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Der Rat eines Vedeks

von Nerys

Kapitel 1

Der Rat eines Vedeks


Sacht hielt die Liftkabine und die Türen glitten beiseite. Atreias Augen weiteten sich verblüfft, als sie der Person gewahr wurde, die auf dieser Ebene des Habitatrings zustieg. Es war ein Bajoraner, gekleidet in eine lange zinnoberrote Robe, die an seiner rechten Seite zusammengeknüpft war. Ohne je während ihres Lebens auf Bajor einem Geistlichen begegnet zu sein, wusste sie doch, dass es sich bei dem hochgewachsenen Mann, der ihr würdevoll zunickte, um einen Vedek handelte. Wenn er ebenso überrascht war, sich einer Cardassianerin gegenüber zu sehen, so verriet seine Miene nichts davon. Sie spürte den aufmerksamen Blick seiner dunkelbraunen Augen, als sie für einen Moment respektvoll den Kopf senkte. Obwohl man ihr als Kind beigebracht hatte, dass Religion unnütz und Glaube eine Schwäche war, wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, dem Vedek mit etwas anderem als Achtung zu begegnen. Wo hohe cardassianische Militärs sich durch Autorität Respekt verschafften, gelang ihm das allein durch seine Würde. Die drückende Stille in der Kabine wurde nur vom Surren der Maschinen unterbrochen, während der Lift dem Promenadendeck entgegen glitt. Atreia fixierte starr die Wand hinter dem prächtigen Ohrgehänge des Vedeks, das beinahe seine rechte Schulter berührte. Auf einmal ruckelte die Kabine und die Fahrt fand mitten im Schacht ein jähes Ende. Voller Unbehagen fiel Atreias Blick auf die kleine Kontrolltafel, die sicherlich auch über eine Kommunikationseinheit für den Notfall verfügte.

„Keine Sorge“, sagte der Vedek mit seiner tiefen ruhigen Stimme, in deren Tonfall eine Kraft lag, der man sich als Zuhörer nur schwer zu entziehen vermochte. „Der Lift wird bestimmt jeden Moment weiter fahren.“

Sie glaubte ihm. Dies war eine große Station, die über Fachpersonal verfügte, welches die Behebung einer solch unbedeutenden Störung gewiss nur einen Wimpernschlag kostete. Doch die Kabine verharrte still, während Minute um Minute verstrich.

Schließlich grub sich in die Stirn des Vedeks ein leichtes Runzeln und er betätigte einen Schalter auf dem Kontrollfeld. Statisches Rauschen ertönte. „Ops, hier ist Vedek Bareil. Scheinbar gibt es ein Problem mit Turbolift zwei. Er steckt fest.“

Eine weibliche Stimme antwortete mit kühler Professionalität. „Der Chief arbeitet schon daran. Wir bedauern die Verzögerung, Vedek. Es müsste gleich weiter gehen.“

„Da war bestimmt wieder eine cardassianische Wühlmaus am Werk, diese dreimal verfluchten Biester!“, kommentierte die Stimme einer weiteren Frau, die zynisch und erregt klang. Wir machen so schnell wir können, Antos.“

Atreia gluckste bei der Erwähnung der lästigen Nager und auch Vedek Bareils Mundwinkel deuteten Amüsement an. „Das weiß ich zu schätzen, Nerys. Wir warten so lange hier.“

Die Komeinheit verstummte und Bareil sah die Cardassianerin an. Sein Lächeln war dezent, doch es erhellte seine Miene. „Sehen Sie? Der Lift wird sich jeden Augenblick wieder in Bewegung setzen.“

