TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Im Auge des Betrachters

von VGer

Kapitel 1

„Sie glauben nach wie vor, wir seien ein unkoordinierter Haufen wütender und primitiver Wilder, die sich mit Säbeln und Steinschleudern und anderen archaischen Waffen im Wald verschanzen und kaum fähig sind die gestohlenen Shuttles zu fliegen, geschweige denn sie in Stand zu halten. Und in dem Glauben müssen wir sie lassen, denn das ist unser Vorteil.“

Consuelo Indurain hatte sich richtiggehend in Fahrt geredet, jetzt ließ sie sich auf die unbequem niedrige Couch fallen und überschlug ihre dünnen Beine, die in fadenscheinigen beigen Leinenhosen steckten. Es war ein drückend heißer Sommertag unter der trüben Sonne von Volan, der noch auf den Monsun wartete, und vor den dunkel getönten Fensterscheiben surrten penetrant die faustgroßen Insekten, die den herannahenden Wolkenbruch ankündigten. Vor etwas mehr als 36 Jahren war sie hier geboren worden, in der Kleinstadt Hiria auf der Koloniewelt Volan III nahe der Föderationsgrenze, und alles schien genau so zu sein wie immer obwohl nichts so wie immer war, denn die Föderationsgrenze war inzwischen nur um ein paar Lichtjahre in die falsche Richtung verlegt worden.

In einem früheren Leben war die promovierte Mathematikerin ein Sternenflottenoffizier im Rang eines Lieutenant Commanders gewesen, hatte auf diversen nahegelegenen Sternenbasen als Datenanalystin in der Risikoforschung gearbeitet. Doch das war gewesen, bevor ihr Leben völlig aus den Fugen geraten war. Das war gewesen, bevor man sie informiert hatte, dass sie mit ihrer Familie umgehend ihre Heimat zu verlassen hatten, weil der Planet auf dem sie lebten jetzt aus politischen Gründen den Cardassianern gehörte. Das war gewesen, bevor sie wütend geworden war, und bevor Consuelo Indurain wütend wurde, musste sie sehr wütend sein.

Auf den ersten Blick rechnete niemand damit, dass Consuelo Indurain eine berüchtigte Widerstandskämpferin und Anführerin des Maquis war. Sie war klein und zierlich, ihr riesiger schwarzrötlicher Lockenkopf war fast größer als sie selbst, mit frech funkelnden Augen und einer niedlichen Stupsnase dazwischen sah sie wesentlich jünger aus als sie war, fast noch wie ein Mädchen. Das praktische Leinengewand in erdigen Farben und das gluckernde Baby im buntkarierten Tragetuch – ihr sechs Monate alter Sohn Francisco, genannt Cisc und vergöttert von allen, auch von den martialischsten ihrer Kampfgefährten – gepaart mit ihrer gelassen freundlichen Art, ließ sie wirken wie eine ganz gewöhnliche unscheinbare Kolonistin, die im Haus ihrer Familie wohnte und selbstproduzierte landwirtschaftliche Produkte für den Tausch auf den diversen Märkten der Stadt vorbereitete, nicht wie eine gebildete und gefährliche Strategin und schon gar nicht wie eine aufsässige und kämpfende Rebellin, die zu allem bereit war um zu verteidigen was sie liebte. Das war ihr Vorteil, und das wusste sie. Das würde sie sich nicht nehmen lassen.

„Wir müssen allerdings vorsichtiger sein als bisher. In den letzten Monaten sind etliche unserer Leute von der Föderation gefangen genommen worden – unserer Gruppe hat Glück gehabt, vergleichsweise, aber wir können uns nicht sicher sein ob nicht doch eine Spur zu uns führt die uns verrät, schließlich haben wir viele Kontakte – und es wird immer schwieriger die Sternenflotte oder gar den Geheimdienst abzuhören. Wir müssen auf der Hut sein, und immer einen Schritt voraus. Sveta?“

Consuelo Indurain ließ ihren stechenden Blick durch den Raum schweifen, von einem Kampfgefährten zum anderen. Mit einem flüchtigen Nicken übergab sie das Wort an Svetlana Karapanova, die eigentliche Strategin ihrer Gruppe. Sie hörte den Ausführungen der hellhäutigen blonden Frau mit den plumpen slawischen Gesichtszügen nicht weiter zu, denn sie hatte den Plan schon einmal zu oft gehört, schließlich hatte sie ihn mit entwickelt, und bis zu einem gewissen Grad waren ihre Pläne immer dieselben, doch sie funktionierten. Consuelo war Mathematikerin, sie glaubte an Statistiken und Wahrscheinlichkeiten und akkurate Berechnungen, und diese funktionierten immer und immer wieder. Ihr Kampf dauerte schon zu lange, doch dieser Plan schien sich zu bewähren.

Dennoch entbrannte eine hitzige Diskussion unter den Kampfgefährten, wie immer. Sie waren sich uneins über die spezifischen Details, und jeder wollte irgendetwas anders machen oder besser wissen, und mangels einer wirklichen Kommandostruktur glaubten diejenigen zu gewinnen, die eine lautere Stimme und farbenfrohere Flüche auf Lager hatten. Während das Absurde zur Normalität geworden war, hatte Consuelo sich auch daran gewöhnt.

