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Alles was bleibt sind Scherben

von Nerys

Kapitel 1

Alles was bleibt sind Scherben


Das durchdringende Geräusch des roten Alarms hallt durch die Krankenstation noch ehe der erste heftige Ruck das Schiff schlingern lässt. Ich stolpere unkontrolliert vorwärts und pralle hart gegen den Geräteschrank vor mir, ehe ich auf dem Boden lande. Ein schmerzhafter Stich jagt durch meine Schulter. Ich höre die sich öffnende Tür und Stimmen rufen aufgebracht durcheinander. Der widerlich süßliche Geruch von verbranntem Fleisch liegt auf einmal in der Luft. Rasch rapple ich mich wieder auf die Beine und eile den Verwundeten entgegen, die gerade in die Krankenstation gebracht werden. Prellungen, Brüche und Platzwunden verursacht durch Stürze, Verbrennungen in Folge von Kurzschlüssen und explodierenden Geräten. Es sind die Arten von Verletzungen, mit denen ich mit schöner Regelmäßigkeit konfrontiert werde. Da das Schiff weiterhin buckelt wie ein wildes Pferd und der Alarm drohend heult, bleibt keine Zeit für großartige Überlegungen. Als mein Team und ich die Verwundeten versorgen, sitzt jede Handbewegung und jeder Wimpernschlag wie der Automatismus einer Maschine. Hier unten wissen wir nicht genau was außerhalb unseres Reiches geschieht. Vieles von dem, was uns die Patienten stammelnd berichten, sind nur lose Fetzen, die kein zusammenhängendes Bild ergeben. Ein fremdes Raumschiff scheint aus dem Nebel gekommen zu sein, an dem wir zuvor Untersuchungen durchführten.

„Doktor Crusher!“, ruft Alyssa Ogawa.

Ich vertraue meinen nur leicht verletzten Patienten einer anderen Schwester an und eile hinüber zu der jungen Frau. Einige schwarze Haarsträhnen haben sich aus dem festen Knoten gelöst und fallen ihr wirr in die Stirn. Ihre dunklen Augen sehen mich sorgenvoll an. Ich erkenne den Mann, der bewusstlos vor uns auf dem Biobett liegt. Ensign Chulainn Teno, ein junger Bajoraner. Er kam erst vor kaum einem halben Jahr mit seiner Frau und seinem Sohn auf die Enterprise. Sein hübsches Gesicht ist verzerrt, sein blondes Haar rußbedeckt. Alyssa hat ihn bereits untersucht und ich lese rasch die Daten ihres Tricorders. Chulainn muss im Maschinenraum unmittelbar in eine schwere Explosion geraten sein.

„Die anderen Techniker hatten soweit Glück“, stellt die Schwester fest und nickt in Richtung eines weiteren Mannes und einer Frau, die aufrecht auf den Biobetten sitzen, während ihre Verletzungen versorgt werden.

Wir wechseln kaum noch Worte, als wir die Operation vorbereiten. Alyssa und ich verstehen uns fast ohne. Obwohl wir schnell und routiniert sind, gelingt es uns mit all unseren Geräten diesmal nicht, das uns anvertraute Leben zu retten. Chulainns innere Verletzungen sind zu schwer, die Zeit reicht nicht aus. Das monotone Pfeifen, mit dem der Computer unseren verlorenen Kampf verkündet, scheint beinahe den Alarm zu übertönen. Wir können nicht mehr tun, als den jungen Mann auf dem Biobett liegen zu lassen, und die anderen Patienten zu versorgen, die unsere Hilfe brauchen.

Es scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein, als das Schiff wieder zur Ruhe kommt und der nervtötende Alarm, der von einem hektischen Blinken der Beleuchtung begleitet wird, endlich verstummt. Die meisten Patienten haben die Krankenstation bereits verlassen. An einem der Biobetten beendet Doktor Selar gerade die Behandlung eines bolianischen Crewman. Mein Blick fällt für einen Moment auf Chulainns reglosen Körper, ehe mich rasch abwende. Mir graut davor, seiner Frau mitteilen zu müssen, dass wir ihren Mann nicht zu retten vermochten. Bestimmt wird sie bald herkommen, um nach ihm zu suchen. Alyssa tritt an mich heran. Obwohl sie aufmunternd zu lächeln versucht, erkenne ich den Schmerz in ihren Augen. Sie ist noch so jung und hat den Tod nicht so oft gesehen wie ich in meiner Laufbahn als Ärztin.

