TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

A Decade of Storm: Kapitel 6 - Legion

von Markus Brunner

Kapitel 1

2228 n.Chr.

Das altmodische, vierrädrige Gefährt donnerte über eine verstaubte Schnellstraße. Am Steuer saß Alnschloss K'Bentayr, der mit der Steuerung nicht die geringsten Probleme hatte. Tatsächlich schien das fremdartige Gefährt wie geschaffen dafür, von einer Person mit zwei Armen und drei Beinen gesteuert zu werden.
Der Mann vom Planeten Monchezke war deshalb der einzige der vier Insassen des Gefährts, der in verhältnismäßig guter Stimmung war. Die vergangenen Stunden waren aber auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Am schlimmsten hatte es aber Sicherheitschef Kri Caraatic erwischt, der an der Fahrt im offenen Wagen nur eines positiv fand: dass die Stadt, in der sie sich in den letzten Stunden aufgehalten hatten, im Rückspiegel kleiner wurde.
„All das Training, all die Einsätze auf verschiedensten Planeten … und nichts hat mich darauf vorbereitet“, stammelte der Saurianer noch immer vor sich hin.
„Dafür haben Sie sich doch gut geschlagen“, versuchte George Kirk seinen Vorgesetzten aufzumuntern. „Zumindest besser als ich. Aua!“
Lieutenant Commander Colombo zog Kirk mit einem Ruck eine besonders große Glasscherbe aus dem Oberschenkel. Als die Gewalt ihren brutalen Höhepunkt erreicht hatte, waren ihnen Glassplitter wie Schrapnellgeschosse um die Ohren geflogen. Kirk wollte gar nicht wissen, wie viele Splitter, von denen er gar nicht Notiz genommen hatte, noch in seinem Körper steckten.
Das Herausziehen der Scherbe war eine Unannehmlichkeit gewesen. Das Desinfizieren eine Qual. „Oh, Mann!“, schrie Kirk auf. „Geht’s vielleicht auch ein bisschen vorsichtiger?“
„Ich bin Waffenoffizier und keine Krankenschwester“, stänkerte Colombo zurück, der neben Kirk auf einem der hinteren Sitze saß. Obwohl sich Colombo nicht gerade geschickt anstellte, honorierte es Kirk, dass der Waffenoffizier seine eigenen Verletzungen ignorierte und Kirks Verarztung Priorität einräumte. Colombos eigene Verletzungen waren immerhin auch eher kosmetischer Natur. Die beiden Menschen hatten wenig überraschend das meiste abgekriegt, die beiden Außerirdischen auf den vorderen Sitzen hatten sich hingegen als robuster erwiesen. Aber auch ihre Uniformen Abnützungserscheinungen.
„Wie spät ist es, eigentlich?“, fragte Kirk und zog sich wieder seine Uniformhose an.
„Gleich 1100“, erwiderte Caraatic besorgt. „Wir werden es nicht rechtzeitig schaffen.“
„Unsinn“, erwiderte Ben und trat das Gaspedal noch ein bisschen stärker durch, so dass Kirk kurz fürchtete, der Fahrtwind würde ihm die Haare von der Kopfhaut reiße. Er gab seinem Freund die Anweisung, es nicht zu übertreiben.
„Wir sollten uns bei der Kelvin melden“, meinte Caraatic und beugte sich bereits vor, um die Kommunikationsanlage auf der Mittelkonsole des Armaturenbretts zu aktivieren. Doch Kirk hielt ihn zurück:
„Negativ. Was soll uns das schon bringen? Dass sie uns ans Ziel beamen, macht jetzt auch keinen Sinn mehr. Wir haben uns vor einer halben Stunde dafür entschieden, der Stadt mit dem Wagen zu entkommen und bei diesem Plan bleiben wir jetzt auch.“
„Wir kommen aber zu spät!“, insistierte Caraatic abermals und so schwer es Kirk fiel, musste er nun doch über seinen Schatten springen und seinem Vorgesetzten einen Befehl erteilen:
„Kri, diesmal habe ich das Kommando. Ich treffe heute die Entscheidungen und wenn sie sich als Fehler herausstellen, werde ich dafür geradestehen. Nicht Sie. Also Finger weg vom Telefon!“

