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Temporales Inoprovalin

von VGer

Kapitel 10

Lieutenant B’Elanna Torres, Chefingenieurin der Voyager, war so sehr in ihre Arbeit am Slipstreamkern vertieft, dass sie nicht einmal bemerkte, wie die Türen zum Maschinenraum sich öffneten und ihr Name gerufen wurde.
Maggie Janeway und Kate Barclay erstarrten bei dem Anblick noch im Türrahmen. B’Elanna Torres mit einem Hyperspanner in der Hand in Sternenflottenuniform zu sehen statt in den majestätischen Roben einer klingonischen Würdenträgerin transportierte sie beide sofort und ganz ohne eine temporale Anomalie zurück in ihre Kindheit. B’Elanna werkte am Slipstreamkern, neben ihr stumm und kritisch Vorik, und an der Hauptkonsole des Maschinenraums Susan Nicoletti ... es war ein Bild, das sie nur zu gut kannten. Sie hatten so viel Zeit in den Werften über Utopia Planitia verbracht, weil ihre Eltern so viel Zeit in den Werften verbracht hatten und sie manchmal nirgendwo anders hingehen konnten, hatten anhand von selbstdichtenden Schaftbolzen und anderen losen Einzelteilen das Zählen und das Rechnen gelernt, waren durch die große Montagehalle getobt bis Admiral Janeway höchstpersönlich aus ihrem Büro geschnellt war um sie zu disziplinieren, hatten so lange mit ausgedienten Gelpacks Ball gespielt bis sie platzten (und dann hatten sie Magnus erbarmungslos von oben bis unten mit dem bioneuralen Glibber eingeseift – warum eigentlich immer Magnus?), sie hatten sich heimlich in den Deltaflyer geschlichen und die größten Abenteuer erlebt (Maggie immer am imaginären Steuer, ob das wohl ein Zeichen war?), sie hatten sich vor den Schiffsgeistern und den Gremlins, die angeblich in den verschlungenen Korridoren im ältesten Teil der Werften wohnten, gefürchtet, ... Kurz und gut, sie hatten eine herrlich unbeschwerte Kindheit gehabt, während B’Elanna und Vorik am Slipstreamkern werkten und Sue ihre Fortschritte überprüfte, Annie und Leah standen vermutlich am anderen Ende der Halle über eine Konsole gebeugt und berechneten was nur sie beide und sonst niemand im Universum verstehen konnte, und gleich würden auch Tom und Reg und Janko lachend und mit Kaffeebechern in der Hand um die Ecke kommen und alles wäre wie immer ...
Nichts war wie immer, das war mehr als zehn Jahre her, das war vor dem Unfall und seither war Utopia nur mehr Utopie. Maggie und Kate vermieden es, sich anzusehen, doch sie wussten instinktiv, dass sie dasselbe dachten.
Der Unfall war passiert. Tom Paris und Reg Barclay waren tot, ebenso Captain und Doktor Brahms. Eine Fehlkalkulation, eine winzige Phasenvarianz nur, die später als 3BP-Faktor zu trauriger Berühmtheit gelangen und Eingang in jedes Handbuch finden würde, dann war die Quantenmatrix kollabiert und der Pioneer-Prototyp explodiert. Damals waren sie Kinder, Maggie war zehn und Kate gerade elf geworden. Damals hörten sie schlagartig auf, Kinder zu sein.
Jetzt waren sie keine Kinder mehr und eins war ihnen beiden schmerzlich klar: hätte der Quantenkern nicht eine noch nicht näher definierte Fehlfunktion gehabt, die den Slipstream vorzeitig beendet hatte, wäre es unweigerlich zur Katastrophe gekommen, denn niemand hier hatte den 3BP-Faktor mit eingerechnet, weil niemand darüber Bescheid wusste. Dann wäre die Voyager mit ihren hundert Besatzungsmitgliedern ebenso explodiert wie die erste Pioneer ... und das würde bedeuten, dass die Kathryn Janeway aus dieser Zeitlinie nicht in der Zukunft in die Vergangenheit reisen würde um jener Kathryn Janeway, die später Maggies Mutter werden würde, den Weg nach Hause zu weisen. Und dann ...
NEIN! Vor lauter Konjunktiven begann sie, Sternchen zu sehen. Sie musste aufhören zu denken, sie musste handeln. ‚Wofür es sich zu kämpfen lohnt’, hatte Annika zu ihr gesagt. Sie hatte zu oft davon geträumt, ein anderes Leben leben zu können, ein unkomplizierteres mit weniger Schicksalsschlägen und Konflikten vielleicht. Sie hatte nie darüber nachgedacht, was das bedeuten würde, und jetzt war sie just in dieser unmöglichen Situation. Was auch immer sie jetzt tat, es würde unweigerlich ihr Leben, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft beeinflussen, und nicht nur ihres sondern alles. Sie wusste nicht, wie man es richtig machte – sie wusste nur, wenn sie etwas Falsches machte oder sagte, würde sie im schlimmsten Fall in eine Zeitlinie zurückkehren, in der sie niemals existiert hatte. Kein schöner Gedanke.
Was auch passiert war – sie war Margaret Amelia Janeway, und eigentlich mochte sie ihr Leben doch ganz gern – zumindest gern genug, um es nicht gänzlich auslöschen zu wollen.
Und dennoch plagte sie ein Gedanke, der lieber ungedacht bleiben sollte. Auch in ihrer Zeitlinie war einiges schief gelaufen – der Unfall der Pioneer, in erster Linie, der Schicksalstag, der nicht nur die Innovationen in der Quantenslipstreamtechnik sondern auch ihre Kindheit nachhaltig zerstört hatte. Hier war Tom Paris noch am Leben, und das Jahre nachdem er dort wo sie herkam gestorben war. Sie könnte die Rettung sein, sie könnte die Zukunft verändern, sie könnte ihrem heißgeliebten Onkel Tom und den anderen Pionieren das Leben retten ... vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Sie versuchte verzweifelt, nicht daran zu denken.

