Obwohl keine Fehlfunktion der künstlichen Atmosphäre vorlag – nicht, dass die Voyager nicht auch mit diesem System schon jede Menge Schwierigkeiten gehabt hätte – war die Luft im Astrometrischen Labor am nächsten Tag so dick und geladen, dass sie kaum atmen konnten. Weder die beiden verirrten Fähnriche noch Harry Kim hatten ein Wort gesagt, von automatisiert höflichen Grußfloskeln einmal abgesehen, doch dann stob Tom Paris in den Raum und erfüllte ihn mit Leben. Er hatte keine Ahnung von den Ereignissen der vergangenen Nacht – auch wenn Harry ihm am Liebsten sofort alles erzählt hätte, schließlich waren sie beste Freunde, hatte er sich zusammengerissen und den Mund gehalten, schließlich war Tom auch sein Vorgesetzter und de facto Erster Offizier der Voyager – und manchmal war es einfach besser, ahnungslos zu sein.
Es war Toms unerträgliche gute Laune, die Maggie aufrüttelte, denn sie hatte das schon viel zu lange vermisst. Seit sie ein kleines Mädchen war – wobei, eigentlich nur als sie ein kleines Mädchen war, denn mehr Zeit war ihnen nicht vergönnt gewesen, dachte sie bitter – war es immer Tom gewesen, der sie motiviert hatte. So oft hatte sie sich überlegt, was sie tun würde und was sie sagen wollte, wenn sie Tom irgendwann, irgendwo, irgendwie wiedersehen könnte, doch nichts von alledem konnte sie jetzt tun, also wollte sie sich mit dem Gedanken nicht weiter aufhalten und vergrub sich wieder in die Konsole des astrometrischen Labors, deren Kontrollen so unerträglich langsam reagierten, als seien sie aus dem Museum ... und von ihrer Warte aus waren sie auch aus dem Museum.
Sie knurrte und fluchte auf Klingonisch vor sich hin – jeder junge Föderationsbürger, der etwas auf sich hielt, fluchte auf Klingonisch, denn das war auch mit Abstand die beste Sprache zum Fluchen – und fand, dass es besser war, sich über Messwerte und Instrumente zu ärgern sowie über Tom Paris nachzudenken, als über die Ereignisse der vergangenen Nacht. Für einen kurzen Moment dachte sie daran, dass sie nach Abschluss dieser Mission, die keine war – wenn, oder besser gesagt falls sie je wieder nach Hause kommen würden – einen offiziellen Bericht aufnehmen würden müssen. Was sie sagen würde, oder besser gesagt: was sie nicht sagen würde, das war fraglich und quälend. Doch das war keine Frage, die sie jetzt beschäftigen musste, jetzt gab es dringlichere ... wesentlich dringlichere.
Kate hatte sie noch keines Blickes gewürdigt, sie arbeitete stumm brütend vor sich hin und rief nur hin und wieder etwas, das verdächtig nach Befehl klang, durch den Raum. Maggie konnte es ihr nicht verdenken. Weil ihr nichts anderes übrig blieb, konzentrierte sie sich wieder auf das Wesentliche.
Tom Paris hatte ein silbrigglänzendes, zylindrisches Gefäß bei sich getragen, als er vor anderthalb Stunden die Astrometrie betreten hatte. Er hatte es beiläufig auf einem Tisch in einer Ecke abgestellt, und für einen Moment hatten sich die beiden Fähnriche gewundert, was es damit auf sich hatte. Es sah verdächtig aus wie ein Container für Warpplasma oder bioneurales Gel oder vergleichbares, doch eine Erklärung bekamen sie nicht. Als sich nach einiger Zeit Tom und Harry in jene Ecke verzogen, sich an den kleinen Tisch setzten und die schwarze Flüssigkeit in dem Container in ihre Getränketassen leerten, wunderten sie sich, doch in den letzten Stunden hatten sie sich über vieles wundern müssen.