*********************************

„Er kommt zu spät zu seiner eigenen Hochzeit“, hauchte Winona fassungslos und ihr Atem ließ die Fensterscheibe, durch die sie seit fast einer halben Stunde erwartungsvoll blickte, leicht beschlagen. Als sich das kleine Wölkchen wieder auflöste, sah sie lediglich D’Sass im Spiegelbild und nicht den gelben Camaro von George hinter der Scheibe.
Die Caitanerin saß auf einem Sofa in jenem Raum im Haus der Familie Kirk, der als Ankleide für Winona und ihre Brautjungfern diente. Und nun diente er als Warteraum, in dem sich die Braut vor den zahlreichen Gästen verstecken musste, bis sich ihr künftiger Gemahl dazu bequemte, endlich aufzutauchen.
„Als ich vorhin mit George gesprochen habe, waren sie gerade auf dem Weg raus aus Iowa City“, sagte D’Sass verteidigend.
„Aber die Fahrt dauert doch keine dreißig Minuten“, entgegnete Winona. „Zehn Minuten vielleicht. Noch weniger, wenn sie auf die Geschwindigkeitsbegrenzung pfeifen.“
„Vielleicht sind sie in einen Stau geraten?“, schlug D’Sass als Erklärung vor. „Autos mit Verbrennungsmotoren dürfen doch, soweit ich weiß, im Stadtgebiet nicht überall fahren.“
Da war etwas Wahres dran, musste Winona zugeben. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass die Verspätung der Jungs andere Hintergründe hatte. „Warum mussten sie einen Tag vor der Hochzeit noch einen Polterabend machen?“
„Ach, das war doch kein Polterabend. Colombo schlug vor, dass sich George noch einen gemütlichen Abend vor der Hochzeit gönnt. Hat er sich immerhin verdient, bei dem Organisationsaufwand, den er sich in den letzten Wochen aufgebürdet hat. Und Caraatic, Ben und Navarin sollten mit, um mal ein bisschen was vom typischen Nachtleben auf der Erde mitzukriegen.“
Winona nickte. Es war nur fair gewesen, dass George auf Colombos Einladung eingegangen war. Einen echten Junggesellenabschied hatte es ja nicht gegeben. Georges Bruder Phil konnte sich von seiner eigenen Farm in Idaho nicht loseisen und war erst heute früh angereist. Und die Kelvin und die engsten Freunde von George waren auch erst gestern in eine Umlaufbahn um die Erde eingeschwenkt. Die Hochzeit war terminlich genauso angesetzt worden, dass von ihren Freunden und Kollegen so viele wie möglich teilnehmen konnten. Lediglich der Bräutigam und seine vier Saufkumpanen schienen jetzt ein Problem mit diesem Termin zu haben. Bei diesem Gedanken schoss Winona das Blut ins Gesicht, was D’Sass nicht verborgen blieb:
„Hey, komm‘ mal wieder runter. Dein rotes Gesicht ruiniert dein Ensemble.“
Die Caitanerin hatte natürlich recht und war – wie es sich für eine Brautjungfer und Trauzeugin gehörte – sofort an Winonas Seite und tupfte ihre die ersten Spurenelemente von Schweiß von der Stirn. Dass Winona vor Wut zu kochen begann, hatte ihr gerade noch gefehlt. Es war ohnehin ein warmer Herbsttag. Mit dem Wetter hatten sie wirklich Glück gehabt, auch wenn George vorab auch die Eventualität eines Wolkenbruchs eingeplant hatte. Wehmütig sah Winona wieder raus aus dem Fenster zum großen, weißen Pavillon, den die Kirks auf dem großen Feld vor dem Wohnhaus hatten aufstellen lassen. Alle Sitzplätze, die bis zurück zum Pferdestall reichten, waren restlos gefüllt und viele ihrer Kameraden von der Kelvin, die sich kurzfristig zum Kommen entschlossen hatten, mussten neben den Sitzreihen stehen. Es mussten weit über 300 Gäste sein. Grundsätzlich war jedes Besatzungsmitglied der Kelvin dazu eingeladen worden, der Zeremonie beizuwohnen, während ein deutlich kleinerer Personenkreis zum später stattfindenden Dinner eingeladen war.
„Ich habe wohl noch nie so viele Leute in Ausgehuniform auf einem Fleck gesehen“, meinte Winona, was D’Sass zum Anlass nahm, sich den Rock ihrer eigenen Uniform gleich zu ziehen. Als Winona sah, wie sehr die Caitanerin darum kämpfte, dass die rot-schwarze Uniformkombination einigermaßen auf ihrem schlanken, katzenhaften Körper gut aussah, schlug sie abermals vor, dass D’Sass doch auch ein Brautjungfernkleid anziehen sollte.
„Das wäre ja noch schlimmer“, schlug D’Sass dieses Angebot aus. „Außerdem bin ich ja auch Trauzeugin, da sollte ich mich optisch von deinen beiden Cousinen abheben.“
„Das würdest du auch problemlos schaffen, wenn du dich gleich wie die beiden anziehen würdest“, scherzte Winona. Als Offizierin der Sternenflotte stand es natürlich auch Winona frei, in ihrer Ausgehuniform zu heiraten. Eine Möglichkeit, die sie nie ernsthaft in Erwägung gezogen hatte. Sie war nie eine Frau gewesen, die von einer großen Hochzeit mit allem möglichen Schnickschnack besessen war. Aber zwei Dinge waren für ihre Traumhochzeit unerlässlich:
Erstens ein trägerloses, weißes Kleid aus fließendem Satin, darüber ein Jäckchen aus durchsichtiger Seide, das an Schultern und Trichterärmeln kunstvoll bestickt war.
Und zweitens ein Bräutigam!
In diesem Moment erklang ein lautes Geräusch von oben. Etwas schien auf das Dach gefallen zu sein. Als es abermals laut krachte und ein großer, goldgefederter Vogel auf dem Vordach landete und mit einem weiteren Sprung den Boden erreichte, atmete Winona erleichtert durch: „Also Navarin ist schon mal da. Dann können die anderen auch nicht mehr weit sein.“
Und tatsächlich fuhr schon einen Augenblick später das gelbe 1987er Camaro Cabrio ein, fuhr einen weiten Bogen um die Hochzeitsgesellschaft herum und parkte neben der roten 1965er Corvette C2 von Tiberius Kirk.
„Wie spät sind sie dran, Sassy?“, fragte Winona, während sie kopfschüttelnd beobachtete, wie die vier Offiziere aus dem Wagen kletterten.
„Eigentlich sind sie genau pünktlich“, erwiderte D’Sass mit großer Verblüffung nach einem Blick auf die Uhr. „Viel pünktlicher hätten sie nicht sein können.“
„George macht es einem echt schwer, auf ihn wütend zu sein. Na gut, dann kann die Show wohl beginnen.“

