TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

1.2 Tancho Kohaku

von MaLi

Kapitel 1

Jim Kirk war nervös. Es war Heute. Der Tag aller Tage. Mit Bedacht wählte er die am saubersten gebügelte Uniform, das Shirt, das am besten roch, die blanksten Halbstiefel, die er zur Auswahl hatte.

Seine Finger zitterten als sie den kleinen Reißverschluss der Uniformjacke zuzogen. Auch den Kragenknopf zu schließen entpuppte sich heute als feinmotorische Herausforderung.
Dann stand er endlich vor dem Spiegel und maß sich mit einem letzten, äußerst kritischen Blick. Er sah aus wie immer. Sauber, adrett, gestylt. So wie er jedes Mal aus dem Haus ging, wenn er seine Angel auswarf. Heute war es anders.

Es war so leicht, in diesem Tümpel der Akademie, der voll mit bedürftigen Fischchen war, etwas zu fangen. Köder rein, Fisch raus. Jim Kirk konnte jeden Tag einen anderen haben, wenn er wollte.

Aber nicht heute. Jim hatte keine Lust mehr auf Zander, Barsch und Makrele. Den Fisch, hinter dem er heute her war, fing man von Hand. Es war ein Karpfen. Der Teichkönig. Ein Koi. Sein ganz persönlicher Tancho Kohaku.
Jim stieß langsam die Luft aus den Lungen. Sein Atem zitterte dabei. Ihm war speiübel.

Ein ganzes Jahr lang hatte er sich um ihn bemüht. War gut zu ihm, kümmerte sich und verdiente sich sein Vertrauen. Er hatte ihn gezähmt, machte ihn zutraulich und auf eine gewisse Weise anhänglich. Vor genau einem Jahr hatte er sich mit ihm angefreundet. Auf den Tag genau.

Er war ihm sofort aufgefallen. Unter all den grauen, braunen, silbernen und roten Leibern war er ihm geradezu ins Auge gesprungen. Nur ihm. Niemand sonst nahm Notiz von diesem Juwel. Diesem herrlichen, anziehenden Geschöpf. Jim wollte es besitzen. Er alleine. Hier und heute seinen Anspruch geltend machen, bevor ein anderer kam und fordernd seinen Finger darauf legte.

Jims Hände waren kalt und verschwitzt. Er schluckte angestrengt. Es war Heute. Der Tag aller Tage. Heute würde er ihn fangen, oder ihn entwischen lassen. Alles gewinnen, oder alles verlieren. Jim Kirk stürzte ins Bad und opferte Neptun sein Frühstück.

***

Er war noch immer ziemlich blass als er um Neun draußen vor der Akademie auf der Treppe saß und auf Leonard wartete.
„Professor Anderson sagte, du seist nicht in der Vorlesung gewesen!“ McCoys Vorwurf wehte über den Platz, noch bevor sie sich gegenüber standen.
„Andersen“, korrigierte Jim von sich ablenkend, „er ist Däne.“
„Lenk bloß nicht ab! Du hast geschwänzt, Jim. Schon wieder! Das zweite Jahr fängt gerade erst an und du machst schon blau? Du hast mir doch versprochen dass du … Was ist denn mit dir los?!“, fragte Pille besorgt und werkelte schon an seinem Medkit herum.

„Lebensmittelhusten“, murmelte Jim. Seine Unruhe steigerte sich wieder.
„Hast du Magenschmerzen? Schwindel? Durchfall?“ McCoy scannte ihn bereits.
„Pille, ich … ich bin nur nervös, okay?“ Etwas halbherzig wehrte er den Scanner ab.

Er konnte es nicht haben, dass sein Freund sich seinetwegen ständig und überall medizinisch herausgefordert sah. Auf der anderen Seite gab es da aber auch einen Teil, der es ziemlich genoss, wenn Pille sich um ihn sorgte.

„Du bist NIE nervös“, behauptete der nicht ganz zu Unrecht, packte den Scanner weg und tastete Jims Hals ab.
„Was machst du da?!“
Pilles sanfte Finger machten ihn kribbelig, seine Überfürsorge ärgerlich. Keine gute Mischung.
„Der Tricorder zeigt kein Fieber an. Ich will nur nachsehen, ob deine Lymphknoten auf etwas reagieren, das noch nicht ausgebrochen ist …“
„Pille, da bricht nichts aus!“, meinte Jim ärgerlich und griff nach Leonards Händen. „Ich bin nervös, verstehst du?“
„Gm“, nickte der nach einem letzten kritischen Blick und entspannte sich.

Es fiel ihm jetzt leichter, sich berühren zu lassen. Zumindest in Jims Fall. Alle anderen Lebewesen, mit Ausnahme seiner Tochter, hielt er gerne weiter auf Distanz. Leonard war noch immer introvertiert. Ein stilles, tief gründendes Wasser, genoss die Ruhe und die Einsamkeit, die es praktischer Weise mit sich brachte, wenn man als Griesgram galt. Nur Jim ließ er in sein Leben; und auch den nicht allzu tief.

„Deine Hände sind kalt“, meinte Leonard und zog die seinen weg, „du gehörst ins Bett!“
„Pille, ich bin nicht krank“, wehrte sich Jim.
Leonard hob nur vielsagend seine Augenbraue und packte das Medkit zusammen.
„Warum schleppst du das ständig mit?“, versuchte Kirk erneut von sich abzulenken.

