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Fünf Abschiede und ein Neubeginn

von VGer

MEGHAN

MEGHAN

Ich renne. Ich renne seit Stunden, seit dem ersten roten Alarm, der mich aus dem Bett gebeutelt hat und seither nicht verklingen will. Ein guter Offizier rennt nicht, ein guter Offizier geht gemessenen Schrittes voran, hat man uns auf der Akademie beigebracht.

Ich renne hinunter in die Stellarkartographie. Meine Schwester wurde verwundet, haben sie mir gesagt, sie ist kollabiert, doch als ich ankomme, haben sie sie schon längst weggebracht. Ich soll für sie übernehmen und ich übernehme für sie. Ich übernehme, denn Lieutenant Tolaris ist tot. Ich mache mir Sorgen, obwohl ich weiß, dass ich keine Zeit habe mir Sorgen zu machen. Ich starre tumb auf die Anzeigen, auf die Koordinaten, auf die Berechnungen, und nichts ergibt mehr Sinn. Ich reibe mir die Augen und stelle fest: Es liegt nicht an mir, es liegt nicht am System, es liegt daran, dass nichts mehr Sinn ergibt. Ich versuche mich zu konzentrieren, ich starte die Programme neu und stelle eilig neue Berechnungen an, doch nichts ändert sich.

Wir sind im Deltaquadranten. Wir könnten genausogut in der Hölle oder in der Andromeda-Galaxie gelandet sein, es würde nichts ändern. Das sage ich natürlich nicht, als ich eine Kommverbindung zur Brücke aufrufe und den Bericht durchgebe. Captain Janeway klingt fast enttäuscht, ich auch.

Neben mir steht eine der Sensortechnikerinnen, der Nase nach ist sie Bajoranerin, und sie glotzt ebenso blöde auf die Anzeigen wie ich. Sie scheint verunsichert zu sein, ich kenne ihren Namen noch nicht, und sie meinen wahrscheinlich nur deshalb, weil jeder diensteifrige Crewman auf einem neuen Posten sich über seine Vorgesetzten informiert noch bevor er sich über seine Aufgabenbereiche informiert. Ich bin mir sicher, dass sie deshalb so verunsichert ist, weil die Sanitäter vor ein paar Minuten jemanden mit meinem Gesicht weggetragen haben, schließlich stehe ich vor ihr und blute nicht. Ich bin inzwischen daran gewöhnt. Soll heißen, ich bin daran gewöhnt ständig mit Jenny verwechselt zu werden. Nicht daran, dass Jenny auf der Krankenstation liegt … daran will ich nicht einmal denken. Ich muss mich konzentrieren und feststellen, dass ich nichts ändern kann.

„Crewman …“
„Crewman Tal, Ma’am. Tal Celes.“

Ich weiß natürlich, dass es als Offizier meine Aufgabe ist, meinen Untergebenen ein Vorbild zu sein, dass ich ihnen den Weg weisen und ihnen wenn nötig beistehen muss, vor allem in kritischen Situationen – doch für Höflichkeiten habe ich jetzt weder Zeit noch Nerven. Es tut mir Leid für sie, aber ich kann es nicht ändern.

„Übernehmen Sie für mich, Crewman Tal. Ich habe etwas zu erledigen, ich bin jederzeit über den Kommunikator erreichbar, wenn Sie meine Unterstützung benötigen. Ich bin in zwanzig Minuten wieder da, und wenn der Captain fragt, sagen Sie ihr, ich bin auf der Krankenstation.“

Sie nickt, stumm und dumm und völlig perplex. Ich bin weg, bevor sie noch etwas sagen kann. Alles ist viel zu chaotisch im Moment. Wir können nichts ändern, nicht in der Stellarkartographie, das ist die Angelegenheit der Brückenoffiziere.

Ich renne auf die Krankenstation, ein Wunder, dass ich den Weg dorthin überhaupt finde. Das Bild, das sich mir bietet, muss den kranken Gehirnwindungen von besonders fantasievollen Holoromanautoren entsprungen sein, anders kann das nicht möglich sein. Ich bleibe im Türrahmen stehen, hustend und fassungslos. Ich sehe nicht richtig, denke ich, doch ich sehe richtig, und das ist kein Feldlazarett der alphacentaurischen Kolonistenkriege, von denen ich in der Schule viel zu viel gelernt habe, das ist tatsächlich die Krankenstation eines Raumschiffs der Sternenflotte.

Ich halte mir instinktiv die Hand vors Gesicht, um den beißenden Geruch von Plasmabränden und versengtem Fleisch zu überdecken, doch es ändert nichts. Ich huste wieder, es reckt mich. Über das konstant gellende Heulen des roten Alarms höre ich die Schreie, schmerzerfüllt und verzweifelt. Ich sehe mich um, obwohl ich nicht wage, mich umzusehen. Ich sehe blutverschmierte Körper überall, und auch welche, die bereits mit Laken bedeckt sind. Was ich sehen will, sehe ich nicht, und ich hoffe, dass das nicht daran liegt, dass ihr Gesicht schon mit einem Laken bedeckt wurde.

Und dann sehe ich sie. Ihre Haare sind zerzaust, ihre Uniform ist zerrissen, ihr Blick ist leer, auf ihrer rechten Wange trocknet Blut in schwarzbraunen Krusten und ihr linker Arm hängt in einer Schlinge.

„Meghan, verdammt, du stehst im Weg! Mach dich nützlich oder verschwinde!“

Es ist nicht ihre Stimme, die mich anschreit. Sie klingt plötzlich wie eine der stämmigen, brutalen Krankenpflegerinnen im Hospital unserer Heimatprovinz, vor denen wir uns als Kinder immer so geängstigt haben. Sie hat mich schon so oft angeschrien, sie ist schließlich meine Schwester, doch so hat sie dabei noch nie geklungen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, ich bin zu froh sie zu sehen, doch das scheint sie nicht einmal zu registrieren.