*********************************

„Gut gefahren, Ben!“, gratulierte Kirk seinem Freund, der zum ersten Mal ein irdisches Automobil gesteuert hatte. Allerdings fiel George bei seinem Fahrer noch ein kleiner Schönheitsfehler auf: „Ähm, du hast da noch eine Delle im Kopf.“
„Wirklich?“, fragte Ben. Doch anstatt seinen Kopf zu betasten, hielt er sich mit der Hand einfach nur Mund und Nase zu, pustete fest hinein und mit einem lauten „Plopp“ wölbte sich die Einbuchtung an seinem Hinterkopf sprunghaft wieder heraus.
„Schon besser“, meinte Kirk, der sich, während er zum Pavillon lief, die Jacke der Ausgehuniform zuknöpfte. Auf den letzten Drücker hatten er und Colombo noch entschieden, die Jacken zu tauschen. Kirks Jacke roch eine Spur stärker nach Alkohol.
„Was sagen wir, wenn jemand fragt, wo wir waren?“, wollte Ben wissen.
„Offiziell waren wir in der Stadt unterwegs und haben die Zeit übersehen. Mehr braucht niemand zu erfahren. Und wenn ihr die Geschichte ausschmücken müsst, erwähnt darin keinesfalls die Worte Wodka, Poker, Krankenhaus und Polizeistation. Ist das klar?“
„Aye“, bestätigten Ben, Caraatic und Colombo einstimmig, ehe sie zu den für sie freigehaltenen Sitzplätzen gingen und Kirk die kurze Treppe hinauf zum Pavillon joggte. Dort warteten bereits sein Bruder und Trauzeuge Phil, Winonas Cousinen und Bürgermeister McDole, der die Trauung vornehmen sollte. Ihnen allen war gemein, dass sie nur schweigend den Kopf schüttelten. Doch das kümmerte Kirk gar nicht. Solange Winona nicht hier war, interessierte er sich nur für eine einzige Person im Pavillon und diese störte sich nicht im Geringsten an Kirks knapp bemessenem Eintreffen. George Samuel Kirk, fünf Monate alt, lag in seiner Wiege und schlief, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren, dass Mummy und Daddy sich heute das Jawort gaben. Und warum sollte es ihn auch interessieren? Er wurde von beiden geliebt und kein Stück Papier mit offiziellen Unterschriften darauf konnte diese unermessliche Liebe noch weiter steigern.
Sanft strich Kirk seinem kleinen Sohn eine blonde Locke aus der Stirn und staunte einmal mehr darüber, dass hier ein kleiner Mensch war, der nicht nur von ihm gezeugt, sondern in Zukunft von ihm und Winona geformt werden würde. Noch beschränkte sich das Elternsein darauf, die physischen Bedürfnisse des Kleinen zu stillen. Aber in ein paar Monaten schon, bis zu George Samuels ersten Geburtstag, mussten Entscheidungen gefällt werden, die dieses Kind vielleicht für den Rest seines Lebens beeinflussen würde. Würde George Samuel in einem Elternhaus aufwachsen, seine Eltern jeden Tag sehen? Oder würde sein Vater wieder zu den Sternen aufbrechen? Wie würde sich dies auf das Kind auswirken? Wäre sein Vater nur eine vage Erinnerung, ein Fremder, der alle paar Monate zu Besuch kam? Oder würde das Kind jeden Tag an das denken, was sein Vater tat und ihm nacheifern, selbst nach den Sternen greifen?
Solche Gedanken können einen wahnsinnig machen, zog Kirk einen Schlussstrich. Er würde immer nur das Beste für seinen Sohn wollen, auch wenn er sicher nicht immer wissen konnte, was das Beste sein würde. George Samuel Kirk – Sam, wie allein sein Vater ihn am liebsten nannte – wird seinen Weg finden. Wenn Kirk etwas mit Gewissheit über die Zukunft wusste, dann war es das.
Kirk nahm seinen Platz zur Rechten von Bürgermeister McDole und neben seinem Bruder ein. „Und? Gestern viel Spaß gehabt?“, fragt Phil. So wie er die Frage stellte, hatte er sich bereits ein ziemlich klares Bild davon gemacht, was sein Bruder und dessen Kameraden veranstaltet hatten. Seine Vorstellung war jedoch nur halb richtig:
„Gestern schon und auch noch zwei oder drei Stunden nach Mitternacht. Danach wurde es etwas ungemütlich.“ George Kirk betastete beiläufig seine geröteten Handgelenke, wo die Handschellen ihre Spuren hinterlassen hatten. Nie mehr illegales Glücksspiel, schwor er sich, obwohl er gar nicht mehr so genau wusste, wie er von dem verrauchten Hinterzimmer des Lokals ins Polizeirevier gekommen war. Das Anti-Rausch-Medikament, das man ihm verabreicht hatte, hatte seine ganzen Erinnerungen fragmentiert und durcheinander gewürfelt und die angenehme, betäubende Wirkung des Alkohols schlagartig durch dessen übleren Nachwirkungen ersetzt.
Diesen Nachwirkungen verdankte er, dass die durch die Lautsprecher erklingende Musik für ihn zweimal so laut wirkte als noch bei der Probe. Er schob sein Unwohlsein aber schnell zur Seite, als ihm klar wurde, dass er in wenigen Minuten verheiratet sein würde. Verheiratet mit der einzigen Frau, die er in seinem ganzen Leben jemals wirklich geliebt hatte. Jene Frau, die nun durch die Tür seines Elternhauses ins Freie trat. Alle Gäste drehten sich zu ihr um und ein anerkennendes Raunen ging durch die Menge. Es war ihnen nicht zu verdenken, denn an der Seite von James Giles wandelte ein Engel auf Erden. Genauso wirkte Winona in ihrem weißen Kleid, das im Sonnenlicht regelrecht zu strahlen schien. Ihr lockiges Haar, für diesen Anlass nicht nur einfach blond sondern golden gefärbt, umrahmte ihr Gesicht, das für einen Moment noch einen besorgten Ausdruck trug, jedoch erstrahlte, als sie ihren Blick auf George richtete. War sie zuvor noch wütend über sein spätes Eintreffen gewesen, so war diese Wut nun wie weggeweht.
Ein strahlendes Lächeln lag auf ihren Lippen und mit einem Schlag dachte Kirk an all jene Momente, in denen sie genauso gelächelt hatte. Auf Tagus III, als sie erkannt hatte, dass er sie aus den Flammen gerettet hatte. Auf Tarsus IV, als sie erleichtert festgestellt hatte, dass er noch lebte. Auf Sarathong V, als sie nackt in seinen Armen gelegen hatte und sie im Begriff waren, ihre erste Nacht miteinander zu verbringen. Auf der Transporterplattform der Kelvin liegend, als er ihr gesagt hatte, dass er sie liebte und sie begriff, dass sie an diesem Tag nicht sterben würden. Und auf der Krankenstation der Kelvin, nachdem sie ihren Sohn zur Welt gebracht hatte.
Winona schwebte geradezu die letzten paar Stufen hinauf zum Pavillon. Mit einem wie einstudiert klingendem, übertrieben lauten Seufzen übergab James Giles seine Tochter an ihren zukünftigen Ehemann, was zu verhaltenem Gelächter bei den Gästen wie auch beim Brautpaar sorgte. Arm in Arm, eng nebeneinander stehend, sahen sich George und Winona noch lange in die Augen, während der Bürgermeister bereits mit der Einleitung begann.

