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Der Duft des Jasmin

von MaLi

Kapitel 1

„Weihnachtsmarkt! Pille! Bitte!“ Jim tanzte wie ein aufgezogenes Rumpelstilzchen durch Leonard McCoys Quartier. „Komm schon, Pille, das ist nur einmal im Jahr! Bitte! Lass uns hingehen!“
„Die Abschlussprüfungen sind auch nur einmal im Jahr“, warf Leonard genervt ein und stierte stur auf sein PADD, „und derentwegen hast du noch nie einen Regentanz aufgeführt?!“
„Der Vergleich hinkt jetzt aber gewaltig, mein Freund“, lachte Jim. Seine Augen strahlten vor Erwartung. „Kommst du mit? Bitte? Bitte!“

Leonard knurrte innerlich. Für ihn gab es nichts Schlimmeres als die Weihnachtszeit. Er, von Unglück und Schicksal verfolgt, und rund um ihn all diese glücklichen Gesichter die so taten, als bestünde das Leben alleine aus Zucker und Gewürz. Er hasste diesen scheinheiligen Frieden überall, die zur Schau gestellte Liebe, diese glückliche Zeit, die alle ergriff und nur um ihn einen Bogen zu machen schien.

„Jim, ich habe zu tun“, lehnte er ab und sah seinen Freund dabei nicht an.
„Ach komm schon, Pille, komm mal raus aus dem Stress!“ Jim hatte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte abgestützt und versuchte ihn offenbar, mit seinen topasblauen Augen zu hypnotisieren. „Komm schon, nur eine Stunde. Bitte! Das wird lustig, Pille, ich verspreche es dir! Du wirst dich viel besser fühlen, wenn du dich mal etwas amüsiert hast.“

Leonard seufzte tief und Jim witterte darin eine Schwäche und somit eine Chance. Die Hundebabyblicke eines ganzen Tierheims in seine Augen legend, glitzerte er ihn an.
„Pille, bitte! Tu’s für mich! Bitte, ja? Nur eine Stunde. Okay? Okay? Bitte, Pille! Bitte! Nur eine Stunde!“

„Oohh, warum kenne ich dich nur …“, maulte Leonard leise, schmiss das PADD auf den Tisch, stemmte sich mühsam aus dem Stuhl hoch, schlurfte zur Garderobe und bückte sich ächzend nach seinen Schuhen. Den Berg Arbeit in seinem Rücken ignorierte er hartnäckig.
Jim drehte sich glücklich im Kreis und versuchte, nicht allzu laut zu jauchzen. Pille kam mit, um an einem fröhlichen Anlass teilzunehmen? Es geschahen wohl doch noch Zeichen und Wunder in der Weihnachtszeit!

***

Kurz darauf gingen sie über den Campus der Akademie auf die Stadt zu. Während Jim ihr Tempo als gemächliches Spazieren bemängelte, fühlte sich Leonard als wären sie vor jemandem auf der Flucht.
„Himmel, Jim?!“, maulte er ärgerlich und schüttelte dessen Hand von seinem Ärmel.
„Ja doch?!“, lachte der versöhnlich und widerstand der Versuchung, erneut ungeduldig an ihm zu ziehen.

Zumindest widerstand er, bis die ersten Stände in seinem Blickfeld auftauchten. Ab jenem Moment war er nicht mehr zu halten. Der kleine Junge in ihm drückte durch, griff übermütig nach Leonards Arm und riss ihn mit sich.

***

Fast von einer Sekunde auf die andere, standen sie in einem Meer aus Körpern. Leonard hasste Menschenansammlungen. Alle paar Schritte wurde er geschubst, berührt und geschoben, dutzende Parfums, Rasierwasser und Lebensmittelgerüche, Stimmen, Klänge und Geräusche, Farben, Wärme und Kälte überfluteten seine Sinnesorgane. Leonard bereute es bereits aus tiefstem Herzen, dass er sich hatte überreden lassen und mitgekommen war.

Jim hingegen tauchte glücklich in die Masse ein. Fasziniert schnupperte und lauschte er, genoss die Reibung die entstand, wenn sich jemand an ihm vorbei schob, nahm die Farben und die Klänge in sich auf und strahlte.

