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Mnhei’Sahe

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Irgendwann nach »Face of the Enemy«...

Mit einem leisem Seufzen desaktivierte Deanna Troi den elektronischen Datenblock, der vor ihr lag. Einer von vielen, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten. Zu den Pflichten der betazoidischen Schiffsberaterin gehörte es unter anderem, in regelmäßigen Abständen Mannschaftsbeurteilungen vorzunehmen. Bei der hohen Besatzungszahl der Enterprise keine leichte Aufgabe, die zudem wie kaum eine andere geeignet war, sich hier an Bord Feinde zu machen.
Mit Schaudern dachte sie an den unerfreulichen Zwischenfall mit Lieutenant O’Mally, der sich vor zwei Tagen ereignet hatte. Der junge Offizier aus der technischen Abteilung war ursprünglich für eine Beförderung vorgesehen gewesen. Aufgrund der von ihr geltend gemachten Bedenken traf Captain Picard jedoch eine andere Entscheidung. Wie O’Mally davon erfahren hatte, war ihr nach wie vor ein Rätsel. Jedenfalls war er daraufhin wie ein wütender Stier in ihr Büro gestürmt, hatte sämtliches Mobiliar kurz und klein geschlagen und war dann auf sie losgegangen. Drei Leute von der Sicherheitsabteilung waren nötig gewesen, um ihn davon abzuhalten, sie zu erwürgen. Nur unter größter Mühe gelang es den Sicherheitskräften, den Tobenden in eine Arrestzelle zu schaffen. Dieser Vorfall führte zu seiner sofortigen Suspendierung. Nun erwartete ihn wegen ‘tätlichen Angriffs auf einen vorgesetzten Offizier’ ein Verfahren vor dem Kriegsgericht. Neben einer Degradierung zum einfachen Fähnrich, musste er dabei auch mit einer hohen Gefängnisstrafe rechnen. Allein die Tatsache, dass er zur Tatzeit unter Alkoholeinfluss gestanden hatte, bewahrte ihn davor, bis zur Ankunft auf Sternenbasis 23, wo die Verhandlung stattfinden sollte, arrestiert zu bleiben. So stand er lediglich unter Hausarrest und durfte sein Quartier nicht verlassen.
Unwillkürlich fröstelte sie. Zu frisch war die Erinnerung an zwei grobe Männerhände, die sich brutal um ihren Hals legten, an das grauenhafte Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Wie so oft in den vergangenen zwei Tagen, spürte sie, wie plötzlich aufkeimende Panik sie zu überwältigen drohte. Daher zwang sie sich, diese unangenehmen Gedanken beiseite zu schieben und sich stattdessen auf etwas Erfreuliches zu konzentrieren.
Zum Beispiel auf Fähnrich T’Shela, deren Beurteilung sie gerade mit der abschließenden Bemerkung beendet hatte, sie für eine baldige Beförderung zum Lieutenant in Betracht zu ziehen.
Die junge Vulkanierin war zwar erst seit drei Monaten an Bord, hatte sich in dieser kurzen Zeit jedoch bereits den Respekt und die Sympathie sämtlicher Brückenoffiziere verdient. Woran genau das lag, vermochte niemand mit Bestimmtheit zu sagen. Schon nach wenigen Wochen war sie infolge einer Empfehlung ihres direkten Vorgesetzten auf die OPS beordert worden. Ihr Pflichtbewusstsein und ihre überragenden Fähigkeiten versetzten sogar Captain Picard in Erstaunen. Wie alle Angehörigen ihres Volkes war sie stets äußerst zurückhaltend und unterwarf ihre Handlungen ausschließlich den Gesetzen der Logik. Sie lächelte nie, doch sie strahlte eine derart ruhige Würde aus, dass alle davon beeindruckt waren. Einzig Commander Riker stieß sich zunächst etwas an der kühlen Höflichkeit der jungen Frau, die auf seine Scherze bestenfalls mit einer hochgezogenen Augenbraue reagierte. Als sich dann aber herausstellte, dass T’Shela nicht nur Pokern konnte, sondern dieses Spiel geradezu meisterhaft beherrschte, änderte sich die Meinung des Ersten Offiziers schlagartig. Ehe die Vulkanierin sich versah, war sie auch schon in die Pokerrunde der höheren Offiziere der Enterprise aufgenommen. Eine Ehre, die sie mit der ihr ureigenen Gelassenheit akzeptierte. Woche für Woche trieb sie nun mit ihrer unbeweglichen Miene die anderen Mitspieler zur Verzweiflung. Wahrscheinlich würde sie auch heute Abend wieder um einige Credits reicher das Quartier des Ersten Offiziers verlassen.