*********************************

Kirk atmete erleichtert auf, als er sich endlich zum Haus durchgeschlagen hatte. Auf seinem Weg zur schattigen Veranda hatte er sicher an die einhundert Hände geschüttelte und Gratulationen entgegengenommen. Winona machte das Bad in der Menge nichts aus, vornehmlich die weiblichen Gäste belagerten sie regelrecht. Im Gegensatz zu ihrem frischangetrauten Ehemann hatte sie seit dem Jawort keine zehn Meter zurückgelegt und stand noch immer direkt neben dem Pavillon.
Auf der Veranda angekommen wartete bereits Captain Robau auf ihn. Kirk hatte zwar darauf gehofft, aber nicht damit gerechnet, dass der Captain Zeit haben würde, der Trauung beizuwohnen. Der Aufenthalt der Kelvin im Orbit der Erde war nur kurz und die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen, dass sich Robau die meiste Zeit im Hauptquartier der Sternenflotte aufhalten und an diversen Besprechungen teilnehmen würde.
Robau hielt zwei Gläser mit Champagner in den Händen, eines davon reichte er Kirk. „Herzlichen Glückwunsch“, prostete Robau ihm zu und nahm ein einen kleinen Schluck des prickelnden Getränks. Kirk hoffte inständig, dass es genug Getränke für alle Gäste gab. Es war nicht so, dass die Familie Kirk gerade an dieser Ecke gespart hätte, aber es waren mehr Gäste als erwartet gekommen und ein großer Teil wanderte langsam zu den Stehtischen, zwischen denen die Angestellten vom Catering-Service mit vollen Serviertabletts umher huschten. Eine ebenfalls beträchtliche Zahl der Gäste stand an der weißen Einzäunung vor der Quarter Horse Ranch und beobachtete Tiberius Kirk bei einem kleinen Ausritt mit seinem schwarzen Hengst. Georges Vater wirkte mit seinem schicken Smoking etwas deplatziert auf dem Rücken von Tibor. Doch auch das ebenfalls dem Anlass entsprechend gekleidete Personal der Ranch ließ sich nicht lumpen und inszenierte spontan eine improvisierte Westernshow, was die Zuseher mit begeistertem Applaus honorierten.
Tiberius Kirk machte zwar den Eindruck, ein recht zurückhaltender und stiller Mensch zu sein, aber er wusste, was er seinen Gästen schuldig war. Sein Sohn zuckte zusammen, als Captain Robau unerwartet vorwurfsvoll verkündete: „Ich bin sehr von Ihnen enttäuscht.“
Diese Worte trafen Kirk wie ein Schlag, denn er hätte am wenigsten erwartet, sie am Tag seiner Hochzeit zu hören. Anderseits fand er es besser, sie jetzt aus dem Mund seines kommandierenden Offiziers zu hören anstatt später in der Hochzeitsnacht von Winona.
„Ähm, wie bitte, Sir?“, fragte Kirk verwirrt nach, obwohl er vermutete, dass sich der Captain auf Kirks Entschluss vor fünf Monaten, die Kelvin zusammen mit Winona zu verlassen, bezog. Anderseits hatte der Captain ihnen nur alles Gute gewünscht und zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal angedeutet, dass ihn die Entscheidung störte, dass zwei seiner Offiziere ihr Karenzjahr in Anspruch nahmen.
„Warum haben Sie mich nicht zu Ihrem Junggesellenabschied eingeladen?“, erklärte Robau schließlich beleidigt.
„Oh, glauben Sie mir: Wir hätten Verstärkung gebraucht“, beschwichtigte Kirk. „Aber unser Ausflug nach Iowa City war eine kurzfristige Entscheidung. Und ich habe gedacht, Sie hätten ohnehin keine Zeit und würden von den Admirälen im Hauptquartier in Beschlag genommen werden.“
Robau seufzte und bestätigte dann, dass dies wohl der Fall gewesen wäre. Dann ergänzte er: „Ich hatte Glück, dass ich zumindest zur Hochzeit kommen konnte. Das hatte allerdings seinen Preis.“
„Preis?“
„Ich musste Admiral Archer mitbringen“, erklärte Robau und deutete zur Umzäunung des Reitplatzes, wo Admiral Jonathan Archer lehnte und die Reiteinlagen beklatschte.
Der Admiral war als Oberbefehlshaber von George und Winona natürlich formell eingeladen worden. Aber dass er der Einladung wirklich folgen würde, hätten sie nie gedacht.
„Sobald er hierher zurückkommt, wird er mit mir wieder über den Laurentianischen Graben reden wollen.“
„Ist die Lage dort wirklich so schlimm, wie die Nachrichten es verlautbaren?“, fragte Kirk besorgt.
„Nun, schlimm ist es schon. Aber anderseits kam es nicht überraschend. Als die Klingonen 2223 das Gebiet annektiert hatten, rechneten wir ja schon damit, dass sie sich auf die weniger entwickelten Völker dort stürzen werden. Es hat fünf Jahre gedauert, aber unter Kanzler Guroth machen die Klingonen letztendlich genau das. Die Mizarianer und Xarantiner wurden bereits erobert. Japori II haben wir aber erfolgreich verteidigen können. Endlich hat es sich auch mal bezahlt gemacht, diese verdammte Oberste Direktive abzuschaffen.“
„Auszusetzen“, korrigierte Kirk.
„Wie auch immer. Jedenfalls haben die Klingonen die Flucht ergriffen, als sich eine Flotte der Föderation, angeführt von vier Schiffen der Iowa-Klasse, dem Planeten näherte.“
„Da wäre ich gerne dabei gewesen“, erwiderte Kirk und meinte es aufrichtig. So sehr er inzwischen seine Aufgaben als Vater liebte, hörte er immer noch den Ruf der Sterne. Nur die Anwesenheit von Winona und Sam verhinderte, dass ihn der langfristige Aufenthalt auf einem Planeten zu sehr bedrückte. Seit seinem ersten Flug durchs Weltall empfand er für gewöhnlich so. Als ob er auf einem Planeten in der Falle sitzen würde. Das mochte merkwürdig klingen, wenn man sich vor Augen hielt, dass man auf einem Planeten den freien Himmel über sich hatte aber in einem Raumschiff eigentlich in einer Blechdose gefangen war, die durch das lebensfeindliche All trieb. Gerade sein erster Flug an Bord eines heruntergekommen Ausbildungsschiffes der MACOs entsprach dieser Beschreibung perfekt. Das von der Sternenflotte gestiftete Schiff der Daedalus-Klasse war verglichen mit der Kelvin ein Winzling unter den Schiffen und mit über zweihundert Besatzungsmitgliedern hoffnungslos überfüllt gewesen. Und doch hatte Kirk damals bei jedem Blick durch eines der Bullaugen die Größe des Universums gespürt und verinnerlicht. Daran hatte sich ein Jahrzehnt später auch nichts geändert.