Atreia nickte, aber sie gab keine Antwort. Obwohl das Gespräch mit dem Kontrollzentrum nur kurz angedauert hatte, war ihr aufgefallen, dass er die zweite Frau sehr persönlich angesprochen und ihren Namen zärtlich betont hatte. Die Sehnsucht ihren eigenen Namen auf diese Weise aus Joss' Mund zu hören, versetzte ihr einen Stich ins Herz. Noch auf Cardassia vor ein paar Tagen war sie vollkommen überzeugt von ihrem Vorhaben gewesen. Es war fünf Jahre her, doch sie hatten sich damals gegenseitig versprochen, an ihren Gefühlen festzuhalten und aufeinander zu warten. Seit der Ankunft auf der Station und mit dem Wissen, dass nur noch ein kurzer Shuttleflug sie davon trennte, das gegebene Wort einzulösen, hatten Zweifel begonnen an Atreia zu nagen. Sie verlagerte ihr Gewicht und lehnte sich, die Augen geschlossen, an die Rückwand der Kabine. Der Turbolift rührte sich noch immer keinen Millimeter.

„Ops an Vedek Bareil.“ Die forsche Frauenstimme von vorhin drang aus dem Interkom. „Es wird noch eine Weile dauern bis Chief O’Brien die Störung behoben hat. Antos, ist da unten alles soweit in Ordnung?“

„Ich glaube, die junge Dame, die sich mit mir hier drinnen befindet, würde sich wohler fühlen, wenn abzusehen wäre, wie viel Zeit etwa die Reparatur noch beanspruchen wird“, erwiderte Bareil mit sanftem Nachdruck.

Die Frau, die er zuvor Nerys genannt hatte, schwieg für einen Augenblick, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Unter einer halben Stunde lässt sich nichts machen, sagt O’Brien. Tut mir leid.“

Atreia stöhnte leise bei der Vorstellung so lange in der engen Kabine festzusitzen. Resignierend glitt sie an der Wand hinab bis sie auf dem Boden saß und zog die Beine an. Der Vedek schloss die Komverbindung und ließ sich mit raschelnder Robe neben sie sinken. Überrascht wandte sie den Kopf in seine Richtung und bemerkte ein jungenhaftes Funkeln in seinen Augen, das nicht recht zu ihrem Bild von einem religiösen Würdenträger passen wollte. Sein Gesichtsausdruck offenbarte keine Verachtung.

„Wie heißen Sie, meine Liebe?“, fragte er rundheraus.

„Atreia Lorpak“, erwiderte sie zögernd. Zunächst hatte sie ihm ihren vollen Namen nicht nennen wollen, doch falls ihm ihr Vater, Gul Lorpak, ein Begriff war, so verriet sein Mienenspiel nichts davon. Nervös wanderte ihr Blick über die Wände der engen Kabine. Obwohl sie sich nicht erinnern konnte, jemals daran gelitten zu haben, verspürte sie einen Anflug von Klaustrophobie.

Die sanften braunen Augen des Bajoraners begegneten den ihren aufmerksam. „Angenehm. Ich bin Vedek Bareil, aber das haben Sie ja schon mitgekommen. Was führt Sie hierher auf diese Raumstation? Aus verständlichen Gründen ist es eine Seltenheit, dass sich jemand aus ihrem Volk in unser System verirrt.“

„Sie würden mir die Wahrheit sowieso nicht glauben und ich könnte es Ihnen nicht einmal verübeln.“ Atreia zuckte gleichmütig mit den Schultern.

„Die Leute suchen Geistliche wie mich auf, wenn etwas ihr pagh verdunkelt. Ich höre zu, aber es ist nicht meine Aufgabe zu beurteilen.“

Vor Atreias innerem Auge erschien das Bild eines bajoranischen Mädchens, dessen blondes Haar vom rauen Meereswind zerzaust war. Die Ungewissheit, wie es Joss wohl ergangen sein mochte, nagte an ihren Eingeweiden. Wartete und hoffte ihre Freundin ebenso auf dieses Wiedersehen oder hatte sie längst eine neue Liebe in ihr Herz gelassen? Sie sah Bareil in ihren Gedanken verloren an. „Ich bin auf Bajor aufgewachsen und betrachte diese Welt als meine Heimat. Das ist eine Anmaßung, die mir nicht zusteht, ich weiß, aber es gibt keinen Ort, an dem ich mich mehr zuhause fühle. Cardassia kannte ich gar nicht, bis mein Vater mich zum Studieren dorthin geschickt hat. Das war vor fünf Jahren und ich habe mich nie daran gewöhnt.“