„Oh Pille, ist das nicht fantastisch?“, jauchzte er glücklich und sah sich nach ihm um.
Leonard machte nicht einmal aus Höflichkeit den Eindruck, es würde ihm auch nur ansatzweise hier gefallen. Sauertöpfig quetschte er sich an Schultern und Rücken vorbei zu Jim.
„Ich will hier weg!“, grollte er, „Sofort!“

Beschwichtigend nahm Jim ihn am Ärmel und zog ihn an eine etwas menschenleerere Stelle.
„Pille, geht‘s dir gut?“, fragte er besorgt. „Hast du etwa Platzangst oder sowas?“
Leonard hatte sich mit dem Arm gegen eine Hauswand gestützt und atmete schwer. Er schien gehetzt und überfordert.
„Jim“, stieß er hervor, „ich hasse solche Mobs, verstehst du? Ich hasse das! Ich will hier weg!“
„Pille, beruhige dich“, brummte Jim tröstend und rieb ihm über den Arm.

Leonard brauchte seine Zeit um sich zu sammeln. Hätte Jim dieser Ausflug nicht so viel bedeutet, wäre er längst wieder auf dem Heimweg gewesen. Oder gar nicht erst hergekommen.
„Und wenn wir am Rand bleiben und die Masse meiden?“, schlug Jim vor. „Würde das gehen?“

Leonard sah ihn nur müde an und seufzte. Nein, es würde nicht gehen. Er würde trotzdem nur Köpfe vor sich sehen, jede einzelne Berührung hassen und sich ärgern, wenn er angerempelt wurde. Er wollte nach Hause, in sein Quartier wo es still und einsam war und er selber bestimmen konnte, was, wann, wo mit Körper und Sinnen in Kontakt kam.
„Ja, das geht“, log er Jim zuliebe und stieß sich von der Mauer ab.

***

Leonard McCoy holte tief Luft, bevor er Jim folgte und in die Masse eintauchte. Am Rand bleiben war eine schöne Formulierung, doch leider war sie auf diesem überfüllten Markt nicht realisierbar.
„Soll ich deine Hand nehmen, damit du mich nicht verlierst?“, bot Jim hilfsbereit an.
„Jim, hier sind tausend Leute“, fuhr Leonard die Stacheln aus, „ich will nicht NOCH einen haben, der an mir klebt!“

Der Igelmodus. Jim wusste, dass Leonard es nicht böse gemeint hatte. Sein Freund war völlig gestresst und wollte nach Hause. Trotzdem hatte ihn der Stachel mitten ins Herz getroffen. Von seinem liebsten Freund als unwillkommener Klebstoff bezeichnet zu werden, war mehr als man einfach mal so schnell mit der Hand wegwischte. Jim verbarg seinen Schmerz. Er wollte Leonard nicht das Gefühl geben, er hätte kein Recht sich unwohl zu fühlen. Im Gegenteil. Sein Freund brauchte jetzt vor allem Rücksichtnahme und Verständnis.

Leonard war nur seinetwegen hier. Jim wusste, dass er gelogen hatte. Es ging nicht. McCoys ganzer Körper schrie nach Freiheit und Erlösung. Er wirkte gehetzt und unsicher, verzog jedes Mal das Gesicht, wenn ihn jemand schubste. Und doch war er noch da, kämpfte sich tapfer durch die Menge, damit Jim sich amüsieren konnte.

Sie brachten gerade beide Opfer. Leonard, in dem er diesen Anlass auf sich nahm und Jim, in dem er zum hundertsten Mal seit sie sich kannten, Leonard seine grobe Art verzieh. In Augenblicken wie diesen wurde ihm deutlich bewusst, wie tief ihre Freundschaft bereits gewurzelt hatte.
Verzweifelt suchte Jim mit den Augen einen einsamen Stand. Als er ihn fand, nahm er Leonard am Ärmel, und zog ihn mit sich. Der folgte ihm stumm.

***

„Besser jetzt?“
Leonard nickte leicht und seufzte. Es war ein Stand mit Duftölen und kaum jemand hielt sich davor auf. Der Verkäufer blickte interessiert zu ihnen hin.
„Er ist etwas gestresst“, erklärte Jim dem Händler das Desinteresse an seiner Ware.
„Hat er Platzangst?“, wollte der wissen.
„Nein, er mag nur keine Menschenaufläufe.“
Jim zuckte entschuldigend die Schulter und kümmerte sich wieder um Leonard. Der Kämpfte mit sich.