„Ich bin Arzt, Jim“, erklärte Pille unnötigerweise, „ich studiere! Hier hat jeder Mediziner seinen Koffer; der ist privates Eigentum und hat bei jeder Vorlesung und bei jedem Kurs dabei zu sein. Was das anbelangt, müsste ich eigentlich zwei haben; immerhin bin ich mit dem größten Prügelfänger der ganzen Akademie befreundet! Dein Materialverschleiß ist legendär … Und jetzt steh auf, ich bringe dich ins Bett.“

Jim ignorierte den nicht ganz unberechtigten Seitenhieb mit dem Prügelfänger und seufzte. Er wollte nicht ins Bett. Er wollte Zeit mit Pille verbringen, nicht alleine in seinem Quartier vor sich hin gammeln und darauf warten, dass der Akademietag ein Ende nahm und seinen Freund für ihn freigab.
Trotzdem ließ er es zu, dass Leonard ihn auf die Füße zog und sich Jims Schultasche über die Schulter warf.
„Bring mich zu dir“, bat Kirk und hängte sich künstlich schwächelnd bei Leonard ein.

Die Mediziner waren die einzigen Campusbewohner, die Einzelzimmer besaßen. Es war ein zweifelhaftes Privileg. Nicht der Respekt vor dem Beruf, sondern dessen unbeständige Arbeitszeiten waren der Grund für den Einzelbezug. Besonders die bereits ausgebildeten Diplommediziner wurden gerne auch zum Praxisdienst hinzu gezogen. Leonard McCoy war einer davon.
Während die Medizinstudenten nach den Vorlesungen frei hatten und sich Studium oder Frohsinn widmen konnten, traten McCoy und seine Berufskollegen zum Dienst an. Die Akademie sparte sich so die Kosten für die externe Vollbesetzung der Krankenstation und verschaffte ihren Medizinern auf diesem Weg gleichzeitig ein praktisches Übungsfeld in Xenobiologie und extraterrestrischer Krankheitslehre. Aus diesem Grund war McCoy hier.

Jocelyn hatte alles gekriegt. Das Haus, das Vermögen, das Auto. Nur Joanna war ihm geblieben, und in die steckte er jeden Cent, den er noch hatte. Es war nicht viel. Fast nichts, um genau zu sein.
Als hervorragender Arzt hatte er ein Vermögen an Unterhalt für seine Exfrau gezahlt. Bis er den Job verlor. Psychisch durch die Scheidung gebeutelt und Ruhe und Frieden im Alkohol suchend, war er bald zu einer unvertretbaren Belastung für das Klinikum geworden. Er wurde gefeuert, verlor seinen Traumjob und kurz darauf den Halt im Leben.

Leonard McCoy arbeitete nicht bei der Sternenflotte, weil ihn das Weltall faszinierte, sondern weil sie der einzige Arbeitgeber war, der ihm noch eine Chance gab. Mittellos, durch horrende Anwaltskosten verschuldet, war sie seine letzte Rettung, denn einen gefeuerten Arzt stellte keine Klinik gerne ein.

An der Akademie zu studieren war ein teurer Spaß. Leute wie Jim, als Sohn eines gefallenen Nationalhelden durch ein gutes Erbe gesichert, konnten es sich leisten. Leonard nicht. Ihm gestattete nur ein Deal hier zu sein. Gratis Studium und ein winziger Sold für den Dienst auf der Krankenstation. Er hatte sofort zugestimmt. Es war seine einzige Möglichkeit, in seinem Traumberuf zu bleiben und für Joannas Zukunft zu sorgen.

„Zu mir?“, Leonard blieb verdutzt stehen.
„Ich hause in einem Doppelzimmer, Pille. Mit einem Zimmergenossen, der schnarcht. Ich brauche Ruhe! Bring mich zu dir.“
„Jim, meine Nachbarn stellen schon Fragen, weil du so oft bei mir bist“, murrte Leonard und schleppte ihn weiter.
„Dann lass sie fragen. Wir sind Freunde, Mann, Freunde treffen sich nun mal!“
Jim fühlte sich verletzt von dieser Aussage. Schämte sich Leonard etwa für ihn? War ihm ihre Freundschaft peinlich? Sie waren doch Freunde, verdammt nochmal!

„So hab ich das nicht gemeint“, erwiderte Leonard schlichtend und blieb stehen. Er war sensibel genug, um die Kränkung aus Jims Stimme heraus zu hören. Er sah ihn nicht an als er sich entschuldigte. „Jim, ich … Das war blöd, tut mir leid! Ich bin … es war nicht so gemeint. Der Igelmodus, verstehst du?“

Jim nickte. Leonard beschrieb so seine grantige Seite. Die Seite, die ihre Ruhe haben wollte, alleine sein, die Leute abwehrte, die ihm zu nahe kamen. Selbst nach einem Jahr fuhr er sogar bei Jim noch die Stacheln aus, wenn der ihn unvorbereitet erwischte. Es war ein Schutzreflex, mehr nicht. Tapfer schluckte Jim die Verletzung hinunter und verzieh ihm.
„Weißt du, was mir an Igeln am besten gefällt?“, fragte er versöhnlich, „Der weiche Bauch!“

Leonard verstand den Wink und lächelte dankbar. Es war eines jener ehrlichen, aufrichten Lächeln, die er höchstens zweimal im Jahr verschenkte. Ein dankbares Lächeln.
Jim war der einzige, der je so lange Geduld mit ihm bewiesen hatte. Der ihm seine grobe Art verzieh. Immer wieder. Und immer noch tastete der sich unermüdlich weiter vor, suchte den weichen Kern, den er in Leonard wusste, um ihn eines Tages schützend in seine Hände zu schließen.
„Dann komm“, meinte Pille und lenkte seine Schritte nun Richtung Wohnheim der Mediziner.
Rezensionen