Sie. Ich habe weitaus mehr Beziehung zu meinem eigenen Leben und demjenigen der Stationsbewohner als zu den bajoranischen Propheten, das dürfen Sie mir glauben. Aber ich vertraue Colonel Kira, dass sie das ebenfalls hat.“

„Das glauben Sie wirklich?“ Benteen schüttelte den Kopf. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, um das herauszufinden.“

„Vertrauen sie ihr.“

Benteen wandte sich in der Tür noch einmal um. „Vertrauen ist nichts, das mir leicht fällt. Vorsicht liegt mir weit mehr.“

* * *


Bareil hastete die Promenade entlang. Die Erschütterungen kamen nun häufiger. Er wollte gar nicht daran denken, was das bedeutete. Was würde geschehen, wenn die Schilde fielen und die pah wraiths ungehindert die Station überschwemmen konnten? Würden sie alle sterben? Der dunkelhaarige Bajoraner wusste nur eines, im Fall ihres Untergangs wollte er an Kiras Seite sein. Er musste Yates und Jeremiah finden, und dann musste er sie alle zur OPS bringen. Dieses Mal würde er sich nicht wieder wegschicken lassen.

Er war in dieses Universum geflohen, in der Hoffnung, mit der zauberhaften Nerys leben zu können. Wenn das nicht möglich war, dann wollte er wenigstens an ihrer Seite sterben.

Die nächste Erschütterung ließ ihn beinahe stürzen. Er schalt sich selbst, dass er sich müßigen Gedanken hingab, statt auf den Weg zu achten. Noch waren sie nicht am Ende, noch konnte er agieren und nicht nur reagieren.

Die Versammlung der Gläubigen vor dem bajoranischen Tempel hatte sich mittlerweile auf den Boden gesetzt, um besser gegen das Aufbäumen der Station gewappnet zu sein. Bareil sah einige Paare, die sich in den Armen hielten, einander Trost und ein wenig Hoffnung für das Ungreifbare schenkten. Er beneidete diese Bajoraner.

Prylar Egil hatte sich auf den Stufen des Tempeleingangs niedergelassen. Er gab sich große Mühe, seinen Zuhörern Zuversicht in diesen ungewissen Stunden zu geben, indem er Erzählungen aus der langen Zeit ihres Glaubens wiedergab, in denen es immer wieder um das eine Thema ging: wie die Propheten ihren Kindern in schier unüberwindlichen Situation zur Seite gestanden hatten und die Kraft des Glaubens obsiegte.

Immer wieder schweiften jedoch einzelne Blicke von dem Geistlichen ab in Richtung des Tempelinneren. Etwas musste darin vor sich gehen, und das gab Bareil die Hoffnung, dass er hier richtig war.

Er begann sich vorsichtig seinen Weg durch die am Boden sitzenden Bajoraner zu bahnen. Die Unstetigkeit der Station machte dieses Vorhaben schier unmöglich und er entschuldigte sich mit wortreichem Geflüster bei denjenigen, auf deren Hände er getreten oder gegen die er gestolpert war.

Am Eingang zum Tempel hielt Prylar Egils Hand ihn auf. „Mein Sohn, wir beten hier draußen und wollen unsere Schwestern und Brüder in ihrer Zwiesprache nicht stören.“

Bareil ließ sich neben dem Geistlichen auf ein Knie nieder und brachte den anderen so dazu, ihn auf Augenhöhe anzublicken. Auch wenn sich nach nahezu einem halben Jahr viele der ständigen Stationsbewohner an den Anblick des zumindest in seiner Erscheinung wieder auferstandenen Vedek Bareil gewöhnt hatten, machte sich bei den Angehörigen des geistlichen Standes immer noch eine gewisse Unruhe in seiner Nähe breit, ein Verlangen nach der Gegenwart des einst so beliebten Mannes, gepaart mit dem Unbehagen, dass sein Doppelgänger so gar nicht der überlegenen Ruhe des Vedeks entsprach.

„Sagen Sie mir nur, ob Kasidy Yates und der kleine Jeremiah dort drin sind“, wollte Bareil leise wissen.

Prylar Egil nickte. „Doch machen Sie sich keine Sorgen, mein Sohn. Vedek Gawen hat uns mit seiner Gegenwart beehrt und ist nun bei ihnen. Sie sind in …“

Bareil hörte sich nicht mehr an, in welch guten Händen die beiden offensichtlich waren. Die rechte Hand des Kai sollte sich nicht einmal hier auf der Station befinden. Deep Space Nine war von der Außenwelt abgetrennt, kein Transporter hätte andocken und den hohen Geistlichen hierher bringen können.