„Hey, Mister!“
Jim wandte sich um. Der Verkäufer hielt ihm hilfsbereit drei Fläschchen mit Ölen hin.
„Die wirken hervorragend gegen psychischen Stress! Lassen Sie ihn eines aussuchen.“
„Jim, ich …“ Leonard wich einen Schritt zurück.
Es war ihm peinlich, wie ein Häuflein Elend behandelt zu werden. Vor allem mit, seiner Meinung nach, abgedrehten Hilfsmitteln wie ätherischen Ölen. Eine Valium oder ein doppelter Bourbon wäre ihm lieber gewesen. Und garantiert wirkungsvoller seiner Ansicht nach!

„Wenn man es in ein Hypospray füllen könnte, würdest du es nehmen, oder?“, behauptete Jim und öffnete die Probefläschchen. „Hier, welches magst du am liebsten?“
Leonard stäubte sich erst, ließ es dann aber zu, dass Jim ihm die Proben eine nach der anderen unter die Nase hielt. Geduldig schnüffelte er sich durch Jasmin, Ylang Ylang und Anis, und tatsächlich spürte er nur Sekunden später eine willkommene Ruhe in sich aufsteigen. Er entschied sich für Jasmin, es schien die größte Wirkung auf ihn zu haben, obwohl ihm der Duft nicht wirklich zusagte.

„Was macht das?“, fragte Jim den Verkäufer erfreut und strahlte ihn dankbar an.
„Es sind Probefläschchen“, erklärte der Händler freundlich, „träufeln Sie ihm ein paar Tropfen auf den Jackenkragen. Wenn er sich wieder gestresst fühlt, kann er einfach daran riechen!“

Jim tat es, und während er dem Händler die Fläschchen zurückgab, versenkte Leonard heimlich seine Nase im Kragen. Jim sah es aus den Augenwinkeln und freute sich.

„Ich nehme eines!“, bestimmte er.
„Was hat er ausgesucht?“, fragte der Händler interessiert.
„Jasmin.“
„Jasmin …“, er suchte im Sortiment, „das überrascht mich nicht! Jasmin ist ein unglaublich wirksamer Duft. Tief eingeatmet hat es einen Effekt auf den Körper, der Valium gleich kommt! Es ist das perfekte Öl gegen Stress, Anspannung und Nervosität. Außerdem hilft es gegen Kopfschmerzen, Depression, Angstzustände, hebt die Laune, regt die Fantasie an und wirkt aphrodisierend …“
„Ich nehme drei davon!“, platzte Jim heraus und griff nach dem Geldbeutel.

Der Preis für dieses wertvolle, reine Öl war geradezu ruinös, trotzdem freute sich Jim wie ein Maikäfer über die Errungenschaft. Nicht nur er. Auch Leonard hatte sich merklich entspannt und genoss die beruhigende Wirkung.

„Valium Pille, hast du gehört? Das ist genau dein Öl! Es beruhigt deine gestressten Nerven und macht glücklich; genau das was du brauchst, mein Freund!“ Jims Begeisterung reichte locker für zwei Personen.
„Aphrodisierend, Jim“, behauptete Leonard, „DAS ist es was dich überzeugt hat. Streit es bloß nicht ab!“
„Ach komm schon, Pille! Geht es dir nicht besser? Hm?“
„Ja?“, machte Leonard misstrauisch und musterte ihn, wie einen potentiellen Fressfeind.

„Na siehst du? Der Rest kommt von selbst!“, strahlte Jim. Leonard blieb misstrauisch.
„Jim, selbst wenn du dich mit dem Öl einschmierst: Ich werde nie mehr als nur Freundschaft für dich empfinden!“
„Wir werden sehen“, grinste Jim ganz Optimist. Leonard kommentierte das mit einer Augenbraue, die so steil wie die Eiger Nordwand war.
„Fühlst du dich jetzt gut genug, um dir den Markt anzusehen?“, lenkte Jim das Gespräch wieder auf den Markt.
Leonard nickte. Er wollte sich lieber weiter durch ein Meer aus Körpern wühlen, als mit Jim über möglicherweise aphrodisierende Substanzen zu fachsimpeln.
„Dann komm!“, rief Jim gegeistert und suchte mit den Augen den nächsten Stand.

