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Sturm 9.02 - Nur die Zeit zum Feind

von Gabi

Keine Zeit zum Nachdenken

Dienstschluss! Colonel Kira Nerys verhakte die Finger ineinander, streckte die Arme kerzengerade in die Höhe, bis ein leises Knacken in ihren Schultergelenken zu vernehmen war, und dehnte sich genüsslich. Die Tage, an denen sie Berichte und Anträge fast ausschließlich an ihren Sessel hinter den Monitor in ihrem Büro fesselten, spürte sie abends besonders in den Knochen. Ihr Körper war nicht zum Herumsitzen geschaffen. Während der Besatzung war sie immer auf den Beinen gewesen, als Erster Offizier war sie immer auf den Beinen gewesen. Erst seit sie vor etwa einem Jahr das Kommando über die Station übernommen hatte, verbrachte sie einen nicht zu geringen Teil ihrer Zeit hinter dem Schreibtisch. Und was für ein Jahr das gewesen war! Nicht nur in beruflicher Hinsicht hatte sich ihr Leben komplett umgekrempelt: Innerhalb kürzester Zeit hatte Bajor seinen Premierminister verloren, sowie das jahrtausendalte Verständnis für die eigene Religion; sie selbst war von ihrer rechten Hand ihres Postens enthoben worden, hatte einen von den Propheten auserwählten Liebhaber gefunden und war nun schwanger. Kira lächelte vor sich hin. Das war in der Tat genug Aufregung für den Moment. Es war gar nicht so übel, endlich wieder ein paar Tage in Ruhe verbringen zu können. Spätestens in einer Woche würde sie sich zwar wieder über die Routine aufregen und auf etwas Spannendes hoffen, doch im Augenblick genoss sie den voraussehbaren Alltagstrott. Der Großteil der Berichte und Aktivitäten betraf immer noch die Reparaturen an der Station. O’Brien hatte einen guten Monat dafür veranschlagt, in welchem sein Team rund um die Uhr arbeitete mit Priorität auf allem, was die Struktur der Außen- und Innenhülle betraf. Es war ein gewaltiger Kraftakt, den die Technikabteilung leistete. Kira war stolz auf ihre Leute und überlegte, ob sie alleine für O’Briens Leute eine Party im Quarks organisieren sollte. Sie hätten es sich auf jeden Fall verdient. Mit einem Lächeln setzte sie diesen Punkt auf ihre Agenda für morgen. Dann loggte sie sich aus, verließ das Büro und nahm den Turbolift zur Promenade.

Bareil war für ein paar Tage mit Captain Yates und der Xhosa mit einer Lieferung nach Cardassia Prime unterwegs, so dass sie ein wenig Zeit für sich hatte. Sie beschloss nachzusehen, ob eine von Quarks Holosuiten frei war. Leichter Ausgleichssport für ihre Muskeln wäre jetzt genau das Richtige. Nach wie vor war sie keine große Freundin von den virtuellen Zerstreuungsmöglichkeiten, welche die Programme boten. Jadzia Dax hatte sie immer wieder versucht dafür zu begeistern. Sie musste gestehen, dass es zeitweise recht amüsant mit ihrer Freundin zusammen gewesen war, aber eben nur mit ihr zusammen. Ezri war lieb und nett, doch sie war nicht Jadzia. Mit ihr gemeinsam könnte sie sich einen Besuch am Hofe König Artus‘ nicht vorstellen.

Mit Odo zusammen hatte sie dann die eher romantischen Programme kennengelernt. Doch auch das hatte sie nur dem Gestaltwandler zuliebe getan. Insgeheim war ihr nie so recht klar gewesen, was denn dagegen sprach, einen gemeinsamen Abend ohne Verkleidung in einem real existierenden Restaurant zu verbringen. Doch Odo hatte sich stets so rührend bemüht, dass sie es nie über das Herz gebracht hatte, ihn deswegen zu fragen.

Kiras Lächeln vertiefte sich und nahm eine melancholische Note an. Sie trat aus dem Turbolift auf die belebte Promenade hinaus. Das war der Nachteil an ruhigen Tagen: Sie hatte Zeit, über Vergangenes nachzudenken. Es kam ihr manches Mal so vor, als ob sie die einzige Konstante auf dieser Station war. Alle anderen Personen um sie herum traten in ihr Leben, nur um sie dann wieder zu verlassen. Es war ein ungerechter Gedanke Bashir und O’Brien gegenüber, doch mit beiden hatte sie nie diese innige Freundschaft verbunden wie mit Jadzia und Odo. Verlust und Veränderung waren ihre ständigen Begleiter während der Besatzungszeit gewesen und das hatte sich in keinerlei Hinsicht nach dem Abzug der Cardassianer geändert. Sie hatte für sich daraus gelernt, dass sie diejenigen Freundschaften, die sie zu einem gegebenen Zeitpunkt pflegte, hoch in Ehren hielt und nicht durch Nachlässigkeit trüben wollte.