„Wo ist eigentlich Commander April?“, fragte Kirk schließlich. Mit Ausnahme des Ersten Offiziers hatte er bereits jeden hochrangigen Offizier von der Kelvin in der Menge entdeckt. Sogar Doktor Tuvana gab sich die Ehre.
„Er lässt sich entschuldigen. Unsere letzte Mission führte uns nach Sherman’s Planet um dort beim Wiederaufbau der Kolonie zu helfen. Die U.S.S. Adriatic hat uns zwar abgelöst, aber Robert bat darum, noch zu bleiben.“
„Das ist sehr nett von ihm“, merkte Kirk an.
„Unter anderem“, schränkte Robau sofort ein. „Abgesehen von seiner mildtätigen Ader hat ihn wohl auch die Verantwortliche für die Inbetriebnahme des Krankenhauses dazu bewogen, zu bleiben. Ich hoffe, dass ich mich abgesehen von einem neuen Sicherheits- und Kommunikationsoffizier nicht auch noch nach einem Ersatz für Robert umsehen muss.“
Nur zu gern hätte Kirk seinen Captain beruhigt und ihm versichert, dass er in sieben Monaten wieder auf seinen Posten an Bord der Kelvin zurückkehren würde. So sehr es seinem Wunsch entsprochen hätte, musste er sich jedoch eingestehen, dass er heute noch keine Versprechungen machen konnte, was die Zeit nach dem Ende des Karenzjahres betraf. Sieben Monate waren eine lange Zeit, in der sich viel ändern konnte und viele Gedanken und Ideen für die Zukunft heranreifen würden. Alleine während des Gesprächs mit seinem Captain fielen Kirk eine Handvoll Alternativen zur Rückkehr auf die Kelvin ein. Beginnend von einem Gesuch um Versetzung zu einer Sternenflottenanlage innerhalb des irdischen Sonnensystems über den Austritt aus der Flotte und einer Tätigkeit bei einem zivilen Sicherheitsdienst bis hin zu einem Verbleib in Riverside, um sich auf die Zeit vorzubereiten, in der er gezwungen sein würde, die Farm und die Ranch zu führen.
„Sherman’s Planet liegt doch im Laurentianischen Sonnensystem, oder?“, fragte Kirk nach und verjagten die ablenkenden Gedanken.
„Allerdings“, bestätigte Robau mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen. „Am entferntesten Zipfel des von den Klingonen annektierten Gebiets.“
„Ist es nicht ganz schön riskant, die Kolonie dort wiederaufzubauen? Die Klingonen haben die ursprüngliche Kolonie schon Jahrzehnte bevor sie das Gebiet annektiert hatten angegriffen“, gab Kirk zu bedenken. Was er über Sherman’s Planet wusste, hatte er von Winona erfahren. Für ihre Eltern hatte Sherman’s Planet eine echte Alternative zu Tarsus IV dargestellt. Beide Kolonien waren landwirtschaftlich geprägt gewesen. Doch im Gegensatz zu Sherman’s Planet befand sich Tarsus IV nicht lediglich drei Lichtjahre von der damaligen klingonischen Grenze entfernt. Die düsteren Prognosen waren eingetreten und die Kolonie noch während des ersten Jahres ihres Bestehens von den Klingonen überfallen worden. Die Klingonen selbst hatten unmittelbar darauf versucht, dort eine Basis zu errichten, waren aber wiederum von der Sternenflotte vertrieben worden. Seit diesen Ereignissen hatten sowohl die Föderation als auch das Imperium Sherman’s Planet gemieden wie der Teufel das Weihwasser. „Was denkt sich die Föderation dabei, ausgerechnet jetzt wieder nach Sherman’s Planet zurückzukehren?“
„Es ist ein Test“, erklang eine andere Stimme. Robau und Kirk drehten sich ruckartig um und erkannten Admiral Archer, der gerade die Stufen zur Veranda hinaufstieg. Obwohl der Admiral kaum älter als 70 oder 80 aussah, merkte man ihm sein tatsächliches Alter von 116 Jahren am besten an, wenn man ihm beim Treppensteigen zusah. Er hatte sichtlich Mühe, musste sich am Geländer abstützen. Kirk trat an seine Seite, bereit ihm zu helfen, sollte es nötig werden. Er wollte nicht unaufgefordert eingreifen und implizieren, dass er es einem der wenigen noch lebenden Helden aus der Gründungszeit der Föderation nicht zutraute, der Herausforderung von vier Treppenstufen allein in Angriff zu nehmen.
Auf der Veranda angekommen wischte sich Archer einen dünnen Schweißfilm von der Stirn und atmete ein paarmal tief durch. Kirk war erstaunt, wie schnell sich der alte Admiral von etwas, das für ihn sehr mühevoll gewesen war, wieder erholte. Ohne das leiseste Keuchen oder Rasseln in der Stimme setzte er einfach dort fort, wo er zuvor begonnen hat: „Es ist ein Test, um herauszufinden, wie ernst es die Klingonen wirklich mit ihrer Annektierung meinen.“
„Beweisen sie das nicht schon durch die Angriffe auf die Japori, die Mizarianer und die Xarantiner?“, fragte Robau skeptisch. Doch der Admiral winkte nur abfällig und entgegnete:
„Das sind für die Klingonen nur kleine Fische. Leicht zu erobern – vorausgesetzt eine Flotte der Föderation mischt sich nicht noch rechtzeitig dazwischen. Das Imperium geht also kein großes Risiko mit diesen Angriffen ein. Trotzdem sind diese Planeten strategisch interessant, weil sie in der Nähe des Föderationsgebiets und jenem der Romulaner liegen und auch der Subraum-Highway nicht weit entfernt ist.“
„Was für Sherman’s Planet nicht zutrifft“, erkannte Kirk schließlich.
