TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Deep Space K7: Niemandsland

von road runner

Kapitel 2

Lieutenant Thelv verließ den Raum, und Naomi schaute ihr nach. Vor ihrem geistigen Auge ließ sie das Treffen im Transporterraum der Station Revue passieren, während sie nach einer Begründung für das schroffe Verhalten der Andorianerin suchte.


Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie auf irgendeine Art unwissentlich beleidigt? Sie kannte sich nicht besonders gut mit der Kultur der Andorianer aus. Es war also gut möglich, dass sie unbeabsichtigt eine Geste, eine Bemerkung gemacht haben könnte. Und, wie sie sich zerknirscht eingestehen musste: mit ihrer Beileidsbekundung war sie in ein Fettnäpfchen getreten. Aus Versehen. Aber rechtfertigte das das abweisende Verhalten der Andorianerin? Oder hatte sie bloß einen schlechten Zeitpunkt erwischt?

Naomi schob beiläufig eine verirrte Haarsträhne aus ihrer Stirn.


Vielleicht suchte sie an der falschen Stelle. Vielleicht lag die Schuld überhaupt nicht bei ihr, sondern bei Thelv. Naomi stieß ein kleines Seufzen aus und wanderte durch die monströse Kabine.


Vor einem riesigen Panoramafenster blieb sie stehen und blickte nachdenklich nach draußen. Einer der Arme des Außenpostens ragte wie ein Steg hinaus in die Schwärze. Das untertassenförmige Modul an seinem Ende wirkte klein, unendlich weit entfernt. Während sie zusah, nahm die Challenger Fahrt auf; das Schiff, das sie hergebracht hatte; und auf dem William Matthews in diesem Moment seine letzte Heimreise antrat. Naomi beobachtete, wie es zuerst beschleunigte und sich an der Grenze zum Warp zu dehnen schien – bis es mit einem hellen Flackern im All das Umfeld der Station verließ, eine Leuchtspur aus glühenden Restpartikeln hinter sich herziehend.


Ein kurzes Frösteln überkam sie.


Mit einem Mal fühlte sie sich sehr einsam.


Naomi wandte den Blick ab und schleppte sich in das angrenzende Schlafzimmer, wo die Tasche schon auf sie wartete. Als sie sie von dem breiten, bequem wirkenden Bett herunter nahm, fiel ihr die Flasche auf, die jemand auf dem Nachttisch platziert hatte. Sie war grün und besaß ein mit fremdartigen Lettern bedrucktes Etikett – und um ihren Hals baumelte ein Kärtchen von einem goldenen Faden. Neugierig klappte sie es auf und las die Nachricht, die in enger, verschlungener Handschrift darauf hinterlassen worden war:


Saurianischer Brandy,

ein ausgezeichneter Jahrgang.


Mit den besten Grüßen

Captain Will Matthews



Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als Naomi die Flasche zurück auf den Nachttisch stellte. Möglicherweise war sie doch nicht so allein, wie sie gedacht hatte. Naomi beschloss, zuerst ihre Sachen auszupacken. Danach würde sie einen Spaziergang unternehmen.


Zur Hölle mit dem Ausruhen, dachte sie und griff nach ihrer Reisetasche. Auf der Challenger hatte ich mehr als genug Zeit dazu.


Die Promenade wartete auf sie.


* * *


Blue Skies und ein Hauch von Vanille wehten Naomi entgegen, als sie das kleine Café mit dem Namen Gaviss’ betrat. Ein roylanischer Kellner hatte sich im Schneidersitz auf einem der breiten Holzkästen niedergelassen, die die einzelnen Nischen voneinander trennten. Er bedachte sie kurz mit einem Blick aus seinen schwarz-glänzenden Augen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Musik widmete, und den runzligen Kopf im Takt der Musik hin und her wippen ließ.


Hinter dem Tresen räumte eine Menschenfrau mit asiatischen Zügen schmutziges Geschirr in einen Replikator und dematerialisierte es. Sie grüßte mit einem wortlosen Nicken, nach dem sie sofort wieder an die Arbeit ging.


Naomi fiel auf, dass sich keine anderen Gäste im Gaviss’ aufhielten.

