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Mitternacht im Garten von Gut und Böse

von MaLi

Zelle

Nero stöhnte leise. Er hatte Rückenschmerzen. Das war nicht normal für ihn. Dazu gezwungen, 25 Jahre auf Steinen zu schlafen, war der Boden, den er jetzt unter sich fühlte, geradezu weich dagegen. Er konnte überhaupt keine Rückenschmerzen haben?!
Er wusste nichts mehr von den Gewehrkolben, die auf seinen Rücken geschlagen worden waren, wusste nichts von den vielen Beinen und Füßen, die um ihn auftauchten als er über Ayel lag und flehte, wusste nichts mehr von den Händen, die ihn wegzerrten und forttrugen, wusste nichts von den Armen, die ihn hielten, als er endlich in die ersehnte Ohnmacht sank, die ihn von seinem Leid erlöste.
Nero hatte einfach nur Rückenschmerzen. Und doch war es ihm egal.

Ayel war tot. Nichts auf der Welt war noch wichtig. Nichts tat schlimmer weh. Nero hatte nicht gewusst, dass man innerlich zwei Mal sterben konnte. Doch er tat es gerade.
25 Jahre Rura Penthe. 25 Jahre Hunger, Folter, Demütigung und Angst. Nichts hatte ihn gebrochen. Nicht bei der Erinnerung an Romulus, als er die Zeichnungen anfertigte, sein Magen vor Hunger krampfte, Peitschenhiebe seine Haut aufrissen und Fesseln in sein Fleisch schnitten, Klingonen ihn erniedrigten, sogar als der Targ an ihm nagte; nie hatte er geschrien, nie hatte er geweint.
Bis jetzt. Ayels Tod hatte seine Seele zerfetzt, einen kümmerlichen, verstümmelten Krüppel aus ihm gemacht. Romulus hatte sein Herz mitgenommen, Ayel seine Seele. Schwärze und Stille wohnten nun an jener Stelle in seiner Brust. Das, und ein unendlicher Schmerz, der ihm den Atem nahm. Aus geschlossenen Augen rannen ihm die Tränen über die Schläfen und tropften in seine Ohren. Es störte ihn. Und doch war es ihm egal.

Nero war enttäuscht. Er wünschte sich den Tod und erwachte im Leben, wünschte sich ins Licht und landete in einer Zelle, hoffte auf seine Lieben und fand sich allein.
Er wusste es. Dass er lebte, dass er sich in einer Zelle befand, dass er alleine war. Es herrschte Stille um ihn. Niemand atmete, niemand sprach, niemand arbeitete um ihn herum. Das Licht, das sich unangenehm durch seine geschlossenen Lider drückte, war hell und weiß. Sternenflottenweiß.
Romulaner mochten kein Weiß. Das grelle Licht tat ihren Augen weh. Sie liebten Grün und Blau, gedämpfte Lampen und mattes Herbstlicht, denn die Blässe ihrer Haut rührte nicht mal im Ansatz nur von der Farbe ihres grünen Blutes her. Sie mieden die Sonne.

Anders als Vulkan, heiß, grell, nackt war Romulus grün, blau, warm, lebendig. Sie hatten Jahrtausende hier gelebt, sich eingewöhnt, die Wüste vergessen und eine tiefe, innige Liebe zu Pflanzen und Bäumen aufgebaut. Sie genossen den Schatten der Wälder, Luft die nicht heiß, sondern warm war, lernten zu schwimmen und Regenschirme zu bauen. Ihre Ohren wurden besser, die Augen schärfer, sie legten an Fett und Muskeln zu, schlossen die Bücher weg und begannen zu graben und zu bauen. Sie vergaßen Vulkan, vergaßen die Vulkanier, wurden Romulaner.

Romulus. Nero bog so gut es ging den Rücken durch. Er war schwach und zittrig und die Tränen liefen immer noch. Er versuchte sich einzureden, dass mit dem Strecken die Schmerzen aus seinem Rücken verschwinden würden. Das taten sie nicht; denn er hatte eigentlich den Schmerz des Verlustes aus seinem Körper treiben wollen. Er blieb; denn er nagte nicht an seinem Rücken. Er nagte an seiner Seele. Seine Seele, die Stück für Stück starb. Wie Ayel.
Nero schluchzte tonlos. Er wollte nicht, dass man ihn hörte. Er wollte überhaupt nicht weinen. Er wollte sterben. Jetzt.

