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The Secrets We Keep

von Mijra

Kapitel 2 - Neue Freunde

Kapitel 2
"Neue Freunde"


*+..+*+..+* September 2362

Julian Bashir ließ langsam das PADD in seiner Hand sinken und verglich die Nummer auf dessen Display mit der auf der Tür vor ihm.

A407.

Unbeholfen stopfte er das PADD zurück in die Seitentasche seiner Reisetasche – die sich genau diesen Augenblick aussuchte, halbwegs von seiner Schulter zu rutschen – und beeilte sich, die Türglocke zu betätigen, während er ungeschickt versuchte, seine Sachen vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Nachdem keine Antwort zur hören war, aktivierte er kurzer Hand die Schaltfläche neben der Tür und wartete, bis diese mit ihrem vertrauten, leisen Zischen zur Seite glitt.

Fast hatte er erwartet, das Zimmer leer vorzufinden, da er viel früher als geplant hier angekommen war. Es war kaum halb sieben am Morgen, was wahrscheinlich auch der Grund gewesen sein mochte, warum die Dame an der Studenteninformation ihn misstrauisch und müde beäugt hatte, bevor sie ihm seine Anmeldebescheinigung und das PADD mit der Beschreibung zu seinem Quartier übergeben hatte. In den langen, hochgewölbten Korridoren in Richtung der Studentenquartiere war er nur ab und zu ein paar älteren Studenten über den Weg gelaufen und hatte sich unwillkürlich gefragt, wann wohl die ganzen Erstsemestler ankommen würden.

Er war an jenem Morgen früh aufgewacht und zu nervös gewesen, um irgendeinen Bissen zum Frühstück hinunterzubringen. Also hatte er einfach seine Sachen gepackt und den nächsten Shuttleservice aus der nebligen, langsam erwachenden Innenstadt von San Francisco zum säuberlich hergerichteten und geschäftigen Campus der Sternenflotten Akademie genommen, der wie ein pulsierendes Zentrum am Rande der alten Stadt lag. Sein Herz hatte aufgeregt in seiner Brust geklopft, als er den großen Gebäudekomplex der Akademie mit seiner einzigartigen und strengen Atmosphäre betreten hatte. Es war alles so… ungewohnt und groß. Als ob er mit einem Mal eine Welt betreten hätte, die sich gänzlich von seiner gewohnten Umgebung unterschied. Als ob er aus seinem alten Leben getreten wäre, hinein in einen Traum, von dem er nie wirklich geglaubt hatte, dass er einmal wahr werden würde. Alles war einfach so riesig und beeindruckend; und er kam sich dabei so klein und unbedeutend vor. Und völlig fehl am Platz…

Er versuchte seine Reisetasche so gut es ging mit einer Hand zu halten, während er sich ungeschickt durch die Tür seines neuen Quartiers zwängte – nur um eine weitere Person dort vorzufinden, die bereits hektisch durch den Raum lief. Nicht, dass man in dem Zimmer so viel herumlaufen konnte. Sein Quartier war verhältnismäßig klein und besaß nur zwei getrennte Betten, zwei Schreibtische und eine Tür, die wahrscheinlich ins Badezimmer oder eine anderen Abstellkammer führte. Das große Fenster vor ihm direkt über den Schreibtischen bot einen beeindruckenden Ausblick über den grünen Campus. Selbst jetzt, noch so früh am Morgen, konnte er schon Gruppen von uniformierten Studenten sehen, die eilig über das satte Grün liefen.

Leicht überrascht über die Tatsache, dass er nicht der erste war, blieb Julian stehen und räusperte sich hörbar.

Sein Gegenüber, ein junger Mann, der so aussah, als wäre er etwa im selben Alter, wirbelte erschrocken zu ihm herum. Seine Augen wurden mit einem Mal größer, als er Julian in der offenen Tür stehen sah. „Oh, Entschuldigung! Ich hab dich gar nicht gehört. Komm rein.”

Er war groß, mit kurzem, lockigen Haar und einer großen, schwarzgerahmten und altmodischen Brille. Wozu sie gut war, konnte Julian beim besten Willen nicht sagen. Vielleicht hatte der junge Mann auch nur einen merkwürdigen Sinn für Mode; niemand trug heutzutage noch Brillen. Nicht im 23ten Jahrhundert. Er fragte sich unwillkürlich woher der junge Mann wohl das Replikatormuster für so ein altmodisches Ding hatte. Tatsächlich glich er, so schlank er war und mit der großen Brille im Gesicht, einem jener überdimensionalen Andorianischen Seevögel mit ihren langen Hälsen und den schwarzen Kulleraugen, die sie einmal in der Schule durchgenommen hatten. Die offensichtliche Nervosität des jungen Mannes machte das Bild perfekt. Unsicher und etwas verlegen, als würde er sich auf ein Mienenfeld begeben, trat Julian in das Zimmer.