***

„Ohhhh! Fellmützen!“ Nur noch eine Staubwolke befand sich da, wo Jim gerade gestanden hatte.
Seufzend verdrehte Leonard die Augen und eilte ihm nach.
„Jim! Du hast schon fünf Mützen im Schrank!“, belehrte er seinen überdrehten Freund und stemmte unterstreichend eine Hand in die Hüfte.

Jim Kirk ignorierte Belehrungen allerdings schon seit er hören konnte; bei McCoy machte er da keine Ausnahme. Begeistert zog er sie sich über den Kopf. Sie stand ihm nicht. Leonard quittierte das mit einem vielsagenden Heben seiner Augenbraue.

„Fellmützen sind toll!“, schmachtete Jim beglückt, zog sie aus und knuddelte sie verliebt mit den Fingern.
„Ja, wenn man Russe ist …“, spöttelte Leonard und wirkte schon wieder leicht genervt. Unauffällig roch er am Jackenkragen und inhalierte das beruhigende Öl. Jim referierte glücklich weiter.

„Fellmützen sind warm und flauschig und … Pille! Das ist wie ein Tribble, den man nicht füttern muss!“, fiel ihm spontan ein und hielt Leonard begeistert und auffordernd die Mütze hin, als sei ein fütterungsunabhängiger Tribble genau das, was sein Freund sich schon sein Leben lang gewünscht hatte.

„Wie praktisch“, frotzelte der Arzt und lehnte ab.
Trotzdem war Jim nicht entgangen, dass Leonard schon die längste Zeit mit den Fingern durch ein Hasenfell schmuste, das in der Auslage auf einem Haufen lag. McCoy bemerkte den Blick und zog die Finger aus dem Fell.
„Willst du die jetzt kaufen oder nicht?“, lenkte er ab und steckte der Versuchung widerstehend die Hände in die Jackentaschen.

„Du hast Recht“, stimmte ihm Jim zu und legte sie zurück, „fünf Mützen sind genug! Komm mit, dahinten habe ich eine Bude mit Glühwein gesehen!“
Begeistert hüpfte Jim voraus und Leonard blieb nichts anderes übrig, als sich erneut an seine Fersen zu heften.

***

Jim holte die Getränke, während Leonard ihnen einen der wenigen Stehtische reservierte. McCoy war nicht so der Weintrinker, er bevorzugte Bourbon. Trotzdem wieherte sein Honigkuchenpferd, als er in der Kälte des Winterabends und im Getümmel des Marktes seine Hände um die heiße Tasse schloss.

„Du lächelst“, stellte Jim glücklich fest.
„Ja? So einmal im Jahr tu ich das“, grinste Leonard etwas verlegen. Dann rief er sich in Erinnerung, dass er schließlich mit seinem besten Freund unterwegs war und ließ das Lächeln offen zu. Es wärmte Jim das Herz.

„Weißt du was?“, meinte er plötzlich unvermittelt, „Fünf ist eine blöde Zahl! Einer ist immer alleine. Warte hier …“
Jim tauchte in der Menge unter. Als er zurückkam, baumelte eine kleine Tasche an seinem Handgelenk.
„Sag nicht, du hast diese dämliche Mütze gekauft?!“, rief Leonard fassungslos und schüttelte den Kopf.
„Ach komm schon, Pille“, grinste der Blondschopf und genoss einen Schluck Glühwein, „es ist Weihnachtszeit! Man gönnt sich ja sonst nichts!“

Es war nicht das Einzige, das Jim sich an diesem Abend gönnte. Begeistert schwamm er mit Leonard durch die Menschenmasse, sah sich mit ihm Stände an und gab ihm immer wieder die Chance, sich an einem ruhigen Fleckchen zu erholen und Kraft aus dem Jasmin zu tanken.

***

Geduldig ließ Leonard Jims aufgekratzte Unruhe über sich ergehen, folgte bereitwillig dessen Ohhh’s und Ahhh’s, ließ sich mal hier mal dort hin schleppen, hielt die Taschen wenn Jim etwas kaufte und gab sich redlich Mühe, wenigstens ein bisschen dessen Enthusiasmus zu teilen.
Sie hatten bald den ganzen Markt gesehen, als Jims Aufmerksamkeit sich einem verführerischen Duft zuwandte.