„Immer dasselbe mit dir, Harry.“, scherzte Tom, denn Harrys ungewöhnlich gelassener Gesichtsausdruck und das schelmische Funkeln in seinen Augen, wann auch immer Fähnrich Delta seinen Blick kreuzte, sprach Bände.
„Hm?“, machte Harry unbestimmt, doch ihm schwante schon Böses.
„Die Illusion von Libby; der falsche Delaney-Zwilling; biologisch inkompatible Spezies; Seven of Nine, die nicht zu kopulieren wünscht; feindliche Saboteurinnen; Lyndsey Ballard; Hologramme; religiöse Ikonen mit striktem Keuschheitsgelübde; noch mehr biologisch inkompatible Spezies; Tal Celes hat Billy Telfer geheiratet, kurz nachdem sie mit dir rumgeknutscht hat; minderjährige Sklavenmädchen, die an den Meistbietenden verkauft werden sollten; Gehirnwäsche; verheiratete Regierungschefinnen eines fremden Sternenimperiums, das uns dann ganz plötzlich nicht mehr so freundlich gesinnt war; Naomi Wildman, um Himmels Willen; Metamorphen, die eigentlich voluminöse Schleimbeutel und keine heißen Blondinen sind; noch mehr Hologramme; ...“ Tom zählte erbarmungslos lästernd auf, was Harry im Verlauf der letzten Jahrzehnte alles widerfahren war, und er ließ keine noch so kleine Peinlichkeit aus. Nein, Fähnrich Harry Kim hatte wirklich kein Glück in Liebesdingen, so viel war sicher, doch was konnte er schon dafür?
„Und wenn ich dir jetzt erzähle, dass diese Amelia Delta in ihrer Zeitlinie Janeways Tochter und mit mir zusammen ist?“, konterte Harry spitz.
„Ja klar ... und was bist du dort? Der Captain der Enterprise vielleicht? Komm schon, Harry, mach dich nicht lächerlich!“ Tom prustete los, und einmal wieder bemerkte er nicht einmal ansatzweise, wie sehr er seinen besten Freund mit Kommentaren wie diesem verletzte. Sie kannten sich schon so lange, und Tom war schon so lange nicht mehr der sorglos-heitere junge Trottel und Rebell, den Harry einst kennen gelernt hatte, doch dabei hatte Tom ganz vergessen, dass auch Harry sich weiterentwickelt hatte und, wenn auch kein gestandener Captain wie der Harry Kim der anderen Zeitlinie, dann zumindest längst kein naiver Frischling mehr war.
Amelia Delta grinste vielsagend, auf der Suche nach Kaffee hatte sie das Gespräch unfreiwillig mitgehört. Als sie nach dem obersten der in einer kleinen Regalnische aufgestapelten stählernen Becher griff, stieß sie ihn klappernd an eine Kante, und sowohl Tom als auch Harry drehten sich alarmiert zu ihr um.
„Der Replikator hat eine Fehlfunktion ...“, murmelte sie entschuldigend. „Irgendwas von wegen Autorisation? Dabei wollte ich nur Kaffee, so schwer kann das doch nicht sein!“
Tom lachte auf, doch es war kein höhnisches sondern eher ein selbstmitleidiges, neidisches Lachen. „Uneingeschränkter Replikatorzugang ...“, kommentierte er bitter, doch seine Stimme versiege vielsagend, bevor er mehr sagen konnte.