***

Ein Zischen erschreckte ihn. Man hatte das Kraftfeld deaktiviert. Es kam unerwartet, so dass er zuckte.
„Er ist wach“, sagte ein Mann. Er klang … alt? Mittelalt?
Menschen, dachte Nero spöttisch. Diese schwächlichen Würmer, die kaum hundertfünfzig Jahre lebten. Wann galten die wohl als alt? Mit Siebzig? Neunzig? Hundertzehn?
„Captain Nero! Hey!“ Der Mann, mit der mittelalten Stimme, trat leicht gegen Neros Fuß.
Nero reagierte nicht. Er wollte nicht mit ihm reden; wollte seine Ruhe haben und trauern.
„Er hört nicht … Na schön.“
Klonk.
„Ihr Essen steht hier. Wir kommen später wieder.“
Darauf wette ich, dachte der Romulaner und überraschte sich selbst. Er hatte erwartet, dass seine Gedankenstimme spöttisch klang, herausfordernd und kampfbereit. Doch sie hatte schwach geklungen, müde, als hätte er sich bereits in sein Schicksal gefügt, bald verhört zu werden. Und wieder war es ihm egal.

Nero hatte keinen Hunger. Auch keinen Durst. Er wollte keinen haben. Alles, was er wollte, war trauern. Nicht weil er sich gerne schlecht fühlte, sondern weil ihm Ayel dann näher war; weil er ihn klarer vor sich sah, als wenn er sich sonst immer an ihn erinnert hatte.
Ayel.
Jetzt hatte er alles verloren. Seine Heimat, seine Familie, seine Freunde, sein Schiff, seinen Seelenverwandten. Es gab keinen Grund mehr weiterzuleben. Seine Welt war jetzt so leer, wie die Stelle wo Romulus gewesen war, so schwarz, wie das Loch, das ihn und die Narada verschluckt hatte.
Ayel, komm und hol mich! Nimm mich zu dir …
Doch Ayel stand nur da und grinste sein Grinsen. Funkelte mit seinen dunklen Augen verschmitzt zu ihm herüber und versuchte, ihm Mut zu machen; zeigte Stärke, Furchtlosigkeit, Hoffnung.
Ayel …

Nero seufzte leise und doch so tief als wolle er gleich sein Leben mit aushauchen. Es musste warmes Essen sein. Nur warmes Essen hatte die Macht, sich so schnell in einem Raum bemerkbar zu machen. Essen … er hatte seit Tagen nichts mehr zwischen den Zähnen gehabt.
Es roch lecker. Unbekannt aber lecker. Es roch nach Trost, versprach Heilung und Frieden. Sein Bauch krampfte furchtbar.

Ganz langsam drehte er den Kopf und öffnete das erste Mal die Augen. Ja. Sternenflottenweiß. Geblendet kniff er sie zusammen und suchte den Teller. Er sah nur ein Stück davon; seine Schulter versperrte ihm die Sicht. Als er den Kopf etwas mehr drehte, liefen ihm die Tränen in den Gehörgang. Es kitzelte ihn. Leicht verstimmt drehte er den Kopf in die andere Richtung, um das Ohr zu leeren. Es klappte, das Kitzeln ließ nach. Zumindest so lange, bis sich der Gehörgang auf der anderen Seite gefüllt hatte. Verärgert schüttelte er den Kopf und hörte sofort wieder damit auf. Ihm war davon so schlecht und schwindlig geworden, dass er meinte sich noch im Liegen übergeben zu müssen. Gequält schloss er die Augen und hielt den Atem an. Das half ihm. Auch der Hunger verschwand so schnell wie er gekommen war. Nero seufzte noch einmal und gab den Traum vom Essen auf. Stattdessen sank er in einen tiefen Schlaf, der ihn plötzlich wie eine Ohnmacht umfing.

Er schlief unruhig. Seine Träume waren wirr und sinnlos, machten ihn konfus und bald irrte er verloren, wie in einem Labyrinth, durch sie hindurch. Mal war er auf Romulus, mal auf der Narada, dann in der Mine bei der Arbeit, auf Rura Penthe in der Zelle. Doch er war nie alleine; jemand begleitete ihn ständig und treu durch jeden Traum. Ayel? Nero wandte sich um und suchte ihn. Genau da wechselte er wieder den Schauplatz, ploppte von der Narada auf den Eisplanetoiden und saß direkt neben ihm in seiner Zelle; saß direkt neben … Nero.