Tom Paris, der sehr lebendige Tom Paris dieser Zeitlinie, den sie trotzdem nicht würde retten können, hatte begonnen, das Prozedere zu erklären und die beiden fremden Fähnriche mit dem Personal des Maschinenraums bekannt zu machen.

„Duy’a’neS.“ Kate Barclay neigte automatisch respektvoll den Kopf, als sie B’Elanna gegenüberstand.
Duy’a’neS, Ehrenwerte Botschafterin, so lautete ihr klingonischer Titel, nebst ein paar anderen, die komplizierter auszusprechen waren. Doch B’Elanna Duy’a’neS aus dem Hause des Martok war nicht hier, sie war dort; die Halbklingonin hier war Lieutenant B’Elanna Torres und sie hatte mit B’Elanna Duy’a’neS nichts im geringsten gemein, denn die Ereignisse, die sie zu dieser beeindruckenden Frau gemacht hatten, waren hier nicht passiert.
„Lieutenant Torres.“ Amelia Delta versuchte sie eilig zu übertönen.
Kate schaffte es wirklich immer und immer wieder, wenn auch mit den besten Absichten, sie ins Fegefeuer der Obersten Temporalen Direktive zu manövrieren. Amelia schnaubte zynisch in sich hinein und schüttelte unmerklich den Kopf.
„Wer von Ihnen beiden ist die Ingenieurin?“, fragte B’Elanna ohne Umschweife.
Kate trat vor, den Blick zunächst beinahe scheu an B’Elanna vorbei gerichtet, doch innert ein paar Minuten waren die beiden schon so sehr in Fachsimpeleien vertieft, dass für sie nichts außer dem Schiff an sich mehr zu existieren schien. Kate und B’Elanna tauchten in erschreckender Synchronie kopfüber zwischen Kabeln und Relais ab, lasen Messwerte von Konsolen ab, überprüften diese und jene Einstellung, debattierten das eine oder andere Detail, bis Tom irgendwann leise zu lachen begann. Amelia zuckte zusammen, sie hatte dieses Lachen so sehr vermisst, doch sie durfte sich nichts anmerken lassen.
„Liegt es daran, dass Sie beide aus der Zukunft kommen, oder verstehen Sie auch nichts?“, fragte er Amelia.
„Das liegt an den verdrehten Gehirnwindungen von Ingenieuren.“, bestätigte Amelia lächelnd. „Ich habe keine Ahnung von all dem. Wenn es fliegt, kann ich es fliegen, und wenn nicht, dann nicht ...“
„Will doch nur fliegen.“ Toms Gesichtsausdruck wurde beinahe melancholisch, und auch Amelia sagte nichts mehr.

Es konnte eine Nanosekunde vergangen sein oder vielleicht eine Stunde, als ein erleichterter Jubel durch den Maschinenraum hallte. Tom und Amelia liefen sofort zu den Ingenieuren, denn jeder Fortschritt war ein Fortschritt, der ihren quälenden Stillstand aufhielt.