„Pille, ich hab Hunger! Du auch?“
Leonard blieb stehen und hob zweifelnd die Augenbraue.
„Jim, wir haben vor knapp zwei Stunden zu Abend gegessen! Dass du jetzt sagst, dass du Hunger hast, kann also nur bedeuten, dass du etwas gesehen hast das dir super schmeckt und du lediglich eine Entschuldigung suchst, um dahin zu gehen und es dir zu holen. Richtig?“
„Mann, kennst du mich gut“, grinste Jim stolz und stellte sich erwartungsvoll vor ihm auf.
Leonard seufzte leise. Er kam sich mittlerweile vor, als wäre er stattdessen mit Joanna unterwegs.

„Also“, fragte er resigniert und auch etwas spöttisch, „was möchtest du haben, Schatz?“
Jim nahm das Schatz tief in sein Herz auf und strahlte ihn an.
„Crêpes!“, quietschte er glücklich und hüpfte auf den Fußballen. Sowas gab es in der Kantine nie! „Mit Nutella und Bananen!“
Leonard musste lachen. Er hatte tatsächlich Joanna mitgebracht.

„Weißt du, wie ungesund das ist?“ Leonard hob strafend die Augenbraue.
„Weißt du, wie lecker das schmeckt?“, konterte Jim mit glitzernden Augen.
Leonard blickte ihm für Sekunden stumm ins Gesicht, dann zog sich endlich ein Lächeln über seine Wangen.
„Ich lade dich ein“, machte er ein Friedensangebot und Jim ging sofort darauf ein.

Während Jim sich tatsächlich für Nutella und Bananen entschied, gönnte sich Leonard die minimal gesündere Variante mit Fruchtmix und Schlagsahne. Er musste die Jacke öffnen und den Kragen umschlagen, damit nicht jeder Bissen nach Jasmin schmeckte.

„Das ist auch kein Abendessen Pille“, schmatzte Jim genüsslich, „sondern ein Nachtisch!“
Seine Augen strahlten wie funkelnder Christbaumschmuck als er sich die nächste, hoffnungslos überhäufte Gabel in den lachenden Mund schob. Die Lichterkette des Crêpstandes spiegelte sich auf faszinierende Weise in seiner blauen Iris. Er sah unglaublich glücklich aus.

„Warte mal, du hast da was …“, langsam, damit Jim sich darauf vorbereiten konnte, näherte Leonard sich mit dem Zeigefinger dessen Gesicht. Kräftig strich er Jim über den Mundwinkel und präsentierte ihm eine Fingerbeere voller Nutella.
„Jaah, sicher! Klaar!“, spottete Leonard und zog seinen Finger zurück. Jim hatte, offenbar in der Hoffnung ihn ablecken zu dürfen, bereitwillig den Mund geöffnet.
„Spielverderber“, murmelte Kirk enttäuscht und leckte sich über die Lippen.

Leonard kommentierte das mit einem Hüpfer seiner Augenbraue. Jim war ihm schon anhänglich genug, da musste er nicht noch seine unerfüllten Hoffnungen mit Gesten füttern, die dieser auch wer weiß wie interpretieren könnte.
Im Gegensatz zu Leonard mochte Jim es, im Gesicht berührt zu werden. So dauerte es auch nicht lange, bis er seinem Freund absichtlich erneut einen Grund dazu gab.

„Sag mal, kannst du auch anständig essen!?“, moserte McCoy und hielt ihm eine Serviette hin. Jims schändlicher Plan schien nicht aufzugehen.
„Ich kann nicht sehen wo es ist“, behauptete er nicht ganz zu Unrecht und wies die Serviette zurück. Leonard knurrte innerlich.

„Na schön, dann halt still, ich … warte mal!“, kam ihm plötzlich eine Eingebung, „Das war dein Plan, richtig? Du bist so scheinheilig, James T. Kirk!“
„Und du bist so …“, begann Jim grinsend und brach dann ab.
Er wusste, dass Leonard seine liebevollen Komplimente nicht hören wollte und trug dem Rechnung. Tapfer lächelte er ihn an. Leonard sah betreten weg.

Es war immer schwierig, wenn zwei Freunde nicht das Gleiche für einander empfanden. Leonard reichte es, über den Markt zu schlendern und seinen besten Freund neben sich zu wissen. Jim hingegen wollte ihn spüren. Schulter an Schulter gehen, vielleicht sogar die Hand …
„Wovon träumst du?“, wollte Leonard misstrauisch wissen und ließ die Traumblase platzen. Jims Lächeln und der abwesende Blick hatten ihn verraten.