„Wir haben längst nicht genug Energie für uneingeschränkten Replikatorzugang, Amelia, es tut mir leid.“, erklärte Harry, wesentlich milder und verständnisvoller, denn er konnte inzwischen im Ansatz erahnen, was für ein Kulturschock der Alltag auf der Voyager für die junge Frau sein musste. „Nahrungsmittel und Luxusgüter sind streng rationiert, und hier im Labor und eigentlich in allen Arbeitsbereichen des Schiffs können die Replikatoren nur technische Komponenten und andere benötigte Ersatzteile liefern, für alles andere braucht man eine Autorisation und, ja leider, ausreichend Replikatorrationen.“
Die Erklärung leuchtete ein, sie erinnerte sich wieder. Sie hatte darüber gelernt, in der Schule und auf der Akademie und als sie Toms Voyager-Holoromane immer und immer wieder durchgespielt hatte, doch es war nur so ein kleines Detail, dass sie es gleich wieder vergessen hatte. Doch sie erinnerte sich auch an ihre Kindheit und daran, dass ihre Mutter, Tom und B’Elanna, und Annika, immer wieder von Rationen gesprochen und beinahe zwanghaft darauf geachtet hatten, dass ja nicht zu viel repliziert und recycelt wurde, nur für den Fall, dass ... Sie hatte darüber gelacht, was für eine alberne Marotte, sie war ja noch so klein gewesen und hatte keine Ahnung gehabt, was die Erfahrung von Entbehrung und Überlebenskampf nachhaltig mit der Psyche einer Person anrichten konnte. Für jemanden, der in völliger Sicherheit auf einer zivilisierten Föderationswelt aufgewachsen war, war das auch viel zu unvorstellbar.
„Wie können Sie nur so leben?“, platzte sie fassungslos heraus, noch bevor ihr bewusst wurde, wie unsensibel das wohl klingen musste.
„Wir können, weil wir müssen.“, antwortete Harry, kühler als je zuvor.
„Kaffee? Bitte ...“ Tom deutete, begleitet von einem verständnislosen Kopfschütteln, unbestimmt in Richtung der silbernen, zylindrischen Thermoskanne auf dem Tisch, die er selbst vor Dienstbeginn aus dem Casino geholt und ins Labor mitgebracht hatte. „Bedienen Sie sich, Fähnrich Delta. Es ist zwar nicht wirklich Kaffee, aber es macht wach.“
Amelias Grinsen wurde verlegen und schuldbewusst, doch keiner von beiden konnte erkennen, dass es nur gespielt war. Der Tom und der Harry in ihrem Leben, die hätten sie sofort durchschaut, so viel war sicher; doch diese beiden hier kannten sie nicht und würden sie niemals auch nur ansatzweise so gut kennen, auch wenn Harry jetzt ihren richtigen Namen wusste. Schaudernd erinnerte sie sich an eine Moralpredigt von Tom – von jenem Tom, der ihr geliebter Onkel gewesen war – als er sie zum ersten Mal beim Schwindeln erwischt hatte. Damals war sie nur sechs oder sieben Jahre alt gewesen, und doch hatte sich das nachhaltig in ihr Gedächtnis eingebrannt, doch jetzt war sie dreiundzwanzig und dieser Tom Paris hatte mit ihrem geliebten Onkel nichts außer dem Gesicht gemein.
Zum Grübeln blieb keine Zeit mehr. Amelia Delta füllte den Becher mit Kaffee aus der Thermoskanne, und nach dem ersten Schluck hätte sie ihn beinahe vor Tom und Harrys Füße gespuckt.
„Was ... um Himmels Willen, was ist das?“, stotterte sie angewidert.
Ihr Name war Janeway, und die Leidenschaft für Kaffee war vielleicht das einzige, was sie auf den ersten Blick mit ihrer Mutter gemein hatte. Doch Kaffee war nicht Kaffee, so viel war sicher, und als junge Sternenflottenangehörige und Bürgerin der Föderation, als Kosmopolitin, hatte sie sich schon früh an viele andere Versionen anregender Heißgetränke gewöhnt, an manche mehr als an andere. Raktajino war in Ordnung; andorianischer ch’Vaaii schmeckte erstaunlich gut, obwohl er blitzblau war und das menschliche Erbgut offenbar darauf programmiert war, Getränke in Neonfarben, die einen bitteren Nachgeschmack hinterließen, fürs Erste besser zu meiden; k’tarianischer K’gvatrgkats war zwar sehr würzig aber doch köstlich, wenn man sich daran gewöhnt hatte; und dann gab es noch topli napitak, das sie auf Zeruko kennen gelernt hatte und das inzwischen zu ihrem Lieblingsgetränk geworden war (es ließ sich nicht replizieren, doch zum Glück war die Kirk derzeit regelmäßig auf Zeruko, denn der Planet war der neueste und vielversprechendste Beitrittskandidat der Föderation); kurz und gut, sie war nicht wählerisch, solange es heiß und süß war und sie wach hielt. Doch das?!