„Du kannst das Bett auf der linken Seite haben“, platzte es aus dem jungen Mann ohne große Umschweife heraus und er zeigte auf einen der beiden Schlafplätze, als wäre Julians Zögern eine Einladung, das Eis zu brechen. „Ich schlafe lieber mit der Wand auf meiner linken Seite, falls es dir nichts ausmacht. Oh, und du kannst den Schrank dort drüben haben“, sagt er, als er unruhig durch das Zimmer lief und Julian nur umso mehr an den Andorianischen Seevogel in freier Wildbahn erinnerte.

Einige lange Sekunden starrte Julian den anderen jungen Mann nur wie vor den Kopf geschlagen an, bevor er sich schließlich zusammenriss und das Zimmer durchquerte, um seine Sachen auf dem freien Bett abzuladen. Er hatte nur das nötigste mitgenommen; der Rest seiner Sachen würde mit dem Transport am Nachmittag eintreffen.

„Oh, und übrigens, darf ich mich vorstellen: Ich bin Alan“, sagte der braunhaarige junge Mann und schüttelte Julians Hand. Einen Augenblick später hatte er sich auch schon wieder dem Auspacken seiner eigenen Sachen gewidmet und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Sag mir bitte nicht, dass das hier mein neuer Mitbewohner ist… dachte Julian bestürzt und sah seinen neuen Zimmerkameraden an, als wäre alles eine Art schlechter Witz.

„Ich nehme an, du bist auch einer der neuen Medizinstudenten, oder?“, fragte Alan, als er plötzlich innehielt und sich in Julians Richtung drehte. Verdutzt nickte Julian und wurde das Gefühl nicht los, als wäre er in irgendeinem merkwürdigen Verhör gelandet. Alan verschränkte die Arme über seiner schmächtigen Brust und kam langsam näher.

„Hab ich mir gedacht. Also wirst du auch Arzt, so wie ich.“ Der junge Mann musterte ihn von Kopf bis Fuß als würde er beurteilen, ob Julian wirklich gut genug war, den gleichen Karriereweg wie er selbst einzuschlagen. Doch dann nickte er. „Wir sind Zimmergenossen“, meinte der junge Mann in einem Ton, als handle es sich dabei um eine besonders schlechte Nachricht. „Ich hab mir schon gedacht, dass sie Studenten vom selben Kurs zusammenstecken. Macht das Lernen und alles einfacher, denke ich mal. Und außerdem würde es ja nicht wirklich Sinn machen, sein Zimmer mit einem Ingenieur zu teilen, oder?“ Damit nahm er ein PADD vom Tisch und überflog dessen Inhalt. „Lass uns mal sehen. Es gibt einen Einführungskurs später am Morgen. Wir müssen zusehen, dass wir da sind, bevor er beginnt. Du weißt schon, mit all den neuen Studenten und so. Da müssen wir uns ein paar gute Plätze sichern. Und ich möchte auf keinen Fall zu spät zu unserer ersten Unterrichtseinheit kommen.“

„Okay“, war alles, was Julian herausbrachte. Er war noch immer leicht abgeschreckt von der Aussicht, die nächsten paar Jahre mit jenem jungen Mann zu verbringen, der ganz offensichtlich auf der falschen Seite des Operationstisches stand. Mit dem ganzen Sack an Neurosen im Gepäck sollte eigentlich er es sein, um den man sich kümmern sollte.

„Wie war noch gleich dein Name?“, zog Alan eine Braue nach oben und holte Julian aus seinen Gedanken zurück.

Julian verzog das Gesicht. „Das hab ich dir noch gar nicht erzählt.“ Aber als er den verletzten Gesichtsausdruck Alans bemerkte, fügte er sofort mit einem Stich an Schuld hinzu: “Julian.”

Alan nickte finster, und schob fast unbewusst seine große Brille auf der Nase nach oben. Und zum ersten Mal bemerkte Julian, dass sein Zimmergenosse Alan hinter seiner Herr Ich-weiß-schon-alles Fassade nicht weniger nervös und eingeschüchtert war hier zu sein, als Julian selbst. Darum lief er ruhelos auf und ab und versuchte nicht darüber nachzudenken, was bald schon auf sie warten würde. Er konnte anscheinend nicht einfach still dasitzen und auf das unausweichliche warten. Nicht, dass Julian es ihm verübeln konnte.

