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The Wayward Wind

von Melui

Daredevil

2 • Daredevil


Leonard übernahm freiwillig als einer von zweien die Nachtschicht, er brauchte nicht viel Schlaf und außerdem genoss er die Stille, durchbrochen nur vom Zirpen der Grillen, dem Schnaufen der schlafenden Rinder und dem dumpfen Geräusch der Hufe seines Pferdes. Jenkins blieb am Feuer, auch das war Leonard nur recht. Im gemächlichen Schritt umritt er die Herde, die Tiere lagen ruhig dicht an dicht, keine Spur von Nervosität.

Erst in der vorletzten Nacht hatte es eine Panik gegeben, das war, wenn es nach Leonard ging, genug für den ganzen Viehtrieb. Für diese Nacht hatte er bisher einen Kojoten verscheucht, ansonsten hatte sich nichts getan. An dem Punkt seiner Runde, der am weitesten vom Lager entfernt war, zügelte Leonard Peaches, schloss die Augen und lauschte in die Dunkelheit. Letztes Jahr waren sie einige Meilen von hier von Indianern überrascht worden, die Pferde und Vieh auseinander getrieben und gestohlen hatten. Gut möglich so etwas geschah noch einmal, der Viehtrieb von Texas aus nach Abilene war kein Geheimnis. Dennoch, in dieser Nacht war es unwahrscheinlich, Leonard schalt sich selbst für seine Unruhe, die sich auch auf Peaches übertrug. Es war eine dunkle Nacht, nur ein dünner Sichelmond und sehr bewölkt, wenig Sicht. Man musste schon verrückt sein, in so einer Nacht irgendetwas zu versuchen, aber bei den verfluchten Rothäuten wusste man nie.

Stundenlang ritt Leonard seine langsamen Runden, schaltete dabei jeden Gedanken ab. Es war eine ruhige und beruhigende Stille, in solchen Momenten liebte er diesen Job, auch wenn er allmählich müde wurde. Aber noch zwei oder drei Runden und er konnte ohnehin Quinn wecken als Ablösung.

Es passierte, als er sich dem Lagerfeuer bei seiner letzten Runde für diese Nacht wieder näherte und es ging ganz schnell. Einige Schüsse, Pferde im wilden Galopp, das reichte schon, um die Rinder in Panik ausbrechen zu lassen. Leonard riss Peaches herum und trieb sie an, pfiff außerdem nach den Hunden. Die anderen würden von dem Tumult schon ganz allein wach werden, eine türmende Herde hunderter Rinder war nicht zu überhören. Wieder hörte er Schüsse. Indianer? Viehdiebe? Eigentlich war es völlig gleichgültig, so oder so scheuchten sie die gesamte Herde auf und der Plan ging einwandfrei auf, so riskant er war. Leonard jagte der Spitze der Herde hinterher ohne sich zunächst um die Ursache für die Panik zu kümmern.

Auf halber Höhe sah er sie, drei, vier, fünf schattenhafte Gestalten auf Pferden, die gekonnt einen Teil der Herde abspalteten. Das war so waghalsig und dreist, dass Leonard für einen Augenblick die Luft wegblieb – waghalsig und mutig, oder eben unendlich dumm. Und dennoch, unglaublicherweise, schien es tatsächlich zu gelingen. Er preschte vorbei und konnte doch nichts dagegen machen, als ein paar Mal sinnlos hinter ihnen her zu schießen, er war viel zu weit weg und es war zu dunkel für gezielte Schüsse. Die Kontrolle über die Herde wiederzugewinnen, war weitaus wichtiger.

Leonard erreichte die Spitze der Herde, drängte die ersten Tiere ab, dann war Jenkins da, zwei oder drei der anderen außerdem und zusammen lenkten sie die Leittiere herum, bremsten sie ab. Das war der Moment, in dem Leonard entschied, dass er hier nicht mehr gebraucht wurde. Das war auch der Moment, in dem die Wut anfing zu brodeln. Unter der Nase weggestohlen, mehrere Dutzend Rinder, nein, das konnte er nicht einfach so hinnehmen. Er lenkte sein Pferd herum, trieb sie erneut an. Mit so vielen Rindern konnten die Viehdiebe noch nicht allzu weit gekommen sein und auch wenn Peaches schweißgebadet war, noch hielt sie durch.