Die Dämpfe, die aus der Thermoskanne aufstiegen, rochen beinahe so wie echter, terranischer Arabica-Kaffee, die Flüssigkeit war schwarz und von einem dezenten Schaum bedeckt, und sie hatte sich von der Illusion des Bekannten täuschen lassen.
„Das ist Karathrace.“, informierte Tom Paris mit einem beinahe schadenfrohen Grinsen, das er zwar geschickt zu verbergen versuchte, doch Maggie Janeway erinnerte sich nur zu gut an Tom Paris’ viele Schattierungen schadenfroher Grinser.
„Das ist ekelhaft.“, knurrte sie und stellte die Tasse angewidert beiseite. „Das schmeckt genau so, wie ein Plasmaleck riecht.“
„Wir haben nichts anderes.“, bedauerte Harry. „Richtiger Kaffee muss repliziert werden, und für gewöhnlich fehlen uns dafür die Rationen. Karathrace haben wir in einem System ein paar Parsecs von hier kennen gelernt, es beinhaltet eine koffeinähnliche Substanz, die als Aufputschmittel dreimal so wirksam ist wie echter Kaffee, und nahrhaft ist es außerdem. Also haben wir davon eingelagert, so viel wir kriegen konnten. Wir hatten keine andere Wahl.“
„Man gewöhnt sich daran.“, tröstete Tom, und dann lachte er auf. „Außerdem, davor gab es heißes Leolawurzelextrakt, das war wesentlich schlimmer!“
„Ich hoffe, dass ich nicht mehr lange genug hier sein werde, um mich daran gewöhnen zu müssen.“, seufzte Maggie, die Fassade der unbeirrbaren Amelia Delta wieder aufsetzend. „Und Sie auch nicht.“, fügte sie optimistisch hinzu. „Wenn wir den Slipstream heute zum Laufen kriegen, und Kate ist schon seit Stunden dran, dann sind Sie wesentlich näher dran am bajoranischen Wurmloch – und auf der anderen Seite, auf Deep Space Nine, gibt es nicht nur ordentlichen Kaffee sondern auch den besten Raktajino im bekannten Universum.“
„Ist das so?“, fragte Harry, neugierig wie immer. Er hatte die DS9 nur ein einziges Mal besucht, für ein paar Stunden nur, kurz bevor die Voyager zu ihrer schicksalsträchtigen Mission in die Badlands aufgebrochen war. Die Ereignisse dieser Tage waren in seinen Erinnerungen jedoch so verschwommen, und inzwischen fühlte es sich so an, als wäre das in einem ganz anderen Leben passiert.
„Raktajino und halbseidene Ferengi-Glücksspiele, dafür ist die DS9 seit jeher bekannt, das weiß jeder Kadett.“, lachte Amelia heiter. „Und als wir vergangenes Jahr dort waren, war es noch so.“
„Na dann, an die Arbeit!“, rief Tom enthusiastisch aus.
Die Hoffnung auf Heimkehr war etwas, was sie in den vergangenen entbehrungsreichen Jahren beinahe aufgegeben hätten, nicht einmal der sonst immer so optimistische und heimwehgeplagte Harry Kim hatte daran festgehalten. Jede Störung des Warpkerns, jeder Mangel an Dilithium, jeder Fehlschlag bei der Entwicklung des Slipstreamantriebs, jede vage Sensoranzeige die ihnen ein potentielles Wurmloch vorgegaukelt hatte, jede fehlgeschlagene Verhandlung über eine mögliche Abkürzung durch fremdes Territorium, hatte ihre Moral nur weiter niedergeschmettert, und jedes Mal war schmerzhafter gewesen als das zuvor. Doch mit der Ankunft der beiden Fähnriche aus dieser dubiosen anderen Zeitlinie war die Hoffnung auf baldige Heimkehr nicht nur neu aufgeflammt, sie war sogar in greifbare Nähe gerückt.