Der dunkelhaarige Mann sprang so rasch auf, dass Prylar Egil ihm nicht schnell genug den Zugang verwehren konnte. Mit einem großen Satz war Bareil an dem Geistlichen vorbei und rannte den schwach beleuchteten Korridor zur Andachtshalle hinunter. Was der Prylar ihm nachrief verstand er bereits nicht mehr.

Bareil hoffte, dass er noch rechtzeitig kam – rechtzeitig für was war ihm allerdings nicht klar. Mit zwei weiteren Sätzen durchquerte er die Kammer, in welcher die Messen zelebriert wurden. Aus dem angrenzenden Vorbereitungszimmer konnte er leisen Tumult hören.

Er stoppte seinen Lauf, indem er sich mit der Hand am Türrahmen des Durchgangs festhielt, gerade rechtzeitig für die nächste Erschütterung der Station.

Im Vorbereitungszimmer befanden sich die vier Akolythen, welche im Tempel Dienst taten. Sie standen offensichtlich aufs äußerste irritiert in einer Haltung da, als ob sie sofort zum Eingreifen bereit wären. Jedoch entzog sich ihnen die Gewissheit, für wen sie eingreifen sollten. Kasidy Yates hatte sich mit ihrem Sohn bis fast vor das Kraftfeld zurückgezogen, welches den Schrein des Drehkörpers vor unbefugten Zugriffen schützte. Bareil schoss es kurzzeitig durch den Kopf, dass es höchstwahrscheinlich sein eigenes Zutun war, welche die Sicherheitscodes hierfür verstärkt hatte.

Vedek Gawen befand sich nur noch wenige Schritte vor der Frau. Sein zielgerichteter Blick wurde von Zeit zu Zeit von dem mittlerweile geradezu ärgerlichen Knistern hinter dem Kraftfeld abgelenkt.

Yates hatte sich vor ihren Sohn gestellt. In der kleinen Vorbereitungskammer gab es kein Entkommen mehr und so war der Fluchtimpuls dem beschützenden Mutterinstinkt gewichen. Ohne Aussicht auf Flucht, machte Yates sich zum Kämpfen bereit.

Die Akolythen waren mit der Situation offensichtlich überfordert. Es war nicht zu verkennen, dass sich zwei Antagonisten gegenüberstanden. Doch die eine Seite bildete der nach dem Kai höchste Mann in ihrem Glaubenssystem, die andere der Sohn ihres Abgesandten und dessen Mutter.

Bareil hatte das Glück, dass er ganz genau wusste, auf wessen Seite er stand. Er stürzte sich auf den Vedek vor. Kurzzeitig flammte vor seinem inneren Auge das Bild des verletzten Jake Sisko auf und der Selbsterhaltungstrieb des Trickbetrügers versuchte ihn zu warnen. Doch er befand sich bereits im Bewegungsmoment, das ihn in die Seite des Geistlichen schnellte.

Wie bei Jake zuvor auch, streckte Gawen lediglich den Arm zur Seite, um das lästige Ungeziefer abzuwehren. Bareil schlug mit dem Rücken gegen die Tempelwand, doch er war darauf vorbereitet und stieß sich augenblicklich wieder ab. Alle Gedanken an den Selbsterhaltungstrieb unterdrückend folgte er nur dem Instinkt des Augenblicks, der ihm gebot zu kämpfen.

Gawens Arm hatte nun Kasidy Yates erreicht, die er ebenfalls wie ein loses Blatt beiseite fegte.

„Jerry, renn weg!“, schrie die Frau, während sie versuchte sich wieder aufzurappeln.

Doch der Junge blickte dem Geistlichen fasziniert entgegen. Ihm schien das zornige Zischen in seinem Rücken mehr Angst zu machen als der bedrohlich wirkende Vedek vor ihm. Da war eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden so unterschiedlichen Gestalten, welche keinem der Anwesenden entging. Bareil wurde es erst jetzt klar, dass Jeremiahs mentale Kräfte daher rühren mussten, dass der Junge bereits mit den pah wraiths in Berührung gekommen war. Kein Wunder fühlte er sich in der Gegenwart der Propheten so unwohl.