Als Julian das erste mal einen Monat zuvor zur medizinischen Fakultät der Sternenflotte gekommen war, um sich für das kommende Semester einzuschreiben, hatte ihn die fremde Umgebung sprichwörtlich überwältigt. Starfleet Medical, die Atmosphäre hier und die Studenten waren alle so anders, als er es von seiner normalen Umgebung gewohnt war. Und nur der Gedanke daran, dass auch er bald ein Teil von all dem hier sein würde, hatte seine Knie weich werden lassen. Und selbst jetzt, nachdem er ganz offiziell als Student der Akademie aufgenommen worden war, fühlte er sich immer noch unwohl, wenn er in Mitten der höheren Semester die Gänge von Starfleet Medical entlangschritt. Er erinnerte sich daran, wie ihm seine Mutter gesagt hatte, er sollte sich keine Sorgen deswegen machen; dass es alles eine Art Lampenfieber war, jetzt wo er endlich anfing, auf seinen eigenen Füßen zu stehen. Sie musste einfach damit Recht haben. Zumindest redete er sich das ein.

Schließlich war seine Aufnahme bei Starfleet Medical nicht mehr und nicht weniger als der Beginn des großen Abenteuers, das er sich immer gewünscht hatte.

“Ich kann dir die Klassenzimmer zeigen, wenn du willst. Du hast deinen Stundenplan schon bekommen, oder?“, meinte Alan und versucht dabei unbekümmert zu klingen, während er wieder einmal seine altmodische Brille die Nase nach oben schob.

Julian wühlte durch seine Tasche und zog ein weiteres PADD hervor. „Heute Morgen findet eine Einführung statt, und danach geht es weiter mit Exobiologie Eins…“, meinte er abwesend, als er das Memo überprüfte.

“Gut”, kommentierte Alan knapp. “Das bedeutet dann, dass wir im selben Kurs sind.”

*+..+*+..+*

Als Julian und Alan das große Auditorium betraten, auf dessen Türdisplay in großen Buchstaben das Wort Einführungskurs stand, war der Raum bereits erfüllt mit aufgeregten Gesprächen und nervösem Gelächter. Die langen Reihen des nach vorne hin abfallenden Hörsaals waren gefüllt mit jungen Männern und Frauen in Kadettenuniformen. Die meisten von ihnen saßen geballt irgendwo in der Mitte des Raumes, wie eine große, schutzsuchende Menge, die sich gegenseitig Mut zusprach. Doch sie hatten Glück. Einige Plätze der hinteren Reihen ihrer Linken schienen noch frei zu sein. Julian stieß Alan kurz mit dem Ellenbogen an, ihm zu folgen. Ein kurzer Ausdruck offener Erleichterung fiel auf das angespannte Gesicht seines neuen Freundes, als er Julian folgte, der sich einen Weg durch die Menge an aufgeregten Studenten bahnte.

Julian schob sich mit mehreren Entschuldigungen an den anderen Studenten vorbei, bis er voller Erleichterung auf der anderen Seite der großen Traube angekommen war. Als er sich an einem der freien Plätze hinsetzte und sein PADD auf den Tisch legte, drehte sich die junge Frau auf dem Platz neben ihm zu Julian um und schenkte ihm ein nervöses Lächeln. Eine Gruppe anderer Studentinnen neben ihr unterhielt sich lebhaft miteinander, aber anscheinend gehörte sie nicht zu ihnen.

„Hi,“ meinte Julian und versuchte, seine Anspannung etwas zu lockern. „Ich bin Julian. Und das hier ist Alan.“ Er zeigte auf seinen Zimmergenossen, der auf seinen Platz gesunken war und nun die große Masse an Studenten im Hörsaal ansah, als stünde er Sekunden vor einem Herzinfarkt.

Das Lächeln der jungen Frau wurde breiter. Sie war ganz offensichtlich asiatischer Abstammung, ihre leuchtenden dunklen Augen so schwarz wie ihr Haar. „Ich bin Marin.“ Sie nickte auch Alan zu, der schließlich den Blick von dem Meer an Studenten abwandte und ihr zum ersten Mal seine Aufmerksamkeit schenkte.

„Medizinstudium?“

Julian nickte nur, immer noch nicht ganz sicher, was er sagen sollte. Zumindest schien er nicht der einzige zu sein, der von ihrer neuen Umgebung eingeschüchtert war.

“Ich auch”, meinte die junge Frau leicht verlegen und mit einem schiefen Lächeln. „Es ist Wahnsinn, oder?” Trotz ihrer offensichtlichen Nervosität, funkelten ihre Augen vor Aufregung.