Kiras Blick glitt über die Auslagen auf der Promenade. Odo hatte sich immer so viele Gedanken darum gemacht, ihr die richtigen Geschenke auszusuchen. In dieser Hinsicht war er noch unsicherer gewesen als Antos. Immer darauf bedacht, ihr alles recht zu machen. Sie hatten sich nie gestritten, solange sie zusammen gewesen waren. Ein Streit hätte Odo wahrscheinlich zu einem nicht enden wollenden grübelnden Rückzug animiert. Kira lächelte versonnen. Wie es dem Gestaltwandler nun wohl ging? Ob er glücklich war in seiner großen Verbindung? Ob er noch an sie dachte? Oder ob die Rückkehr zu seiner Spezies alle Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit ausgelöscht hatte?

Kira schüttelte energisch den Kopf. Sie hoffte inbrünstig, dass eine Holosuite frei war. Was sie jetzt brauchte, war Ablenkung von ihren melancholischen Gedanken. Kampfsportarten entfielen, das hatte ihr Bashir eindringlich geraten, ebenso Springball, was der Mediziner kurzerhand bei ihrer Spielweise ebenfalls unter Kampfsport eingeordnet hatte. Kira hatte ein Hochseilgarten-Programm im Auge, welches Jadzia ihr einmal vorgestellt hatte. Es war körperlich nicht sehr anstrengend, forderte aber ein hohes Maß an Konzentration und ließ keine gedankliche Ablenkung zu. Genau das, was sie jetzt brauchte. Ja, darauf freute sie sich. Zur Not würde sie ein wenig in der Bar warten, Quark würde es sicherlich irgendwie möglich machen, dass ihr Termin dazwischen geschoben werden konnte. Wozu war sie schließlich die Stationskommandantin? Ein breites Grinsen legte sich über ihre Züge bei diesen ketzerischen Gedanken. Ein paar entgegenkommende Bolianer sahen sie überrascht an. Kira nickte ihnen freundlich zu, um das Bild der manischen Kommandantin abzumildern, das sie eben sicherlich abgegeben hatte. Ja, sie freute sich auf den Balance-Akt im Hochseillabyrinth. Es wurde Zeit, dass sie Antos mit ein paar dieser Programme vertraut machte, damit sie einen weiteren Sportpartner außer Benteen hatte. Das Grinsen auf ihrem Gesicht wollte nicht abbrechen, als sie sich den schlaksigen Bajoraner in einem der Sportprogramme vorstellte … es wollte irgendwie nicht so recht passen. Sie war sich nicht sicher, doch sie schätzte ihn eher auf der sportlich faulen Seite ein.

Kira riss sich aus ihren Gedanken und schenkte ihrer Umgebung wieder mehr Beachtung. Irgendetwas hatte gerade eben nicht gestimmt. Für einen kurzen Moment wirkte alles anders. Sie konnte nicht sagen, was ihr dieses Gefühl verschafft hatte. Sie blickte sich um. Sie stand auf der Promenade, der Strom an Besuchern und Bewohnern scharte sich um die Auslagen der Geschäfte. Es war wie immer. Ein paar der Geschäfte kamen ihr wenig vertraut vor, doch das lag daran, dass sie sich nie zu sehr um die oft wechselnden Besitzer kümmerte. Ebenfalls eine Aufgabe, die Commander Benteen hervorragend beherrschte.

Ihr Blick glitt nach oben, wo sie durch die schmalen Streben der Galerie einen Blick auf eines der Aussichtsfenster erhaschen konnte. Der Himmelstempel war geschlossen! Das erste Mal seit der Vereinigung der Propheten mit den pah Geistern erleuchtete nicht das wirbelnde violette Gebilde die Aussicht. Kein Wunder hatte sie das Gefühl überkommen, dass sich etwas verändert hatte.

Sie wandte sich ab und machte sich auf den Weg zurück zur OPS, der Hochseilgarten musste warten. Vielleicht konnte die wissenschaftliche Station schon mit neuen Daten aufwarten.

Als sie die Frau in der Sternenflottenuniform auf sich zukommen sah, blieb sie wie angewurzelt stehen.