Bei dem Gedanken musste Deanna unwillkürlich lächeln. Sie selbst spielte auch ganz gerne Poker. Will hatte es ihr vor vielen Jahren auf Betazed beigebracht. Nie würde sie das entsetzte Gesicht ihrer Mutter vergessen, als sie davon erfuhr. Noch immer hatte sie Lwaxanas Worte im Ohr: ‘Kleines, ich bin schockiert, geradezu beschämt. Eine Tochter des fünften Hauses spielt nicht um Geld. Das ist einfach undenkbar. Glücksspiele sind ein Zeitvertreib für jene, die aus einer weniger vornehmen Gesellschaftsschicht stammen’.
Mit Rücksicht auf die strengen Traditionen ihrer Heimat hatte Deanna als gehorsame Tochter daraufhin jahrelang keine Karte mehr angerührt. Dann kam ihre Versetzung auf die Enterprise und das Wiedersehen mit Will. Hatte sie anfänglich noch ein schlechtes Gewissen gehabt, genoss sie mittlerweile die regelmäßigen Pokerabende. Seit Fähnrich T’Shela mit von der Partie war, gefielen sie ihr sogar noch besser. Es bereitete ihr ein fast boshaftes Vergnügen, mitzuerleben, wie Wills berühmt-berüchtigtes Poker-Face völlig wirkungslos am stoischen Gleichmut der jungen Vulkanierin abprallte. Deanna bedauerte sehr, dass ihre Pflichten ihr an diesem Abend keine andere Wahl ließen, als auf die Teilnahme an der Pokerrunde zu verzichten.
Mit einem missbilligenden Blick auf den Stapel von Datenblöcken, der, obwohl sie schon seit vielen Stunden am Schreibtisch saß, nicht kleiner geworden zu sein schien, entschied die Counselor, dass sie sich eine kleine Erholungspause redlich verdient hatte. Sie stand auf und trat an den Replikator.
»Eine große Tasse heiße Schokolade!«, orderte sie und verfolgte mit fast kindlicher Vorfreude, wie das Gewünschte begleitet von einem bunten Flimmern repliziert wurde. Die junge Betazoidin liebte Schokolade in jeder Variation. Von dieser Leidenschaft konnten sie auch Wills gelegentliche scherzhafte Bemerkungen über die möglicherweise negativen Auswirkungen dieser, ihrer Schwäche auf ihre Figur, nicht abbringen. Sie nahm die Tasse aus dem Ausgabefach und setzte sich in einen jener bequemen Sessel, die zur Standardausstattung eines Offizier-Quartiers gehörten.
Einige Sekunden lang saß sie nur da und genoss den wunderbar aromatischen Duft, dann seufzte sie vor Wohlbehagen und begann damit, das dickflüssige Getränk in kleinen Schlucken zu sich zu nehmen. Danach setzte sie die leere Tasse ab und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
Doch diesmal blieb das erwartete Gefühl völliger Entspannung aus. Stattdessen verspürte sie plötzlich einen Anflug von Übelkeit. Dem folgten Wellen enormer Hitze und Kälte, die sie abwechselnd durchfluteten. Alles um sie begann sich zu drehen. Es gelang ihr zwar, schwankend aufzustehen, doch nur, um sofort wieder zusammenzubrechen. Der Kabinenboden schien unter ihr nachzugeben, die Wände immer näher zu kommen. Sie versuchte, nach ihrem Kommunikator zu greifen, musste jedoch entsetzt feststellen, dass es ihr unmöglich war, sich zu bewegen. Von einem Moment auf den anderen hatte sie eine lähmende Starre ergriffen.