„Ich habe es mir nie so… groß vorgestellt“, gab Julian wahrheitsgetreu zu und ließ seinen Blick über die große Anzahl an Studenten im Auditorium gleiten. Das also waren seine neuen Kommilitonen… Er fragte sich unwillkürlich wie viele von ihnen nach den sieben Jahren, die man bis zum Abschluss des Medizinstudiums hier braucht, wohl noch übrig wären. Er hatte viele Gerüchte über die Akademie gehört. Von denen viele nicht gerade ermutigend waren.

„Man sagt, dass nur etwa die Hälfte der Studenten es bis ins letzte Jahr schafft“, platzte es plötzlich aus Alan heraus. „Und das liegt nicht nur an den Prüfungen. Es sind die Lehrer. Es gibt da diesen einen speziellen vulkanischen Wissenschaftler. Er unterrichtet interkulturelle Biologie und er scheint ein richtiges Monster zu sein.“

Julian und Marin warfen ihm einen zweifelnden Blick zu.

„Nein, im Ernst“, flüsterte Alan, der langsam aber sicher die Nervosität zu Kopf stieg. „Man sagt, er lässt seine Studenten absichtlich durchfallen. Zumindest die, die er nicht mag.“

„Aber…“, fing Julian an, als eine tiefe und sonore Stimme plötzlich das Auditorium erfüllte.

„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten.“ Auch das letzte Gespräch und das letzte Flüstern der versammelten Studenten verebbte fast augenblicklich. Eine Gruppe von Damen und Herren war vor das Auditorium getreten, ihren Uniformen zufolge Offiziere der Sternenflotte. Ihre Haltung allein ließ die Anwesenden in ehrfürchtiges Schweigen verfallen. Beinahe alle Männer und Frauen trugen blaue Uniformen, was sie als medizinische oder wissenschaftliche Offiziere auswies. Ein weiterer trug rot. Er war der erste, der das Rednerpult erklommen hatte und die versammelten Studenten nun mit ernster Miene ansprach. Selbst aus der Entfernung vermittelte er eine strenge Aura von Autorität.

Der Mann räusperte sich. „Meine lieben Studenten. Mein Name ist Admiral Nathan Kaminsky und ich darf Sie alle herzlich an der medizinischen Fakultät der Akademie der Sternenflotte hier in San Francisco begrüßen. Ich nehme an, viele von Ihnen haben bereits Ihre neuen Quartiere bezogen. Vielleicht haben Sie auch schon den ein oder anderen Freund gefunden. Ich bin stolz darauf, so viele neue Gesichter hier zu sehen; ein jeder von Ihnen von dem Gedanken angetrieben, ein Mitglied der Sternenflotte zu werden. Wie Sie bereits wissen, werden wir eine offizielle Einführungszeremonie heute Abend in der Haupthalle des Campus abhalten. Aber lassen Sie mich bereits eines sagen: Wir sind stolz darauf, Sie hier zu haben. Jeden einzelnen von Ihnen.“

Mit einem kurzen versichernden Nicken in Richtung der anderen Offiziere im Hintergrund, richtete Admiral Kaminsky seine Aufmerksamkeit erneut auf das Auditorium. „Aber bevor wir mit dem offiziellen Teil der Zeremonie beginnen, möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick geben, was Sie in den nächsten paar Jahren hier überhaupt erwarten wird. Ich denke viele von Ihnen sterben schon vor Neugier, was das neue Leben hier mit sich bringen wird…“ Mit diesen Worten rief er einige Informationen auf dem großen Bildschirm auf, der über den Köpfen aller Anwesenden im vorderen Teil des Raumes hing, und verschränkte dann beide Arme hinter dem Rücken. „Nun, lassen Sie uns ganz von vorne beginnen…“

Der Einführungskurs dauerte mehr als zwei Stunden und machte die versammelten Studenten mit ihrer neuen Umgebung vertraut; mit den Regeln und Anforderungen, die ihr neues Leben als angehende Sternenflottenoffiziere mit sich brachte. Man gab ihnen Hinweise, wie sie sich an der Akademie zurechtzufinden und an wen sie sich wenden konnten, wenn sie einmal Hilfe benötigten. Die notwendigen Kurse für das erste Jahr wurden vorgestellt und der Stundenplan für die kommenden zwei Semester umrissen. Am Ende der zwei Stunden schwirrte Julian vor der Flut an neuen Informationen der Kopf und er fühlte sich nur noch unsicherer als zuvor. Nach allem, was Admiral Kaminsky ihnen erzählt hatte, würde es kein Kinderspiel werden, daran bestand kein Zweifel. Und sieben Jahre waren eine lange Zeit. Konnte er sich die Abschlussfeier vorstellen, bei der er seinen Doktortitel verliehen bekam, um dann als echter Offizier der Sternenflotte auf eine Reise ins Unbekannte aufzubrechen? Konnte er sich vorstellen, wie er auf einem Raumschiff oder einer Raumstation diente? Nun, während er in der Schlange vor dem Replikator der Cafeteria in Mitten einer Traube an lachenden Studenten stand, war es sicherlich schwer. Aber unzählige andere Studenten hatten es bereits vor ihm geschafft. Es konnte nicht so schwer sein, oder? Trotzdem wollte das Gefühl von Unsicherheit einfach nicht vergehen.