Sie wählte einen Tisch am Fenster zur Promenade, von dem aus sie den steten Strom der Passanten beobachten konnte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse hatte ein Ferengi-Händler einen mit Ramsch beladenen Stand aufgebaut und diskutierte lebhaft mit einem seiner Kunden. Der Romulaner wandte ihr den Rücken zu, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, aber das lauernde Lächeln auf den braunen Lippen des Ferengi sprach Bände. Ein paar Sekunden später zog der Romulaner einen Streifen Latinum aus der Tasche, legte ihn auf das purpurne Tischtuch und verschwand in der Menge, eine kleine Statue aus Ton unter dem Arm.


Der Händler sah ihm kurz nach, nahm seine Bezahlung vom Tisch und verstaute sie in einem Beutel an seiner Hüfte. Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter und entblößte ein Gebiss voller krummer, scharfer Zähne. Es verschwand abrupt, als sich einer von Lieutenant Thelvs Sicherheitstrupps seinem Stand näherte. An der Spitze der grau-weiß Uniformierten stand eine brünette Trill mit einem silbernen Balken auf dem Kragen. Eine Hand hielt sie auf dem Phaserhalfter an ihrem Gürtel, während ihr Blick wachsam die Passanten abtastete, auf der Suche nach verdächtigen Aktivitäten.


Zum Beispiel dem Verkauf von Hehlerware, fuhr es Naomi durch den Sinn.


Die Trill war offenbar zu einem ähnlichen Schluss gekommen.


Sie wies mit einem leichten Nicken in Richtung des Ferengi. Binnen weniger Sekunden erreichten die Sicherheitswächter den Stand und nahmen die Auslage unter die Lupe. Ihre Anführerin unterhielt sich indes mit dem Händler.


Naomi fiel auf, dass er immer wieder an seinen übergroßen Ohrläppchen zupfte. Mit jeder Sekunde sah er unglücklicher aus; seine flinken Augen huschten hin und her. Naomi drehte den Kopf und suchte die Promenade nach dem Romulaner ab, doch die Masse der Individuen hatte ihn spurlos verschluckt. Ob er wusste, was er da gerade erstanden hatte? Der Ferengi diskutierte inzwischen recht lebhaft mit dem weiblichen Fähnrich. Aus den Fetzen, die durch den Eingang in das Café wehten, schloss Naomi, dass die Trill ihn verdächtigte, Hehlerware zu verkaufen – zum wiederholten Male.


Wäre ja immerhin nicht das erste Mal, dass einer von denen über die Sträng schlägt, dachte Naomi, an ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit den Ferengi zurückdenkend.


Aber eine gute Erinnerung daran, sich von diesen zwielichtigen Gnomen fernzuhalten. So weit wie nur irgend möglich -


„Ich schätze, er wird es nie lernen“, seufzte jemand dicht neben ihr.


Naomi zuckte zusammen. Meine Güte, was -


Ein Mann mit einer sauberen, weißen Schürze hatte sich an ihren Tisch gestellt und sah kopfschüttelnd durch das Fenster nach draußen, wo zwei Sicherheitswächter den Ferengi abführten. Der brüllte inzwischen aus Leibeskräften, verteufelte die Trill und die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit der Diskriminierung, die ihm durch die Sternenflotte zuteil würde.


Dann sah er auf sie herab; ein zerbrechlich aussehender Mensch mittleren Alters, dessen Haar an den Schläfen vorzeitig ergraut war. Unter seine dunklen Augen hatten sich tiefe Ringe gegraben, doch seine spröden Lippen zierte ein offenes Lächeln.


„Schleichen Sie sich immer so an die Leute heran?“, wollte Naomi wissen.


Sie war ein wenig verärgert darüber, dass sie ihn nicht vorher bemerkt hatte.


„Sie schienen ganz in Gedanken versunken zu sein. Ich wollte sie nicht stören.“ Er schmunzelte. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, falls ich Sie erschreckt haben sollte.“


„Haben Sie nicht“, log Naomi rasch und wenig überzeugend. „Kann ich etwas für Sie tun, Mister …?“


„Nennen Sie mich einfach Gaviss, das machen hier alle.“


„Commander Naomi Wildman“, stellte sie sich vor. „Ich bin die -“


„Nachfolgerin von Captain Matthews“, beendete er ihren Satz. „Ich weiß. So etwas spricht sich auch auf einer großen Raumstation wie K-7 schnell herum, Commander. Und ein Großteil meiner Kundschaft ist Sternenflottenpersonal – da schnappt man das ein oder andere auf, wissen Sie?“


Gaviss legte den Kopf schief. „Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber Sie sehen sehr jung aus.“


Naomi musste lachen. „Ich wage zu bezweifeln, dass Ihnen irgendjemand diese Aussage übel nehmen könnte.


