TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Temporales Inoprovalin

von VGer

Kapitel 2

Captain Kathryn Janeway betrachtete die beiden jungen Frauen hinter dem surrenden Kraftfeld kritisch. Wer sie waren und woher sie gekommen waren, wusste sie nicht, doch soweit sie erkennen konnte, waren beide Menschen und etwa Anfang bis Mitte Zwanzig, nach terranem Standard gerechnet. Die eine war groß und athletisch gebaut, ein schmutzigblonder Zopf fiel ihr über die Schulter und die dunkelbraunen Augen musterten sie intelligent und aufmerksam. Die andere war klein und zierlich, mit nur notdürftig gebändigten schwarzglänzenden Locken, die ein ernsthaftes, blasses Gesicht mit einem kalten Blick umrahmten. Beide trugen Sternenflotteninsignien an der Brust und Rangpins am Kragen, doch befremdliche Uniformen: schwarzgraue, körperbetonte Overalls mit grellweißen Schulterbesätzen aus festem Multifunktionsstoff. Das allein war noch kein Grund für Misstrauen, während ihrer Karriere hatte sie mehr als nur einen Stilwechsel in Bezug auf Uniformen miterlebt und vielleicht sah man jetzt im Alphaquadranten so aus. Sie konnte es nicht wissen, woher auch – sie hatten schon so lange keinen Kontakt mehr zur Sternenflotte gehabt. Sie war unschlüssig, ob sie wagen dürfte etwas Optimismus zu zeigen, in der Vergangenheit hatte sie sich einmal zu oft vom ersten Eindruck täuschen lassen und das war ihr größter Fehler gewesen. Ein Fehler, der sie viel gekostet hatte, also hatte sie Konzepte wie Hoffnung und Vertrauen schon vor längerer Zeit aus ihrem Wortschatz verbannt. Sie waren seit dreiundzwanzig Jahren im Deltaquadranten verschollen, und das einzige, worauf sie sich noch verlassen wollte, war sie selbst.

