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Sturm 9.01 - Nach dem Sturm

von Gabi

Erika Benteen

ERIKA BENTEEN

Sie konnte die Blicke spüren. Niemand, der vor ihr stand, starrte sie an, doch sobald sie an ihnen vorüber gegangen war, fühlte sie es, wie sie sich umdrehten und ihr nachblickten. Es waren bajoranische Blicke, es waren Blicke angefüllt mit Verachtung.

Sie mochte dieses Volk nicht. Korrekter gesagt, mochte sie dessen Religiosität nicht. Das letzte Jahr, das sie als Erster Offizier auf der Station gedient hatte, hatte sie nicht wirklich näher an ein Verständnis der Kultur derjenigen Spezies gebracht, der die Raumstation Deep Space Nine rein rechtlich gehörte. Es wäre so viel einfacher für Commander Benteen, wenn die Sternenflotte hier vollständig das Kommando übernehmen könnte. Doch die Zeit eines Beitritt Bajors in die Föderation war mit den Ereignissen der vergangenen Tage nicht näher gerückt. Benteen war sich bewusst, dass ihr eigener Bericht an das Oberkommando in dieser Hinsicht keineswegs hilfreich war. Doch sie hatte es als ihre Pflicht gesehen, ihre Vorgesetzten in der Sternenflotte zu informieren. Von Colonel Kira würde mit Sicherheit keine neutrale Betrachtung der Situation erfolgen.

Benteen hatte ihre eigene Kommandoübernahme mit vorübergehender Absetzung Colonel Kiras nicht verschwiegen und zu ihrer großen Erleichterung hatte sie dafür die Rückendeckung des Oberkommandos erhalten. Dort schätzte man die Situation genau so ein wie sie das selbst getan hatte: Die Unversehrtheit der Raumstation und ihrer Bewohner ging vor. Ein paar wenige Vertraute besaß sie noch in den Admiralsrängen, die ihr nicht nach dem misslungenen Versuch Admiral Leytons, die Erde unter Kriegsrecht zu stellen, den Rücken gekehrt hatten. Über diese Quellen hatte sie erfahren, dass das Oberkommando sogar so weit gegangen war, bei der bajoranischen Regierung eine Bitte um Versetzung von Colonel Kira einzureichen.

Ob das etwas nützte, wagte sie zu bezweifeln. Wenn ihnen von außen eine Vorgehensweise herangetragen wurde, dann tendierten Bajoraner eher dazu, das Gegenteil davon zu tun, und wenn es nur darum ging zu beweisen, wie unabhängig sie waren.

Die Entscheidung über ihre weitere Karriere war ihr selbst überlassen worden. Das nahm ihr den Luxus sich hinter einem Versetzungsbefehl des Oberkommandos zu verbergen. Was immer sie in Zukunft vorhatte zu tun, musste sie selbst entscheiden und diese Entscheidung vor sich und vor anderen rechtfertigen.

Colonel Kira hatte ihnen allen zwei Tage eingeräumt, in denen sie mit sich selbst ins Reine kommen sollten. Benteen begrüßte diese Entscheidung. In der Hitze des Augenblicks direkt nach der Neuschaffung des Wurmlochs und der um Haaresbreite entronnenen Zerstörung Deep Space Nines wären sicherlich auf beiden Seiten Dinge gesagt und getan worden, die sie hinterher bereuten und nicht mehr ungeschehen machen konnten.

So kommandierte Commander Benteen seit zwei Tagen die Gamma- und die Delta-Schicht, trieb so gut sie konnte die Reparaturen des Andockrings und der Pylone voran und versuchte darüber nachzudenken, was sie von sich, ihrer Karriere, diesem Posten und Colonel Kira erwartete.

Dass ein Teil der bajoranischen Bewohner der Station sie am liebsten in einem Transporter in Richtung Sektor 001 wissen würde, war unübersehbar. Es hatte sich rasch verbreitet, dass sie dabei gewesen war, bedenkenlos das Wurmloch und damit die bajoranischen Götter zu beschießen. Wie stets war diese Information recht emotionsgeladen von den stationsansässigen Bajoranern aufgenommen worden. Benteen fragte sich, was für Götter das sein sollten, wenn sie nicht einmal einem Partikelstrahl standhielten. Sie selbst hätte in diesem Fall längst damit begonnen, ihren blinden Glauben zu überdenken. Aber entweder hatten die Bajoraner die letzten Jahrtausende bereits ausgiebig mit derlei Bedenken zugebracht und für sich entschieden, dass es nichts an ihrem Glauben änderte, oder sie kamen gar nicht auf die Idee, darüber nachzudenken. Während Benteen sich sicher war, dass Colonel Kira vehement die erste These vertreten würde, neigte sie eher zur zweiten.