Nach einem schnellen Mittagessen mit Marin und Alan und zwei anderen Erstsemestlern in der überfüllten Cafeteria, beeilten sie sich noch rechtzeitig zur ersten Unterrichtseinheit in ihrer brandneuen Karriere als Sternenflottenoffiziere zu kommen: einem Kurs mit dem exotischen Titel „Exobiologie Eins“.

Wenn Julian ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er nicht die leiseste Ahnung, um was es dabei ging, denn er hatte völlig vergessen, seinen Stundenplan an diesem Morgen näher zu konsultieren. Er war mit den Gedanken ganz woanders gewesen, als er den Shuttleservice vom Hotel zur Akademie genommen und in Ehrfurcht dabei zugesehen hatte, wie das Gelände seiner neuen Heimat immer näher auf ihn zugekommen war; und damit jeden Gedanken an eine Vorbereitung für den Unterricht an diesem Tag im Keim erstickt hatte. Alles war so neu und ungewohnt, dass es ihm schwer fiel, sich zu konzentrieren.

Er bereute es ein wenig, die Inhaltsbeschreibung der ersten Unterrichtseinheit nicht nachgelesen zu haben, aber als er in die angespannten Gesichter von Marin und Alan sah, war er sich sicher, dass er nicht der einzige war, der nicht die leiseste Ahnung hatte, was in den nächsten eineinhalb Stunden auf sie warten würde. Julian warf zur Sicherheit noch einmal einen Blick auf den kleinen Computerbildschirm neben der Tür, bevor sie in den Klassenraum hineineilten und sich nebeneinander in eine Reihe in der Mitte des Raumes setzten. Julian legte sein PADD auf den Tisch, warf einen schnellen Blick auf den Chronometer und atmete erleichtert auf, dass sie sich auf dem Weg zur ersten Unterrichtsstunde zumindest nicht verlaufen hatte.

Nur wenige Minuten später erschien ein Mann mittleren Alters in der Tür - diesmal nicht in Uniform, sondern in einem langen, weißen Laborkittel – der Julian mehr an einen Wissenschaftler erinnerte, als einen Dozenten. Das Gesicht des Mannes war eine unlesbare Maske als er mit steinerner Miene durch die Reihen der Studenten schritt. Er ließ die Unterlagen und das PADD, das er mitgebracht hatte, entschlossen auf seinen Tisch vor der Menge fallen und warf einen kurzen, abschätzenden Blick über die versammelten Studenten. Sein Haar war bereits ergraut, obgleich es schwer zu sagen war, wie alt der Mann wirklich war. Selbst während er schwieg strahlte er eine strenge Autorität aus, die selbst das letzte Tuscheln in Windeseile verebben ließ. Sein Gesichtsausdruck blieb hart, als er sich schließlich räusperte.

Alan an Julians Seite versteifte sich; er schien von der Anwesenheit des Mannes eingeschüchtert, wie ein Kaninchen vor einer Schlange. Julian warf einen kurzen, unsicheren Blick zu Marin, die nur mit den Schultern zuckte.

„Mein Name ist Edwards“, meinte der ältere Mann und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. „Und von heute an, werde ich für euren Exobiologie Unterricht zuständig sein. Exobiologie wird nicht das einzige Fach sein, in dem wir uns sehen. Wie einige von euch vielleicht schon wissen, werde ich euer Lehrer für Molekulare Zellbiologie wie auch für einige weitere Fächer sein, die ihr vielleicht gerne auf eurem Stundenplan nachsehen möchtet.“

Seine durchdringenden blauen Augen glitten aufmerksam durch den Raum, als würde er sich das Gesicht jedes einzelnen Studenten einprägen. Sein prüfender Blick ließ Julian unwillkürlich einen Schauer über den Rücken laufen.