Gemeinsam mit Yates stürzte er sich erneut auf den Vedek – gemeinsam mit Yates wurde er auch dieses Mal wieder fortgeschleudert. Er prallte mit dem Kopf gegen die Wand nur wenige Zentimeter von dem Kraftfeld entfernt. Benommen blieb er einen Moment liegen. Sein Schädel schmerzte, doch er konnte wenigstens noch alle Glieder bewegen. Ein kurzer Blick auf Yates zeigte ihm, dass es bei ihr nicht mehr der Fall war. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt die Terranerin ihre linke Schulter. „Antos, tun Sie etwas!“, flehte sie verzweifelt.

Bareil rappelte sich auf. Er würde den besessenen Vedek aufhalten, dafür war er schließlich in den Visionen von den Propheten auserkoren. Er wäre nur verdammt dankbar, wenn ihm irgendjemand verraten würde, wie er das bewerkstelligen sollte.

„Verdammt noch mal! Helfen Sie uns endlich!“, herrschte er die Akolythen an. Deren paralysierte Passivität stieß ihm bitter auf. „Im Namen der Propheten! Der Typ hier ist ein pah wraith!“

Bewegung kam in die vier Geistlichen. Diese Information schien der Szene, deren Zeuge sie waren, Sinn zu geben. Noch waren sie unschlüssig.

Bareil versuchte, Jeremiah wegzuzerren, doch der Junge bewegte sich nicht. Die Stärke, mit der er sich dem Zugriff des erwachsenen Mannes widersetzte, konnte unmöglich aus seinem fünfjährigen Körper stammen. Vedek Gawens Hand legte sich auf die Schulter des Jungen. Bareil schlug mit aller Kraft auf den ausgestreckten Arm. Er brachte es fertig, dass Jeremiah dadurch taumelte und Gawen kurzzeitig seine Aufmerksamkeit umverlagerte. Ein böses Funkeln lag nun in den dunklen Augen, als er Bareil anblickte. „Du bist mir oft genug in die Quere gekommen“, zischte eine Stimme, die nicht alleine dem pah wraith gehörte. Mit beiden Händen stieß er Bareil gegen das Kraftfeld. Der Bajoraner aus dem Spiegeluniversum brach auf dem Boden zusammen und rollte sich zu einer schützenden Kugel, während seine Arme und Beine unkontrolliert zu zittern begannen. Panisch riss er die Augen auf, als er kurzzeitig keine Luft mehr bekam. Kurz bevor die Bewusstlosigkeit einsetzte, begannen die entsprechenden Muskeln wieder seinen Befehlen zu gehorchen. Zitternd vor Schreck robbte er sich zur Wand neben dem Kraftfeld, um wieder zur Besinnung zu kommen.

„Antos!“ Yates hatte sich ebenfalls erhoben. Ihr linker Arm hing in einem ungewöhnlichen Winkel von ihrem Schultergelenk, doch das Adrenalin, welches die Sorge um ihren Sohn durch ihren Körper pumpte, verhinderte für den Moment jedes Schmerzempfinden.

„Du kriegst ihn nicht, du Monster!“ Ihre nächsten Worte galten dem Vedek.

Die Akolythen waren mittlerweile ebenfalls näher gekommen. Sie hatten sehen können, dass mit körperlicher Gewalt nichts gegen Gawen auszurichten war. So versuchten sie es mit den Mitteln, die ihnen gelehrt worden waren.

„Im Namen der Propheten, weiche, du fehlgeleiteter Geist!“ Die Stimme des ältesten Akolythen war erstaunlich fest in Anbetracht der nervenaufreibenden Situation, der sie sich ausgesetzt sahen.

Gawen wirbelte herum. „Narren!“, lachte er laut auf. „Habt Ihr es noch nicht begriffen? Die Propheten haben keine Macht. Sie sind nichts! Am Ende dieses Tages wird der Himmelstempel uns gehören.“

Bareil nutzte die momentane Ablenkung ihres Widersachers, um sich an der Wand hinauf zu stemmen. Seine nach Halt suchende Hand, ertastete dabei des Kontrollfeld der Energiebarriere. Er stockte. Dann begannen seine Finger hastig den Zeichencode einzugeben, an den er sich noch erinnerte. Natürlich war er geändert worden. Bareil tippte erneut, versuchte auf das kaum hörbare elektronische Summen zu lauschen, das seinem geschulten Gehör verriet, ob er mit einer Tastenfolge Erfolg hatte oder nicht. Doch sein Herz schlug zu laut, die Energieentladungen im Inneren des Drehkörpers übertönten alles und die Angst vor dem besessenen Vedek nahm ihm die Ruhe, die er zum Knacken des Codes benötigte.