„Jenny … Jennifer!

„Es geht mir gut, okay? Ich bin am Leben! Mach dir keine Sorgen, Meg, mach dich nützlich!“

Sie verschwindet geschäftig hinter einem Schrank voller Medizinprodukte, ich bleibe blöd im Eingang stehen. Vor ein paar Jahren, wir waren noch nicht einmal mit der Sekundarschule fertig, ist unser Bruder George bei einem besonders idiotischen Rennen mit seinem Podracer verunglückt. Damals ist sie zusammengebrochen weil sie kein Blut sehen konnte, und ich habe geduldig seine Verbände gewechselt während er wieder zu Kräften kam. Jetzt scheint sie in ihrem Element zu sein und ich bin es nicht. Ich kralle mich am Türrahmen fest und übergebe mich, vor Entsetzen oder vor Erleichterung, ich weiß es nicht.

„Raus hier, Meg, nichts wie raus hier, du hast hier nichts verloren. Und die da nimmst du mit.“

Jenny packt mich bei der Schulter, richtet mich mit strenger Miene auf, und dann schubst sie mich vorwärts, während die Türen sich wieder öffnen und mein Erbrochenes verwischen bevor der nächste Patient hereintaumelt.

Ich stehe einer jungen Frau gegenüber, die noch erstarrter im Weg steht als ich selbst. Sie ist ein Mensch ungefähr in meinem Alter, und ganz offensichtlich unverletzt, denn ihre Uniform ist sauber und ordentlich, bis hin zu dem einzelnen blankpolierten Rangabzeichen am Kragen. Ihre blauen Augen starren ins Nichts, hohl und starr, und als ich versuche mit ihr zu sprechen antwortet sie nicht. Ratlos lege ich ihr eine Hand auf die zitternde Schulter und ziehe sie nach draußen auf den Korridor, sie stolpert, doch als die Türen sich schließen riecht es wenigstens nicht mehr nach Leid und Tod.

„Ich bin Meg. Ich soll mich um dich kümmern. Sag mir, was passiert ist, sag mir, was ich für dich tun kann. Es ist alles in Ordnung, ich bringe dich in dein Quartier wenn du mir sagst wo du wohnst.“

Ich stottere. Ich bin überfordert. Ich habe das Katastrophentraining im zweiten Akademiejahr mit Bestnote bestanden, es hat mir sogar richtig viel Spaß gemacht, doch das ist nichts im Vergleich dazu. Das ist die Realität, das ist das Grauen, keine Übung und auch kein Spaß. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt. Sie murmelt etwas Unverständliches, ich nehme sie in den Arm und frage nach, sie murmelt noch einmal, diesmal etwas verständlicher. Ihr Quartier ist auf demselben Deck wie unseres, im selben Korridor sogar. Wie die meisten Nachbarn und Kollegen habe ich sie noch nicht kennen gelernt, doch wenigstens weiß ich jetzt, was ich tun muss. Ich führe sie zum Turbolift, sie taumelt, ich halte sie fest.

Ich renne nicht, ich gehe Schritt für Schritt, ganz langsam, passe mich an sie an. Ihr Quartier ist gegenüber von meinem, sie schafft es gerade noch, den Öffnungsmechanismus der Tür zu aktivieren. Ihre Hände zittern. Ich halte sie fest, bis sie aufs Bett fällt, immer noch ohne ein Wort gesagt zu haben. Ich breite die Decke über sie aus, drücke kurz ihre Schulter (was auch immer passiert ist, das wird sie bestimmt nicht aufmuntern, ich tue es trotzdem), ich streiche ihr die Haare aus dem Gesicht, sie fühlen sich seidig weich an. Es ist eine befremdlich intime Geste, vor allem da ich nicht einmal ihren Namen kenne. Ich weiß nicht ob es Schlaf oder Apathie ist, was sie umhüllt hat, ich verstehe nichts von all dem was passiert ist und ich kann es nicht ändern.

Als ich aufsehe, bemerke ich das Holo auf der Kommode. Zwei junge Frauen in legerer, sommerlicher Zivilkleidung, engumschlungen und strahlend, vor einer exotischen Kulisse (vielleicht Risa?). Eine ist eindeutig sie, nur glücklicher, die andere hat schwarze Augen und ebenso schwarzes langes Haar, und sie küsst ihre Wange. Ich glaube, ich habe sie schon einmal gesehen, in Uniform allerdings, auf der Brücke. Ich verstehe plötzlich … ich will es nicht verstehen müssen, es ist zu unverständlich.

Mein Kommunikator piepst, Crewman … wie hieß sie noch gleich? Ach, auch egal, jedenfalls braucht sie meine Hilfe, sie klingt noch verzweifelter als vorher. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen.

Ich gehe neben dem Bett in die Hocke, sehe die junge Frau, deren Namen ich nicht kenne, hilflos an. Sie weint nicht, sie starrt einfach nur ins Leere. Ich will sie trösten, irgendwie, ich weiß nicht wie.

„Es tut mir so unglaublich Leid.“

Meine Stimme bricht mit einem heiseren Krächzen, ich meine was ich sage und es hört sich doch unglaublich falsch an. Plötzlich muss ich Tränen zurückbeißen; Tränen, die sie nicht weinen kann.

Ich muss rennen.



(Und das, liebe Kinder, ist die Geschichte wie ich eure Tante Mac kennengelernt habe.)
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