Er sah sich so deutlich, als würde er in einen Spiegel sehen. Sah jede Zeichnung, jede Wimper, jede Stoppel seines Dreitagebartes, der schon zu so was wie seinem Markenzeichen geworden war. Wo war Ayel? Wieso sah er nur sich selbst…?!
Sein Nebennero schien seine Verblüffung nicht bemerkt zu haben. Im Gegenteil. Völlig ruhig blickte er ihn an, legte ein Lächeln in seine Augen, das sein Mund nicht herzugeben vermochte und nickte ihm kaum sichtbar zu. In Nero wurde es warm und obwohl er nur mit seinem Ich alleine war, fühlte er sich wohl und begleitet.

Plopp.
Wieder auf der Narada. Er stand auf der Plattform, blickte hinüber zu seinem Ich, das gerade den Dreizack fallen ließ. Es war die Szene, kurz vor Ayels Tod. Er stand auf dessen Platz. Obwohl einige Meter von ihm entfernt sah er die Zuneigung in Neros Augen. Machte ihm sein Gehirn gerade selber Mut? Wohl kaum, denn schon kam das Licht und riss ihn von den Füßen.
Es war so real. Er fühlte den harten Boden unter seinem Körper, roch den Geruch der Narada, der ihm so vertraut und lieb war. Es roch nach Metall, nach Öl, nach Steinen, nach Blut und Schweiß und nach … Ayel.

Ein Schatten kam auf ihn zu. Ein Klingone. Koth. Unmöglich! Er hatte ihn getötet! Koth stampfte auf ihn zu; ein triumphales Siegesgrinsen im Gesicht. Mit seinem Stiefel trat er ihn in die Seite. Koth hob den Fuß und wie ein Jäger seinen Stiefel auf den Rumpf des erlegten Wildes stellte, stellte Koth seinen Fuß auf Nero. Er spürte den Druck ganz deutlich. Als der Klingone Neros Teral’n zum tödlichen Stich hob, sog dieser noch einmal tief die Luft ein.
Ja! So wollte er sterben! Den harten Boden unter sich, den Duft der Narada in der Nase und das Gewicht auf seinem Unterleib, das ihn deutlich den Körper spüren ließ, den er gleich verlassen würde. Furchtlos blickte er auf den Dreizack, der auf sein Gesicht zu schoss. Endlich! Endlich würde er sterben! Seine Mandana wieder sehen, sein Kind, Ayel. Gleißendes Licht blendete ihn, als der Teral’n seinen Kopf zerschmetterte.

***

Er war tot. Sein Kopf zerschlagen und doch war noch alles gleich. Der Boden, der Druck, der Geruch, das Licht. Nero brauchte eine ganze Weile, um sich zurecht zu finden. Es war eine Enttäuschung als er verstand.

Das gleißende Licht der Erlösung war nichts anderes als die Deckenbeleuchtung der Zelle, in die er starrte. Ebenso der Boden unter ihm. Der Geruch seiner geliebten Narada, Ayels Geruch, kam von seiner eigenen Kleidung. Er hatte sich im Schlaf den Arm übers Gesicht gelegt und die ganze Zeit am Ärmel gerochen. Natürlich roch es nach Ayel; sie rochen alle gleich. 25 Jahre in den fast selben Kleidern, tausendfach kombiniert, tausendfach geflickt, tausendfach in abgestandenem Wasser gewaschen, zweitausend Tage nicht geduscht. Er stank. Sie alle stanken. Und doch liebte er den Geruch.

Auch der letzte Teil des Rätsels heiterte ihn nicht im Geringsten auf. Auch wenn er froh war, dass der stechende Schmerz in seinem Unterleib nicht vom Stiefel eines mordlüsternen Klingonen herrührte, war doch die Wahrheit nicht fröhlicher. Er hatte einfach nur höllischen Harndrang. Er musste seit Stunden in der Zelle liegen.

Ayel …
Nein warum … warum Ayel … warum …

Traurig und fassungslos schüttelte er den Kopf und stutzte dann. Etwas kitzelte ihn, strich leicht wie eine Feder über sein empfindliches Ohr. Überrascht hob er den Arm, sah auf seine Hand und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Wie konnte ihn etwas so glücklich machen, und gleichzeitig so wehtun …

Es war nicht die Verbrennung, die ihn überraschte. Auch nicht die Finger, die alle zehn schmerzten als hätte er sie seit Stunden verkrampft. Das hatte er nämlich. In seinen geballten Fäusten hielt er noch immer Fetzen von Ayels Kleidung fest; sie mussten ihn in der Verzweiflung von seinem Freund los geschnitten haben.
Nero beschloss beides gleichzeitig zu tun. Von Lachen und Weinen zugleich geschüttelt, knüllte er die Fetzen vor seinem Gesicht zusammen.
Fast augenblicklich tauchte Ayels Gesicht vor ihm auf. Ja! Das war er! Es war eindeutig Ayels Geruch. Sie schienen sich doch zu unterscheiden.
Ayel! Ayel …