Gawen hatte die Akolythen wie lästige Fliegen mit einem Energiepuls aus seinen Händen niedergemäht. Doch da sich Yates im Augenblick der Ablenkung durch die Tempel-Geistlichen wieder gegen Gawen geworfen hatte, traf die Energieentladung nur drei der vier Akolythen. Der vierte starrte entsetzt auf seine Mitstreiter, die mit zuckenden Gliedern zu Boden gegangen waren. Kasidy Yates erging es nicht besser. Gawen packte sie mit beiden Händen und warf sie zu Boden. Der laute Schmerzschrei der Terranerin musste bis vor die Tempeltüren zu hören sein. Bareil hoffte, dass von dort Hilfe angelockt wurde.

„Los, kommen Sie her“, brüllte er dem übriggebliebenen Akolythen zu. seine Stimme überschlug sich fast, „SOFORT!“ Sie hatten nur wenig Zeit, bevor dem pah wraith klar werden würde, was er vorhatte.

Der Akolyth hob seinen Kopf und sah Bareil wie wild zu dem Kontrollfeld gestikulieren. Glücklicherweise verstand er augenblicklich. Der junge Mann rannte hinüber und begann hastig den Entriegelungscode einzugeben.

Bareil verspürte keinerlei Lust, noch einmal mit dem brutalen Vedek und dessen paralysierenden Energientladungen Bekanntschaft zu machen. Doch ihm war klar, dass er dem jungen Geistlichen in seinem Rücken alle Zeit erkaufen musste, die er konnte. In dem Moment, in welchem Gawen sich ihnen wieder zuwandte, versuchte Bareils Faust einen Treffer an dessen Kinn zu landen. Natürlich war er viel zu langsam für die Reflexe des besessenen Geistlichen. Ein eiserner Griff packte das Handgelenk des Trickbetrügers und drohte es ihm zu brechen.

Das Kraftfeld löste sich auf.

Die dunklen Augen des Vedek weiteten sich, als er begriff, welcher Ablenkung er zum Opfer gefallen war. Doch bevor er an dem störenden Bareil vorbei gelangen konnte, hatte sich der Akolyth auf den Schrein gestürzt und die Türen aufgerissen.

Wie ein Schwarm wütender Bienen schoss das helle, klare Licht des Drehkörpers in den Raum hinaus. Das zornige Summen erklang außerhalb des Dämmfelds nahezu ohrenbetäubend laut.

Instinktiv warfen sich alle diejenigen, die noch standen zu Boden. Der Akolyth aus Ehrfurcht, Bareil zum Schutz und Jeremiah aus Angst. Der hohe Angstschrei des Jungen übertönte sogar die Stimme der Propheten.

Auch der pah wraith, der sich Gawens korporaler Existenz bediente, schrie auf. Doch seine Stimme bebte vor Zorn. Die aus dem Drehkörper strömende Energie hüllte ihn ein, während der Körper des Vedeks in roten Flammen stand.

Vergessen waren die niedrigen Sterblichen, während sich im bajoranischen Tempel ein Abbild des Endkampfes abspielte, welcher die gesamte Station umhüllte.


* * *


Sisko hätte hier sein sollen, Shakaar, Bareil – jemand, mit dem sie hätte sprechen können, der ihr Problem verstand. Wie konnte sie den Offizieren unter ihrem Kommando klar machen, dass sie den Propheten vertraute, dass, was immer geschehen würde, nach deren Willen geschah?

Auch sie hatte Angst, natürlich, doch ein Teil davon wurde von ihrem Glauben aufgefangen. Die meisten Offiziere, die derzeit auf der Ops Dienst taten, besaßen dieses Auffangnetz nicht. Sie hatten schon so lange zusammengearbeitet und jetzt erst wurde es Kira richtig bewusst, wie wenig sie über die anderen wusste – und die anderen über sie. Alles, was sie wusste, war dass sie die Propheten nicht in ihrem Kampf schwächen durfte, doch das würde sie den nicht-bajoranischen Offizieren nicht begreiflich machen können.

Es war einsam, wo sie sich nun befand, und sie wünschte sich, sie wäre nie dort angelangt.

Der Türmelder riss sie aus ihren Gedanken. Commander Benteen trat ein, gefolgt von den Sternenflottenoffizieren, die derzeit auf der Ops Dienst taten, sogar Lieutenant Nog befand sich unter ihnen. Kira hatte ihn auf der Promenade vermutet.

Überrascht blickte die Kommandantin der kleinen Ansammlung entgegen. Im Gesicht ihrer ersten Offizierin war Nervosität zu erkennen.