Es war Toms unerträgliche gute Laune, die Maggie aufrüttelte, denn sie hatte das schon viel zu lange vermisst. Seit sie ein kleines Mädchen war – wobei, eigentlich nur als sie ein kleines Mädchen war, denn mehr Zeit war ihnen nicht vergönnt gewesen, dachte sie bitter – war es immer Tom gewesen, der sie motiviert hatte. So oft hatte sie sich überlegt, was sie tun würde und was sie sagen wollte, wenn sie Tom irgendwann, irgendwo, irgendwie wiedersehen könnte, doch nichts von alledem konnte sie jetzt tun, also wollte sie sich mit dem Gedanken nicht weiter aufhalten und vergrub sich wieder in die Konsole des astrometrischen Labors, deren Kontrollen so unerträglich langsam reagierten, als seien sie aus dem Museum ... und von ihrer Warte aus waren sie auch aus dem Museum.
Sie knurrte und fluchte auf Klingonisch vor sich hin – jeder junge Föderationsbürger, der etwas auf sich hielt, fluchte auf Klingonisch, denn das war auch mit Abstand die beste Sprache zum Fluchen – und fand, dass es besser war, sich über Messwerte und Instrumente zu ärgern sowie über Tom Paris nachzudenken, als über die Ereignisse der vergangenen Nacht. Für einen kurzen Moment dachte sie daran, dass sie nach Abschluss dieser Mission, die keine war – wenn, oder besser gesagt falls sie je wieder nach Hause kommen würden – einen offiziellen Bericht aufnehmen würden müssen. Was sie sagen würde, oder besser gesagt: was sie nicht sagen würde, das war fraglich und quälend. Doch das war keine Frage, die sie jetzt beschäftigen musste, jetzt gab es dringlichere ... wesentlich dringlichere.
Kate hatte sie noch keines Blickes gewürdigt, sie arbeitete stumm brütend vor sich hin und rief nur hin und wieder etwas, das verdächtig nach Befehl klang, durch den Raum. Maggie konnte es ihr nicht verdenken. Weil ihr nichts anderes übrig blieb, konzentrierte sie sich wieder auf das Wesentliche.
Tom Paris hatte ein silbrigglänzendes, zylindrisches Gefäß bei sich getragen, als er vor anderthalb Stunden die Astrometrie betreten hatte. Er hatte es beiläufig auf einem Tisch in einer Ecke abgestellt, und für einen Moment hatten sich die beiden Fähnriche gewundert, was es damit auf sich hatte. Es sah verdächtig aus wie ein Container für Warpplasma oder bioneurales Gel oder vergleichbares, doch eine Erklärung bekamen sie nicht. Als sich nach einiger Zeit Tom und Harry in jene Ecke verzogen, sich an den kleinen Tisch setzten und die schwarze Flüssigkeit in dem Container in ihre Getränketassen leerten, wunderten sie sich, doch in den letzten Stunden hatten sie sich über vieles wundern müssen.
„Immer dasselbe mit dir, Harry.“, scherzte Tom, denn Harrys ungewöhnlich gelassener Gesichtsausdruck und das schelmische Funkeln in seinen Augen, wann auch immer Fähnrich Delta seinen Blick kreuzte, sprach Bände.
„Hm?“, machte Harry unbestimmt, doch ihm schwante schon Böses.