„Nerys, ich kann die Daten hier nicht find… Was ist?”

Kira starrte die Frau fassungslos an, die ihrerseits die Bajoranerin zweifelnd musterte. „Du wirkst irgendwie verändert.“ Die Frau in der Sternenflottenuniform warf unwillkürlich einen Blick auf die Zeitanzeige am oberen Rand des Padds, das sie in den Händen hielt. „Wie lange war ich denn weg?“

„Zu lange … viel zu lange“, hauchte Kira. „… Jadzia.“

* * *


„Chief, wie lange dauert das denn noch?”

O’Brien biss sich auf die Zähne, als der heiße Schmerz vom Punkt seines Scheitels über den Hinterkopf zwischen die Schultern raste. Der Klang der Stimme hatte ihn so unvorbereitet getroffen, dass er die Tatsache außer Acht gelassen hatte, dass er bis zur Hüfte im EPS-Leitungsschacht in der Technikgrube auf der OPS steckte. Die schmerzende Stelle mit der Hand reibend schielte er vorsichtig über seine Schulter zurück. Alles, was er sehen konnte, waren schwarze Standard-Sternenflotten-Stiefel, über denen sich die Beinbekleidung einer Standard-Sternenflottenuniform erhob.

„Ich …“ Er betrachtete den Spanner in seiner anderen Hand. Tatsache war, dass er keinerlei Erinnerung daran hatte, was er eigentlich im Leitungsschacht tat – oder warum er überhaupt hier war.

„Wo liegt das Problem, Chief?!“

Dieser Tonfall, so modulierend, so fließend – so ungeduldig. Er hatte ihn schon lange nicht mehr gehört. Die feinen Härchen auf den Unterarmen und im Nacken stellten sich auf als er vorsichtig rückwärts robbte. Es war völlig unmöglich, dass sich die Person, welcher diese Stimme gehörte, hier befand. Die dämpfende Eigenschaft der Schachtwände musste ihm einen Streich spielen. Aber wer …? Und warum erinnerte er sich überhaupt nicht daran, was er hier tat?

O’Brien zog den schmerzenden Kopf aus dem Schacht heraus, verlagerte das Gewicht von den Händen auf die Knie und richtete den Oberkörper auf.

Unter dem martialisch kahl geschorenen Schädel fixierten ihn ungeduldige, tiefdunkle Augen. „Und?“

„Ich …“ Verwirrt blickte sich der Chefingenieur um. Aus seiner knienden Position in der Technikgrube hatte er nicht die gesamte OPS im Blick, doch die Personen auf der oberen Galerie konnte er erkennen. Den grimmig dreinblickenden Klingonen in Sternenflottenuniform hatte er ebenfalls seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen. „Ich … würde gerne einen anderen Techniker hier drüber sehen lassen … Ich … ich fühl mich nicht besonders …, Captain Sisko.“

Die Ungeduld in der Miene des ehemaligen Stationskommandanten machte einem Stirnrunzeln Platz. „Sie sehen auch nicht gut aus, Chief. Sie sind so bleich als ob Sie einen Geist gesehen hätten.“

O’Brien rang sich ein schwaches Schmunzeln ab und murmelte: „Könnte passen.“

„In Ordnung.“ Sisko nickte mit dem Kinn in Richtung des Turbolifts. „Nehmen Sie sich den Rest des Tages frei – und suchen Sie Dr. Bashir auf, wenn Sie sich nicht besser fühlen.“

O’Brien nickte erleichtert. Während er seinen Kommunikator berührte, überlegte er fieberhaft, welche Mitglieder aus seiner Abteilung über die längste Zeit auf DS9 ihren Dienst getan hatten. Er wusste nicht, in welche Zeitschleife er hineingeraten war, und bevor er nicht wenigstens den kleinsten Anhaltspunkt hatte, was vor sich ging, wollte er nicht dadurch ungebührend auffallen, dass er nichtexistente Techniker kontaktierte.

„O’Brien an Kenzo …“

Er hatte Glück. Der Gesuchte meldete sich und versprach, sich sofort auf den Weg zur OPS zu machen. O’Brien raffte seine Instrumente zusammen, verstaute sie im Werkzeugkoffer und erhob sich endlich auf die Füße. Außer Sisko und Worf taten noch etliche andere Offiziere an den Stationen Dienst, die entweder den Krieg nicht überlebt hatten oder nach dessen Ende versetzt worden waren. Sie alle warfen ihm mehr oder weniger misstrauische Blicke zu. Er musste einen ausgesprochen verwirrten Eindruck hinterlassen.