„Was hat das zu bedeuten?“ wollte Kira wissen. „Haben Sie die Energiemuster separieren können?“

O’Brien verneinte. Sein Blick zu Benteen machte Kira klar, dass die anderen auch nicht genau wussten, was die Absicht der Terranerin war.

„Colonel Kira.“ Benteens Tonfall war gefährlich neutral. Sie wirkte, als würde sie irgendein Sternenflotten-Protokoll vor ihrem inneren Auge ablesen. „Wir verlangen, dass Sie den Befehl zur Umstellung der Phaserbänke geben.“

„Sie verlangen?“ Die Bajoranerin verbarg ihre Überraschung nicht. Sie versuchte, in den Gesichtern von O’Brien, Dax und Nog etwas Beruhigendes zu finden, doch die drei mieden ihren Blick, indem sie den Ersten Offizier anstarrten, so als würde ihnen jetzt erst bewusst werden, worauf diese Angelegenheit hinauslief.

„Sie haben recht gehört.“ Benteen schien ihre Nervosität überwunden zu haben. Sie hatte den Schritt getan, jetzt konnte sie ohnehin nicht mehr zurück. „Ich will von Ihnen eine klare Aussage, ob Sie die Chroniton-Partikel gegen die Energie-Wesen einsetzen werden, die dabei sind, unsere Station zu zerstören, auch wenn das heißen könnte, dass das Wurmloch kollabiert.“

Kira erhob sich. „Ich kann die Propheten nicht schwächen, sie wissen, was sie tun. Wir befinden uns in ihren Händen.“ Eine innere Stimme schalt sie, dass sie sich beinahe wie Kai Winn anhörte. Ihre eigenen Worte klangen hohl in ihren Ohren und ebenso daher gesagt wie die Sternenflotten-Zitate von Commander Benteen.

„Sie vielleicht“, bemerkte die Terranerin. „Wir nicht. Wir haben keine Zeit mehr und auch keine Veranlassung hier zu sitzen, und darauf zu warten, was mit der Station passiert. Wir haben eine Möglichkeit in der Hand, die Leben ihrer Bewohner zu retten – alles, was ich von Ihnen verlange, ist, dass Sie diese Möglichkeit einsetzen, solange wir es noch können.“

Kira atmete tief durch. Sie musste ruhig bleiben, so wie das Commander Benteen auch tat. Es fiel ihr schwer, so schwer. Sie war es gewohnt, Befehle zu geben, sie war es gewohnt, dass man ihr gehorchte, und sie war es gewohnt dies Personen gegenüber zu tun, die ihre Spiritualität nicht in Frage stellten.

„Und was ist, wenn ich mich weigere?“

„Dann.“ Ein leichtes Zittern kehrte in Benteens Stimme zurück. Sie hatte keine Ahnung, wie weit sie die anderen Sternenflotten-Offiziere unterstützen würden, sie hatte mit keinem von ihnen darüber gesprochen. „Enthebe ich Sie Ihres Kommandos aufgrund irrationaler Handlung in einer Krisensituation und bewusstem Ingefahrbringen der Ihnen anvertrauten Offiziere und Zivilisten.“

Jeder im Raum starrte die Terranerin an.

„Das wagen Sie nicht.“

„Sie irren sich.“ Benteen blickte zu Nog hinunter. „Lieutenant Nog, geleiten Sie Colonel Kira zu ihrem Quartier, wo sie bis auf Weiteres bleiben wird.“

Der Ferengi fühlte Panik in sich aufsteigen. Er kannte die Sternenflottenvorschriften in- und auswendig, er wusste, dass Commander Benteen in völliger Übereinstimmung damit handelte – doch dieses Wissen machte die Angelegenheit nicht einfacher. Er musste aktiv den Impuls unterdrücken, sich hinter einem der anderen Offiziere zu verstecken. Ein Das können Sie mir nicht antun lag auf seinen Lippen, doch er schluckte es herunter.

„Nog?“ Kiras Augen ruhten auf ihm.

„Nog?“ Benteens Aufmerksamkeit galt ebenfalls vollständig ihm.

Kira blickte zu den anderen auf. „Miles, Ezri, seid ihr ebenfalls der Meinung von Commander Benteen?“

Beide blickten zu Boden.