“Prätor“, antwortete der und grinste sein typisches Grinsen, “was ist los? Warum rufst du so oft nach mir? Lass mich schlafen!“
„Ayel, wo bist du … warum bist du … ich kann nicht …“
„Nero, was ist los? Weinst du? Ich kann dich kaum verstehen …“


Nero antwortete nicht. Es schüttelte ihn zu sehr; war zu schwach, um vor Schmerz zu schreien. Leise aber deutlich hörbar weinte er; das erste Mal seit vielen Jahrzehnten. Nicht nur wegen Ayel. Auch Mandana schwang mit. Das Baby. Romulus.

„Versuch zu schlafen, Prätor“, schlug Ayel vor. Es war der lieb gemeinte, aber dennoch etwas plumpe Versuch ihn zu trösten. Einem Prätor sagte man nicht Alles wird Gut oder Lass es raus dann geht’s dir besser.
„Ich kann nicht… ich kann nicht …“, schluchzte Nero. Ich kann nicht …
“Nero, du brauchst Schlaf mein Freund; du bist erschöpft! Ruh dich aus! Ich gehe jetzt auch schlafen. Ich bin so müde …“
„Nein, warte! Ayel! Geh nicht weg!“

Ayel grinste wieder. „Ich werde da sein wenn du aufwachst“, versprach er und verschwand.
“Ayel? Ayel!“

***

Er musste ihm irgendwann in den Schlaf gefolgt sein; er kam gerade langsam daraus hoch. Es musste kurz gewesen sein; seine Ohren waren noch gefüllt mit Tränen.
Es hatte so gut getan mit Ayel zu sprechen; eine Konversation mit sich selbst zu führen, als wäre sein Freund noch da. Es hatte ihn getröstet, ihm etwas Kraft gegeben, und doch fühlte er sich so traurig und leer wie nie zuvor. Er seufzte matt.

Etwas stimmte nicht. Er fühlte sich unwohl und das nicht von Innen. Seine Blase drückte nicht mehr so fies, dafür waren die Bauchschmerzen wieder da und die Verletzungen ziepten; und man hatte ihm eine Decke gebracht, während er schlief. Aber das war es nicht, was ihn misstrauisch machte. Etwas an seiner Umgebung hatte sich verändert, etwas das ihm gar nicht passte. War der Boden wärmer geworden? Der ganze Raum gar? Nein; darüber hätte er sich doch gefreut …
Er kam nicht drauf.
“Ayel? Ayel! Bist du da?“
Keine Antwort.

Er fühlte Durst, sein Mund war trocken und pelzig.
“Ayel, wo bist du …?“
Er nahm die Fetzen vom Gesicht, schloss sie in seine Hand und legte sie auf seiner Brust auf die Stelle wo er sein Herz wusste. Nero sehnte sich zurück in seine Träume. Auf die Narada; die so viel wärmer war als diese verfluchte Zelle.

Romulaner liebten Wärme. Sie brauchten sie. Die Erde wäre ihnen viel zu kalt und die 22 Grad Celsius Schiffstemperatur der Sternenflotte ließ ihn frösteln. Die dünne Decke über ihm reichte kein Stück um ihn zu wärmen. Sogar das Kühlwasser der Narada war noch angenehmer temperiert als dieser Raum hier.
Sie hatten darin gebadet. Als Allererstes. Runter von der Eishölle Rura Penthe und rein in die Bilge! Die Narada hatte sie für sie warm gehalten. Wie Hunde hatten sie darin geplantscht, 25 Jahre Dreck, Angst und Qualen abgewaschen. Es war das Erste Mal gewesen, dass Nero wieder so etwas wie Glück empfunden hatte. Oder Freude wenigstens. Spaß. Zumindest leichter hatte er sich gefühlt. Er hatte es genossen so zu entspannen. Um sich herum das Summen und sanfte Vibrieren der Narada, die Wärme im Rücken und das Wasser, das ihn umschloss.

Mit der Sanftheit eines Vorschlaghammers drang die Erkenntnis in ihn ein. Es wusste jetzt was in diesem Raum nicht stimmte. Es war die Wärme unter ihm. Und er schwamm!
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