„Ich hasse es, Totenscheine auszustellen“, murmle ich.

Als leitender medizinischer Offizier bleibt mir das jedoch nicht erspart. Ich ziehe mich in mein Büro zurück und setzte mich an den Schreibtisch. Aus dem dunklen Schirm der Konsole blicken mir die müden Augen meines eigenen Spiegelbildes entgegen. Ich streiche mir eine wirre rote Strähne aus dem Gesicht, ehe ich den Computer mit einem Druck auf das Tastenfeld aktiviere. Die Aufzeichnungen beschäftigen mich für eine Weile und halten mich vom Nachdenken ab. Bis ich aus dem Hauptbereich der Krankenstation dumpfe Stimmen vernehme und von meiner Arbeit aufblicke. Auf der anderen Seite der Glasscheibe, die mein Büro vom übrigen großen Raum abtrennt, sehe ich Doktor Selar mit einer brünetten Bajoranerin in Zivilkleidung sprechen, an deren Hand sich ein kleiner Junge klammert, höchstens vier oder fünf Jahre alt. Im selben Moment höre ich, wie jemand mein Büro betritt.

„Doktor Crusher“, beginnt Alyssa. „Chulainn Midoren ist gerade eingetroffen, um nach ihrem Mann zu sehen.“

Ich schlucke hart und nicke der Schwester zu, ehe ich mich erhebe, um ihr in den anderen Raum zu folgen. Nach wenigen Schritten verharre ich. Midoren hat mich bemerkt und blickt in meine Richtung. Noch weiß sie nicht, dass für sie und ihren kleinen Sohn nichts mehr so ist wie es war. Ihre Miene ist sorgenvoll, sie mag etwas ahnen, da alle Biobetten unberührt sind. Ihr Mann liegt inzwischen in einer der Kryokammern. Wie ferngesteuert setze ich mich wieder in Bewegung. Obwohl ich damit vertraut bin, auch schlechte Nachrichten zu überbringen, muss ich diesmal um Fassung ringen. Die Situation schmeckt bitterlich vertraut. Vor vielen Jahren war ich diese junge Frau, der man offenbarte, dass ihr Ehemann tot war. Diejenige, der der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Bestimmt trägt Midoren Ideen, Wünsche und Hoffnungen für ihre kleine Familie im Herzen, so wie ich damals ebenso. Träume, die an der harten Wahrheit platzen müssen wie Seifenblasen. Sie versucht gegen ihre Tränen anzukämpfen, doch es gelingt ihr nicht. Der Junge, den sie so hilflos und verloren an sich drückt, versteht noch nicht, was geschehen ist. Fragend sieht er zu seiner Mutter hoch. Ich erkenne denselben Schmerz in ihren hellen Augen, den auch ich einst erfahren habe. Und für einen Moment hallt die Erinnerung an Wesleys kindliche Stimme durch meine Gedanken, wie er mich sehnsüchtig fragte, wann sein Vater endlich wieder nach Hause kommen würde. Für mein Kind, das mich so sehr brauchte, musste ich stark sein und den eigenen Schmerz vergraben. Die junge Bajoranerin hebt ihren Sohn vorsichtig hoch. Sie ist völlig verstört, blass und und ihre Hände zittern. Noch glaubt sie an einen bösen Traum. Ich wachte nachts immer wieder mit der leisen verzweifelten Hoffnung auf, Jack neben mir im Bett schlafend vorzufinden. Das Wissen, dass Midoren jetzt durch dieselbe Hölle gehen muss, legt sich kalt um mein Herz. Ihre kleine heile Welt ist im Bruchteil eines Moments für immer zerstört wie eine achtlos fallen gelassene Schneekugel. Und alles was bleibt sind Scherben.
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