Was daran lag, dass er ausgesprochen verwirrt war.

Er schenkte der Runde ein schräges, entschuldigendes Lächeln und eilte dann so rasch wie möglich die beiden kurzen Treppen hinauf und zum Turbolift.

„Ich leg mich dann mal hin … morgen ist sicher wieder alles in Ordnung.“

„Tun Sie das, Chief.“ Captain Sisko nickte noch einmal, dann versperrte der sich absenkende Turbolift den Blick auf das Herz von Deep Space Nine.

O’Brien atmete geräuschvoll aus. Er spielte kurzzeitig mit dem Gedanken, den Lift zu stoppen, um Zeit zum Nachdenken zu erhalten. Doch eine solche Aktion konnte im Endeffekt nur noch mehr Aufmerksamkeit auf ihn ziehen.

Kurze Zeit später trat er auf die wie stets vor Leben berstende Promenade hinaus. In all diesem geschäftigen, unaufmerksamen Treiben war endlich Zeit zum Nachdenken. O’Brien passte seinen Schritt automatisch dem Fluss der ihn umgebenden Personen an, während seine Aufmerksamkeit vollständig nach innen gerichtet war. Wann immer er war, er war nicht jetzt. Er versuchte sich das Letzte, was er getan hatte, bevor er sich den Kopf im EPS-Schacht gestoßen hatte, ins Gedächtnis zurück zu rufen. Hatte er aus Versehen etwas aktiviert, was diese temporale Verschiebung ausgelöst haben konnte? War die Station einer Kraft ausgesetzt gewesen? Hatte er eine unbekannte Person getroffen, die ihn eventuell temporal manipuliert hatte?

Nichts dergleichen fand sich in seiner Erinnerung wieder. Lediglich ein weiterer Tag mit Reparaturen an der beschädigten Station.

Offensichtlich hatte er sein dieszeitiges Ich ersetzt, wie er aus der Reaktion der anderen auf der OPS entnahm. Somit blieb ihm zumindest die Peinlichkeit erspart, auf sich selbst zu treffen. Aber was war mit den anderen? Was war mit Keiko, mit Molly? Sein erster Gedanke war es gewesen, sich in sein Quartier zurückzuziehen, um mit Hilfe des Computers dort in aller Ruhe herauszufinden, wann er war. Doch wenn seine Frau oder seine Tochter – und sein Sohn? War Kirayoshi bereits auf der Welt? – sich dort befanden, dann würde er es nicht schaffen, ihnen ein früheres Ich vorzuspielen. Jedenfalls nicht, bevor er sich über die Zeitlinie informiert hatte. Und die benötigte Ruhe würde er dann auch nicht finden.

O’Brien steuerte eine der Informationssäulen auf der Promenade an. Er gab seinen Sternenflottenautorisationscode ein, mit welchem er Informationen abrufen konnte, die dem zivilen Besucher der Station nicht zugänglich waren.

„Ungültige Autorisation.“

Er starrte das Display einen Augenblick verwirrt an, dann erinnerte er sich wieder daran, dass ihm nach seiner Rückkehr nach Deep Space Nine eine neue Autorisationsebene und ein neuer Code zugewiesen worden waren. Den alten Code hatte er so viele Jahre verwendet, dass er ihm glücklicherweise noch gut im Gedächtnis war.

„Computer, Aufenthaltsort von Keiko O’Brien.“

„Keiko O’Brien befindet sich nicht auf der Station.“

Der Chief ließ ein erleichtertes Aufstöhnen vernehmen. „Computer, wo befindet sich Molly O’Brien?“

„Molly O’Brien befindet sich nicht auf der Station.“

Eigentlich genügte diese Information, doch er startete noch einen letzten Versuch: „Computer, Aufenthaltsort von Kirayoshi O’Brien.“

„Eine Person dieses Namens ist nicht verzeichnet.“

Somit konnte er die Zeit schon einmal grob einschränken. Er packte seinen Werkzeugkoffer und machte sich eilig auf den Weg zum Habitatring.

* * *


„Was starrst du mich so an?“ Das nonchalante Lächeln Jadzia Dax‘ wankte ein wenig im Angesicht der offenkundigen Irritation ihrer Kollegin. Die nächste Frage Kiras trug nicht zur Besserung ihres seltsamen Gefühls bei.