„Willst du nicht wissen“, gestand er ihm ehrlich und hielt aber doch auffordernd die Wange hin.
Leonard zögerte kurz und wischte ihm dann energisch mit der Serviette die Nutellaspur aus dem Gesicht. Jim bedankte sich mit einem Strahlen und kratze die letzten Reste im Teller zusammen. Leonard, der eher der Genießer war, hatte noch ein Stück vor sich.

„Ich räume das weg“, meinte Jim gönnerhaft und ging mit den leeren Tellern zum Mülleimer.
Ein Schelm, wer Arges dabei dachte. Leonard hätte es tun sollen. Als Jim nämlich zurückkam, hatte er ein fieses Grinsen im Gesicht. McCoy bemerkte es zu spät. Mit einem Koboldskichern schmierte Jim ihm mit dem Zeigefinger Schlagsahne auf die Nasenspitze und tauchte dann blitzschnell in der Menge unter.

„Was zum …?!“, keuchte Leonard verblüfft, wischte sich mit der Handinnenfläche die Schlagsahne von der Nase und leckte sie ab. Dann sprang er ihm knurrend hinterher.

***

Es war Jim, der sein Gegenstück als erster in der Menge wiederfand. Unnötig vorsichtig schlich er sich an, sprang hinter einem breiten Rücken hervor, packte mit beiden Händen Leonards Arm und presste sich an ihn. Noch bevor McCoy sich seines Schreckens endgültig bewusst wurde, ließ Jim ihn wieder los. Er war völlig aufgezogen und überdreht.

„Mit dir geh’ ich nie wieder irgendwo hin!“, drohte Leonard und schnaufte.
Jim lachte nur und umarmte sich selbst. Pille klang viel zu entspannt, um seine Drohung ernst zu meinen. Mit unverhohlenem Stolz stellte der blauäugige Blondschopf fest, dass sein brummiger Kumpane geradezu belustig zu ihm rüber funkelte. Hatte er möglicherweise doch etwas von seiner Mauer lockern können? Hatte Pille vielleicht sogar gerade Spaß?

Ungläubig schüttelte der Arzt den Kopf und lächelte dann tatsächlich. In Jims Brust plusterte sich ein Tribble zur Fußballgröße auf. Er hatte tatsächlich geschafft, woran er wochenlang gescheitert war: Leonard amüsierte sich! Er war glücklich.
„Komm“, forderte Jim ihn auf, „dort hinten gibt es einen Stand mit Edelsteinen und Glaszeug; das musst du sehen!“
Mutig griff Jim nach Leonards Hand und zog ihn mit sich.

***

Sie waren nicht die einzigen, die sich für bunte Achate und Svarowski Figuren begeisterten. Leonard löste hastig seine Hand aus der Verbindung, als sie Uhura erkannten. Jim schluckte den Schmerz hinunter, als Leonards Igelstacheln ihn erneut trafen und wandte sich an Nyota. Die sah etwas genervt aus.

„Uhura, was ist los? Kein Geld mehr?“, stichelte Jim fröhlich und grinste sie an.
„Oh nein, bitte nicht Sie?!“, stöhnte sie, als hätte ihr Jims Anblick gerade noch gefehlt.
„Kadett?“, grüßte McCoy formell und nickte ihr zu.
„Hallo Doktor“, gab sie den Gruß zurück und stutzte dann. „Sagen Sie bitte nicht, der nervt jetzt auch Typen?!“

„Bitte?“, wunderte sich Leonard und Jims Grinsen wanderte bis zu seinen Ohren.
„Das ist Pille, mein Freund!“, strahlte Jim stolz. Nyotas Augen wurden groß.
„Wenn Sie Freund sagen, meinen Sie dann Freund oder …“ Leonard unterbrach sie abrupt.
„Freund! Nur Freund, klar?“ Er bellte es fast, so war er erschrocken. Beschwichtigend hob Uhura die Hände und biss ein Schmunzeln tot.
„Leonard McCoy“, stellte er sich vor und gab sich Mühe, seiner Stimme einen betont lässigen Touch zu verleihen.