Ein Vorteil ihrer momentanen Nachtschicht war die relative Ruhe, die sie in ihrer Freizeit in den sozialen Einrichtungen der Station vorfand. Sie konnte sich entspannen, während die meisten anderen arbeiteten. Es half ihr ein wenig beim Nachdenken, wenn sie ihren Blick wandern lassen konnte. Alleine in ihrem Quartier fühlte sie sich momentan zu isoliert. Wirkliche Freunde, mit denen sie hätte sprechen können, hatte sie in ihrer Zeit auf der Station nicht gemacht. Sie war etwas näher mit dem Kreis um Colonel Kira in Kontakt gekommen – aber genau da lag das momentane Problem. Sie hatte die Sternenflottenoffiziere in ihre Absetzung hineingezogen. Und auch wenn sich keiner von ihnen gegen sie ausgesprochen hatte, weil sie in ihrem Inneren davon überzeugt waren, dass Benteen das Richtige getan hatte, so plagte sie alle jetzt das schlechte Gewissen Colonel Kira gegenüber. Und dieses Gewissen verkörperte Benteen. Sie konnte es O’Brien oder Dax nicht übel nehmen, dass diese sie mieden als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Immerhin hatten die Offiziere auf diese Weise jemanden, dem sie zumindest innerlich die Schuld zuschieben konnten.

Benteen seufzte und steuerte das Quark’s an, das um diese Tageszeit nahezu leer war. Sie hatte die freie Auswahl unter den Tischen. Sie suchte sich einen aus, von dem aus sie einen guten Überblick über die Bar und durch den Eingang auf den kleinen Ausschnitt der Promenade hatte. Dann orderte sie einen Cocktail mit mindestens drei Zutaten, die sie nicht aussprechen konnte. Ihr war nach etwas Abenteuerlichem zumute.

Wenn sie jetzt die Versetzung einreichte, dann würde es so aussehen, als ob sie den Schwanz einzog und Colonel Kira den Sieg eingestand. Sie konnte sich natürlich mit einer offiziellen Moral-Rede verabschieden, um deutlich zu machen, auf welch gerechtfertigtem Standpunkt sie sich wähnte. Doch das stimmte so nicht. Sie schätzte die bajoranische Kommandantin nicht gering, eher das Gegenteil, wie sie überrascht vor sich selbst eingestehen musste. Sie bewunderte deren Mut in einer aussichtslosen Situation das Falsche zu entscheiden und dazu zu stehen.

Doch wenn sie blieb, was für eine Zusammenarbeit würde das werden? Sie und Kira hatten sich das letzte Jahr über mühsam aufeinander zu bewegt. Benteens Aktion hatte sie nicht nur an den Ausgangspunkt zurück katapultiert, sondern noch weit darüber hinaus in die andere Richtung. Würde sie überhaupt noch imstande sein, die Autorität auszuüben, die für die Stellung eines Ersten Offiziers notwendig war? Sie sehnte sich nach der geordneten Struktur eines rein sternenflottengeführten Raumschiffs.

Auf der anderen Seite war jedoch dieses nagende Gefühl in ihr, welches ihr zuflüsterte, dass sie etwas verpasste, wenn sie diese Türe endgültig hinter sich schloss ...

„Ist der Platz noch frei?“

Benteen blickte überrascht auf. Sie war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass sie die Person nicht bemerkt hatte, die sich ihr genähert hatte. Ein kurzer Seitenblick versicherte ihr, dass mit Ausnahme eines weiteren einsamen Gastes alle Tische im Quark’s unbesetzt waren.

„Genau so frei wie jeder andere Tisch hier“, erwiderte sie abweisender als nötig.

Wie sie befürchtet hatte, ließ die Person, die mit einem Glas in der Hand vor ihr stand, sich dadurch nicht beeindrucken.