„Die Illusion von Libby; der falsche Delaney-Zwilling; biologisch inkompatible Spezies; Seven of Nine, die nicht zu kopulieren wünscht; feindliche Saboteurinnen; Lyndsey Ballard; Hologramme; religiöse Ikonen mit striktem Keuschheitsgelübde; noch mehr biologisch inkompatible Spezies; Tal Celes hat Billy Telfer geheiratet, kurz nachdem sie mit dir rumgeknutscht hat; minderjährige Sklavenmädchen, die an den Meistbietenden verkauft werden sollten; Gehirnwäsche; verheiratete Regierungschefinnen eines fremden Sternenimperiums, das uns dann ganz plötzlich nicht mehr so freundlich gesinnt war; Naomi Wildman, um Himmels Willen; Metamorphen, die eigentlich voluminöse Schleimbeutel und keine heißen Blondinen sind; noch mehr Hologramme; ...“ Tom zählte erbarmungslos lästernd auf, was Harry im Verlauf der letzten Jahrzehnte alles widerfahren war, und er ließ keine noch so kleine Peinlichkeit aus. Nein, Fähnrich Harry Kim hatte wirklich kein Glück in Liebesdingen, so viel war sicher, doch was konnte er schon dafür?
„Und wenn ich dir jetzt erzähle, dass diese Amelia Delta in ihrer Zeitlinie Janeways Tochter und mit mir zusammen ist?“, konterte Harry spitz.
„Ja klar ... und was bist du dort? Der Captain der Enterprise vielleicht? Komm schon, Harry, mach dich nicht lächerlich!“ Tom prustete los, und einmal wieder bemerkte er nicht einmal ansatzweise, wie sehr er seinen besten Freund mit Kommentaren wie diesem verletzte. Sie kannten sich schon so lange, und Tom war schon so lange nicht mehr der sorglos-heitere junge Trottel und Rebell, den Harry einst kennen gelernt hatte, doch dabei hatte Tom ganz vergessen, dass auch Harry sich weiterentwickelt hatte und, wenn auch kein gestandener Captain wie der Harry Kim der anderen Zeitlinie, dann zumindest längst kein naiver Frischling mehr war.
Amelia Delta grinste vielsagend, auf der Suche nach Kaffee hatte sie das Gespräch unfreiwillig mitgehört. Als sie nach dem obersten der in einer kleinen Regalnische aufgestapelten stählernen Becher griff, stieß sie ihn klappernd an eine Kante, und sowohl Tom als auch Harry drehten sich alarmiert zu ihr um.
„Der Replikator hat eine Fehlfunktion ...“, murmelte sie entschuldigend. „Irgendwas von wegen Autorisation? Dabei wollte ich nur Kaffee, so schwer kann das doch nicht sein!“
Tom lachte auf, doch es war kein höhnisches sondern eher ein selbstmitleidiges, neidisches Lachen. „Uneingeschränkter Replikatorzugang ...“, kommentierte er bitter, doch seine Stimme versiege vielsagend, bevor er mehr sagen konnte.
„Wir haben längst nicht genug Energie für uneingeschränkten Replikatorzugang, Amelia, es tut mir leid.“, erklärte Harry, wesentlich milder und verständnisvoller, denn er konnte inzwischen im Ansatz erahnen, was für ein Kulturschock der Alltag auf der Voyager für die junge Frau sein musste. „Nahrungsmittel und Luxusgüter sind streng rationiert, und hier im Labor und eigentlich in allen Arbeitsbereichen des Schiffs können die Replikatoren nur technische Komponenten und andere benötigte Ersatzteile liefern, für alles andere braucht man eine Autorisation und, ja leider, ausreichend Replikatorrationen.“
Die Erklärung leuchtete ein, sie erinnerte sich wieder. Sie hatte darüber gelernt, in der Schule und auf der Akademie und als sie Toms Voyager-Holoromane immer und immer wieder durchgespielt hatte, doch es war nur so ein kleines Detail, dass sie es gleich wieder vergessen hatte. Doch sie erinnerte sich auch an ihre Kindheit und daran, dass ihre Mutter, Tom und B’Elanna, und Annika, immer wieder von Rationen gesprochen und beinahe zwanghaft darauf geachtet hatten, dass ja nicht zu viel repliziert und recycelt wurde, nur für den Fall, dass ... Sie hatte darüber gelacht, was für eine alberne Marotte, sie war ja noch so klein gewesen und hatte keine Ahnung gehabt, was die Erfahrung von Entbehrung und Überlebenskampf nachhaltig mit der Psyche einer Person anrichten konnte. Für jemanden, der in völliger Sicherheit auf einer zivilisierten Föderationswelt aufgewachsen war, war das auch viel zu unvorstellbar.