„Genau. Deswegen prüfen wir einfach mal, ob die Klingonen überhaupt ein Interesse haben, sich mit der Föderation wegen eines abgelegenen Planeten zu streiten. Und bevor wir Kolonisten hinschicken, werden wir auf Sherman’s Planet vorübergehend nur eine sich selbstverssorgende, militärische Basis errichten. Sobald die Föderation auch in den umliegenden Sonnensystemen Fuß gefasst hat und dort mit einer ständigen Sternenflottenpräsenz aufwarten kann, werden wir Siedler hinschicken. Vorausgesetzt, die Klingonen zeigen wirklich kein Interesse an Sherman’s Planet.“
Das Gespräch wurde jäh unterbrochen, als ein Kellner vorbeizischte und sich der Admiral ein Glas Champagner geben ließ, womit er Kirk zur Gratulation zuprostete: „Willkommen im Hafen der Ehe, Lieutenant!“
Schiffe fahren nicht in den Hafen, um für immer dort zu bleiben, dachte Kirk wehmütig, während er mit einem gespielten Lächeln das Prosit des Admirals annahm. Nach derzeitigem Stand wusste Kirk nur eines sicher: Wenn die Kelvin morgen den Hafen verließ, würde George Kirk nicht an Bord sein.
„Eine schöne Feier haben Sie da organisiert“, ergänzte Archer, anerkennend nickend. „Nicht zu pompös und übertrieben aber auch nicht zu minimalistisch wie die Hochzeit von Botschafter Sarek im letzten Jahr. Das hatte überhaupt nichts Feierliches mehr an sich. Wirkte eher wie ein steifer Diplomatenempfang.“
„Der Botschafter hat Sie zu seiner Hochzeit eingeladen?“, hakte Robau nach. In der Stimme des Captains schwang dabei ein leichter Hauch Entsetzen mit. Und ehe der Admiral sich zu einer Antwort überwinden konnte, druckste er noch herum, bis er schließlich zugab: „Also, nicht so direkt. Ich habe mich eher selbst eingeladen.“
„Oh, verstehe“, erwiderte Robau, der jedoch immer noch sehr überrascht wirkte.
„Aber dieses grünblütige Schlitzohr ist auch selbst schuld. Wie es für einen Mann seines Standes angemessen ist, hat er Vertreter verschiedenster Institutionen zu seinem Hochzeitsempfang eingeladen. Auch der Sternenflotte. Jedoch hat er wohl gehofft, dass speziell diese Einladung verloren geht, hat er sie doch nicht ans Hauptquartier gerichtet, sondern an die allgemeine Poststelle der Sternenflotte. Es war ein glücklicher Zufall, dass die Admiralität die Einladung noch rechtzeitig erhielt. Da Sarek die Einladung allgemein gehalten hat und lediglich um das Kommen eines Vertreters des Sternenflottenkommandos gebeten hatte, habe ich mich sehr gerne freiwillig gemeldet.“
„Der Botschafter muss ganz schön erstaunt gewesen sein, als er Sie gesehen hat.“
„Das können Sie laut sagen. Er hat gleich beide Augenbrauen gehoben!“
Robau und der Admiral lachten darauf gemeinsam, während Kirk das Gefühl hatte, ihm sei gerade die Pointe eines Witzes entgangen. Robau bemerkte den verwirrten Gesichtsausdruck Kirks und erklärte ihm, dass während des Jungfernflugs der Kelvin, als sich Sarek und Archer gleichzeitig an Bord befunden hatten, der Vulkanier wann immer möglich dem Admiral aus dem Weg gegangen ist. Er fügte noch hinzu: „Erstaunlicherweise scheinen Sie, Admiral, diese Aversion nicht zu teilen. Es sieht fast so aus, als würden Sie die Nähe des vulkanischen Botschafters suchen.“
„So krass würde ich es nicht ausdrücken“, relativierte Archer gelassen. „Außerdem ist es keine Aversion, sondern eine Wette, die zwischen uns steht.“
„Eine Wette?“, fragte Kirk und Robau wie aus einem Mund.
„Ja, eine Wette. Als ich ihn vor ein paar Jahren traf, erzählte ich dem Botschafter von meinen Erfahrungen mit Vulkaniern und meiner Erkenntnis, dass diese Spezies auch hin und wieder ihre Emotionen offen zeigt. Wie nicht anders zu erwarten war, hat Sarek ein solches Verhalten natürlich geleugnet und so habe ich eine Wette vorgeschlagen. Ich habe mit ihm gewettet, dass ich es noch vor meiner Pensionierung schaffen werde, ihn zu einem offenen Gefühlsausbruch samt Eingeständnis dessen zu verleiten. Sarek bei seiner Hochzeit zur Rede zu stellen, erschien mir da eine gute Gelegenheit zu sein.“
„Inwiefern?“, fragte Robau.
„Ich habe ihn einfach geradeaus gefragt, warum er eine menschliche Frau geheiratet hat. Wissen Sie, was er geantwortet hat? Er sagte, er hätte es logisch gefunden. Logisch! Kaum zu glauben, wie stur speziell dieser eine Vulkanier ist. Kann nicht einmal zugeben, dass er sie aus Liebe geheiratet hat!“
„Was hat seine Frau dazu gesagt?“
„Nur stumm gelächelt. Sie muss wohl von der Wette gewusst haben“, erwiderte Archer resignierend und leerte sein Champagnerglas mit einem Zug. Dann wandte er sich wieder an Robau: „Haben Sie eigentlich seit der Zeremonie Lieutenant Commander Colombo irgendwo gesehen?“
„Ähm, nein“, brachte Robau mit leicht zitternder Stimme halbwegs unschuldig klingend heraus. Ihm war sichtlich nicht ganz wohl bei dieser Anfrage des Admirals und Kirk wusste genau, warum dies der Fall war: Colombos unerlaubter Ausflug nach Kronos im vergangenen Jahr warf noch immer lange Schatten. Zwar war jeder an Bord – allen voran der Captain – bestrebt, eine schützende Hand über ihren
Waffenoffizier und den zur damaligen Zeit amtierenden Captain zu legen. Aber irgendetwas – egal ob unstimmige Aussagen oder einfach nur zu oberflächliche Berichte – schien Admiral Archer aufgefallen zu sein. Er betrieb zwar keine Hexenjagd, um die Sache aufzuklären, aber sein Verdacht war zumindest so groß, dass kürzlich Colombos Name von der Beförderungsliste gestrichen worden war. „Äh, Lieutenant, machen Sie sich doch bitte auf die Suche nach diesem speziellen Gast. Vielleicht ist er ja ins Haus gegangen.“
So wie der Captain das sagte, wusste Kirk ganz genau, dass Colombo im Haus war und dass er zu ihm gehen und darauf achten sollte, dass er keinesfalls dem Admiral über dem Weg lief.