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Sternenflotte nach all den Jahren ausgerechnet zwei Fähnriche zu unserer Rettung schickt.“, begann Captain Janeway abrupt das Gespräch.
„Nein, Ma’am.“ Der dunkelhaarige Fähnrich schüttelte den Kopf und blickte sie aus graublauen Augen trotzig an.
Im Gegensatz zu ihrer Kollegin war ihre Uniform an der Brust, am Gürtel und an den Stulpen mit weinrotem Band eingefasst, was Kommando bedeutete – es sei denn, auch das hätte sich gravierend geändert. Der Gedanke war nicht zu abwegig, auch das war schon einmal der Fall gewesen, als am Ende des 23. Jahrhunderts die für die Uniformen zuständige Abteilung offenbar schwer gelangweilt gewesen war. In den alten Zeiten, zu Captain Kirks Zeiten – und Captain Janeway erinnerte sich noch genau daran, schließlich hatte sie als kleines Mädchen noch ihren Vater und ihre Großeltern in diesen grellen Hemden mit V-Ausschnitt herumlaufen sehen – hatten die Ops-Offiziere rot getragen, die Kommandanten gold, und die Frauen weniger. Sie hielt es also für besser, ihren Augen nicht zu trauen.
„Wer sind Sie?“, verlangte der Captain zu wissen. „Ich will eine Erklärung und ich will sie jetzt.“
„Ich bin Fähnrich Amelia Delta, Ma’am, und meine Kollegin hier ist Fähnrich Kathryn Barclay.“
„Barclay. Als wir zuletzt mit der Sternenflotte in Kontakt waren, hatten wir einen Verbindungsoffizier dieses Namens ... ein Lieutenant Richard Barclay, wenn mich nicht alles täuscht. Ein Zufall?“
„Nein, Adm... Ma’am.“, stotterte Fähnrich Barclay und korrigierte, „Reginald Barclay, mein Vater.“
„Kate, verdammt!“, zischte die kleine Dunkelhaarige, die sich als Amelia Delta vorgestellt hatte. „Oberste Temporale Direktive!“
„Bitte?“, fragte Captain Janeway irritiert.
Amelia Delta straffte die Schultern und stellte sich dem Captain frech entgegen, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan und Captain Janeway wunderte sich über ihre Attitüde. Irgendetwas in der Haltung und in dem Tonfall der jungen Frau kam ihr auf befremdliche Weise vertraut vor.
„Lieutenant Ayala hat uns darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Sternzeit 70914.31 ist, ist das korrekt?“, wollte sie wissen und als Janeway bestätigend nickte fuhr sie vollkommen neutral fort, „Bevor wir hier gelandet sind, war die Sternzeit 80918.08 und wir waren an Bord unseres Schiffes auf dem Testflugareal nahe dem Vega-System.“
„Das Vega-System befindet sich im Alphaquadranten!“, staunte Janeway. „Die Technologie muss sich unheimlich weiterentwickelt haben, wenn das möglich ist.“
„Keine zehn Parsecs von Sol entfernt, ja.“, nickte Amelia Delta. „Und außerdem etwa zehn Jahre in Ihrer Zukunft, oder wahrscheinlich eher einer alternativen Realität Ihrer Zukunft. Sie verstehen also, dass ...“
„Von temporalen Paradoxien bekomme ich Kopfschmerzen.“, knurrte Captain Janeway unwirsch.
„Lustig, das sagt meine Mutter auch immer.“, kommentierte Amelia Delta lakonisch. „Sie sagt auch, dass temporales Inoprovalin dagegen hilft.“
Captain Janeway konnte nicht anders, sie musste tatsächlich lachen, und es war seit langem wieder ein ehrliches Lachen, denn die couragierte junge Frau war ihr auf Anhieb sympathisch. Temporales Inoprovalin! Wieso sie da noch nicht selbst draufgekommen ist, fragte sie sich.
„Nun gut, Fähnrich Delta.“, knurrte Captain Janeway. „Sie sind also nicht zu unserer Rettung gekommen, Sie haben sich lediglich in den Zeitlinien verheddert – verstehe ich das richtig?“
„Ja, Ma’am.“, nickte Amelia Delta, denn eine bessere Erklärung hatte sie nicht.
Für einen viel zu langen Moment maßen sich Captain Kathryn Janeway und Fähnrich Amelia Delta, diesseits und jenseits des Kraftfeldes, das die Zelle vom Rest des Schiffs abtrennte, mit skeptischen Blicken, dann unterbrach Fähnrich Kathryn Barclay den stummen Austausch mit einem nachdrücklichen Räuspern.
„Ma’am, wenn ich fragen darf … Sie haben einen Slipstreamflug durchgeführt, in dem Moment als wir beide unfreiwillig an Bord gekommen sind?“, fragte sie unterwürfig und Captain Janeway nickte bestätigend.
„Leider nicht erfolgreich. Wir arbeiten seit Jahren daran, doch vergeblich.“, informierte Captain Janeway und fragte sich im selben Moment, ob sie nicht doch zu viel verraten hatte.
„Wir auch, und wir haben fast fünfundzwanzig Jahre gebraucht, um den Durchbruch zu erzielen.“, seufzte Fähnrich Barclay und wurde just in diesem Moment von mit einem Stoß eines Ellenbogens in die Rippen und einem stechenden Blick, der ‚Oberste Temporale Direktive‘ schrie, unterbrochen.
„Was Fähnrich Barclay sagen wollte ist, dass unser Schiff denselben Quantenantrieb wie die Voyager hat und ebenfalls einen Slipstreamflug durchgeführt hat.“, sagte Amelia Delta hastig und errötete ein wenig dabei während sie nach den passenden Worten suchte. „Wir hatten gewisse unvorhergesehene Schwierigkeiten, und bevor wir sie beheben konnten sind wir hier gelandet.“
„Schon gut, Fähnrich.“, bemerkte Captain Janeway gütig. „Oberste Temporale Direktive, ich verstehe und ich werde nicht weiter nachfragen, uns beiden zuliebe.“
„Danke.“, murmelte Amelia Delta. „Ich kann Ihnen versichern, wir haben keine bösen Absichten. Es ist nicht viel, aber …“
Captain Janeway nickte verständnisvoll. Ohne einen logischen Grund dafür zu kennen, beschloss sie, den beiden jungen Offizieren, wer auch immer sie sein mochten und was auch immer sie hier machten, fürs Erste einen Vertrauensvorschuss zu geben. Ihr angespannter Kiefer und ihre angespannten Schultern lockerten sich, und hinter ihr nahm Lieutenant Miguel Ayala, der Sicherheitschef, der ihre Körpersprache im Laufe der Jahre zu gut zu lesen gelernt hatte, langsam die Hand vom Griff seines Phasers.
„Sie sprachen von einem Durchbruch. Wie viel wissen Sie über den Quantenslipstreamantrieb?“, verlangte Captain Janeway zu wissen. Nach einer kurzen Nachdenkpause fügte sie mit einem Zucken des Mundwinkels hinzu, „Oder wie viel können Sie mir sagen, ohne sich zu kompromittieren?“
Amelia Delta hieß ihrer Kollegin mit einer fahrigen Geste schweigen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief, bevor sie antwortete.
„Alles, was wir wissen, weiß Fähnrich Barclay hier, sie ist die Ingenieurin.“, sagte Amelia Delta, langsam und überlegt. „Wir müssen annehmen, dass unsere … Situation … mit der Anomalie, oder besser gesagt, mit den Schwierigkeiten, die wir hatten, zusammenhängt.“
„Gut. Ich werde die Situation mit meinem Stab besprechen und informiere Sie dann über unser weiteres Vorgehen.“, sagte Captain Janeway entschlossen, obwohl sie eigentlich ratlos war, doch sie war der Captain und durfte sich nichts anmerken lassen. Niemals hätte sie geahnt, dass diese Amelia Delta sie durchschaute.