„Wie können Sie nur so leben?“, platzte sie fassungslos heraus, noch bevor ihr bewusst wurde, wie unsensibel das wohl klingen musste.
„Wir können, weil wir müssen.“, antwortete Harry, kühler als je zuvor.
„Kaffee? Bitte ...“ Tom deutete, begleitet von einem verständnislosen Kopfschütteln, unbestimmt in Richtung der silbernen, zylindrischen Thermoskanne auf dem Tisch, die er selbst vor Dienstbeginn aus dem Casino geholt und ins Labor mitgebracht hatte. „Bedienen Sie sich, Fähnrich Delta. Es ist zwar nicht wirklich Kaffee, aber es macht wach.“
Amelias Grinsen wurde verlegen und schuldbewusst, doch keiner von beiden konnte erkennen, dass es nur gespielt war. Der Tom und der Harry in ihrem Leben, die hätten sie sofort durchschaut, so viel war sicher; doch diese beiden hier kannten sie nicht und würden sie niemals auch nur ansatzweise so gut kennen, auch wenn Harry jetzt ihren richtigen Namen wusste. Schaudernd erinnerte sie sich an eine Moralpredigt von Tom – von jenem Tom, der ihr geliebter Onkel gewesen war – als er sie zum ersten Mal beim Schwindeln erwischt hatte. Damals war sie nur sechs oder sieben Jahre alt gewesen, und doch hatte sich das nachhaltig in ihr Gedächtnis eingebrannt, doch jetzt war sie dreiundzwanzig und dieser Tom Paris hatte mit ihrem geliebten Onkel nichts außer dem Gesicht gemein.
Zum Grübeln blieb keine Zeit mehr. Amelia Delta füllte den Becher mit Kaffee aus der Thermoskanne, und nach dem ersten Schluck hätte sie ihn beinahe vor Tom und Harrys Füße gespuckt.
„Was ... um Himmels Willen, was ist das?“, stotterte sie angewidert.
Ihr Name war Janeway, und die Leidenschaft für Kaffee war vielleicht das einzige, was sie auf den ersten Blick mit ihrer Mutter gemein hatte. Doch Kaffee war nicht Kaffee, so viel war sicher, und als junge Sternenflottenangehörige und Bürgerin der Föderation, als Kosmopolitin, hatte sie sich schon früh an viele andere Versionen anregender Heißgetränke gewöhnt, an manche mehr als an andere. Raktajino war in Ordnung; andorianischer ch’Vaaii schmeckte erstaunlich gut, obwohl er blitzblau war und das menschliche Erbgut offenbar darauf programmiert war, Getränke in Neonfarben, die einen bitteren Nachgeschmack hinterließen, fürs Erste besser zu meiden; k’tarianischer K’gvatrgkats war zwar sehr würzig aber doch köstlich, wenn man sich daran gewöhnt hatte; und dann gab es noch topli napitak, das sie auf Zeruko kennen gelernt hatte und das inzwischen zu ihrem Lieblingsgetränk geworden war (es ließ sich nicht replizieren, doch zum Glück war die Kirk derzeit regelmäßig auf Zeruko, denn der Planet war der neueste und vielversprechendste Beitrittskandidat der Föderation); kurz und gut, sie war nicht wählerisch, solange es heiß und süß war und sie wach hielt. Doch das?!