„Heute Morgen im Einführungskurs haben sie euch wahrscheinlich gesagt, dass ihr es langsam angehen und euch Zeit lassen sollt, euch an eure neue Umgebung zu gewöhnen. Aber in Wahrheit haben wir nur wenig Zeit und bestimmt keine zu verlieren. Wir haben nur sieben Jahre, euch auf das Unbekannte, das dort draußen auf euch warten wird, vorzubereiten.“ Er runzelte die Stirn. „Genau aus diesem Grund erwarte ich von euch, dass ihr pünktlich zu euren Unterrichtsstunden erscheint. Ich werde euch keine Punkte geben, wenn ihr zu spät kommt. Ihr seid Erwachsene, keine Kinder mehr. Ihr wurdet von niemandem gezwungen, an diesem Kurs teilzunehmen, oder der Sternenflotte beizutreten. Ihr seid hierhergekommen, weil es euer eigener Wunsch war. Es war eure Wahl und eure freie Entscheidung, und ich möchte, dass ihr euch in den nächsten Jahren, die wir zusammen verbringen, daran erinnert.“

Niemand wagte es zu sprechen.

„Ihr werdet Prüfungen ablegen. Regelmäßig. Und wenn ich herausfinde, dass ihr euch nicht für den Unterricht vorbereitet habt oder wenn ich herausfinde, dass ihr eure Aufgabe nicht ernst nehmt, dann werdet ihr dafür die Konsequenzen tragen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Alle Köpfte nickten gleichzeitig.

“Gut”, sagte Edwards und begann langsam mit hinter dem Rücken verschränkten Armen hin und her zu laufen. „Ich möchte eure ungeteilte Aufmerksamkeit. Ihr seid hier um etwas zu lernen. Und so lange ich für euren Unterricht zuständig bin, werdet ihr das. Das verspreche ich euch.“

Damit drehte er sich um und aktivierte sein PADD. Mit einer schnellen Handbewegung schaltete er den Bildschirm im vorderen Teil des Klassenzimmers ein. „Fangen wir von vorne an. Was ist Exobiologie und was werdet ihr im kommenden Semester lernen?“ Während Edwards die paar Buchstaben auf den Bildschirm schrieb, starrte Alan mit finsterem Blick auf dessen Rücken. Blut war ihm ins Gesicht geschossen und er sah aus wie ein Kind, das gerade von seinen Eltern zurecht gewiesen worden war. Die Entrüstung stand ihm im Gesicht geschrieben.

„Was war das jetzt gerade eben?“, flüsterte er halb verärgert mit einem vernichtenden Blick auf seinen neuen Lehrer. „Wir sind seine Studenten. Nicht seine Untergebenen. Und wir sind hier nicht beim Militär!”, brodelte er leise.

„Eigentlich sind wir das schon…“, kommentierte Marin nüchtern und sah dabei nicht von ihrem PADD auf, während sie Edwards Beispiel folgte und die wenigen Informationen auf dem Hauptbildschirm abschrieb.

Julian verkniff sich ein belustigtes Lächeln.

„Das ist nicht komisch, Julian!“, zischte Alan. „Ich möchte die nächsten Jahre nicht im Unterricht von diesem Psychopathen verbringen!“

Eine sonore Stimme, die wie ein aufziehendes Gewitter durch die Stille des Klassenzimmers hallte, schnitt jeglichen Beschwerde ab, die in jenem Augenblick noch von Alan hätte kommen können.

„Was gibt es dazu reden? Ich habe euch gesagt, dass ihr aufpassen sollte und nicht eure eigenen kleinen Privatgespräche führen sollt.“

Julian sah erschrocken auf. Ebenso Alan.

Als Julian den Kopf hob, sah er mit einer Mischung aus Überraschung und Bestürzung, dass Edwards geradewegs durch die Tischreihen auf sie zusteuerte. Innerhalb einer Sekunde wusste Julian, dass er in Schwierigkeiten steckte. Edwards verlangsamte seine Schritte, bis er vor ihnen aufragte, wie ein Schatten, der jeden Moment über ihnen zusammenzubrechen drohte. Sein Gesicht war hart wie Stahl und allein der missbilligende Blick in seinen strengen Augen genügte, um Julians Herzschlag aussetzen zu lassen.

„Raus mit euch beiden“, befahl Edwards ohne große Vorrede oder auch nur mit der Wimper zu zucken.

Julian warf Alan einen unsicheren Blick zu, völlig unsicher, ob Edwards es wirklich ernst meinte. „Aber…“

Edwards blickte finster zu ihm herab und schnitt ihn mitten im Satz ab. „Raus, habe ich gesagt. Das gilt für euch beide. Ich werde mich nicht wiederholen.“

Es kam so unerwartet wie ein Schlag ins Gesicht.

