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Neutrale Zone (1)

von Gunni Dreher

Kapitel 1

Raskh schaute aus dem Fenster seines Büros auf das Panorama des Regierungsviertels. Normalerweise pflegte er den Anblick der elegant gebogenen Türme zu genießen, immerhin hatte er erst vor einem guten Jahr diese Räume beziehen können. Und wenn er sich in der Regierungs­hierarchie Cardassias auch noch nicht ganz oben befand, nun, so doch schon ziemlich weit oben. Zu­gegeben, er hatte sich durch seine Geburt als der Sohn eines einflußreichen Guls bereits an ei­nem günstigen Ausgangspunkt befunden, und vieles hatten die Veränderungen auf Cardassia Prime bewirkt, aber der größte Teil des Weges in dieses Büro war harte Arbeit gewesen. Er hatte diese Position in deutlich jüngeren Jahren erreicht als alle seine Vorgänger und war si­cher, daß seine Karriere noch lange nicht beendet war.
Vorausgesetzt, er verärgerte nicht die falschen Leute.
Er hatte von Anfang an gewußt, daß er auf diesem Weg mehr als einmal würde die Faust in die Tasche stecken müssen. Bestimmte Dinge konnte man sich einfach nicht leisten, wenn man seine Position nicht gefährden wollte. Trotzdem haßte er sich selbst für das, was er zu tun im Begriff war.
Ein Geräusch an der Tür unterbrach seine Gedankengänge. Sein Sekretär warf einen vorsichtigen Blick in den Raum.
"Ingenieur Rilkar ist eingetroffen und möchte Sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Allerdings habe ich gesehen, daß Sie alle Termine dieses Morgens gestrichen haben. Soll ich ihm sagen, daß Sie sich nicht wohl fühlen und ihn bitten, ein anderes Mal wiederzukommen?"
Raskh seufzte und wandte sich vom Fenster ab. Er fürchtete dieses Gespräch mehr als jemals eine Prüfung während seiner Ausbildung, aber die Zeit war einfach zu knapp.
"Das ist nicht nötig!" hörte er sich erwidern. "Sagen Sie meinem Bruder, ich hätte Zeit für ihn."
Der Sekretär hob überrascht die Augenbrauen. Taktvollerweise hatte er stets einen Hinweis auf die verwandtschaftliche Beziehung zwischen seinem Vorgesetzten und Ingenieur Rilkar vermieden - zu dessen Zufriedenheit, wie er sich sicher war.
"Selbstverständlich! Wie Sie wünschen!" brachte er heraus und verschwand ins Vorzimmer.
Raskh blieb keine Zeit, sich ein paar beruhigende Eingangsworte zurechtzulegen, da sein Bruder gleich darauf im Raum stand. Ihm genügte ein Blick in Rilkars Gesicht, um festzustellen, daß dieser verstört und verzweifelt war, und es war ihm fast peinlich, ihn so zu sehen. Raskh hatte seinen jüngeren Bruder stets um dessen innere Kraft und Furchtlosigkeit beneidet. Rilkar, der sich nie unterkriegen ließ. Rilkar, der nie mit seinem Schicksal haderte. Rilkar, der Bastard, der alle Beleidigungen so ungerührt ablaufen ließ, daß Raskh fast an seine Unverwundbarkeit geglaubt hatte.
"Aber dieses Geschoß hat einen Volltreffer gelandet!" dachte Raskh bekümmert. "Er darf auf keinen Fall merken, daß ich bereits informiert bin."
Sein Bruder überging die Begrüßung und jegliches Vorgeplänkel.
"Ich brauche deine Hilfe!" brachte er hervor.
Raskh schauspielerte ein leichtes Schmunzeln, für das er sich verabscheute.
"Nun, das wäre eine Uraufführung. Setz dich erst einmal und erzähl, was passiert ist! Dann will ich gerne sehen, was ich für dich tun kann."
Der Ingenieur zögerte einen Moment, dann ließ er sich wi­derwillig in den angebotenen Besuchersessel sinken. Man sah ihm deutlich an, daß er lieber im Zimmer auf und ab gelaufen wäre.
"Ein Freund hat mir gerade die Nachricht zu­kommen lassen, daß der Industrieschutz in wenigen Tagen gefälschtes kompromittierendes Material "entdecken" wird. Dieses soll beweisen, daß ich in Verhandlungen mit der Föderation über den Verkauf des wirkungsgradverbesserten Warptriebwerks stehe. Du weißt, wie es danach weitergehen wird! Wenn kein Wunder geschieht, bekomme ich lebenslänglich wegen Industrieverrats und der Prototyp wandert ganz selbstverständlich an die CAMB."
Raskh gab sich erschrocken.
"Die CAMB hat Interesse an dem System? Wie weit ist der Proto­typ denn schon?"
Sein Bruder stöhnte leise.
"Wir stehen kurz vor den ersten Testflügen."