Als Captain Janeway gemeinsam mit Lieutenant Ayala den Raum verlassen hatte, begann Kate Barclay leise gluckernd zu kichern und stupste ihre Freundin vielsagend an.

„Amelia Delta?“, fragte sie und rollte dabei mit den Augen. „Echt jetzt?“
„Dass ich Margaret Janeway heiße, das konnte ich ihr wohl kaum sagen.“, konterte Maggie amüsiert. „Amelia ist mein zweiter Vorname und Delta ist mein Rufzeichen. Alle anderen Piloten auf der Kirk nennen mich ‚Delta‘ wenn ich fliege, also werde ich mich auch angesprochen fühlen, wenn sie mich hier so nennen. Was hätte ich denn sonst sagen sollen, so schnell kann ich doch keinen Namen erfinden und ihn mir auch merken!“
„Schon okay. Gut gemacht.“, knurrte Kate kopfschüttelnd. „Ist schon verrückt, das alles, oder?“
„Das Verrückte gehört zum Berufsbild, wenn man Sternenflottenoffizier ist.“, zitierte Maggie eine alte Redensart ihrer Mutter, und erinnerte sich gleichzeitig daran, dass diese Captain Janeway hier nicht ihre Mutter war.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Kate und ließ sich ungelenk auf die harte Pritsche, die fest in die Wand der Zelle eingelassen war, fallen.
„Wir finden einen Weg nach Hause.“, antwortete Maggie sofort, als sei es das Selbstverständlichste im Universum, und setzte sich neben ihre Freundin. „Nichts leichter als das.“
„Nichts leichter als das …“

Für einen Moment nur sahen sich die beiden jungen Frauen an und schüttelten fassungslos die Köpfe. Kate schlug sich die Hand über den Mund und schloss in einem spontanen Anfall von Verzweiflung die Augen, während ihr Leben langsam an ihr vorbei zog, so wie in einem schlechten Holoroman, kurz bevor alles unweigerlich implodierte.
Vor knapp drei Jahren hatten sie einen hervorragenden Abschluss an der Sternenflottenakademie gemacht, seither dienten sie auf einem der prestigeträchtigsten Schiffe der Flotte, und man munkelte hinter vorgehaltener Hand, dass sie bald die Beförderung zum Lieutenant erhalten würden. Sie hatten ihr Leben der Sternenflotte verschrieben und nach all den Erzählungen ihrer Eltern, ihrer Tanten und Onkel sowie ihrer Freunde hatten sie geglaubt, dass nichts sie mehr überraschen würde können – bis jetzt. Der Admiral hatte sie immer gewarnt, dass ihr jugendlicher Leichtsinn sie noch in Schwierigkeiten bringen würde, das eindringliche Krächzen ihres immer besorgten Missmuts hallte noch in ihren Ohren nach. Jetzt waren sie in Schwierigkeiten, doch ihr jugendlicher Leichtsinn hatte nichts damit zu tun und der Admiral war weit weg, ebenso wie Captain Barclay und Captain Kim und jeder andere, der ihnen noch helfen könnte. Es war fast so, als seien sie in einem schlechten Holoroman gefangen.