Er galoppierte zurück, fand die ungefähre Stelle, an der er die Viehdiebe zuletzt gesehen hatte und lauschte in die Nacht, aber das Trampeln der Herde und Schreien seiner Kollegen verschluckte fast jedes andere Geräusch. Wenn er den Hund nur nicht bei der Herde gelassen hätte… Leonard seufzte. Das hier war fast aussichtslos, mitten in der Nacht und bei so tiefer Dunkelheit, aber zumindest kannte er das Gelände ein wenig und da die Diebe die Rinder nach links abgedrängt hatten, auf die Berge zu, gab es nur eine ungefähre Richtung, die sie genommen haben konnten. Mit der Zunge schnalzend trieb Leonard sein Pferd erneut in einen leichten Galopp.

Minuten später hörte er tatsächlich etwas, so viele halb irre Rinder ließen sich eben nicht lautlos entführen. Leonard ritt schneller, die Geräusche wurden deutlicher, er holte auf. Vielleicht war es ja tatsächlich noch nicht zu spät, wenn auch, wurde ihm bewusst, völlig wahnsinnig, allein einer Diebesbande hinterherzuhetzen aus verletztem Stolz heraus. Unbedachte Hals über Kopf-Aktionen waren normalerweise so gar nicht seine Art. Vorsichtshalber zog Leonard den Revolver.

Er hörte ihn nicht kommen, nicht über das schnelle Klappern von Peaches Hufen und den pfeifenden Wind hinweg. Der Mann war kaum mehr als ein Schatten auf einem ebenso dunklen Pferd, der urplötzlich neben ihm auftauchte, neben ihm herpreschte, dicht an dicht, und ihm mit einem gezielten Hieb den Revolver aus der Hand schlug. Leonard hatte nicht mal Zeit, auf irgendeine Art zu reagieren, da drängte der Andere ihn im gestreckten Galopp nach rechts ab, fasste ihm in die Zügel und riss daran. Peaches sprang buckelnd zur Seite, stolperte mehrfach übel und befreite sich damit zumindest aus dem Zugriff des anderen Reiters. Leonard parierte sie durch, wollte sie rasch wenden, da war der Andere schon wieder zur Stelle. Verdammt auch, der Kerl ritt wie der Teufel! Er ließ sein Pferd um Peaches herumtänzeln, immer aufmerksam darauf bedacht, Leonard jeden Weg hinter den gestohlenen Rindern her zu versperren, die Hand am Revolver, das war sogar in der Dunkelheit zu erkennen, wenn auch sonst nicht viel. Ein schwarzer Poncho verhüllte die Gestalt, das Tuch über Nase und Mund und der Hut verdeckten das Gesicht.

Leonards Gedanken überschlugen sich. Wenn er nicht an diesem Typen vorbeikam und das schnell, würde er die Rinder nicht wiederfinden. Von den anderen hatte vermutlich keiner etwas mitgekriegt, sie hatten genug mit der Herde zu tun. Bis zum Tagesanfang wären die Viehdiebe samt Beute fort, die Spuren verwischt – das war zweifellos die Aufgabe des Kerls, der ihn gestellt hatte. Vielleicht könnte er, wenn er schnell genug war- Aber nein, der Andere hatte den Revolver schneller gezogen, als Leonard den Gedanken vollenden konnte, und lachte rau auf.

„Heute nicht, mein Freund. Du bleibst bei mir.“ Seine Stimme klang ein bisschen heiser und gedämpft durch das Tuch vor seinem Mund. Er lachte schon wieder. Irgendetwas an ihm irritierte Leonard, aber er kam nicht darauf und dann sprach der Andere schon weiter. „Ein kleines bisschen noch. Du darfst mich derweilen auch nach Belieben verfluchen.“

Nun, der Wunsch konnte ihm erfüllt werden. „Verdammter Hurensohn“, zischte Leonard. Das heute, das war eindeutig nicht sein Tag. „Wer bist du?“

„Mit verdammt dürftest du richtig liegen, die Behauptung über meine Mutter verbitte ich mir, obwohl…“ Er überlegte kurz. „Womöglich trifft es das auch ganz gut. Wer ich bin? Captain Starlight nennen sie mich in dieser Gegend.“

„Das klingt absolut lächerlich“, schnaubte Leonard.

„Findest du, ja?“ Sein Gegenüber trieb sein Pferd vorwärts, wieder ganz dicht heran, lehnte sich dann sogar ein Stück herüber. Wäre es heller gewesen, er hätte ihm direkt ins Gesicht sehen können, so sah er nur Schatten. „Eher ist es ziemlich lächerlich, dass du meinst, du allein könntest uns aufhalten. Wirklich witzig.“

Leonard sah die Bewegung zu spät, da schlug ihm der Viehdieb schon den Revolver gegen den Schädel. Alles wurde schwarz.