Hilflos lag sie da und rang nach Luft. Dann setzten die Schmerzen ein. Furchtbar und stechend breiteten sie sich in rasender Geschwindigkeit in ihrem ganzen Körper aus. Sie wollte schreien, doch aus ihrer Kehle kam nur ein heiseres Krächzen.
Imzadi, hilf mir!, dachte sie voller Todesangst inmitten dieser grauenhaften Qual, während die Welt um sie herum langsam in dunklen, wabernden Nebeln zu versinken begann.

* * *

»Ich gebe auf«, seufzte Dr. Beverly Crusher. »Sie haben mich bis auf das Hemd ausgezogen. Wenn ich weiterspiele, kann ich bald nackt in Zehn Vorn betteln gehen.«
Lieutenant Commander Data, der ihr gegenüber an dem runden Tisch saß, musterte sie sichtlich irritiert. »Verzeihen Sie bitte, Doktor, aber soweit ich sehe, haben Sie Ihre Uniform noch immer an.« In den gelben Augen des Androiden blitzte es kurz auf, ein Zeichen, dass er seinen internen Datenspeicher aktivierte. »Nach meinen Informationen gibt es nur eine Poker-Variante, bei der es üblich ist, dass die Spieler sich entkleiden. Sie erfreute sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in manchen Regionen der Erde großer Beliebtheit. Vorwiegend bei einer Bevölkerungsgruppe, die sich selbst als Hippies bezeichnete. Man nannte sie Strip-Poker. Wenn Sie diese Variante bevorzugen sollten, dann ...«
»Nein«, unterbrach ihn die rothaarige Ärztin mit einem versteckten Lächeln. »Vielen Dank, aber ich ziehe die traditionelle Form vor.«
Die Verwirrung des Androiden wuchs. »Warum haben Sie dann vorgeschlagen, dass ...«
Erneut kam er nicht dazu, den Satz zu beenden.
»Meine Güte, Data, niemand hier will Strip-Poker spielen«, erklärte Chefingenieur Geordie LaForge, der rechts neben ihm saß, mit einem breiten Grinsen. »Es handelt sich lediglich um eine Redewendung.«
An dieser Stelle konnte der Erste Offizier nicht mehr an sich halten und brach in schallendes Gelächter aus, in das wenig später auch der dunkelhäutige Mann mit dem Visor und die Leiterin der medizinischen Abteilung der Enterprise einfielen.
Einzig Fähnrich T’Shela schien wie stets völlig unbeeindruckt. Außer einer hochgezogenen Augenbraue, mit der sie die allgemeine Erheiterung um sich herum quittierte, zeigte sie keinerlei Reaktion.
Da plötzlich, von einem Moment auf den anderen, gefror das Lachen auf Commander Rikers Zügen und wich einem so entsetzten Ausdruck, dass die anderen Offiziere schlagartig verstummten. Sämtliche Farbe war aus dem Gesicht des Ersten Offiziers gewichen. »Deanna«, hauchte er und sprang so ruckartig auf, dass der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, mit einem lauten Krachen umfiel. Seine Hand flog zum Kommunikator. »Sicherheitsdienst zum Quartier von Counselor Troi.«
Mit einer knappen Kopfbewegung forderte er Crusher auf, ihm zu folgen, und stürmte aus dem Quartier, ohne sich mit weiteren Erklärungen aufzuhalten.
Das war auch nicht nötig. Während die Ärztin hinter dem Ersten Offizier durch die Gänge des Schiffes rannte, betätigte sie ebenfalls ihren Kommunikator. »Medizinisches Notfallteam, sofort nach Deck Acht, Kabine zwölf.«
Riker lief so schnell, dass sie Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Er beachtete weder die Besatzungsmitglieder, die ihren Weg kreuzten und hastig beiseite sprangen, noch die überraschten Blicke, die sie ihm zuwarfen. Sein Puls raste und eine eisige Klammer schien sich um sein Herz zu legen. In seinen Gedanken gab es nichts mehr, außer jener angstvollen Stimme hinter seinen Schläfen.