*********************************

Nachdem Kirk durch die Tür verschwunden war, war es für Robau ein Leichtes, das Thema zu wechseln. Obwohl es Archer nur beiläufig erwähnt hatte, war Robau sofort hellhörig geworden: „Sie wollen in Rente gehen, Admiral?“
„Sie klingen überrascht? Wundert es Sie wirklich, dass ein 116jähriger langsam daran denkt, in den Ruhestand zu treten?“
„Das nicht. Aber … Sie waren von Anfang an dabei. Dass Jonathan Archer für die Zukunft der Menschheit und der Föderation keine Rolle mehr spielen soll, ist einfach schwer vorstellbar. Sie sind eine lebende Legende!“
„Haben Sie so auch gedacht, als sie mich auf Tagus III niedergeschossen haben?“, fragte Archer, wobei er jedoch alles andere als vorwurfsvoll klang.
„Natürlich“, entgegnete Robau trocken. „Ich habe mir gedacht: Meine Güte, jetzt schieße ich gleich eine lebende Legende nieder.“
„Ich hoffe nur, Sie bekommen bis zu meiner Pensionierung nicht noch einmal die Gelegenheit, eine Waffe auf mich zu richten. Ein paar Jahre haben Sie ja noch die Möglichkeit dazu, ich trete sicher nicht von heute auf morgen von meinem Posten zurück.“
„Warten Sie noch den Stapellauf der nächsten Enterprise ab?“
„Das wird sich wohl nicht ausgehen. Es steht bereits fest: Die nächste Enterprise wird ein Schiff der kommenden Raumschiffgeneration, die derzeit in der Inferna-Station entwickelt wird.“
„Aha, also eines der ersten „echten“ Föderationsschiffe“, stellte Robau fest. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sehr der Admiral vor Jahren von diesen künftigen Föderationsschiffen geschwärmt hatte, die völlig neu entwickelte Systeme an Bord haben würden.
„Richtig. Aber es werden noch ein paar Jahrzehnte ins Land ziehen, ehe eine neue Enterprise in die unendlichen Weiten des Alls aufbricht. Anzunehmen, ich könnte dann noch im Dienst der Sternenflotte stehen, wäre illusorisch. Mein Ziel ist lediglich, noch am Leben zu sein, wenn das Schiff vom Stapel läuft und ich eine Champagnerflasche gegen die Namensplakette schlagen kann.“
„Wenn dieser Moment noch weit in der Zukunft liegt, was hindert Sie daran, sofort in den Ruhestand zu treten?“
„Die Pflicht, fürchte ich. Ich würde es gerne sehen, wenn sich die schwierigen Beziehungen zwischen der Föderation und dem Klingonischen Imperium zumindest ein wenig entspannen. Sobald das geschehen ist, gebe ich das Ruder gerne an meinen Nachfolger ab. Aber bei meinem Glück entscheiden wahrscheinlich genau dann die Romulaner, plötzlich wieder aufzutauchen.“ Archer fügte ein humorloses Lachen hinzu.
„Wer wird dann eigentlich Ihr Nachfolger? Admiral Reed?“
„Der fühlt sich in der Sicherheitsabteilung sehr wohl. Außerdem ist er seit Jahrzehnten einer meiner besten Freunde. Ich würde ihm niemals eine so undankbare und deprimierende Position wie die des Stabschefs zuschieben. Vielleicht erlaube ich mir zu meinem Abgang noch einen letzten Scherz und schlage jemanden als meinen Nachfolger vor, den ich absolut nicht leiden kann.“
„Zum Beispiel?“, fragte Robau nach.
„Sie!“
Captain Robau verschluckte sich an seinem Champagner und hustete ihn heftig aus, während der Admiral neben ihm laut lachte und einen Kellner bat, zwei neue Gläser für sie zu bringen.