„Das verstehe ich“, entgegnete er ruhig. Sein Gesicht offenbarte nichts als ehrliches Interesse und Offenheit. Er konnte spüren, dass diese junge Cardassianerin Bajor wirklich im Herzen trug, vielleicht sogar mehr als manches Mitglied seines eigenen Volkes. „Man wird Sie jedoch nicht gerade willkommen heißen, das wissen Sie sicher.“

Atreia nickte leicht und versuchte das geistige Abbild ihrer Freundin mit aller Kraft festzuhalten, ehe es verfloss. „Ich habe nicht vor zu bleiben. Damals musste ich jemanden zurücklassen, der mir die Welt bedeutet. Ich bin hier, um nach ihr zu suchen.“

„Eine Bajoranerin, wie ich annehme?“, erkundigte sich Bareil.

„Joss ist in jeder Beziehung das Gegenteil zu mir. Vielleicht liebe ich sie genau deshalb immer noch so.“ Atreia stieß ein leises Seufzen hervor. „Ich habe Angst. Was ist, wenn ich sie nicht finde? Oder wenn ich sie finde und sie mich nicht mehr liebt? Ich weiß nicht, welche Aussicht mich mehr erschreckt. Vielleicht hätte ich auf Cardassia bleiben und mich damit abfinden sollen, dass ich dorthin gehöre.“

Die braunen Augen des Vedeks schienen ihr ins Innere zu sehen. Sein Ohrring klimperte fein, als er kaum merklich den Kopf schief legte. „Ungewissheit ist oft schmerzhafter als die Wahrheit, weil die Hoffnung immer zuletzt stirbt. Wenn Sie Ihre Suche aufgeben, wird ein Teil von Ihnen für immer unvollständig bleiben. Vielleicht denkt Joss genau in diesem Moment an Sie und wartet darauf, dass Sie endlich zurück zu ihr kommen werden. Aber selbst wenn Sie etwas vorfinden sollten, das Ihnen nicht gefällt, erhalten Sie dadurch die Möglichkeit mit der Vergangenheit abschließen. Lieben bedeutet manchmal auch loslassen können.“

Atreia zupfte sich fahrig eine lose Haarsträhne aus der Stirn und schluckte mühsam die aufkommende Feuchtigkeit hinunter. Auch wenn Bareil recht hatte, überwogen doch die weniger rosigen Möglichkeiten. Vielleicht war es besser, wenn sie ihr Vorhaben hier und jetzt abbrach und das Leben zu führen begann, in das sie hinein geboren worden war. Das einer Cardassianerin.

„Erzählen Sie mir von ihr“, bat der Vedek unvermittelt.

Das Ansinnen ließ sie in ihren Überlegungen stutzen und sie hob den Kopf, um ihn zu betrachten. Seine Miene war unverändert sanft und aufmerksam. Obwohl sie nicht weiter reden mochte, schon gar nicht über ihre Freundin, schaffte sie es nicht, sich seiner Ausstrahlung zu entziehen und ihn anzuschweigen. „Als ich Joss damals begegnete, lebte sie in einem angeschwemmten Schiffswrack von einem Tag zum nächsten. Ihre ganze Familie war früh gestorben und sie hatte niemanden auf der Welt. Ich kann mir nicht vorstellen, so einsam und allein zu sein. Trotz allem war Joss so lebensfroh und voller Hoffnung, das habe ich an ihr immer bewundert. Sie wusste was ich dachte, noch bevor ich es aussprechen konnte. Am meisten liebte ich es, wenn sie mich anlächelte. Bei ihr fühlte ich mich daheim. Weggegangen bin ich nur, weil ich sicher war, dass mein Vater früher oder später die Wahrheit herausfinden und Joss wer weiß was antun würde. Ich wollte sie niemals in Gefahr bringen, dafür liebe ich sie viel zu sehr. Wenn ihr etwas geschehen ist, könnte ich mir das mein Lebtag nicht verzeihen.“