Imzadi, hilf mir! rief sie. Voller Todesangst. Immer und immer wieder, bis sie schließlich in einen verzweifelten Schrei überging, abbrach und verstummte.

* * *

»Wollen Sie damit etwa sagen, jemand habe versucht, Counselor Troi zu ermorden?« Sichtlich geschockt starrte Captain Picard die Leiterin der medizinischen Abteilung an.
»Genau so ist es«, antwortete Crusher mit ernster Stimme. Dunkle Schatten umrahmten ihre Augen und es war ihr anzusehen, wie erschöpft sie war. In den vergangenen sechzehn Stunden hatte sie unter Einsatz all ihres medizinischen Könnens einen erbitterten Kampf um das Leben der jungen Betazoidin geführt und war nun am Ende ihrer Kraft.
»In Deannas Blut befand sich eine unbekannte Substanz, welche im Begriff war, die Molekularstruktur ihrer Zellen aufzulösen«, fuhr sie nun fort. »Sie hat unglaubliches Glück gehabt. Hätten wir sie nur wenige Minuten später gefunden, dann könnte ich jetzt ihren Totenschein ausstellen.«
Mit einem Mal schien die Temperatur im Konferenzraum der Enterprise um etliche Grad kälter geworden zu sein. Auf den Gesichtern von Riker und LaForge las Picard das gleiche namenlose Entsetzen, das er selbst empfand. Die Züge des klingonischen Sicherheitschefs glichen einer starren Maske und in seinen dunklen Augen glomm ein gefährliches Feuer. Einzig Data wirkte wie stets völlig unbeeindruckt, als er sich nun an die Ärztin wandte. »Auf welche Weise ist das Gift in den Körper von Counselor Troi gelangt?«
»Es befand sich in der heißen Schokolade, die sie kurz zuvor getrunken hatte. Wie die Substanz allerdings in die Tasse geraten ist ...« Crusher zuckte mit den Achseln.
»Als wir sie fanden, war Deanna allein in ihrem Quartier«, sagte Riker. »Die elektronische Türsperre war aktiviert und Zeichen eines gewaltsamen Eindringens waren nicht ersichtlich. Wenn aber niemand bei ihr war, wie kann dann ...«
»Der Replikator«, fiel ihm Geordie aufgeregt ins Wort. »Natürlich, dass ich nicht eher darauf gekommen bin.«
Picard runzelte die Stirn. »Demnach könnte es sich hier womöglich doch um einen bloßen Unfall gehandelt haben?«
»Es wäre theoretisch denkbar«, erwiderte LaForge. »Ob dies der Fall war, kann ich aber erst nach einer gründlichen Untersuchung sagen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Fehlfunktion dazu führt, dass ein Computer eine derart spezifische giftige Substanz repliziert, äußerst gering.«
»Um genau zu sein«, ergänzte Data. »Sie beträgt exakt 1,017 zu 3.574.638,009.«
Der Captain der Enterprise straffte sich, dann griff er zu seinem Kommunikator. »Picard an Sicherheitsdienst. Ab sofort wird vor der Krankenstation eine ständige Wache postiert. Ohne ausdrückliche Genehmigung von Doktor Crusher, Commander Riker oder mir wird niemand in die Nähe von Counselor Troi gelassen. Picard Ende.« Mit ernster Miene wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den anwesenden Offizieren zu. »Bis wir wissen, wie das Gift in das Getränk gelangt ist, werden zur Sicherheit sämtliche Replikatoren an Bord des Schiffes desaktiviert. Mr. LaForge, Sie und Mr. Data werden das Gerät in Counselor Trois Quartier überprüfen.«
»Sir«, ließ sich Commander Riker vernehmen. »Darf ich vorschlagen, Lieutenant O’Mally unter Arrest stellen zu lassen.«
»Halten Sie ihn für den Täter, Nummer Eins?«
»Immerhin hat er vor wenigen Tagen schon einmal versucht, Deanna zu töten. Dieser Mann ist zu allem fähig. Er ist unberechenbar und wird nicht aufgeben, ehe er sich an ihr gerächt hat.« Die Stimme des Ersten Offiziers bebte vor unterdrücktem Zorn. Unwillkürlich hatte er die Hände zu Fäusten geballt.