„Oh, Sie wären überrascht. Die meisten jungen Leute in Führungspositionen mögen es überhaupt nicht, auf ihr Alter angesprochen zu werden. Möglicherweise befürchten sie, dass es auf irgendeine Art und Weise ihre Autorität untergraben könnte, wenn man ihnen zu viele Komplimente macht.“


Gaviss grinste und zwinkerte schelmisch. „Aber… was weiß ich schon von solchen Dingen?“ Er zuckte die Achseln und schenkte ihr abermals ein strahlendes Lächeln.


„Darf ich Ihnen etwas zu Trinken anbieten, Commander? Einen Kaffee, oder einen Tee vielleicht?“


„Eine Tasse Kaffee wäre nett, danke“, sagte sie.


„Irgendetwas Besonderes?“, fragte Gaviss und stellte sich an den Replikator.


Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Schwarz ist in Ordnung.“


Er gab einen kurzen Befehl in die Schalttafel ein. Eine dampfende Tasse erschien im Ausgabefach.


„Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich ihn repliziere – aber seit einer guten Woche kommt inzwischen kein Nachschub mehr von der Erde.“


Naomi nickte verstehend. Der Krieg dauerte an, und überall machte sich Knappheit bemerkbar. Sie hatte auf dem Promenadendeck bereits mehr als ein Geschäft mit leeren Schaufenstern entdeckt, mehr als eine versiegelte Ladentür.


„Die meisten meiner Kunden scheinen deswegen in einen Hungerstreik getreten zu sein“, fuhr Gaviss fort und deutete auf sie. „Sie sind die Erste heute.“


„Kaum zu glauben“, meinte sie mit einem Blick auf das hübsche Dekor und das gepflegte Ambiente. Mit seinen voneinander getrennten Sitzgruppen, dem gefliesten Boden und der großen, hölzernen Theke erinnerte das Gaviss’ sie an eines jener Diner aus dem Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts, das sie und ihre Zeitgenossen nur noch aus angestaubten Fotografien kannten.


„Offensichtlich haben Sie Geschmack“, kommentierte er und grinste schief.


Gaviss stellte die Tasse vor Naomi ab, dann ließ er sich mit einem leisen Ächzen ihr gegenüber nieder und wischte die Hände an der Schürze ab. Er beugte sich vor und musterte sie neugierig.


„Wenn Sie die Frage gestatten, Commander Wildman; ist dies ihr erstes Kommando?“


„Ja“, gab sie unumwunden zu.


„Und wie fühlen Sie sich dabei?“


Naomi nippte an ihrem Kaffee, um Zeit zu gewinnen. „Wenn ich ehrlich bin; ein wenig mulmig“, sprach sie dann nachdenklich. Sie griff nach dem Löffel und rührte ein wenig in der Tasse herum. Sie dachte an Lieutenant Thelv. Das abweisende Verhalten der Andorianerin hatte bewirkt, dass sie sich wie ein Fremdkörper in dem gigantischen Organismus namens Deep Space K-7 fühlte.


„Das ist nur verständlich“, meinte Gaviss wissend. „Immerhin leben eine Menge Menschen an Bord der Station, ein Großteil davon Zivilisten – und im Ernstfall liegt die Verantwortung für deren Wohlergehen bei Ihnen.“


Als ob die Tribbles in den Wartungsschächten noch nicht genug Probleme machen würden, dachte sie ein wenig zerknirscht. Lieutenant Thelvs Worte hallten in ihrem Verstand wider: Sie treten in große Fußstapfen, Commander. Naomi trank einen weiteren Schluck, während Gaviss sich nachdenklich sein von Bartstoppeln verdunkeltes Kinn rieb.


„Wissen Sie“, sinnierte er, „manche Kommandanten betrachten ihre Mannschaft als Familie.“


Naomi musste an Kathryn Janeway denken. Der Admiral war nun bereits seit mehreren Jahren tot, aber niemand, der sie gekannt hatte, hatte sie jemals vergessen. Für sie war die Besatzung der Voyager zu einer Familie geworden, so wie das Raumschiff selbst damals für Naomi zu einem Zuhause geworden war. Und selbst nach ihrer Rückkehr in den Alphaquadranten war sie mit vielen von ihnen in Kontakt geblieben. Sie war es auch gewesen, die die Empfehlung für sie ausgeschrieben hatte, als Naomi sich an der Akademie der Flotte beworben hatte.