Raskh nickte. "Damit ist jedenfalls endgültig bewiesen, daß dein Warptriebwerk ernst genommen wird. Immerhin gehen fast achtundneunzig von hundert Regierungsaufträgen für den Bau von Schiffstriebwerken an die CAMB. Der größte Rüstungsriese auf Cardassia samt Nebenwelten. Die lassen sich nicht gern von einem einzelnen Ingenieur Konkurrenz machen. Ich schätze, da wird einiges Geld an den Industrieschutz geflossen sein."
Er holte tief Luft, denn er wußte, was jetzt kommen würde.
"Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich glaube aber, bis spätestens heute abend kann ich falsche Pässe für dich besorgt haben. Such am besten eine der Nebenwelten auf und verhalte dich ru­hig! In ein paar Jahren ist Gras über die Sache gewachsen."
Rilkar sah überrascht auf.
"Du hast mich falsch verstanden. Ich habe nicht vor, davonzulaufen. Fast mein halbes bisheriges Leben habe ich an diesem Triebwerk gearbeitet. Ich habe geplant, berechnet und wieder verworfen, habe an nichts anderes denken können, bis es endlich perfekt war. Mein einziger Wunsch war, eines Tages ein Schiff mit meinem Antrieb fliegen zu sehen. Einundzwanzig gute Leute haben mit mir zusammen fast zwei Jahre lang hart gearbeitet. Niemand weiß, was die CAMB mit ihnen anstellt, wenn ich einfach verschwinde. Schließlich wissen sie über den Antrieb fast ebensogut Bescheid wie ich. Ich bin fast hundertprozentig sicher, daß sie auf die eine oder andere Art aus dem Weg geräumt würden.
Nein, worum ich dich bitten wollte, ist um deine Unterstützung in der Öffentlichkeit und Geld für einen Rechtsbeistand. Du weißt, daß ich das Geld, das mir Vater vererbt hat, komplett in den Prototyp gesteckt habe. Mir stehen kaum noch flüssige Mittel zur Verfügung, zu wenig für einen solchen Prozeß." Er warf seinem Bruder einen flehenden Blick zu. "Ich bitte dich nicht, mir das Geld zu schenken, das weißt du! Wenn die Sache überstanden ist..."
Peinlich berührt unter­brach Raskh ihn mit einer Handbewegung.
"Rilkar, darum geht es nicht! Natürlich würde ich dir das Geld leihen. Aber du mußt doch einsehen, daß du nicht die geringste Chance hast, einen Prozeß zu gewinnen, in dem ein Rüstungskonzern seine Finger hat. Es handelt sich hier um Leute, die ihr Geld und ihre Beziehungen überall haben und es absolut nicht mögen, wenn sich ihnen jemand in den Weg stellt. Die sind auf ihre Art genauso gefährlich wie der Obsidianische Orden. Was du dir da vor­stellst, wäre der reinste Selbstmord, und das kann ich nicht zulassen. Ich bitte dich, nimm die Pässe an!"
"Nein!" Kopfschüttelnd stand sein Bruder langsam auf. "Nein, Raskh, das wäre ein Rückfall in das alte Cardassia, auf dem in öffentlichen Schauprozessen der Angeklagte als lebender Toter sei­ner Verurteilung entgegensah. Dieses Cardassia sollte der Vergangenheit angehören! Du hast bei unserer letzten Begegnung selbst gesagt, daß sich die Dinge geändert haben auf Cardassia Prime. Vielleicht schon genug, um eine Chance zu haben. Ich gebe den Antrieb und meine Leute nicht auf, Raskh! Ich gehe das Risiko ein. Es wäre nicht der erste scheinbar aussichtslose Kampf, den ich gewinne."
In Raskh keimte Ärger auf. Es war genau das eingetreten, was er befürchtet hatte.
"Natürlich willst du wieder mal mit dem Kopf durch die Wand." sagte er scharf. "Mein Bruder, der nie klein beigibt. Hast du immer noch nicht gelernt, daß es Dinge gibt, gegen die ein Kampf aussichtslos ist? Dies ist keine Prügelei mit Straßenjungen oder einem streitlustigen Kasernengrobian, der sehen will, was der Mischling so draufhat. Du bist immer ein guter Kämpfer gewesen, ich weiß! Aber hier helfen dir weder Kraft noch breite Schultern, noch nicht einmal das pfiffige Mundwerk, von dem du als Junge so gern Gebrauch gemacht hast. Hier wirst du dir einen blutigen Kopf holen, ach was, man wird dir im Vorbeigehen das Rückrat brechen ohne sich nach dir umzuwenden. Begreifst du das nicht? Du reißt dich unrettbar da rein, ohne daß ich dir helfen kann. Im Gegenteil, wenn du dich hier stur stellst, kannst du auch mich in ärgste Schwierigkeiten bringen. Glaub ja nicht, daß diese Leute wegen meiner Position vor mir Halt machen werden! Ich könnte alles verlieren, wofür ich gearbeitet habe."
Rilkar, der schon auf dem Weg zur Tür gewesen war, drehte sich zu ihm um.