„Ny … Ich bin Uhura“, lächelte sie und reichte ihm die Hand. Voller Genugtuung bemerkte sie im Augenwinkel, wie Jim sich fluchend abwandte.
„Wie ich sehe kennt ihr euch“, stellte Leonard fest, dem die kleinen Sticheleien nicht entgangen waren.
„Er hat mir an die Brüste gefasst und wurde dafür verprügelt!“ Genüsslich ließ sie jedes Wort einzeln auf der Zunge zergehen.

„Jim?“, fragte Leonard vorwurfsvoll nach.
„Ist ‚ne Weile her“, grinste der frech und ohne Reue. „Also Uhura, warum so verdrießlich?“
„Haben Sie mal versucht, einem Vulkanier den Geist der Weihnacht nahe zu bringen?“, seufzte sie tief und schüttelte fassungslos den Kopf. „Er meinte, es sei unlogisch, sich gegenseitig etwas zu schenken, wenn nur ein Individuum Geburtstag hat. Vor allem fand er es merkwürdig, dass wir den Geburtstag heiligen, wo bei Verstorbenen doch des Todestages gedacht wird …“

Ungläubig schnaubend wandte sie sich ab und begeisterte sich sofort für ein paar funkelnde, rote Ohrringe.
„Deswegen gehe ich Vulkaniern aus dem Weg“, murrte Leonard dem Schmuckstand zu und hob die Braue.
„Haben Sie ihm erklärt, dass wir auch Ostern feiern?“, grinste Jim und freute sich diebisch darüber, dass die taffe Uhura ihren Meister gefunden zu haben schien.

Schlagfertig öffnete die hübsche Afrikanerin den Mund und schloss ihn dann wieder. Sie hatte nicht vor, Jim auf den Leim zu gehen.
„Ich will Sie nicht aufhalten, Kirk“, drehte sie den Spieß um, „Sie haben doch sicher noch eine Menge vor oder? Sie und Ihr … Freund!
Während es Leonard geschockt die Sprache verschlug, umrundete Jims Grinsen seinen Kopf. Er setzte gerade zu einer Retourkutsche an, als ihn ein kräftiger Ruck vom Stand fort riss. Leonard hatte nicht vorgehabt, Jims Antwort abzuwarten.

„Verdammt nochmal, Jim?!“, fauchte er fassungslos und stellte ihn grob vor sich auf.
„Das war für die Stacheln, Pille“, erklärte er ihm ruhig aber so kalt wie der Wind, der ihnen um die Ohren pfiff.
Leonard blinzelte eine Weile und nickte dann.
„`Tschuldige“, murmelte er betroffen.
Leonard gab sich Mühe, trotzdem musste sein bester Freund es noch immer zu oft erleben, wie er seinen schützenden Stachelwall gegen ihn ausfuhr. Jim litt darunter; Leonard wusste das.

„Es tut weh, weißt du?“, erklärte ihm Jim und Leonard nickte kaum sichtbar.
„Kann ich’s wieder gut machen?“, bot er zweifelnd an.
Jim nickte versöhnlich und nahm optimistisch seine Hand. Leonard zog sie zurück, akzeptierte aber, dafür am Ärmel gehalten zu werden.

„Du brauchst n’ Glühwein, stimmt’s?“, vermutete Jim und legte ein aufmunterndes Lächeln auf seine Lippen.
Leonard würde seine Kugelhaltung nicht aufgeben, wenn er ihm erneut Nähe aufdrängte. Also versuchte er ihn stattdessen zu entspannen. Leonards Stimmung kippte schon wieder gefährlich, Jim wollte ihn auffangen, bevor ihn seine triste Alltagslaune wieder hatte.
„Ich glaube, jetzt brauche ich zwei! Gibt’s die auch doppelt?“, scherzte Leonard, dankbar das Friedensangebot annehmend.

Beschwichtigt marschierten sie zum nächsten Glühweinstand und feierten Versöhnung.

***

„Pille, kann ich dich was fragen?“
„Ja?“, bestätigte der etwas misstrauisch.
„Was für Frauennamen kennst du, die mit Ni anfangen?“
„Ni?“, fragte Leonard überrascht aber erleichtert. „Ähm, tja also: Nicole, Nichelle, Nia, Nica, Nikita, Nina, Nivia…“
„Woher kennst du so viele Frauennamen?!“, platzte Jim verblüfft heraus.