„Wie bist du hierhergekommen?“

„Wie … ?“ Dax legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete die Bajoranerin. Ohne den Blick von Kira zu nehmen, deutete sie mit dem Daumen über ihre Schulter. „Ich bin dort hinten aus dem Turbolift gestiegen, habe beim Juwelier die Promenade überquert und habe dich dann hier gesehen …“ Ihr Blick nahm eine inquisitorische Note an. „Nerys, ist alles in Ordnung mit dir?“

„Mit mir?“ Kira lachte humorlos auf. Sie breitete die Arme zu einer stationsumfassenden Bewegung aus. „Jadzia, du solltest überhaupt nicht hier sein. Weißt du überhaupt, welches Jahr wir haben?“

„Ja, Nerys, ich weiß das.“

„2376…“

„2371…“

„Lass uns zum Terminal gehen …“

„Das wollte ich eben auch vorschlagen!“

Beide Frauen machten sich auf den Weg zur nächsten Informationssäule, auf welcher in sechs Sprachen alles Wissenswerte über die Station dargestellt war. Kira baute sich vor dem Terminal mit in die Hüften gestützten Händen auf, so als ob sie beabsichtigte, der Maschine alleine durch ihre drohende Gegenwart die gewünschte Information zu entlocken. „Computer, welches Datum haben wir heute? Angabe in Sol-Standard.“

„Heute ist der 25. März 2371“, erwiderte die mechanische Stimme unbeeindruckt.

Dax hob ihre Brauen zu einer Hab-ich-es-doch-gesagt-Mimik.

Kiras Miene verfinsterte sich. „Computer, wer kommandiert die Station Deep Space Nine?“

„Commander Benjamin Sisko, Sternenflotte.“

Commander Benjamin Sisko … Kira wandte sich von der Informationssäule ab. Ihre dunklen Augen weiteten sich, als sie erneut ihre eigentlich verstorbene Freundin anblickte. „Du bist gar nicht in der Zeit gereist.“

Dax hob die Schultern. „Als ich heute Morgen aufstand, sagte ich zu mir: Jadzia, für den heutigen Tag versuchen wir es einmal isotemporal.“

„Ich wünschte, das hätte ich mir auch vorgenommen“, murmelte Kira.

„Moment mal.“, Dax steckte das Padd in die Tasche ihres Overalls, um die Bajoranerin mit beiden Händen an den Oberarmen zu fassen. „Willst du mir sagen, dass deine Veränderung nicht von einer vorgezogenen Midlife-Krise herrührt, sondern dass du aus der … aus der Zukunft kommst.“

Kira nickte frustriert. „Wie es aussieht, fünf Jahre aus der Zukunft.“

Die Trill blickte sie fasziniert an. Es war nicht zu übersehen, dass Dax nach Anzeichen eines Scherzes oder von Übernächtigung fahndete. „Du meinst das jetzt ernst, oder?“

Ein erneutes Nicken war die Antwort. In einer plötzlichen Eingebung blickte Kira an sich hinunter. Ihre Kleidung musste eine andere sein … Doch ihr präsentierte sich der vertraute grobe Wollstoff ihrer alten Major-Uniform. Ein flüchtiges Streichen durch das Haar bestätigte ihr, dass dieses kurz geschnitten war. „Ich meine das tatsächlich ernst, Jadzia“, bestätigte sie. „Auch wenn die Äußerlichkeiten offensichtlich gegen mich sprechen.“

„Das ist ja … irre!“ Dax blickte sie mit ungläubiger Faszination an. Sie nahm eine Hand von Kiras Schulter und verstärkte den Druck der anderen, so dass sie die Bajoranerin in die von ihr gewünschte Richtung drehte. „Das bereden wir jetzt erst einmal bei einem anständigen Drink.“

Kira ließ sich von der Trill in Richtung Quark’s manövrieren. Während sie die Promenade entlang gingen, nahm sie ihre Umgebung bewusster wahr. Einzelheiten an den Auslagen und den Besuchern deuteten tatsächlich auf ihre Vergangenheit hin. Kein Wunder waren ihr manche Läden so unvertraut erschienen. Wie konnte es sein, dass sie sich plötzlich fünf Jahre in ihrer Vergangenheit befand? Sie hatte nichts mitbekommen, was einen plötzlichen temporalen Sprung ausgelöst hätte. Mit einem Schritt war sie in 2376 gewesen, mit dem nächsten in 2371, so als hätte sie eine unsichtbare Jahresgrenze überschritten. Das war nicht die Art von Abwechslung, die sie sich nach einem unaufgeregten Tag im Büro vorgestellt hatte.