Julian spürte, wie sich mit einem Mal die Augen aller Studenten auf ihn richteten; unwillkürlich schoss ihm das Blut ins Gesicht. Doch nur ein weiterer Blick in Edwards grimmiges Gesicht reichte, seinen Mut dahinschmelzen zu lassen. Edwards meinte es ernst. Julians Herz klopfte zum Zerspringen, als ihm der Ernst der Situation langsam bewusst wurde. Er wagte es nicht, sich der Anordnung seines Lehrers zu widersetzen und fing an, unbeholfen und wortlos seine Unterlagen zusammenzusammeln. Unzählige Augen sahen ihm dabei zu, wie er sich erhob, eine kurze Entschuldigung murmelte und dann in Richtung Tür lief; zu verlegen und bestürzt um sich in jenem Moment zu verteidigen. Während er durch die erdrückende Stille des Klassenzimmers lief, hörte er die Schritte einer weiteren Person hinter sich. Er blieb nicht stehen, bis er hörte, wie die Klassenzimmertür sich hinter seinem Rücken schloss.

*+..+*+..+*

„Er hätte euch nicht einfach rauswerfen sollen! Das war… wirklich lächerlich.“

Marin nippte an einem Becher heißer Milch und sah ihre zwei neuen Freunde mit einem Ausdruck ehrlicher Sorger an. Um sie herum unterhielten sich Studenten in Grüppchen und versuchten, ihre kurze Freizeit zwischen den Unterrichtseinheiten sinnvoll zu nutzen. Sie saßen in der Cafeteria – einem der wenigen Orte, mit denen sie bereits vertraut waren – nachdem ihre erste Unterrichtsstunde vorüber war. Nun, eigentlich hatte nur Marin ihre erste richtige Unterrichtsstunde absolviert. Für Alan und Julian hatte sie in einer kompletten Katastrophe geendet, bevor sie überhaupt wirklich begonnen hatte.

Julian saß niedergeschlagen über seinen Kaffee gebeugt, völlig am Boden darüber zerstört, wie schlecht sein erster Tag an der medizinischen Fakultät der Sternenflotte verlaufen war. Nein, so hatte er es sich wirklich nicht vorgestellt. Alles lief komplett falsch. Eigentlich war er derjenige, der keine Probleme hatte. Er war gut im Lernen. Er war ein guter Schüler. Und er hatte die Schule zuhause mit Auszeichnung absolviert. Er hatte sich so auf die Sternenflotte gefreut. Alle waren so stolz auf ihn gewesen, als er verkündet hatte, dass er zum Medizinstudium aufgenommen worden war. Er war so voller Erwartungen gewesen, als er heute Morgen auf dem Campus angekommen war.

Und nun das hier.

„Ich kann diesen Edwards jetzt schon nicht leiden“, murmelte Alan in seinen Kaffeebecher. Seine Brille war beschlagen vom Dampf des Kaffees und sein Gesicht düster vor Erniedrigung und Wut.

Marin seufzte. „Er ist wirklich nicht so schlimm… Ich meine, er ist wirklich gut. Er weiß sehr viel über die Dinge, die er unterrichtet. Ihr hättet seine Erklärung zur vulkanischen Physiologie hören sollen.“

Alan warf ihr einen dunklen Blick zu. „Wie hätten wir? Er hat uns rausgeworfen bevor wir die Chance hatten zu sehen, was er neben dem Terrorisieren seiner Studenten noch kann.“

Marin verdrehte die Augen.

„Nein, im Ernst. Wir sind nicht bei Starfleet Medical. Wir sind in einem Militärcamp. Und er ist der Aufseher. Ich wette, er hatte vorhin seinen Spaß“, brummte Alan missmutig.

Die junge Frau verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Wenn du nicht zu reden angefangen hättest, kurz nachdem er uns gesagt hat, wir sollen leise sein, hätte er dich und Julian nicht rausgeworfen.“ Sie zog eine Augenbraue nach oben um ihre Worte zu unterstreichen.

Julian starrte nur ausdruckslos auf das PADD in seiner Hand. Wenn sie Exobiologie nur nicht so oft in der Woche hätten. Und nicht nur Exobiologie. Edwards war auch für Neurobiologie zuständig… und Molekulare Zellbiologie… was bedeutete, dass es nicht einen Tag in der Woche gab, an dem sich ihre Wege nicht kreuzten. Sieben Jahre? Er stand jetzt schon kurz vor dem Aufgeben.

Julian seufzte und rieb sich die müden Augen.

„Wir werden einfach das Beste daraus machen!“, versuchte Marin ihn aufzumuntern.