Sie wollten eins ihrer wenigen Schiffe nehmen und in die Badlands fliegen, um dort einen Überraschungsangriff gegen die Vetar, das Flaggschiff der Cardassianischen Flotte in diesem Sektor, zu fliegen. Es war eine große Sache, die lange und gut geplant worden war, und der Gedanke allein erfüllte ihre Kampfgefährten mit beängstigender Euphorie. Sie durften endlich richtig kämpfen, und gegen die Cardassianer außerdem! Trotz allem was passiert war fiel es den Meisten schwer, die Föderation – ausgerechnet die Föderation, die sie immer als Heimat angesehen hatten und mit deren Werten und Traditionen sie alle seit Generationen aufgewachsen waren – als Feind anzusehen. Gegen die Föderation und die Sternenflotte anzugehen bereitete ihnen allen Kopfzerbrechen und Bauchschmerzen, wenn auch von Tag zu Tag weniger je mehr sie von politisch-diplomatischen Intrigen erfuhren, doch die Cardassianer als Feind anzusehen war leicht. Schwarz und weiß zu denken war einfacher, als sich offen gegen Freunde und Familie in der Föderation und der Sternenflotte zu stellen – die Cardassianer waren ein Feind, den sie zurückschlagen mussten und wollten, um ihre Heimat zurück zu erobern.

Svetlana Karapanova, von ihren Kampfgefährten schlicht Sveta genannt, ließ ihre kleine Faust lautstark auf den Tisch donnern und schrie die anderen Kampfgefährten an, um sich endlich wieder Gehör zu verschaffen. Sveta schrie oft, Consuelo niemals – deshalb hielten die Allermeisten auch Sveta und nicht Consuelo für die eigentliche Anführerin ihrer Gruppe. Consuelo ließ Sveta schreien, denn das Spiel der Autorität war ihr eigentlich, grundsätzlich, zuwider.

Obwohl Volan III eine der größten Koloniewelten in diesem Sektor war, war ihre Gruppe eine der kleineren in der Widerstandsbewegung, und die meisten ihrer Operationen konzentrierten sich darauf, Geheimdienstinformationen beider Seiten abzufangen und weiterzuleiten, ein Netzwerk aufzubauen, passiven Widerstand zu leisten und die Absiedlungsbemühungen seitens der Föderation perfide oder auch weniger perfide zu sabotieren. Das war Consuelos Entscheidung gewesen, und nicht jeder war damit einverstanden. Viele in ihrer Gruppe waren militanter eingestellt, wollten sich mit Waffengewalt der Föderation und den Cardassianern gleichermaßen entgegenstellen, doch sie waren keine Krieger, sie waren Patrioten und verzweifelt außerdem.

Verzweiflung schlug in Wut um und Patriotismus in blinden Hass, als ihnen alles genommen wurde – also wurden sie zu Kriegern, weil die Umstände ihres Lebens mit all seinen Zufällen ihnen keine andere Wahl ließen als zu kämpfen. Sie liebten ihr Leben, und sie wollten es behalten, hier und jetzt und so wie es immer gewesen war.

Bevor das Abkommen von 2370 in Kraft getreten war, waren sie Föderationsbürger wie alle anderen gewesen, jetzt waren sie Heimatlose, denen man alles nehmen wollte. Sie waren Kolonisten, und ein diverser Haufen wie alle Kolonisten, beinahe alle Zivilberufe die man sich vorstellen konnte (Mathematiker, Terraformer, Mechaniker, Dolmetscher, Juristen, Krankenpfleger, Anthropologen, Astrophysiker, Bauern, und noch viel mehr) hatten sich hier versammelt, mit einem Ziel. Egal wer sie waren, sie waren in erster Linie eins: Kolonisten und Patrioten.

Der Regen begann zu fallen, unaufhörlich, so wie er es schon immer getan hatte. Dicke silberne Tropfen platzen aus violetten Wolken, die den Himmel über Hiria verdüsterten und die schwüle Sommerluft abkühlten, und wie schon seit Jahrtausenden kümmerten sich die Jahreszeiten und Naturphänomene nicht um die alltäglichen Angelegenheiten und Sorgen der Planetenbewohner. Der Regen prasselte warm und rhythmisch auf das Dach des Indurain’schen Familienwohnsitzes; völlig sorgenfrei, so wie jedes Jahr seit Consuelo ein kleines Mädchen gewesen war und vermutlich noch viel länger als das, es war eine Konstante wie ein Naturgesetz. Das rötlich schimmernde Wasser perlte dramatisch vom niedrigen Dach des Hauses ab und fiel zu Boden, wo es gierig aufgesogen wurde, doch dieses Jahr schaffte er es nicht die Gemüter zu beruhigen während die Tropfen auf dem erhitzten Metall der Dächer verdampften.

„Wenn ihr nicht leise seid, dann weckt ihr meinen Sohn. Und wenn Cisc weint, ist das schlimmer als die Föderation und die Cardies zusammen!“, warnte Miguel Ayala eindringlich, und schlagartig schwiegen alle.

„Warum tun wir das eigentlich?“, seufzte Kurt Bendera frustriert.
Rezensionen