„Ich hab das Problem! Die Rechenleistung unseres Kerns auf der Pioneer, die Quantenflussübermittlungsrate, sie wird an neuralgischen Punkten von modifizierten Naniten verstärkt.“, rief Kate aufgeregt aus und deutete auf den Computerbildschirm. „Naniten, verstehst du? Dass ich das nicht früher bedacht habe! Hier sind keine, und ich weiß auch wieso.“
„Weil Captain Barclay in dieser Zeitlinie gestorben ist, bevor sie die Technologie entwickeln konnte.“ Amelia kombinierte blitzschnell.
„Naniten, so wie Borg-Technologie?“, fragte B’Elanna verdutzt. „Und wer ist bitteschön Captain Barclay?“
„Nicht so wichtig.“ Kate wiegelte rasch ab. „Kein Wunder, dass der Slipstream zusammengebrochen ist. Ohne die Unterstützung der Naniten eine Matrix aufbauen zu wollen, das ist ungefähr so wie mit einem Runabout Warp 9,9 zu fliegen. Dafür ist die Maschine nicht ausgelegt, und dann Peng!“
„Also brauchen wir solche Naniten.“, schlussfolgerte B’Elanna, denn die Erklärung klang einleuchtend.
„Also brauchen wir Captain Barclay, und ihre Naniten ... und Mark am Besten gleich dazu.“, seufzte Amelia, und dann wurde ihr die Hoffnungslosigkeit dessen bewusst. „Verfluchte Anomalie! Verfluchte Paradoxie! Ich geb’s auf, ich krieg Kopfschmerzen davon.“
„Icheb.“, sagte Kate ganz ruhig und wandte sich an B’Elanna, als sei sie ein abgehärteter Profi, der täglich mit dem Unmöglichen konfrontiert wird. „Seven of Nine ist tot, aber sie ist nicht die einzige Borg an Bord. Lieutenant Torres, bitte rufen Sie doch Comm... Mr Icheb hierher, dann können wir Naniten aus seinem Blutkreislauf entnehmen und entsprechend modifizieren.“
B’Elanna schüttelte traurig den Kopf. „Icheb ist letztes Jahr bei einem Angriff der Oitoipoi ums Leben gekommen.“
Sie wussten nicht recht, ob sie traurig sein sollten – der Icheb llum Krendtvgrak, den sie kannten, war schließlich wohlbehalten auf der Pioneer, saß auf dem Platz des Ersten Offiziers gleich neben Captain Barclay und arbeitete vermutlich just in diesem Moment ebenso fieberhaft wie sie daran, die Zeitlinien wieder in Ordnung zu bringen – aber kalt ließ sie diese Nachricht keinesfalls.
„Keine Borg. Keine Naniten. Kein Slipstream.“, fasste Amelia enttäuscht zusammen und biss energisch einen klingonischen Fluch, der sich auf ihrer Zungenspitze bildete, zurück.
„Verstehe ich Sie richtig, Fähnrich Barclay? Ohne die Verstärkung durch Naniten können wir nie wieder gefahrlos einen Slipstreamflug wagen?“, fragte B’Elanna, und plötzlich schaute sie völlig desillusioniert drein.
„Das stimmt leider.“, nickte Kate, doch sie weigerte sich entschieden, die Hoffnung aufzugeben, schließlich war sie ganz und gar die Tochter ihrer Mutter. Man konnte den Zahnrädern in ihrem Gehirn direkt beim Rattern zusehen, dann fügte sie mit einem beinahe nonchalanten Schulterzucken hinzu: „Wir könnten auch meine Naniten nehmen, das ist weniger das Problem. Aber sie müssten zuerst aktiviert werden, und dazu brauchen wir Mark.“
„Hier gibt es vermutlich auch einen Mark ...“, wandte Amelia ein.
„Der keine Ahnung von meinen Naniten hat, weil es in dieser Zeitlinie keine Notwendigkeit gab, sich damit auseinander zu setzen ...“, kommentierte Kate spitz. „Das hier ist eine andere Realität, schon vergessen? Hier gibt es weder mich noch den Rest des Kollektivs und somit gibt es auch unser Nanitenproblem nicht, verstehst du? Hier ist Mark nur ein“ – sie unterbrach sich hastig, schließlich sollte die Mannschaft dieser Voyager besser nicht erfahren, was aus dem MHN geworden war – „ein Du-weißt-schon-was, und er hatte es nicht mit den biotechnologischen Absonderlichkeiten von fünf Borg-Babys zu tun.“
„Scheiße.“, sagte Amelia, denn in B’Elannas Gegenwart traute sie sich nicht, auf Klingonisch zu fluchen wie sie es sonst immer tat.
„Borg-Babys?“, fragte B’Elanna verdutzt dazwischen, sie hatte zwar neugierig gelauscht aber doch nur die Hälfte verstanden. „Wir hatten hier mal ...“
„Oberste Temporale Direktive.“ Kate zuckte entschuldigend mit den Schultern und wandte sich wieder Amelia zu. „Einen Versuch ist es wert, ich würde trotzdem lieber zuerst mit Captain Barclay sprechen, sie weiß über die Details besser Bescheid als ich. Wann kontaktiert uns die Pioneer wieder?“
„Planmäßig in vierzig Minuten.“, antwortete Amelia nach einem schnellen Blick auf ihren Chronometer.
„Wir brauchen einen Plan, und wir brauchen ihn schnell.“, seufzte Kate.
„Krankenstation.“, beschloss Amelia. „Auch wenn das nicht wirklich Mark ist, sollten wir ihm eine Chance geben, denn das MHN der Voyager ist ein außergewöhnlich kompetenter Arzt. Und da es nicht wirklich Mark ist, besteht sogar die Chance, dass ihr euch nicht sofort streitet bis die Fetzen fliegen ...“
Kate quittierte Maggies viel zu sarkastisches Grinsen mit einem dramatischen Augenrollen, doch sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Die Naniten waren ihre einzige Chance.


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