*********************************

Der größte Nachteil, ein Bräutigam auf einer Hochzeit zu sein, bestand darin, von jedem erkannt und beglückwünscht zu werden. Dieser Nachteil entpuppte sich als besonders hinderlich, wenn es darum ging, einen bestimmten Gast unter 300 anderen Hochzeitsgästen zu finden. Auf seiner Suche nach Commander Colombo hatte George wieder einige Hände schütteln müssen. Die lange Wartschlange vor der Toilette bekam eine völlig neue Funktion, denn plötzlich drehten sich alle zu ihm um und gratulierten ihm. Wie ein Staatsoberhaupt bei einem offiziellen Auslandsbesuch schritt er die Reihe ab und ließ sich gratulieren. Zu Georges Bedauern befand sich Colombo nicht unter den Gratulanten. Und auch der Erste, der die Toilette wieder verließ, war nicht der Waffenoffizier der Kelvin, sondern Percival Wash, ein Freund von Tiberius Kirk und ein einflussreicher Geschäftsmann in der Region, der gerade damit beschäftigt war, die Gegend südlich von Kalona in einen riesigen Steinbruch zu verwandeln. Nur ein Grund, warum George der korpulente Geschäftsmann so unsympathisch war. Die Höflichkeit gebot jedoch, auch ihm die Hand zu schütteln und George hoffte inständig, dass sich der gerade aus der Toilette gekommene Mann die Hände gewaschen hatte.
Nach dieser unangenehmen Begegnung suchte George in den Räumen im Erdgeschoß weiter, von Colombo fehlte aber jede Spur. Trotzdem war er davon überzeugt, dass der Waffenoffizier im Haus sein musste. Captain Robau hätte ihn nicht zum Suchen hinein geschickt, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass er dort Colombo finden würde.
Schließlich entschloss sich George dazu, auch oben nachzusehen und lief die Treppe hoch. Die oberen Stockwerke waren für die Gäste zwar tabu, aber vielleicht wusste das nicht jeder. Georges‘ Vater hatte sich dagegen ausgesprochen, ein schwarz-gelb-gestreiftes Absperrband vor dem Treppenhaus anzubringen.
Die Gänge im ersten Stock waren wie erwartet leer, aber zur Sicherheit sah George noch auf der zweiten Toilette nach. Konnte ja sein, dass die lange Warteschlange im Erdgeschoß abschreckende Wirkung gehabt hatte. Und tatsächlich wurde die Toilette im ersten Stock genutzt. Aber nicht von Colombo, das hatte George sofort erkannt, obwohl er schnell peinlich berührt wieder die Toilettentür schloss und den schrillen Schrei der Überraschung der Frau dahinter erstickte.
„Verzeihung Ma’am. Und … Sir“, entschuldigte er sich noch schnell, ehe er das Weite suchte.
Auf seiner Flucht aus dieser peinlichen Situation fiel ihm jedoch auf, dass die Tür zu seinem Schlafzimmer – und früherem Jugendzimmer – offen stand. Als er hingehen wollte, um sie zu schließen, fand er jedoch im Inneren des Raumes Commander Colombo vor, der von einem aufgeschlagenen Buch in seinen Händen aufsah.
„Oh, tut mir leid, dass ich hier eingedrungen bin“, entschuldigte sich Colombo. „Die Warteschlange vor der unteren Toilette war ziemlich lang und hier oben ist auch … besetzt.“
„Ja, habe ich gemerkt“, entgegnete George und trat an Colombos Seite, um zu sehen, in welchem Buch er blätterte. Natürlich stammte es aus der großen Regalwand und die Wahrscheinlichkeit, dass Colombo einen antiquierten Science-Fiction-Roman in Händen hielt, war groß. Nach ein paar Zeilen wusste George, was er da las: „Krieg der Welten!“
„Ja. Genau die richtige Lektüre für einen Waffenoffizier wie mich, nicht wahr?“
„Nur wenn Sie lernen wollen, wie man in Panik gerät, wenn alle Ihre Waffen gegen einen in jeder Hinsicht überlegenen Feind wirkungslos bleiben. In dieser Geschichte sind die Menschen den angreifenden Marsianern hoffnungslos unterlegen.“
„Ein Glück, dass wir inzwischen rausgefunden haben, dass es keine Marsianer gibt. Naja, mit Ausnahme jener Menschen, die wir selbst dorthin geschickt haben“, erwiderte Colombo lächelnd und stellte das Buch wieder zurück an seinen Platz.
„Vor 300 Jahren wussten es die Menschen einschließlich H. G. Wells nicht besser. Aber der Prinzip „Hochmut kommt vor dem Fall“ stimmt auch heute noch“, sinnierte Kirk.
„Und ich dachte, wir leben nach dem Prinzip „Pflicht, Ehre, Vaterland“. Das steht zumindest über dem Torbogen der MACO-Akademie in West Point.“
„Ich war nicht gerne dort“, gestand George ein. „Das Militärische Angriffskommando war aber auch nicht meine erste Wahl. Ich hatte mich zuerst für die Sternenflottenakademie beworben.“
„Wenn ich mir Ihre kleine Bibliothek so ansehe, kann ich das gut verstehen. Sie enthält viel zu den Themen Weltraum und Forschung. Aber wenig über Kampf und Krieg und wenn, dann unter sehr kritischen Gesichtspunkten behandelt“, sagte Colombo und zeigte abermals auf das Buch „Krieg der Welten“, das nun wieder an Ort und Stelle im Regal zwischen den beiden anderen Wells-Romanen „Die Zeitmaschine“ und „The Shape of Things to Come“ stand.
Colombo räusperte sich und fügte dann verlegen, als würde er ein großes Geheimnis offenbaren, hinzu: „Die MACOs waren auch nur meine zweite Wahl.“
„Auch die Sternenflotte?“, fragte George und vermutete erstmals, dass er mit dem Waffenoffizier der Kelvin doch mehr Gemeinsamkeiten hatte, als die Uniform. Doch Colombo schüttelte vehement den Kopf und antwortete:
„Schweizergarde.“
„Oh“, entfuhr es George. Mehr wusste er zu Colombos angestrebter Militärkarriere auch nicht zu sagen. Abgesehen davon, dass er kein Schweizer war, wäre die Garde des Papstes für ihn nie und nimmer eine Alternative zur Sternenflotte gewesen, was primär daran lag, dass die Schweizergarde keinen Dienst auf Raumschiffen verrichtete.
„Im Gegensatz zu den MACOs ist die Schweizergarde zwar nicht mit der Sternenflotte zusammengelegt worden, aber am Ende haben wir auf die eine oder andere Art doch beide erreicht, was wir wollten“, sagte Colombo, doch George konnte sich keinen Reim darauf machen.
„Wir sind beide dem Himmel näher gekommen“, erklärte Colombo schließlich, was George ein Lächeln abrang. Aus dieser Perspektive hatte er es noch nicht betrachtet.
„So, dann werde ich mal wieder nachsehen, ob irgendeine Toilette hier im Haus freigeworden ist“, meinte Colombo, George hielt ihn aber zurück, ehe er das Zimmer verlassen konnte.
„Vielleicht gehen Sie besser auf der Kelvin auf die Toilette“, schlug George vor und erzählte ihm davon, dass Admiral Archer auf der Suche nach ihm war. Colombo stöhnte enttäusch auf und sagte:
„Verdammt. Tja, dann wird es wohl wirklich besser sein, wenn ich von hier abhaue. Etwas überstürzter als ich dachte, aber nach der letzten Nacht kann es auch nicht schaden, wenn ich etwas Schlaf nachhole.“
„Dank gestern Nacht weiß ich zumindest, warum Sie es nicht in die Schweizergarde geschafft haben.“
„Hey, ich wollte Gardist werde. Kein Mönch!“, erwiderte Colombo mit gespielter Empörung, holte seinen Kommunikator hervor und arrangierte seinen Transport zur Kelvin. Bevor er sich im bunten Energiewirbel auflöste, wandte sich Colombo nochmals an George und sagte, diesmal aufrichtig und ernstgemeint: „Wenn Ihnen „Pflicht, Ehre, Vaterland“ nicht gefällt, wie wäre es dann mit folgendem alten Wahlspruch: Semper Fidelis, Lieutenant!“
„Semper Fidelis“, erwiderte Kirk und übersetzte in Gedanken das Motto, das sich gleichermaßen das alte U.S. Marine Corps als auch die Schweizer Armee einst geteilt hatten: Für immer treu.
Nachdem der Waffenoffizier weggebeamt war, drehte sich Kirk um und sah im Türrahmen stehend jene Frau, der seine immerwährende Treue und Liebe galt. „Hallo, Mrs. Kirk!“
„An diese Anrede werde ich mich noch gewöhnen müssen“, erwiderte Winona müde lächelnd, während sie langsam auf ihn zu schlenderte. Während des Gratulationsmarathons hatte sie ganz entspannt gewirkt und nicht den kleinsten Anschein von Erschöpfung gezeigt. Ihrem Ehemann gegenüber zeigte sie nun ihr wahres Gesicht und George erkannte, dass sie genauso wie er selbst das ganze Theater nur über sich ergehen ließ. Dies war nun der erste Augenblick seit der Trauung, den sie für sich hatten und Winona fiel George in die Arme und schmiegte sich an ihn. Sie genossen diesen Moment schweigend. Inständig wünschte sich George, dass dieser Moment niemals enden würde. Gleichzeitig wusste er, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllen ließ, daher genoss er diesen Zustand so lange wie möglich.
Natürlich konnte es George nicht ahnen und schon gar nicht wollte er einen Gedanken daran verschwenden. Aber noch früh genug sollten stürmische Zeiten folgen, die die Familie Kirk entzweien sollten.
Rezensionen