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Dankbarkeitsfest

von Nerys

Kapitel 1

Gedankenverloren zeichnete Nerys mit dem Finger unbestimmte Figuren in den sandigen Boden. Als ein langer Schatten über sie fiel, hob sie ertappt den Kopf. Vedek Fala sah nachsichtig auf das zehnjährige Mädchen herab.
„Nun, Nerys“, mahnte er sie sanft, doch nicht ohne einen gewissen Nachdruck. „Was habe ich gerade gesagt?“
Sie zuckte gleichmütig mit den Schultern. Zwei andere Kinder in der Nähe kicherten schadenfroh, woraufhin der Vedek sich umwandte.
„Aru und Linn, möchte einer von euch beiden es Nerys erklären?“
Sofort schwiegen die beiden Störenfriede und er lächelte gütig. „Ich hatte euch – also auch dich – gebeten heute noch eure Erneuerungsschriftrollen zu schreiben, damit wir sie beim morgigen Unterricht gemeinsam dem Feuer übergeben können. Auch möchte ich, dass ihr euch überlegt, wofür ihr dankbar seid, denn wir wollen den Propheten gemeinsam dafür danken. Jeder von euch sollte etwas dazu beitragen. Damit ist der Unterricht für heute beendet.“
Gemurmel wurde laut, während die Kinder, die bisher in einem Halbkreis um den Vedek auf dem Boden gesessen waren, ihre Schreibsachen aufsammelten und ihre Plätze verließen. Nerys beeilte sich, das Feld zu räumen, es war ihr unangenehm, ermahnt worden zu sein. Sie wartete nicht auf ihre beiden jüngeren Brüder, die ihr sowieso folgen würden.
Auch nach Monaten hatte sie sich an die Unübersichtlichkeit und den Gestank des Lagers nicht gewöhnt. Die Baracken waren so überfüllt, dass jetzt im Sommer viele es vorzogen, draußen im Freien zu übernachten. Sie schlängelte sich zwischen schmutzigen Matratzen und notdürftigen Behausungen aus Stecken und Leintüchern hindurch, bis sie vor dem unüberwindbar hohen Zaun stand. Fast jeden Tag nach dem Unterricht lief sie hierher, um sich zu vergewissern, dass es noch ein Draußen auf der anderen Seite gab. Einmal hatte sie dabei einen jungen Mann beobachtet, der über den Zaun klettern wollte. Das verborgene Kraftfeld hatte seine Hände zu blutigen schwarzen Klumpen verbrannt. Nachwievor glaubte sie den widerlich süßlichen Geruch des verkohlten Fleisches zu riechen. Dennoch kam sie immer wieder zurück an diesen Ort, denn der Gedanke an die Freiheit hielt sie am Leben und trieb sie durch das trostlose Lagerdasein. Sie ließ sich auf den von der Sonne erwärmten sandigen Boden sinken und entfaltete das Blatt Papier, das ihre Erneuerungsschriftrolle sein würde. Wie von selbst führte ihre Hand den Stift, die Worte und Sätze flossen aus ihr heraus. Vergangenes Jahr war so viel passiert, das sie sich von der Seele schreiben wollte, angefangen damit, dass die Cardassianer gekommen waren, um das Haus zu beanspruchen, in dem sie mit ihrem Vater und ihren Brüdern gelebt hatte. Es war nicht groß gewesen, aber eine Zuflucht, ein Heim. Doch nun gehörte das ganze Viertel den Cardassianern und die vertriebenen Familien, die nirgendwohin hatten gehen können, fristeten ihr Dasein im Lager. All diese Ungerechtigkeit machte Nerys unglaublich traurig und wütend. Sie schrieb ihr Papier bis zum letzten Stück voll und rupfte einen langen Grashalm aus, der vor dem Zaun aus der kargen Erde wuchs, um ihre Schriftrolle damit zu verschnüren.
Ihre Brüder erwarteten sie bereits, als sie zum Schlafplatz ihrer Familie zurückkehrte, und ihr Vater war von seinem Tagewerk zurück. Er umarmte seine Tochter liebevoll und streichelte ihr über das rostrote Haare.
„Reon und Pohl haben mir schon vom Unterricht heute erzählt“, sagte er zu ihr. „Es ist gut, dass Vedek Fala euch die alten Traditionen beibringt. Hast du deine Schriftrolle schon fertig?“
Wortlos zeigte Nerys ihm das zusammengerollte Papier und stopfte es, als er anerkennend nickte, in einen Riss an der Seite ihrer zerschlissenen Matratze.
„Ich habe euch etwas mitgebracht, weil heute ein besonderer Abend ist.“ Taban öffnete den Beutel, den er bei sich trug und reichte jedem seiner Kinder eine getrocknete Jumja. Mit einer bestimmenden Geste gebot er der Begeisterung der beiden Jungen und des Mädchens über die süße Leckerei Einhalt. „Wir wollen ein Gebet sprechen, dann dürft ihr eure Jumjas essen. Diesen Abend beginnt das Dankbarkeitsfest.“
Die Kinder fassten einander an den Händen, doch während Reon und Pohl andächtig vor sich hin zu murmeln begannen, sah Nerys ihren Vater fragend an. „Wofür sollen wir dankbar sein? Für das hier?“ Sie vollführte eine ausladende Handbewegung in Richtung Lager. „Die Cardassianer nehmen uns alles weg! Unser Zuhause, das Essen, für uns bleibt nichts übrig.“
„Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir für das Wenige dankbar sein, das wir noch haben, Nerys“, entgegnete er sanft. „Wir sind am Leben und unsere Familie ist vereint, nur das zählt. Hier im Lager gibt es viele Kinder, die Mutter und Vater verloren haben, und es gibt Eltern, die ihre Söhne und Töchter lange vor der Zeit zu den Propheten gehen lassen mussten.“
„Unsere Mutter ist auch zu den Propheten gegangen“, widersprach Nerys trotzig.
Taban nickte leicht und für einen Moment offenbarte seine Miene all den Schmerz, den er vor seinen Kindern stets verbarg. „Sie hatte großes Talent dafür, das Gute zu sehen, wenn niemand sonst das vermochte. Ich bin dankbar dafür, dass ich sie kennen und lieben durfte, und ihr seid das kostbarste Geschenk, das sie mir machen konnte. Ein Teil von ihr lebt in jedem von euch weiter, das dürft ihr niemals vergessen. Reon hat ihre Zuversicht, Pohl ihren Mut und du Nerys, du hast ihren Stolz.“
Das Mädchen begann hemmungslos zu schluchzen und er nahm es in die Arme. Er konnte nicht verstehen, was seine Tochter unter Tränen stammelte, doch sein Herz sagte ihm, dass sie begriffen hatte. Seine Söhne kuschelten sich von beiden Seiten an ihn, still und andächtig. Er spürte, dass seine Augen feucht wurden. Diese drei wunderbaren Kinder waren alles, was er hatte, und er würde jedes von ihnen mit seinem Leben beschützen. An jedem einzelnen Morgen betete er zu den Propheten dafür, dass sie am Abend noch vereint waren. Nach einer Weile verebbte Nerys’ Schluchzen. Sie sah ihn aus roten verweinten Augen an.
„Danke, Papa“, murmelte sie kaum hörbar.


ENDE
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