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Keine weiße Weste für Dr. Bashir

von Allemande

Kapitel 2

Garak saß an seinem und Dr. Bashirs üblichen Tisch und las das letzte Kapitel eines besonders spannenden Buches (ein alter Krimi, Erde des 20. Jahrhunderts). Er würde das Dr. Bashir gegenüber nie zugeben, aber ihm gefiel die simple und dennoch prägnante und clevere Herangehensweise von Agatha Christie. Sollte der Arzt jedoch zufällig einen Blick darauf erhaschen, was er gerade las, würde Garak extreme Langeweile ob der vorhersehbaren Geschichten und einfältigen Dialoge vortäuschen.

Der Arzt betrat den Replimat durch seinen üblichen Eingang, zu seiner üblichen Zeit, und Garak ertappte sich bei dem Gedanken, wie vorhersehbar der junge Mann war –

Nein, er würde seine vorgefassten Meinungen über ihn wirklich revidieren müssen.

„Hallo Garak“, auch seine übliche Begrüßung. Garak blickte hoch und sah, zusätzlich zu der üblichen naiven Freundlichkeit, ein erfreutes Lächeln. Er sah auch einen Ansatz dieses geschulten Medizinermitgefühls, das flüsterte ‚Ich weiß, dass Sie ein Familienmitglied verloren haben, werde aber versuchen, Sie so wie immer zu behandeln‘.

Sonst aber nichts Ungewöhnliches. War es möglich, dass der Arzt davon ausging, dass Garak die Neuigkeit noch nicht gehört hatte?

„Sie sind zurück“, sagte Bashir und setzte sich. „Hatten Sie eine schöne Zeit auf Trill?“

„Sehr schön, danke“, entgegnete Garak seine übliche Halbwahrheit und lächelte zurück. „Und wie geht es Ihnen?“

„Gut“, sagte Bashir und nickte, als müsse er das bekräftigen.

Garak war es nicht gewohnt, direkte Fragen zu stellen (geschweige denn direkte Antworten zu geben), aber in diesem Fall dachte er, er könnte es riskieren: einfach, um zu sehen, wie sein langjähriger Bekannter reagieren würde. „Gab es irgend welche interessanten Geschichten während meiner Abwesenheit?“

Eines von Bashirs Augenlidern flatterte ein kleines bisschen, nur eine Sekunde lang. Garak hätte es unter normalen Umständen vielleicht übersehen. Jetzt aber lachte er innerlich.

„Nicht wirklich.“ Bashir zuckte mit den Schultern. „Ich habe aber ein paar interessante Geschichten gelesen. Kennen Sie die Romane von Kamal?“

Und bevor Garak eine weitere Fangfrage stellen konnte, hatte Dr. Bashir die Diskussion meisterhaft in Richtung eines alten cardassianischen Autors aus dem 17. Jahrhundert gelenkt.

Oh, er war gut. Und Garak konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, als er so aufgeregt gewesen war. Er hatte sich in dem Mann getäuscht, und zwar gründlich, und er müsste eigentlich frustriert sein, dass sich seine alten Fähigkeiten aus dem Obsidianischen Orden mangels praktischer Anwendung so verflüchtigten; statt dessen war er außer sich von Begeisterung, dass es hier doch tatsächlich jemanden gab, der es mit ihm aufnehmen konnte.

***

Am nächsten Morgen entdeckte er zu seiner großen Freude einen Vorwand, um Dr. Bashir in der Krankenstation zu besuchen. Es sah aus, als hätte er eine allergische Reaktion auf etwas entwickelt, das er von Trill mitgebracht hatte.

Dr. Bashir stimmte seiner Hypothese zu und kam mit ihm zum Geschäft zurück, um nach den Werten zu scannen, die er in einigen von Garaks Zellen gefunden hatte. Schon bald fanden sie heraus, dass in einem halben Dutzend der Stoffrollen, die er mitgebracht hatte, winzige blaue Spinnen in Scharen fröhlich vor sich hin gelebt und den Schneider gebissen hatten, wenn er etwas von ihrem Haus abschnitt.

“Was machen Sie jetzt damit?” fragte Bashir.

“Ah, ich fürchte, es heißt entweder Schädlingsbekämpfung oder rote Beulen auf meinen Händen“, sagte Garak. „Ich tendiere zu Ersterem.“ Er neigte den Kopf und sah den Arzt fragend an. „Mir scheint, es gab da ein zur Gelegenheit passendes Zitat von Ihrem guten Shakespeare. Irgend etwas mit Nähen und Spinnen?“

„Spinnen, die ihr künstlich webt / Webt an einem andern Ort“, zitierte Bashir, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Garak lächelte, und der Arzt warf ihm einen Blick zu. Da war es wieder, das zitternde Augenlid.

Bashir zuckte mit den Schultern. „Den Rest weiß ich nicht mehr.“

Garaks lächelte noch eine Spur mehr. „Gut, ich will Sie nicht von Ihren anderen Patienten abhalten. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe bei dieser Ermittlung.“

„Kein Problem. Viel Glück bei der Schädlingsbekämpfung.“ Und sein Freund lächelte dieses scheinbar sorglose Lächeln und verließ das Geschäft.

***

Eine ganze Woche lang spielten sie dieses Spiel. Garak wusste, dass Bashir sich mehr und mehr fragte, warum Garak anscheinend noch nichts gehört hatte, sah aber auch, dass der Arzt es genoss, mit jemandem Zeit zu verbringen, der ‚es noch nicht wusste‘.

Er selbst hatte nichts so sehr genossen in den letzten fünf Jahren. Er konnte kaum umhin, den Arzt bei jeder Gelegenheit zu necken: ihn ungenau zitieren lassen, historische Ereignisse falsch erinnern lassen, unlogische Schlussfolgerungen aus einem von Garak vorgetragenen Argument ziehen lassen, während sie ein Buch besprachen – es war alles einfach köstlich.

Der junge Arzt, das wurde Garak langsam klar, war ein solcher Experte im Lügen, dass er sogar einen Großteil seines eigenen Charakters unter etwas Neuem versteckt hatte. Bei Garak wussten alle, dass er ein Lügner war, und er genoss es zwar, die Leute und insbesondere das Sternenflottenpersonal zur Weißglut zu treiben. Aber selbst er musste zugeben, dass es etwas ganz anderes war, einen neuen Charakter zu erfinden. Den unschuldigen, naiven, albernen Dr. Bashir zu kreieren, weil der wirkliche Mann zu finster, zu berechnend war, um sich selbst zu ertragen – das war echte Kunst.
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