Sie betraten die Bar und suchten sich einen abgelegenen Tisch auf der oberen Galerie. Als der Barbesitzer die beiden neuen Gäste bemerkte, machte er sich persönlich daran, deren Bestellung aufzunehmen. „Major, wenn ich das sagen darf, Sie sehen heute besonders gut aus“, bemerkte Quark mit anbiederndem Lächeln. „So feminin.“

Kira winkte ab. Was ein Angehöriger einer Rasse, deren Frauen genauso kahlköpfig wie die Männer waren, von bajoranischer Femininität verstand, war ihr ein Rätsel. Aber das war das Gesamtpaket Quark ohnehin meist, gleichgültig in welcher Zeit. „Danke, Quark. Bringen Sie mir bitte einen Wiera-Tee und einen Melonensaft … in getrennten Gläsern“, fügte sie noch hinzu, um einen exotischen Cocktail zu vermeiden.

Nachdem Dax ihre Bestellung ebenfalls aufgegeben hatte, starrte sie Kira entgeistert an. „Wenn ich bisher noch Zweifel an deiner Geschichte gehabt hätte, jetzt glaube ich es, dass du nicht von jetzt bist. Du warst höflich zu Quark und hast dich für ein Kompliment von ihm bedankt! Das habe ich noch nie erlebt.“

„Habe ich das?“ Kira schenkte ihr einen irritierten Blick. „Ich schätze, ich habe mich in den letzten Jahren ein wenig verändert.“

„Das kannst du laut sagen.“ Dax beugte sich über den Tisch nach vorne. „Jetzt fang von vorne an, wie kommt es, dass du hier bist?“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“ Sie unterstrich ihre Worte mit den Händen. „Ich hatte Dienstschluss, war auf dem Weg zu einem Sportprogramm … und dann bin ich dir begegnet. Das war alles. Kein Lichtblitz, kein Vortex, keine kurzzeitige Verdunkelung, keine ominöse Stimme … keine Ahnung!“

„Kurz bevor wir uns begegnet sind, warst du noch in deiner ursprünglichen Zeit?“

„Definitiv.“

„Okay.“ Dax berührte ihren Kommunikator und stellte eine Verbindung zum momentan diensthabenden Offizier an der wissenschaftlichen Station auf der OPS her. Sie wies ihn an, für den betroffenen Bereich der Promenade im Zeitfenster der letzten Stunde eine Level Eins-Überprüfung der Sensoren mit Schwerpunkt auf temporale Verzerrungen durchzuführen.

Als sie die Verbindung beendet hatte, lächelte sie Kira verschwörerisch zu. „So, und jetzt erzähl mal: Was ist alles los in den nächsten fünf Jahren.“

Die Augen der Bajoranerin weiteten sich. Du lernst einen Klingonen kennen und heiratest ihn, der Alpha-Quadrant gerät in den schwersten Krieg seiner Geschichte, und du wirst von einem verdammten pah Geist getötet, gerade als du erfahren hast, dass es möglich ist mit Worf ein Kind zu bekommen … „Das kann ich nicht, Jadzia …“, stammelte sie. „Ich darf dir nicht einmal sagen, was morgen passieren wird … wenn ich mich noch daran erinnern würde, wann morgen ist.“

Die Trill machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ja, klar, die temporale Direktive. Aber komm, Nerys, unter Freundinnen, so ein paar harmlose Kleinigkeiten …“

Kira machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch zu ihrer Erleichterung meldete sich in diesem Moment Dax‘ Kommunikator.

„Dax hier!“

Wir haben widersprüchliche Sensormessungen in dem von Ihnen angegebenen Zeitfenster verzeichnet, Lieutenant. Wir werden nicht so recht schlau daraus.

„Danke. Ich bin gleich bei Ihnen. Dax, Ende.“ Die Trill erhob sich. „Das hört sich doch schon einmal vielversprechend an. Kommst du mit auf die OPS?“

Kira schüttelte den Kopf. „Ich verspüre keinen Drang danach, auf mich selbst zu treffen.“ Sie wusste, dass es ihr in diesem Fall noch viel schwerer fallen würde, Zukünftiges zu verschweigen. „Ich werde versuchen, Antworten auf die bajoranische Weise zu finden. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier bei Quark’s.“

„Einverstanden.“ Dax grinste ihr noch einmal zu, dann verließ sie mit einem letzten Winken die Bar über den Ausgang zur oberen Promenaden-Galerie.