„Ja, lass uns versuchen, einen dieser berühmten bolianischen Attentäter in die Finger zu kriegen…“

„Alan!“ Marin sah den jungen Mann warnend an, nicht ganz sicher, ob seine Worte wirklich nur als Spaß gemeint waren. Dann drehte sie sich zu Julian, der noch immer nicht viel zur eigentlichen Konversation beigetragen hatte, und schenkte ihm ein gutmütiges Lächeln.

„Es ist ja nicht so, als ob er der Mittelpunkt unseres Lebens hier wäre. Er ist nur ein Lehrer von vielen. Und wenn wir seinen Unterricht nicht stören, und all unsere Vorbereitungen machen, dann haben wir nichts zu befürchten, oder? Ich meine, es wird sicher anstrengend werden, aber er verlangt nichts Unmögliches von uns.“

Julian erwiderte das Lächeln schwach. Zumindest war er nicht allein. Sie würden es schaffen. Irgendwie. Auch wenn er noch nicht genau wusste wie. Aber mit Marin und Alan an seiner Seite, war alles nur halb so schlimm. Und vielleicht hatte Marin recht. Es war schließlich gerade mal ihr erster Tag hier. Und es lag noch so viel vor ihnen.

Als er seinen Blick über die halb gefüllte Cafeteria schweifen ließ, und die Sternenflotten Studenten, die draußen über den Campus liefen, fühlte er einen Anflug von Aufregung. Ja, dies hier war erst der Anfang. Es lag noch so viel vor ihnen.

„Außerdem gibt es schließlich einen Grund, warum wir hier sind. Bist du bereit aufzugeben, nur weil es hier eine Person gibt, mit der du nicht zurechtkommst? Wir wollten der Sternenflotte beitreten, und wir wollten Ärzte werden“, meinte Marin entschlossen.

„Ja und natürlich die besten!“, warf Alan mit stolzer Brust ein. „Ich habe mir geschworen, der beste Arzt zu werden, den die Sternenflotte je hatte. Und ich bin bereit alles dafür zu tun, was nötig ist. Das ist mein Traum. Darum bin ich hier!“ Er grinste triumphierend, als wären seine Worte allein genug um seinen größten Alptraum – verkörpert durch Edwards – in die Flucht zu schlagen.

„Was ist mit dir, Julian?“

Julian sah auf. „Mit mir?“, fragte er leicht verwirrt. Doch als er in die erwartungsvollen Gesichter seiner neuen Freunde blickte, wusste er plötzlich, was sie von ihm hören wollten. Den Grund, warum er sich an der medizinischen Fakultät der Sternenflotte eingeschrieben hatte…

Er war sich nicht sicher. Er war schon immer Klassenbester gewesen und Starfleet Medical hatte sich wie eine logische Schlussfolgerung daraus ergeben. Er war schon immer von dem Beruf des Arztes fasziniert gewesen. Seine Lehrer, seine Freunde, alle hatten ihn dazu ermutigt. Und er hatte schon immer nach einem Abenteuer gesucht, nach etwas aufregendem. Es hatte ihn nicht wirklich überrascht, dass er schlussendlich hier gelandet war. Irgendwie hatte sich einfach alles so ergeben. War es sein Traum, Arzt zu werden? Er war sich nicht sicher. Er hatte es noch nie so betrachtet…

Aber als er zu Marin und Alan sah, bezweifelte er, dass es das war, was sie von ihm hören wollten. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, machte es sowieso keinen Unterschied. Also lächelte er schief und meinte: „Geht mir genauso.“

Wie erwartet schien Marin begeistert von seiner Antwort zu sein. „Okay, dann sind wir uns also einig. Wir werden nie zulassen, dass sich jemand zwischen uns und die Verwirklichung unseres Traums stellt!“

„Das kannst du zweimal sagen”, grinste Alan und nahm sein Tablett, um es zurück zum Recycler zu bringen. Marin und Julian folgten ihm. Sie waren fast draußen im Korridor, als Marin plötzlich innehielt und aufgeregt beide Hände zusammenrieb, als würde sie sich gerade an etwas Wichtiges erinnern. „Oh, wegen des ganzen Aufhebens um Edwards hätte ich es beinahe vergessen! Aber wisst ihr was? Ich habe gehört, dass wir heute Abend bei der Einführungszeremonie einen besonderen Gast haben werden. Ihr erratet nie, wer die Eröffnungsrede halten wird!“ Marins Augen leuchteten wie die eines kleinen Mädchens.

Alan zuckte nur mit den Schultern. Und Julian warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Er wird es sein“, zwinkerte Marin ihnen zu. „Der berühmteste Doktor der Sternenflotte, den es jemals gegeben hat.“ Und damit eilte sie glücklich in Richtung der Quartiere für die weiblichen Offiziere und ließ Julian und Alan leicht verwirrt im Korridor zurück.
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