Die Dämpfe, die aus der Thermoskanne aufstiegen, rochen beinahe so wie echter, terranischer Arabica-Kaffee, die Flüssigkeit war schwarz und von einem dezenten Schaum bedeckt, und sie hatte sich von der Illusion des Bekannten täuschen lassen.
„Das ist Karathrace.“, informierte Tom Paris mit einem beinahe schadenfrohen Grinsen, das er zwar geschickt zu verbergen versuchte, doch Maggie Janeway erinnerte sich nur zu gut an Tom Paris’ viele Schattierungen schadenfroher Grinser.
„Das ist ekelhaft.“, knurrte sie und stellte die Tasse angewidert beiseite. „Das schmeckt genau so, wie ein Plasmaleck riecht.“
„Wir haben nichts anderes.“, bedauerte Harry. „Richtiger Kaffee muss repliziert werden, und für gewöhnlich fehlen uns dafür die Rationen. Karathrace haben wir in einem System ein paar Parsecs von hier kennen gelernt, es beinhaltet eine koffeinähnliche Substanz, die als Aufputschmittel dreimal so wirksam ist wie echter Kaffee, und nahrhaft ist es außerdem. Also haben wir davon eingelagert, so viel wir kriegen konnten. Wir hatten keine andere Wahl.“
„Man gewöhnt sich daran.“, tröstete Tom, und dann lachte er auf. „Außerdem, davor gab es heißes Leolawurzelextrakt, das war wesentlich schlimmer!“
„Ich hoffe, dass ich nicht mehr lange genug hier sein werde, um mich daran gewöhnen zu müssen.“, seufzte Maggie, die Fassade der unbeirrbaren Amelia Delta wieder aufsetzend. „Und Sie auch nicht.“, fügte sie optimistisch hinzu. „Wenn wir den Slipstream heute zum Laufen kriegen, und Kate ist schon seit Stunden dran, dann sind Sie wesentlich näher dran am bajoranischen Wurmloch – und auf der anderen Seite, auf Deep Space Nine, gibt es nicht nur ordentlichen Kaffee sondern auch den besten Raktajino im bekannten Universum.“
„Ist das so?“, fragte Harry, neugierig wie immer. Er hatte die DS9 nur ein einziges Mal besucht, für ein paar Stunden nur, kurz bevor die Voyager zu ihrer schicksalsträchtigen Mission in die Badlands aufgebrochen war. Die Ereignisse dieser Tage waren in seinen Erinnerungen jedoch so verschwommen, und inzwischen fühlte es sich so an, als wäre das in einem ganz anderen Leben passiert.
„Raktajino und halbseidene Ferengi-Glücksspiele, dafür ist die DS9 seit jeher bekannt, das weiß jeder Kadett.“, lachte Amelia heiter. „Und als wir vergangenes Jahr dort waren, war es noch so.“
„Na dann, an die Arbeit!“, rief Tom enthusiastisch aus.
Die Hoffnung auf Heimkehr war etwas, was sie in den vergangenen entbehrungsreichen Jahren beinahe aufgegeben hätten, nicht einmal der sonst immer so optimistische und heimwehgeplagte Harry Kim hatte daran festgehalten. Jede Störung des Warpkerns, jeder Mangel an Dilithium, jeder Fehlschlag bei der Entwicklung des Slipstreamantriebs, jede vage Sensoranzeige die ihnen ein potentielles Wurmloch vorgegaukelt hatte, jede fehlgeschlagene Verhandlung über eine mögliche Abkürzung durch fremdes Territorium, hatte ihre Moral nur weiter niedergeschmettert, und jedes Mal war schmerzhafter gewesen als das zuvor. Doch mit der Ankunft der beiden Fähnriche aus dieser dubiosen anderen Zeitlinie war die Hoffnung auf baldige Heimkehr nicht nur neu aufgeflammt, sie war sogar in greifbare Nähe gerückt.
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