*

Als er mit pochenden Kopfschmerzen aufwachte, lag er mitten in der Pampa zwischen den leicht bewaldeten Hügeln und erinnerte sich im ersten Moment nicht, wie er hierher gekommen war. Die Morgensonne stach ihm in die Augen, also bedeckte er sie mit einer Hand und setzte sich auf.

Der Viehdieb, genau. Hatte ihm mit dem Revolver dem Gefühl nach den halben Schädel zertrümmert. Die Erinnerung an den nächtlichen Überfall und die Verfolgungsjagd im Dunkeln kehrte langsam zurück. Verdammt nochmal, das war auch keine seiner klügeren Ideen gewesen. Stöhnend rappelte Leonard sich auf. Keine zehn Meter entfernt hob Peaches schnaubend den Kopf, ein Büschel bräunliches Gras im Maul und kam auf Zuruf mit hängenden Zügeln auf ihn zugetrottet. Irgendwie hievte Leonard sich in den Sattel, verwarf den Gedanken, nach seinem verlorenen Revolver zu suchen gleich und machte sich auf den Rückweg.

Immerhin fand er den problemlos. Nicht viel später hörte er das Trampeln von Hufen und die Rufe seiner Kollegen und als er über den Hügel ritt, sah er unter sich auch die Herde. Die Tiere hatten sich wieder beruhigt und wie es auf den ersten Blick aussah, waren auch nicht allzu viele bei der Panik verloren gegangen. Oder sie hatten mittlerweile alle wieder zusammengetrieben. Leonard hielt nach Jenkins Ausschau, während er langsam auf die Herde zuritt, entdeckte ihn schnell und bei ihm – er traute seinen Augen kaum – eine vertraute Gestalt. Der Junge aus der Siedlung! Der war auch der erste, der Leonard bemerkte und sofort auf ihn zuhielt.

„Hey Cowboy!“

Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Leonard fuhr sich mit der Hand über die Augen, aber als er wieder hinsah, war es immer noch Jim, der da auf einem großen rauchgrauen Pferd auf ihn zugetrabt kam. So ein Pferd konnte er sich leisten, aber den Arzt nicht bezahlen, ah?

„Sie vermissen dich schon.“ Obwohl Jims Gesicht immer noch reichlich lädiert aussah, strahlte er wie die Sonne höchstpersönlich und war so ekelhaft gut drauf, dass Leonard ihm allein dafür am liebsten eine verpasst hätte. Als hätte Jim etwas von seinen Gedanken mitbekommen, wurde das Grinsen durch ein Stirnrunzeln und eine kurze Musterung ersetzt. „Was ist denn mit dir passiert?“

Leonard winkte unwirsch ab. „Was hast du hier verloren?“

„Ich helfe.“ Schon wieder hatte Jim ein Lachen auf den Lippen und deutete über die Schulter zurück, wo nun auch Jenkins auf sie aufmerksam geworden war. „Er ist ziemlich sauer.“

Jenkins konnte ihn mal am Arsch lecken, dachte Leonard bei sich und ritt ihm dennoch entgegen. Jim folgte ihm, registrierte er und wenn er da nicht schon zu Jenkins aufgeschlossen hätte, hätte er den Jungen mit ein paar deutlichen Worten weggeschickt.

„Was macht er hier?“, fragte er stattdessen den anderen Cowboy und deutete auf Jim.

„Er hat uns geholfen, die verstreuten Rinder zusammenzutreiben“, erklärte Jenkins mürrisch und wies fahrig über die Rinderherde. „Wir konnten jeden Reiter gebrauchen, besonders nachdem du beschlossen hast, den einsamen Rächer zu spielen.“

„Ich habe die Diebe verfolgt“, gab Leonard zurück und ärgerte sich gleichzeitig, dass er sich rechtfertigte. „Und bin in einen Hinterhalt geraten.“

Das war nah genug an der Wahrheit. Jim hinter ihm hustete und als Leonard über seine Schulter zurückblickte, sah er ihn grinsen. „Hätte dich gar nicht für einen Draufgänger gehalten, Doc“, kommentierte der Junge frech.