„Prima.“ Lieutenant Sito Jaxa zog sich einen Stuhl zurecht und ließ sich darauf fallen. „In der Schicht hat man wenigstens ein wenig Ruhe hier.“

Benteen bedachte die blonde Bajoranerin mit einem Blick, der aussagte, dass ihre Ruhe gerade eben gestört worden war. Laut fragte sie jedoch: „Arbeiten Sie auch in der Gamma-Schicht, Lieutenant?“

„Beta. Mein Dienst fängt in einer halben Stunde an. Ich komme gerade von der Krankenstation von Vash, da habe ich Sie hier drin sitzen sehen und dachte, ich leiste Ihnen noch so lange Gesellschaft.“

„Wie fürsorglich von Ihnen …“ Benteen seufzte innerlich, als sie merkte, dass ihr Sarkasmus an der bajoranischen Offizierin wirkungslos abprallte. „Wie geht es Ihrer Freundin?“

Sito lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und ließ den Blick einmal durch den fast leeren Raum schweifen. Eine Angewohnheit, die jeden Mitarbeiter der Stationssicherheit beim Betreten von Quark’s auszeichnete. „Soweit ganz okay. Dr. Bashir hat wahre Wunder mit der grässlichen Verletzung vollbracht. In ein paar Tagen kann sie die Krankenstation wieder auf eigenen Beinen verlassen. Aber sie zerbricht sich jetzt natürlich den Kopf darüber, in wieweit sie daran Schuld trägt, was hier passiert ist.“ Auf Sitos Zügen bildete sich ein mitfühlendes Lächeln. „Selbstzweifel sind etwas, was Vash überhaupt nicht gewohnt ist, dementsprechend schwer hat sie jetzt daran zu kauen.“

„Und das nicht zu unrecht.“ Benteen konnte kein Mitleid mit der Archäologin aufbringen. „Ich hoffe, das wird sie in Zukunft um einiges vorsichtiger mit Artefakten umgehen lassen, von deren tieferer Bedeutung sie keine Ahnung hat.“

„Ich bin mir sicher, dass Vash ihre Lektion gelernt hat.“ Sito hob ihren Drink, die grünlich-weiße Flüssigkeit darin schwappte träge.

Benteens Blick ruhte demonstrativ auf dem Glas. „Sie trinken vor Arbeitsbeginn?“

Die Bajoranerin schüttelte vehement den Kopf. „Natürlich nicht. Das ist Fruchtsaft.“ Sie hielt das Glas hoch und zog es Benteen gefährlich nahe unter der Nase durch.

Die Terranerin wollte eben wegen der Überschreitung ihrer Privatsphäre protestieren, als ihr das angenehme Aroma in die Nase stieg. „Riecht gut“, erwiderte sie entgegen ihrer ursprünglichen Absicht. „Was ist das? Irgendetwas typisch Bajoranisches?“

Sito schüttelte den Kopf. „Ich fange erst an, Bajor ein wenig kennenzulernen. Das ist cardassianisch. Eine Art Kaktusfrucht mit einem hohen Gehalt an Sitroben. Soll gut für die Haut sein“, fügte sie ein wenig verschämt hinzu.

„Ich dachte, der Replikator imitiert nur das Aroma, jedoch nicht spezifische Inhaltsstoffe.“

„Das ist nicht aus dem Replikator. Quark hat davon noch Flaschen auf Lager. Das Zeug überdauert fünf Jahre, wenn es sein muss. Wüstenpflanze eben.“

Benteen machte den einsamen Kellner, der gelangweilt am Tresen herumhing und mittlerweile nichts mehr zum Polieren fand, auf sich aufmerksam. „Bringen Sie mir auch so eins!“, rief sie ihm zu und deutete auf Sitos Glas.

Als sie das Gewünschte erhalten hatte, hob sie ihr Glas zum Prost. Sito erwiderte die Geste erfreut.

Vielleicht war es gar nicht so übel, mit jemandem zu reden. Und zumindest schien die Bajoranerin nicht dem gleichen Dünkel anheimgefallen zu sein wie der Großteil ihrer Landsleute.

„Wie kommt es, dass Sie mir nicht auch die kalte Schulter zeigen?“

„Ah, es ist Ihnen also aufgefallen“, bemerkte Sito mit einem Blick auf die Promenade hinaus.