Kira blickte ihr nach, während sie nachdenklich an ihrem Tee nippte. Wie hatte es bloß geschehen können, dass diese lebenslustige Frau so jung hatte sterben müssen. Alles in ihr schrie danach, ihr nachzulaufen und sie vor ihrem Schicksal zu warnen. Doch was würde das nützen? Sie durfte nicht in die Zeitlinie eingreifen, schon gar nicht auf eine so gravierende Art und Weise. Der Versuch, Jadzia Dax zu retten, würde in die Vernichtung von Ezri Dax münden. Andererseits gab es auch die Theorie, dass nichts in der Vergangenheit die Zukunft in irgendeiner Weise beeinflussen konnte, weil die Zeitlinie immer wieder einen Weg finden würde, sich selbst richtigzustellen. Oder, dass jeder Eingriff die Geschichte in eine andere Realität ablenken würde, welche die bestehende gar nicht berührte. Danach müsste das Universum aus Myriaden von sich immer feiner verzweigenden Fäden bestehen. Die temporalen Theorien waren so unverständlich wie die Wissenschaftler, welche hüben wie drüben ihre Ansichten als die alleine gültigen verteidigten. Kira hasste temporale Theorie leidenschaftlich. So wie sie eigentlich allem Wissenschaftlichen skeptisch gegenüber stand, das sie nicht begriff – was eine ganze Menge war in Anbetracht der Tatsache, dass sie in ihrer Kindheit gerade einmal eine rudimentäre Schulbildung absolviert hatte, und sich ihr gesamtes Leben seitdem aus einer militärischen Laufbahn zusammensetzte.

Mit einem energischen Zug trank sie den Tee aus, stellte das leere Glas auf den Tisch zurück und erhob sich ebenfalls. Es hatte für sie in der Vergangenheit immer nur eine unumstößliche Gewissheit gegeben, und zumindest in dieser Zeitlinie existierte diese noch unbeeinflusst von den pah Geistern.

Mit ausholendem Schritt machte sie sich auf den Weg zum Stationstempel.

Die stets leicht würzig riechende Luft des Andachtsortes begrüßte sie. Bajoraner verbrannten zu jeder sich bietenden Gelegenheit Blätter und Kräuter, auch Kiras eigenes Quartier besaß stets diese unterliegende Geruchsnote. Kira liebte diesen Geruch, er bedeutete Heimat für sie.

Sie wollte einen der Stationsgeistlichen aufsuchen und diesem ihr Problem schildern. Es war bekannt, dass für die Propheten die zeitliche Linearität der Normalsterblichen keine Bedeutung hatte, und sie daher einen ganz anderen Blick auf das Werden und Vergehen der Humanoiden hatten. Kira war der Gedanke gekommen, dass ihre temporale Versetzung mit der Veränderung des Himmelstempels zu tun haben könnte, und damit mit den Propheten.

Sie hatte Glück. Als sie den Andachtsraum betrat, konnte sie einen Vedek ins Gebet versunken sehen. Er würde ihr eher helfen können als ein Prylar. Kira stellte sich neben den Eingang an die Wand und wartete höflich ab, bis der Geistliche mit seinem inneren Gespräch endete.

Als der Mann schließlich aufblickte, traf es Kira wie ein Blitzschlag. Sie starrte ihn an, unfähig einen Ton hervorzubringen, unfähig, ihren Beinen jedweden Befehl zu erteilen.

„Nerys!“ Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie ihren Namen auf diese Weise ausgesprochen hörte. Der erste Vokal beinahe vollständig verschluckt, der Klang sanft und fließend wie kostbare Seide. Eine Einladung, ein Versprechen … niemand hatte ihren Namen danach noch einmal auf diese intime Weise ausgesprochen. „Ich wusste nicht, dass dein Dienst bereits zu Ende ist…?“

„Vedek …“ Es kostete sie einiges an Kraft, sich von der Wand abzustoßen und den ersten Schritt in seine Richtung zu tun. „… Bareil … Antos!“

Er fing sie auf, als sie strauchelte. Gemeinsam gingen sie in die Knie. Kira lachte und weinte zugleich. Ihre Hände umfingen seine verwunderten Züge, ihre Finger liebkosten Wangen und Kiefer. „Ich habe dich so vermisst!“ Sie vergrub ihr Gesicht und ihre Tränen an seiner Schulter.