„Ich weiß“, sagte sie und rührte in ihrem Kaffee. Der Löffel stieß klirrend an den Rand der Tasse.


„Sie kennen das, nicht wahr?“, sagte er leise. „Die Leute, die man sieht. Tagein, tagaus. Sie werden mit der Zeit für eine Familie – und bleiben es für den Rest ihres Lebens.“


Naomi nickte stumm.


„Leute, für die man alles tun würde“, fuhr der alte Mann fort. Er senkte den Kopf. Dann sprach er leise und wie zu sich selbst: „Alles.“


Und plötzlich schrillten in Naomis Hinterkopf sämtliche Alarmglocken. Sie wusste nicht genau, warum – aber etwas an der Art, wie er dieses eine Wort aussprach, erfüllte sie mit tiefem Unbehagen. Ein wenig nervös rutschte sie auf dem Sitzpolster nach vorne. Gaviss schluckte hart und zwang sich, aufzusehen. Naomi erschrak – auf einen Schlag schien der Besitzer des Cafés um Jahrzehnte gealtert zu sein. Auf seinen Zügen lag eine schlechte Karikatur des Lächelns, mit dem er sie begrüßt hatte. Ihr fiel auf, wie dunkel die Schatten unter seinen eingesunkenen Augen waren.


Wie blass seine Haut und wie hohl seine Wangen waren.


Er musste bemerkt haben, welchen Schrecken er ihr eingejagt hatte, denn nur eine Sekunde darauf räusperte er sich und sagte: „Bitte entschuldigen Sie. Meine Familie … macht gerade eine schwere Zeit durch. Und ich sitze untätig auf dieser Raumstation fest.“


„Brauchen Sie Hilfe?“, erbot sich Naomi. „Vielleicht könnte ich ja ...“


Gaviss schüttelte traurig den Kopf.


„Das können Sie nicht, fürchte ich. Aber ich danke Ihnen, dass Sie gefragt haben.“


Seine Stimme klang rau und heiser. Naomi öffnete den Mund – und schloss ihn sogleich wieder, als sie bemerkte, dass sie im Begriff war, sich in Dinge einzumischen, die sie allem Anschein nach nicht das Geringste angingen. Wenn Gaviss nicht bereit war, darüber zu sprechen – woher nahm sie dann das Recht, ihn auszufragen? Plötzlich kam sie sich sehr fehl am Platz vor. Schweigend trank sie den Rest aus ihrer Tasse und erhob sich. „Also dann ...“


Sie nickte ihm zum Abschied zu und wollte sich zum Gehen wenden, doch Gaviss hielt sie plötzlich am Arm fest. Überrascht blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um.


Der Anflug eines echten Lächelns war auf sein Gesicht zurückgekehrt.


„Kommen Sie jederzeit wieder her, Commander Wildman“, sagte er. „Und … falls Sie jemanden zum Reden brauchen – diese Tür steht Ihnen immer offen.“


Er wies mit einem Kopfnicken auf den Eingang.


„Ich komme darauf zurück.“


Nachdem sie das Gaviss’ verlassen hatte, stand Naomi nicht mehr der Sinn danach, weiter über die Promenade zu streifen. Ein Blick auf ihr Chrono verriet ihr, dass ihr noch zweieinhalb Stunden bis zu ihrer ersten Lagebesprechung als Kommandantin blieben. Sie beschloss, die Zeit zu nutzen, um die erfolgte Ablösung William Matthews im Logbuch der Station zu vermerken, und betrat den Lift. Als sich die Türen geschlossen hatten, verstummte die lärmende Menschenmenge auf dem Deck dahinter.


„Verwaltungsebene, Büro des Kommandanten“, wies Naomi die Kanzel an. Nichts passierte. Ihre Hand war auf halbem Wege zu ihrem Insignienkommunikator, als ihr wieder einfiel, wie alt die auf K-7 verbaute Technik war.


„Richtig“, murmelte sie und drückte einen der Knöpfe auf dem Paneel.


Summend setzte sich die Kanzel in Bewegung.


Dem Himmel sei Dank bist du von selbst drauf gekommen, dachte sie; denn die Vorstellung, an ihrem ersten Tag einen Fehlalarm in der Ingenieursabteilung zu verursachen, behagte ihr nicht sonderlich.


Das wäre peinlich geworden -



Rezensionen