"Richtig, das könntest du." nickte er langsam. "Aber wofür hast du all die Jahre gearbeitet? Für das neue Cardassia, auf dem auch der Einzelne Rechte besitzt und von dem du mir früher so viel erzählt hast? Oder für diesen schönen Sessel da hinter dem Schreibtisch?"
Er kniff die Augen zusammen und sah Raskh prüfend ins Gesicht.
"Das ist es, nicht wahr? Diese hübschen Annehmlichkeiten, diese Macht, an die man sich so schnell gewöhnt und von der man sich nur ungern trennen will. Die kleinen Launen und Eitelkeiten, denen man auf einmal nachgeben kann. Seit dir dein Informant auf Deep Space Nine vor einem Vierteljahr von der Rhazaghani berichtete, die dort ihren Dienst aufgenommen hat, hast du alle Beziehungen spielen lassen, um das Austauschprogramm zwischen Cardassia und der Föderation in deinen Zuständigkeitsbereich zu bekommen. Als du es hattest, hast du gegenüber dem Botschafter der Föderation so lange Druck ausgeübt, bis gerade jene junge Frau dem Austauschprogramm zugeteilt wurde. Und an dem Begrüßungsabend vor sieben Tagen sitzt kein Diplomat dir gegenüber am Tisch, sondern, man stelle sich vor, eben jene Rhazaghani aus der Xenobiologieabteilung von Deep Space Nine!"
Raskh öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Ingenieur blockte mit einer Handbewegung ab.
"Woher ich das alles weiß? Es gibt eben Dinge, die sogar bis zu mir durchdringen. Jedenfalls dürfte hinter der ganzen Angelegenheit ja wohl etwas mehr stecken als bloße Völkerverständigung und die Faszination für ein Volk, das sich nach wenigen Jahrzehnten fast ruhiger Besatzungszeit aus scheinbarer Primitivität erhoben und uns Cardassianer einfach rausgeschmissen hat. Mach mir nichts vor! Es brächte für dich einen enormen Prestigegewinn unter gewissen Leuten, wenn du eine Geliebte von einer Spezies vorführen könntest, über die auch heute noch auf Cardassia die wildesten Halbwahrheiten kursieren. Dafür also der ganze Auf­wand! Dafür kannst du ungeheure Energien mobilisieren. Mir scheint, du hast deine Prioritäten gesetzt, Raskh!"
Seinem Gegenüber war das Blut ins Gesicht geschossen. Es war ihm deutlich anzusehen, wie unan­genehm es ihm war, daß sein Bruder so gut über ihn Bescheid wußte. Mühsam kämpfte er seine Verlegenheit nieder.
"Mag sein!" brachte er heraus. "Fest steht aber, daß ich mit meinen Kompetenzen bestimmte Dinge erreichen kann und andere nicht. Dein Fall gehört in den letzteren Bereich, das ist einfach eine Tatsache. Nimm die Pässe, Rilkar! Nimm sie und bring dich in Sicherheit!"
Der Ingenieur lachte bitter. "In Sicherheit, sagst du? Woher willst du wissen, daß ich woanders in Si­cherheit sein werde? Wenn die CAMB über einen so langen Arm verfügt, wie du sagst, werden sie mir ohnehin jemanden hinterherschicken und mich bequemerweise da töten lassen, wo es nicht weiter auffällt."
"Nein, Rilkar!" Raskh trat hastig auf ihn zu. "Das glaube ich nicht! Warum sollten sie dich töten, wenn du gehst, ohne Probleme zu machen? Ich bin ganz sicher, sie werden dich in Ruhe lassen. Nur mußt du gleich gehen! Du darfst es nicht hinauszögern! Rilkar?"
Er verstummte, weil sein Bruder ihn aus schmalen Augen anstarrte.
"Wie lange weißt du es schon?" hörte er ihn hinter zusammengebissenen Zähnen fragen.
Raskhs Herz setzte einen Schlag aus. Er sah die geballten Fäuste des Ingenieurs, die Haltung seiner Schultern und wußte, daß jeder Muskel in diesem Körper angespannt war. Einen Moment lang fragte er sich, ob sein Bruder dazu fähig war, auf ihn loszugehen, da er nun begriffen hatte, wie sehr er mit dem Rücken zur Wand stand.
Raskh schluckte. Es war eine Weile her, daß er eine Trainingshalle von innen gesehen hatte. Und selbst wenn er in Hochform gewesen wäre, so hätte ihm das nichts genützt. Rilkar war zur Hälfte Tamasi und hatte die hohe Muskeldichte seiner Mutter geerbt.
"Seit gestern abend!" Raskh sah seinen Bruder niedergeschlagen an. "Sie sagten mir, wenn ich dich dazu brächte Vernunft anzunehmen, hätten weder du noch ich Schwierigkeiten zu befürchten."
"Schwierigkeiten!" Rilkar spuckte das Wort förmlich aus. "Dann, mein lieber Bruder, paß auf, ob du dich aus Schwierigkeiten heraushalten kannst!"
Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ er mit langen Schritten das Büro.
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