Picard warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Ich stimme Ihnen insoweit zu, dass Mr. O’Mally als möglicher Täter in Betracht kommt. Trotzdem sollten Sie ihn nicht vorschnell verurteilen. Ich werde keinesfalls dulden, dass mein Erster Offizier sich in dieser Angelegenheit von seinen Gefühlen leiten lässt. Ihre Pflicht ist es, bei der Untersuchung dieses Vorfalles neutral und objektiv zu bleiben.«
»Und Ihre Pflicht ist es, Deannas Leben zu schützen, Sir«, entgegnete Commander Riker schärfer als beabsichtigt.
Der Captain der Enterprise zuckte unmerklich zusammen. Für gewöhnlich schätze er die Offenheit seines Stellvertreters, doch diesmal war dieser eindeutig zu weit gegangen.
Picard holte tief Luft, um seinen Ersten Offizier zurechtzuweisen, doch Riker kam ihm zuvor. »Bitte verzeihen Sie, Sir«, bat er leise. »Ich habe mich für einen kurzen Moment nicht unter Kontrolle gehabt.«
Picard entspannte sich. »Entschuldigung akzeptiert, Nummer Eins. Angesichts dessen, was passiert ist, sind wir wohl alle etwas nervös.«
»Bei allem Respekt, Sir«, mischte sich Worf mit dumpfen Grollen ein. »Commander Riker hat Recht. Lieutenant O’Mally sollte umgehend festgenommen werden. Es geht immerhin um Counselor Trois Leben.«
Bei seinen Worten hatte sich auf der Stirn seines kommandierenden Offiziers eine steile Falte gebildet. »Mister Worf, haben Sie vor, meine diesbezügliche Entscheidung in Frage zu stellen?«
»Nein, natürlich nicht, Sir.« Dem Klingonen war anzusehen, dass er sich nur widerwillig fügte.
Picard atmete tief durch. »Glauben Sie mir, mir liegt an Deannas Wohl ebenso viel wie Ihnen.« Er überlegte kurz und betätigte dann erneut seinen Kommunikator. »Picard an Sicherheitsdienst. Lieutenant Thomas O’Mally befindet sich derzeit in seinem Quartier. Schicken Sie jemanden dorthin und lassen Sie ihn umgehend in meinen Bereitschaftsraum bringen. Picard Ende.«
Riker warf dem Captain einen überraschten Blick zu. »Sie wollen O’Mally persönlich verhören?«
»Haben Sie irgendwelche Einwände, Nummer Eins?«
»Nun«, erwiderte Riker zögernd. »Es ist allgemein unüblich, dass der Captain selbst ...«, er brach ab, krampfhaft bemüht, die richtigen Worte zu finden. Zu seiner Erleichterung befreite ihn da das plötzliche Piepen des Kommunikators seines Vorgesetzten von einer weiteren Antwort.
Nachdem dieser sich gemeldet hatte, erklang eine aufgeregte Stimme: »Hier Fähnrich Kelly vom Sicherheitsdienst, Sir. Ich befinde mich im Quartier von Lieutenant O’Mally.«
»Ja, und Fähnrich?«, fragte Picard ungeduldig. »Worauf warten Sie noch, bringen Sie ihn her.«
»Ich fürchte, das wird nicht mehr möglich sein, Sir.«
»Wie meinen Sie das ?«
»Lieutenant O’Mally ist nicht mehr in der Lage, irgendwo hin zu gehen, Sir. Er ist tot.«

* * *

Commander Riker saß in seinem Quartier und starrte nachdenklich auf das mit Tarrak-Wein gefüllte Glas in seiner Hand. Die Untersuchungen hatten ihre Vermutung bestätigt, dass der Replikator in Deannas Kabine tatsächlich so manipuliert worden war, dass er auf die Anordnung Heiße Schokolade, gleichzeitig mit dieser ein sehr seltenes Pflanzengift replizierte. Unterlagen über die chemische Zusammensetzung dieser Substanz hatte man in Lieutenant O’Mallys Kabine gefunden und eine vom Captain angeordnete Obduktion hatte ergeben, dass er durch eine Dosis eben dieses Gifts ums Leben gekommen war. Dr. Crusher hatte jegliches Fremdverschulden ausgeschlossen und als Todesursache Selbstmord festgestellt.