„Man muss taub oder einfältig sein, wenn man nicht merkt, wie die Leute hinter dem Rücken tuscheln. Ich wollte ihre heißgeliebten Propheten beschießen …“, Benteens Augen verengten sich. Sie hob das Glas in Sitos Richtung, „… stimmt, Sie erwähnten, dass Sie gar nicht dem bajoranischen Glauben angehören, Lieutenant.“

„Richtig.“ Sie beugte sich ein wenig vor, obwohl es niemanden im Umkreis gab, der sie hätte belauschen können. „Unter uns gesagt, ich fand Ihre Entscheidung richtig, Commander Benteen. Das bleibt aber bitte außerhalb der Bücher, sonst bekomme ich Ärger mit meinen Vorgesetzten auf Bajor.“

Benteen hob die Augenbrauen. Anerkennung, Erleichterung und ein wenig Freude spiegelten sich im Blick ihrer hellen Augen. „Ich wäre ja komplett verrückt, wenn ich meine einzige Verbündete hier auf der Station auflaufen lassen würde.“

„Verbündete?“ In Sitos Augen blitzte es auf. „Das gefällt mir. Das gefällt mir sogar sehr gut.“ Sie berührte mit ihrem Glas das immer noch erhobene von Benteen. Ein leises Geräusch erfüllte die ungewohnte Stille der Bar. Beide Frauen lauschten dem hellen Klang nach.

„Bleiben Sie.“ Die Stimme der blonden Bajoranerin war beinahe so leise und melodisch wie der Klang, den sie ersetzte.

„Wer sagt, dass ich gehen möchte?“

„Die Logik.“ Sito setzte ihr Glas ab und drehte es ein paar Mal auf dem Tisch. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe bereits von einigen Mitgliedern der Sternenflotte gehört, die um ihre Versetzung gebeten haben. Sie sind verunsichert. Sie haben kein großes Vertrauen in Colonel Kira und den Umstand, dass Kommandantin und Erster Offizier in zwei verschiedene Richtungen ziehen. Und ich denke, wenn ich in Ihrer Situation wäre, dann würde ich versuchen, mich auf ein Raumschiff versetzen zu lassen, auf welchem in Krisensituationen nur eine Richtlinie gilt.“ Sie hob den Kopf. Ihre braungrünen Augen wirkten ungewohnt ernst. „Dennoch möchte ich Sie bitten, es sich zu überlegen. Es wird sicherlich nicht leicht sein, hier zu bleiben, doch ich denke, es ist den Versuch wert.“

Benteen überlegte sich, ob sie die nächste Frage stellen sollte, denn sie wusste, dass sie die Antwort eigentlich nicht hören wollte. Sie warf einen Blick auf den Chronometer über dem Tresen. Sitos Schicht begann in wenigen Minuten. Die Bajoranerin würde sie in keine tiefergreifenden Gespräche mehr verwickeln können.

„Also gut, ich frage es: warum wollen Sie, dass ich bleibe? Wir haben so gut wie nichts miteinander zu tun, unsere Dienste berühren sich sehr selten.“

„Weil mir etwas an Ihnen liegt.“ Sito war der Blick zum Chronometer nicht entgangen. Sie musste los, aber sie wollte ihren Standpunkt wenigstens so deutlich wie möglich herübergebracht haben.

Benteen verdrehte die Augen. Ungewollt wirkte ihr puppenhaftes Gesicht auf Sito dadurch recht … niedlich.

„Es ist nicht so, wie Sie es denken …“, beeilte sich die Bajoranerin zu versichern.

„Ach?“ Benteens Augenbrauen schossen in die Höhe. „Was denke ich denn?“

„Ich schätze Sie als Kollegin“, versicherte Sito, konnte jedoch nicht gänzlich verhindern, dass ihre Wangen sich ein wenig verfärbten. Sie erhob sich. Es war höchste Zeit sich im Sicherheitsbüro zu melden, wenn sie keinen Eintrag in ihrer Akte erhalten wollte. „Wir brauchen Sie hier. Sie sehen manches anders und das ist wichtig für die Balance auf Deep Space Nine. Und …“, sie neigte sich noch einmal ein wenig nach vorne, „wenn ich mich nicht vollkommen täusche, dann brauchen Sie diese Station, Commander.“

Sito ergriff ihr leeres Glas, stellte es im Vorübergehen auf dem Tresen ab und verließ raschen Schritts die Bar.

Benteen blickte ihr noch nachdenklich hinterher, als die Bajoranerin schon längst nicht mehr von dem Tisch aus gesehen werden konnte. Die blonde Frau hatte soeben ihre eigenen Gedanken formuliert.
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