„Ich auch nicht“, stimmte Jenkins zu, klang dabei aber deutlich verärgert. „Das war ne echt beschissene Aktion. Sinnlos und wir hätten dich hier gebraucht.“

„Man sollte meinen, ein paar Rinder unter Kontrolle zu halten, schafft ihr auch ohne mich.“

„Gentlemen“, Jim schloss zu ihnen auf und ließ sein Pferd sich zwischen ihre schieben. „Ist doch nochmal alles gutgegangen. Wie sind die Verluste?“

„Zu verkraften“, knurrte Jenkins im selben Moment, in dem Leonard „zu groß“ sagte. Jim hob beide Augenbrauen, nickte Leonard dann zu.

„Was über die Diebe rausgefunden?“

So wenig, dass es schon peinlich war. „Vier oder fünf insgesamt, der Anführer nennt sich Captain Starlight.“ Wie in der Nacht konnte Leonard darüber nur verächtlich schnauben. „Selten was Kindischeres gehört.“

„Wenn du von ihm gehört hättest, würdest du es nicht als kindisch bezeichnen“, widersprach Jenkins kühl. „Sie nennen ihn so, weil er immer nachts angreift, immer in Nächten wie gestern, wenn der Mond nicht scheint und es so dunkel ist, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Das ist ein Teufelskerl, völlig verrückt. Wundert mich, dass du noch lebst.“

„Nach allem was ich gehört habe“, mischte Jim sich ein, „ist er Viehdieb, nicht kaltblütiger Mörder.“

„Hat ja mit kaltblütig nichts zu tun, Junge“, knurrte Jenkins, „mehr mit Sinn und Verstand.“

Damit hatte er natürlich recht und daran hatte Leonard in seiner Wut und Frustration gar nicht gedacht. Eigentlich hätte dieser Kerl ihn töten müssen, allein schon um seine Spuren gänzlich zu verwischen. Er musste sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein, dass er es nicht getan hatte. Oder es war schlicht dumm. Weit konnten sie mit mehreren Dutzend Rindern nicht gekommen sein, wenn Len und einige der anderen sofort losritten, konnten sie sie mit Sicherheit einholen.

„Ich weiß, was du gerade denkst, Len. Ich werde mich nicht wegen ein paar Rindern mit dem Captain anlegen.“ Jenkins klang unerbittlich. Mit einem knappen Nicken und zusammengekniffenen Lippen gab Leonard nach.

„Er hat recht, weiß du“, plapperte Jim los, kaum war Jenkins verschwunden und hielt sein Pferd neben Leonards. Wieder traf ihn ein kritischer Blick. „Und du solltest dich mal um diese Wunde kümmern.“

„Hast du nicht irgendwo anders zu sein?“

„Nein“, antwortete Jim, nach wie vor unbeeindruckt von Leonards Gereiztheit. „Ich begleite euch ne Weile, haben denselben Weg.“

„Ach ja? Wohin willst du?“ Denselben Weg, gestern hatte es danach noch gar nicht ausgesehen. Leonard warf Jim einen kurzen Blick zu, der entspannt lächelnd zurückstarrte.

„Mal sehen“, erwiderte er außerdem. „Kommt darauf an wie angenehm die Begleitung ist.“

Das war so dreist zweideutig in Kombination mit dem Grinsen und den funkelnden Augen, dass Leonard regelrecht die Spucke wegblieb. Der Junge – nein, so jung war er eigentlich nicht, durchaus mehr Mann als Kind, auch wenn Leonard nicht darüber nachdenken wollte, warum das auf einmal so wichtig war – machte ihn sprachlos. Oft passierte ihm das nicht, aber glücklicherweise erreichten sie jetzt auch schon das Lager. Leonard schwang sich aus dem Sattel und Jim folgte ihm auf dem Fuß. Er wurde ihn wohl nicht los und während er Lappen und Wasser zusammensuchte, fand Leonard sich tatsächlich damit ab, vielleicht weil die Kopfschmerzen zurück waren und seine Schläfe pochte.

Jim nahm ihm den nassen Lappen aus der Hand und war auf einmal viel zu nah, so wie er vor ihm hockte. Seine Hand lag auf Leonards Schulter, hielt ihn still, während er mit konzentriertem Gesichtsausdruck die Wunde auswusch. Vielleicht eine halbe Minute später ertappte Leonard sich dabei, ihn anzustarren. Verdammt auch, diese Augen hatten es ihm angetan… und der Mund. Dazu das unverhohlene Interesse auf Jims Seite.

Zu spät bemerkte er das feine triumphierende Lächeln auf Jims Lippen. „Du starrst mich an.“

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