Derzeit rätselten LaForge und Data zwar noch, wie es O’Mally wohl gelungen war, Zugriff auf das Replikatorsystem zu erlangen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auch das herausfinden würden. Der Captain hatte die Sicherheitsleute von der Krankenstation abgezogen und an Bord der Enterprise ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Gedankenverloren strich Riker sich über seinen Bart. Lieutenant O’Mally war tot und die von ihm ausgegangene Gefahr für Deanna vorüber. Eigentlich hätte ihn diese Tatsache mit Erleichterung erfüllen sollen, doch genau das Gegenteil war der Fall. Eigenartig, wenn man bedachte, dass er, Riker, derjenige gewesen war, der von Anfang an von O’Mallys Schuld überzeugt gewesen war.
Und nun ...
Irgendwo tief in ihm war da eine Stimme, die ihm unaufhörlich zuflüsterte, dass sie etwas übersehen hatten. Immer und immer wieder überlegte er, was ihn störte, aber ihm wollte beim besten Willen nichts einfallen.
Verdammt nochmal, Will, rief er sich energisch zur Ordnung. Hör auf mit diesem Unsinn. Du fängst an, Gespenster zu sehen.
Trotzdem, die Zweifel blieben und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.

* * *

»Kommen Sie nur herein, T’Shela«, sagte Deanna Troi und warf der jungen Vulkanierin, die abwartend in der Tür zur Krankenstation stand, einen freundlichen Blick zu.
Langsam, fast zögernd kam diese der Aufforderung nach. Falls sie der Anblick der Schiffsberaterin erschreckte, so ließ T’Shela sich das mit keiner Regung anmerken.
Der Kampf gegen den Tod hatte deutliche Spuren hinterlassen. Deannas langes, schwarzes Haar ließ seinen üblichen Glanz vermissen. Stumpf und strähnig umrahmte es ihr Gesicht, dessen fast durchscheinender Blässe man ansah, wie geschwächt sie noch immer war. Mit einer matten Bewegung bedeutete sie der Besucherin, sich auf einen Stuhl neben ihr Bett zu setzen. »Ich freue mich, Sie zu sehen, T’Shela«, sagte sie warm. »Aber wie um alles in der Welt haben Sie es nur geschafft, an Schwester Ogawa vorbeizukommen? Soweit ich weiß, hat Doktor Crusher ihr die strikte Anweisung erteilt, niemanden zu mir zu lassen.«
Die rechte Augenbraue der Vulkanierin kletterte nach oben. »Lieutenant Ogawa hat es offenbar versäumt, mich darauf hinzuweisen. Bitte verzeihen Sie, es liegt mir fern, Ihre Rekonvaleszenz durch meine Anwesenheit zu behindern.« Mit diesen Worten erhob sie sich und machte Anstalten, das Zimmer wieder zu verlassen.«
Unwillkürlich musste Deanna lächeln. »Bitte bleiben Sie. Ich versichere Ihnen, dass Sie meine Rekonvaleszenz nicht behindern, im Gegenteil. Ich empfinde Ihre Gesellschaft als angenehm und positive Empfindungen unterstützen bekanntlich den Genesungsprozess.«
»Doktor Crusher scheint diese Ansicht nicht zu teilen.«
»Nun, mittlerweile hat sie ihre Meinung anscheinend geändert. Wäre es anders, hätte Schwester Ogawa Sie mit Sicherheit aufgehalten.«
Die Vulkanierin überlegte kurz. »Das klingt logisch«, stimmte sie dann zu, während sie zurück an das Bett trat und sich wieder setzte.