„Tausende Patienten, Jim, tausende Patientenakten. Außerdem habe ich eine Tochter wie du weißt. Joanna war nicht unser erster Einfall. Kannst du dir vorstellen, wie viele Tausend Babynamen es gibt? Außerdem hat …“ Sein Gesichtsausdruck bekam plötzlich einen fiesen Zug. „Uhura! Du willst ihren Vornamen wissen und sie will ihn dir nicht sagen, stimmt’s? Darum hat sie ihn abgebrochen und sich mir mit Nachnamen vorgestellt!“
„Brillant, Holmes!“, spottete Jim und knurrte innerlich. Offenbar stand Pille auf ihrer Seite. Trotzdem fragte er zuversichtlich: „Hilfst du mir, ihn herauszufinden? Sie hat doch bestimmt eine Krankenakte, die …“

Leonard lachte laut und läutete die Glocke der Rache.
„Vergiss es, Jim! Das klär mal schön selber, ja? Glaub ja nicht, dass ich mich von dir in deine Weibergeschichten verwickeln lasse!“
„Und sowas nennt sich Freund …!“, spottete Jim und spuckte symbolisch auf den Boden.
Leonard grinste breit und leerte die Tasse.
„Trink aus, Jim, mir reicht es für heute. Ich will nach Hause, mir ist kalt!“

***

Willkommene Wärme empfing sie in Leonards Quartier auf dem Campus.
„Kann ich hier duschen? Ich bin völlig durchgefroren“, bibberte Jim und setzte sich auf Leonards Bett.
„Ja, sicher“, bejahte der und griff nach der Thermoskanne. „Tee?“
„Ja, bitte!“
„Was dagegen, wenn ich mich zuerst aufwärme?“, bat McCoy und rieb sich die kalten Oberschenkel. Die Kälte piekste auf seiner Haut.
„Natürlich nicht! Ich mache es mir in der Zwischenzeit bequem“, nickte Jim, griff sich eine Wolldecke und wickelte sich darin ein.
„Ich hatte nichts anderes erwartet“, schmunzelte Leonard und verschwand dann im Bad.

Jim stand schon bibbernd vor der Tür als er geduscht, aufgewärmt und bequem angezogen wieder im Raum erschien. Kirk strahlte ihn auf eine merkwürdig glückliche Weise an. Ein Zug von Heimlichkeit umspielte sein Lächeln.

„Pille? Du weißt doch, dass ich es immer würdige wenn du mir deinen weichen Igelbauch zeigst?“, schnurrte er dankbar.
„Jaah?“, meinte Leonard vorsichtig.
Ihm wollte gerade nicht einfallen auf welche Situation sein Freund da anspielte. Soweit er sich erinnern konnte, war der heute nur schmerzhaft mit seinem stacheligen Rücken konfrontiert worden.
„Gut! Ich hoffe nur, der Typ hatte Recht“, strahlte Jim etwas kryptisch und griff Leonard bei den Schultern. „Dann bis später! Ich gehe duschen, ich bin schon ganz steif gefroren …“

„Bis dann!“, rief ihm Leonard nach und ging zum Schreibtisch, um sich Tee einzuschenken.
Noch auf dem halben Weg blieb er überrascht stehen. Sein Blick war aufs Bett gefallen. Eine Mischung aus Keuchen und überraschtem Lachen kam aus seinem Mund.

„Igelbauch, hm?“
Kopfschüttelnd aber gerührt trat er zum Bett und setze sich. Jim war nicht zurückgegangen, um sich die Mütze zu holen. Er hatte für Pille etwas gekauft. Über sein Kopfkissen ausgebreitet lag das Hasenfell vom Stand.

Leonard liebte Fell. Es war die einzige Möglichkeit für ihn, die Haut eines Lebewesens zu berühren, ohne dass es mit ihm interagierte. Jim musste diese Geste sofort verstanden haben. Leonard hatte ihm also tatsächlich ohne es zu merken seine sensible Seite, den Igelbauch gezeigt.
Beglückt strichen seine Finger über die seidigen Haare bis …

„Jim, du bist so ein hinterhältiger, scheinheiliger …“
Leonard schnitt eine Grimasse in die Richtung des Badezimmers. Meister Lampes Fell roch verräterisch nach Jasmin.


ENDE
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