„In Ihrem Inneren wissen Sie, was Sie zu tun haben, Atreia“, sagte er, nachdem er ihren Worten still und andächtig zugehört hatte. „Wir Bajoraner nennen diese Kraft, die uns leitet, unser pagh. Im Laufe des Lebens begegnen wir vielen Personen, doch nur sehr wenige berühren unser pagh wahrhaftig. Das sind diejenigen, die beeinflussen wer wir sind, und die wir niemals vergessen können. Auch in meinem Leben gibt es jemand so besonderen. Ihr Name ist Nerys.“

Atreias Blick glitt überrascht über die Kommeinheit, aus der die Stimme jener Frau erklungen war, mit welcher der Vedek so vertraut gesprochen hatte. Das amüsierte Blitzen in seinen dunklen Augen verriet ihr, dass ihre Überlegung zutraf.

„Ja, das war sie“, fuhr er mit der Andeutung eines Lächelns um die Mundwinkel fort. „Sie ist der Erste Offizier an Bord dieser Station, während ich auf Bajor im Kloster den Propheten diene. Unsere Zeit erlaubt es leider nicht, dass wir uns oft sehen, doch solange ich weiß, dass es ihr gut geht und sie glücklich ist, bin ich ich es auch.“

Ehe die Cardassianerin etwas zu entgegnen vermochte, tat der Lift einen Ruck, der sie beklommen schlucken ließ und in ihr erneut das Gefühl erweckte, dass sich die Wände um sie herum verengten. Sie schloss die Augen und rief sich in Gedanken mehrmals zur Ordnung. Die Metallverkleidung begann zu vibrieren als die Kabine endlich wieder zum Leben erwachte. Erst als sie die Abwärtsbewegung wahrnahm und das maschinelle Summen hörte, wagte Atreia es, wieder hinzusehen. Vedek Bareil hatte sich inzwischen erhoben und strich seine Robe glatt. Verlegen blickte sie zu ihm auf. Aufmerksam streckte er ihr die Hand entgegen, um ihr auf die Beine zu helfen. Zögernd griff sie zu. Die Wärme, die von dieser Berührung ausging, breitete sich in ihrem ganzen Arm aus, während er sie spielerisch leicht in die Höhe zog.

„Danke“, brachte sie nur hervor, heilfroh darüber, diesen widerspenstigen Turbolift nun bald verlassen zu können. Im Stillen bewunderte sie das Personal, das Tag für Tag auf dieser Monstrosität von Raumstation Dienst tat. Ihr selbst schienen der feste Boden eines Planeten und die wärmende Sonne darüber viel erstrebenswerter.

Schließlich hielt die Kabine an ihrem Ziel an und die Türen glitten zischend beiseite. Die Öffnung gab den Blick auf ein weitläufiges belebtes Deck frei, auf dem Vertreter einer Vielzahl unterschiedlicher Spezies ihrer Wege gingen. Bareil gewährte Atreia mit einer höflichen Geste den Vortritt und folgte ihr hinaus auf die Promenade. Ein Grüppchen von Bajoranern nickte ihm im Vorbeigehen respektvoll zu.

„Versprechen Sie mir, dass Sie sie finden, Atreia“, sagte er leise zu ihr. „Die Propheten werden mit Ihnen sein.“

„Das werde ich“, erwiderte sie mit ehrlicher Überzeugung, denn genau das war es, weswegen sie gekommen war, und was sie tun wollte. Was sie tun musste. Sie zweifelte nicht mehr. „Aber Sie müssen mir auch etwas versprechen, Vedek.“

Er lachte überrascht. Ein Bajoraner hätte es wohl nie gewagt, ihn auf diese Weise anzureden. Diese junge Frau ihm gegenüber hatte etwas Erfrischendes an sich. „Und was wäre das?“

Atreia senkte die Stimme und neigte sich ihm ein wenig entgegen. „Lassen Sie Ihre Nerys niemals aus Ihrem Leben gehen.“

„Niemals“, entgegnete er.
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