Einige Minuten lang musterte sie Troi stumm, bis diese begriff, dass es an ihr lag, das Schweigen als erste zu brechen. Sie hatte den Rang eines Commanders, T’Shela war nur ein einfacher Fähnrich und es widersprach den vulkanischen Vorstellungen von Höflichkeit, von sich aus eine Unterhaltung mit einem Höhergestellten zu beginnen.
»Doktor Crusher hat mir mitgeteilt, dass Lieutenant O’Mally Selbstmord verübt hat«, sagte sie. »Wissen Sie etwas darüber?«
»Nur sehr wenig. Sie sollten besser Commander Riker zu diesem Thema zu befragen. Da er die Untersuchung geleitet hat, verfügt er über weitaus mehr Informationen als ich.«
»Er hat versucht, mich umzubringen.« Deanna schauderte. »Wie sehr muss er mich gehasst haben? Wäre Will nicht gewesen, dann wäre ich jetzt tot.«
An dieser Stelle trat unerwartet ein interessierter Ausdruck in die dunklen Augen ihrer Besucherin. »Auf welche Weise ...«, begann sie, brach jedoch mitten im Satz ab, während ihr Gesicht erneut zu einer undurchdringlichen Maske wurde. »Verzeihen Sie bitte meine Aufdringlichkeit und meinen Mangel an gutem Benehmen, Counselor«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. »Es liegt mir fern, Sie mit meiner unangebrachten Neugier zu belästigen.«
»Sie belästigen mich keineswegs, T’Shela«, erklärte Troi freundlich. »Was möchten Sie von mir wissen?«
»Nun«, erwiderte die junge Vulkanierin zögernd. »Es gibt da etwas, für das ich keine logische Erklärung finden kann. An jenem bewussten Abend hatte es fast den Anschein, als hätte Commander Riker einen mentalen Hilferuf von Ihnen erhalten, aber das ist absolut unlogisch, da Menschen für gewöhnlich über keinerlei telepathischen Kräfte verfügen.«
Deanna lächelte. »Das ist vielleicht ungewöhnlich, T’Shela, aber keineswegs unlogisch. Zwischen Will und mir besteht eine, wie soll ich es ausdrücken, ganz besondere geistige Verbindung. So etwas wie ein unsichtbares mentales Band, das es uns beiden ermöglicht, unter bestimmten Umständen miteinander telepathisch in Kontakt zu treten.«
»Ich verstehe. Sie und Commander Riker sind T’hyla.«
»T’hyla
»Dafür gibt es keine adäquate Übersetzung. Zwei Personen sind T’hyla, wenn sie sich, ohne blutsverwandt zu sein, so nahe stehen, dass der eine ohne zu zögern bereit wäre, für den anderen zu sterben und umgekehrt.«
»Imzadi«, flüsterte Troi weich. »Das ist die betazoidische Bezeichnung dessen, was Sie T’hyla nennen«, fuhr sie erklärend fort. »In diesem Sinne ...« Sie brach ab, von einem plötzlichen Hustenanfall geschüttelt.
Die rechte Augenbraue ihrer Besucherin kletterte ein zweites Mal nach oben. »Was haben Sie? Möchten Sie, dass ich Schwester Ogawa hole?«
»Nein danke, nicht nötig. Es geht schon wieder. Ich habe wohl ein wenig zu viel geredet. Doktor Crusher hatte mich bereits vorgewarnt, dass mein Hals noch einige Tage extrem empfindlich sein würde. Eine der unzähligen Nachwirkungen des Giftes. Kein Grund zur Besorgnis. Aber es wäre nett, wenn Sie mir vielleicht ein Glas Wasser holen würden.«
Deanna hustete erneut, während T’Shela sich erhob und an den Replikator trat. »Ein Glas Wasser«, orderte sie. »Kalt.«
»Ich glaube, ich werde in meinem ganzen Leben nie wieder replizierte Schokolade trinken«, seufzte die Counselor, als die junge Vulkanierin ihr den Becher reichte. »Jedenfalls für eine ganze Weile nicht.« Mit diesen Worten hob sie das Glas an ihre Lippen.
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