„Glaubst du, dass Mama hier ist?“, fragte Kate, plötzlich verzagter als sie sich eingestehen wollte. Währenddessen fummelte sie unaufhörlich an den Kontakten ihres Kommunikators herum, doch der blieb stumm.
„Wenn sie hier ist, ist sie nicht deine Mama. Wenn sie hier ist, dann ist sie wahrscheinlich nicht die Frau, die Pioneer leitet und mehr oder weniger eigenhändig den Quantenslipstream-Antrieb entwickelt hat.“ Maggies Ehrlichkeit traf Kate wie ein Faustschlag ins Genick, doch natürlich hatte sie recht. „Das hier ist ein Paralleluniversum oder eine alternative Zeitlinie, wenn ich es richtig verstanden habe. Wir sind von alleine hierhergekommen und wir müssen auch alleine wieder hier weg. Also reiß dich zusammen, Kathryn Barclay, ich habe nämlich keine Ahnung wie ein Quantenslipstream funktioniert, ich kann die Dinger nur fliegen und nichts weiter, genau deshalb brauche ich dich.“
Kate seufzte tief, dann straffte sie die Schultern. Ihr „Aye, Ma’am!“ klang trotzdem leicht sarkastisch und wurde von Maggie mit einer Grimasse quittiert.
Sie sagten lange nichts mehr, nur das penetrante Surren des Kraftfelds hielt sie davon ab einen klaren Gedanken zu fassen. Was auch immer Captain Janeway mit ihrer Mannschaft zu besprechen hatte, es schien verdammt lang zu dauern und Zeit, die sie vermutlich nicht hatten, verstrich.
„Erinnerst du dich daran, was Tante Kathryn und alle anderen über die Rückkehr der Voyager erzählt haben?“, platzte Kate schließlich heraus, die Stille durchschneidend.
„Ist jetzt wirklich die Zeit für alte Familiensagen?“, fragte Maggie zurück und zog kritisch die Augenbrauen zusammen. Schon lange hatte niemand mehr den Admiral Tante Kathryn genannt, und Sentimentalitäten waren momentan nebensächlich. Doch Kate machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Den Admiral aus der Zukunft meine ich. Den Admiral, der ihre Zeitlinie ausgelöscht hat um unsere möglich zu machen.“, erklärte Kate. „Du kennst die Geschichten genauso gut wie ich, du hast Toms Holoromane genauso oft gespielt wie ich, wenn nicht sogar öfter. Kann es sein, dass wir in dieser Zeitlinie gelandet sind?“
„Es ist 2393, das würde hinkommen.“, überlegte Maggie, und ihre Augen klarten auf, doch nicht für lange. „Aber es gibt unendlich viele Zeitlinien … meine Mutter hat nicht übertrieben, davon bekommt man wirklich Kopfschmerzen!“
„Ich habe mich immer gefragt, was in dieser Zeitlinie alles passiert ist …“, murmelte Kate.
„Hast du nie versucht es herauszufinden?“, erkundigte Maggie sich sofort.
„Doch, schon …“ Kate knackte unschlüssig mit den Fingerknöcheln. „Aber Mama wollte nichts sagen, Oberste Temporale Direktive und so, und alle Logbucheinträge waren viel zu stark verschlüsselt … ich hatte keine Chance.“
„Gegen die Sicherheitsbestimmungen vielleicht, gegen deine Mama niemals!“, lachte Maggie auf, rettete sich in plötzliche Albernheit, die ebenso plötzlich wieder verflog.
„Eben.“, schnaubte Kate. „Aber irgendetwas muss passiert sein, und es war bestimmt nichts Gutes …“
Maggie zog frustriert eine der widerspenstigsten Locken aus ihrer Frisur und zwirbelte sie zwischen den Fingern hin und her, so wie sie es immer tat wenn sie nervös war. Sie hasste nichts mehr als Ungewissheit, und momentan fühlte sie sich machtloser als je zuvor.
„Hör mir jetzt gut zu, Kate.“, sagte sie schließlich und bemühte sich darum, so kontrolliert und selbstbewusst wie möglich zu klingen, obwohl sie ihre beste Freundin damit keinesfalls täuschen konnte. „Wir müssen so viel herausfinden wie möglich und selbst so wenig wie möglich verraten, ist das klar? Das hängt alles mit dem Testflug und dem Slipstream zusammen, darauf wette ich …“

Weiter kam sie nicht mehr, denn in diesem Moment hörten sie das charakteristische Zischen der automatischen Türen und Captain Janeway trat, begleitet von zwei Personen mit goldgelben Uniformen und Phasern am Gürtel, vor das Kraftfeld. Maggie und Kate sprangen salutierend auf.

„Fähnrich Delta, Fähnrich Barclay.“, sagte Captain Janeway grußlos. „Wir haben die Situation besprochen.“
Beinahe, aber nur beinahe, hätte Maggie ihre charakteristische Pose mit leicht abgewinkeltem linken Bein, energisch in die Hüften gestemmten Händen und nach vorn gerecktem Kinn ein Lächeln entlockt. Paralleluniversum hin oder her, Kathryn Janeway war immer noch Kathryn Janeway. Sie wusste nicht, ob sie das beruhigen oder beängstigen sollte.
„Naomi. Begleiten Sie die beiden in die Astrometrie, ich folge in Kürze.“, befahl Captain Janeway der blonden Frau zu ihrer Rechten, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging.
Maggie und Kate wechselten einen verwirrten Blick und mussten schwer schlucken.
Rezensionen