Schließlich nahm der Ferengi seinen gesamten Mut zusammen und trat vor. „Es tut mir leid, Colonel“, sagte er mit leiser Stimme. „Aber Commander Benteen hat recht. Niemand hier möchte für Ihren Glauben sterben.“

Sie war viel zu überrumpelt, um wütend zu werden. „Habt ihr kein Vertrauen zu mir. Nach all den Jahren ...?“

Kein Blick begegnete ihr.

„Colonel, wenn Sie nun bitte Lieutenant Nog folgen würden.“

Kira sah Benteen an. „Ich hoffe, Sie werden mit dieser Entscheidung leben können.“

„Machen Sie sich darüber keine Gedanken.“

Mit erhobenem Kopf verließ Kira Nog voraus ihr Büro. Sie wählte den Seitenausgang, der nicht über die Ops führte. Wie sie an den beiden davorstehenden Mitgliedern des Sicherheitsteams der Sternenflotte erkennen konnte, war das auch der Ausgang, den Benteen für sie vorgesehen hatte.

Lieutenant Nog wirkte sichtlich erleichtert, als die beiden Männer die Kommandantin flankierten und nicht mehr er alleine die Verantwortung trug.

Erst als sich die Tür wieder schloss, hob O’Brien seinen Kopf. „War das wirklich notwendig gewesen, Sir?“

Benteen wandte sich um. Auch ihr war deutlich anzusehen, dass eine enorme Last von ihr abgefallen war. „Ich habe Sie nicht protestieren hören, Chief. Das sagt mir, dass Sie die Antwort darauf selbst wissen.“

„Es hätte eine andere Lösung geben müssen“, bemerkte auch Dax scheu. Sie fühlte sich elend. Doch Benteen hatte recht. Niemand von ihnen hatte sich ihr entgegengestellt. Sie fragte sich, was Benjamin Sisko wohl in dieser Situation getan hätte. Er hatte stets weit mehr Vertrauen in die Propheten gehabt als der nichtbajoranische Rest von ihnen. Doch er war nicht mehr da und sie mussten für sich selbst entscheiden.

„Genau das ist unser Problem – wir suchen so lange nach anderen Lösungen, bis die Zeit für die erste Lösung verstrichen ist.“ Benteen beugte sich über den Tisch und aktivierte das Computerterminal.

„Stationslogbuch, Sternzeit 53269.6. Eintrag Erster Offizier Erika Benteen. Mit sofortiger Wirkung ist Colonel Kira ihres Amtes als Kommandantin der Station Deep Space Nine enthoben. Bis zur Entscheidung des Sternenflotten-Hauptquartiers übernehme ich das Kommando. Zeugen dieser Maßnahme sind Chefingenieur Miles Edward O’Brien und Counselor Lieutenant Ezri Dax.“

Sie wandte sich um und ließ die Luft entströmen. Mit einem schwachen Lächeln versuchte sie den anderen beiden Mut zu machen. „Das Schlimmste hätten wir hinter uns, was vor uns liegt, kann nur noch leichter werden. Chief, ich möchte, dass Sie sofort damit beginnen, die Phaserbänke für den Ausstoß von Chroniton-Partikeln zu konfigurieren. Geben Sie mir Bescheid sobald sie einsatzbereit sind.“

„Aye, Sir.“ O’Brien wandte sich wieder der Ops zu, erleichtert darüber, dass er nun etwas Handfestes zu tun bekam, das eindeutig seinem Zuständigkeitsbereich entsprach.

„Könnte ich ...“, setzte Dax an. Sie spürte einen schweren Klumpen im Magen, der ihr drohte hochzukommen. Sie war von Benteens Manöver vollkommen überrumpelt worden und war sich jetzt im Nachhinein nicht sicher, ob sie nicht falsch reagiert hatte.

Benteen schüttelte den Kopf. „Nein, Lieutenant, Sie können nicht. Ich brauche Sie hier auf der Ops. Nehmen Sie wieder die wissenschaftliche Station ein.“

„Aye, Sir.“

Benteen folgte ihr auf die Ops hinaus. Sie erhob ihre Stimme: „Ich bitte für einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit. Ich habe soeben das Kommando übernommen ...“ Sie ließ sich von dem überraschten Gemurmel nicht beirren. „Wir werden nun die Station zur Verteidigung vorbereiten. Das heißt, wir werden die Wesen beschießen, die das Wurmloch bilden. Wer immer von Ihnen damit ein Problem hat, hat jetzt die Gelegenheit, seine Station zu verlassen. Es wird keinen Aktenvermerk deswegen geben. Doch in einer Krisensituation will ich nur Offiziere sehen, denen ich 100 prozentig vertrauen kann.“
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