„Nerys.“ Seine leise Stimme an ihrem Ohr klang ausgesprochen irritiert. „Nerys, wir haben uns erst heute Morgen zum Frühstück gesehen. Was ist los mit dir? Was ist passiert? Du bist vollkommen durcheinander.“

Sie spürte die warmen Hände auf ihrem Rücken, die ihr immer so viel Geborgenheit geschenkt hatten, und in diesem Augenblick wusste sie, dass ihr die temporale Direktive nicht hätte gleichgültiger sein können. Vielleicht waren es tatsächlich die Propheten, die sie in der Zeit zurückgeschickt hatten. Vielleicht war sie dazu auserkoren etwas richtig zu stellen, was damals falsch gelaufen war – entsetzlich und unwiderrufbar falsch gelaufen …

Sie drückte sich ein wenig von ihm ab, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen, die ihre Sicht störten, fort. „Antos, hör mir zu. Was ich dir jetzt sage, ist von allergrößter Wichtigkeit und du musst mir einfach vertrauen. Wenn die Friedensverhandlungen mit Legat Turel beginnen …“

Sie strauchelte und wäre gestürzt, wenn sie ein vorbeigehender bolianischer Händler nicht geistesgegenwärtig an der Schulter gefasst hätte. Kira blinzelte. Sie befand sich mitten auf der bevölkerten Promenade.

„Ist alles in Ordnung, Colonel?“

Colonel? Kira blickte hinauf zur Galerie. Der Himmelstempel stand weit offen, seine violetten Wirbel schossen ins All hinaus.

„Ja … Danke … es ist alles so, wie es sein sollte … leider.“

* * *


Als die Türen sich hinter ihm geschlossen hatten, ließ O’Brien sich mit einem vernehmlichen Aufseufzen in den Sessel vor ihrem privaten Terminal fallen. Als erstes überprüfte er das Datum: 6. Oktober 2372. In einer Woche würden Keiko und Molly von Bajor zurückkehren und ihm mitteilen, dass er zum zweiten Mal Vater wurde. Trotz der verwirrenden Situation musste O’Brien bei dieser Erinnerung lächeln. Er war damals so eifersüchtig gewesen, dass seine erste Befürchtung tatsächlich gewesen war, der Vater sei einer von Keikos bajoranischen Kollegen. Glücklicherweise hatte er dies nie laut ausgesprochen. Keiko hätte ihm die Hölle heiß gemacht – zu recht. Das Datum im Blick lehnte er sich gegen die Rückenlehne des Sessels. Was nun? Sollte er Julian aufsuchen? Captain Sisko hatte ihm angeraten, sich untersuchen zu lassen. Ein Gang zur Krankenstation wäre also unauffällig und folgerichtig. Sollte er den Arzt ins Vertrauen ziehen? Sollte er einfach zur OPS zurückkehren und Captain Sisko berichten, dass er nicht aus dieser Zeit stammte? Er drehte den Sessel ein wenig, um etwas anderes als das Datum anzusehen. Sein Blick blieb auf einem von Keikos Bonsais hängen. Warum hatte er das eigentlich nicht sofort getan, warum hatte er nicht sofort Sisko ins Vertrauen gezogen? Er war so durcheinander gewesen, dass er nicht an das Naheliegendste gedacht, sondern die Flucht ergriffen hatte. O’Brien schüttelte den Kopf, dass seine Locken wippten und drehte den Sessel wieder frontal vor das Computerterminal: „Benutze dein Hirn, Miles!“, schalt er sich selbst. Noch während seine Hand den Kommunikator aktivierte, hatte er den Eindruck, dass sich im Augenwinkel die Form des Bonsai veränderte …

„O’Brien an Captain Sisko!“

Er erhielt keine Antwort. Irritiert erhob er sich aus dem Sessel. Die internen Kommunikationskanäle waren seit Jahren nicht verändert worden, davon hätte er gewusst. Sein Körper vollführte bereits die Drehung in Richtung Tür, als ihm bewusst wurde, dass sich nicht nur die Form des Bonsai, sondern die gesamte Art der Pflanze geändert hatte. Eine hohe Rankpflanze mit tellerförmigen, grüngelben Blüten hatte ein Spalier erobert, welches als dezenter Raumteiler fungierte. Er erinnerte sich noch gut daran, dass Keiko dieses Exemplar bei ihrem Wiedereinzug auf DS9 von der Erde mitgebracht hatte. Ebenfalls erinnerte er sich nun auch daran, wo er sich vor seinem temporalen Sprung befunden hatte, genau hier in diesem Sessel.

„Kira an O’Brien! Miles, ich brauche Sie im Besprechungsraum, sofort!“

Er ließ erleichtert die Luft ausströmen. Es sah ganz danach aus, als ob er wieder da war, wo er hingehörte. „Ich komme sofort, Colonel. Ich muss Ihnen etwas sehr Irritierendes berichten.“
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