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Alte Wunden

von Oriane

Meine Heimat, mein Feind

Die junge Andorianerin rannte. Das Blut rauschte durch ihre Ohren, ihr Atem ging schnell und ihr Herz raste in der Brust. Sie lief um ihre Freiheit, nur um wieder in Gefangenschaft zu landen, die sie so nicht geplant hatte. Nein, als sie Andoria, den Planet ihre Eltern, Verwandte und Freunde verlassen hatte, um nicht so zu enden wie man es für sie vorgesehen hatte, da existierten Träume und Hoffnungen, von denen sie fest überzeugt war, dass sie sich irgendwann erfüllten, wenn sie nur weit genug von ihrem alten Leben entfernt war. Aber nichts hatte sich erfüllt. Die Erde, auf der sie schließlich gelandet war, stellte sich als halb so frei und modern heraus, wie es in Berichten geheißen hatte – besonders hier, am westlichen Ende Eurasiens, in der für andorianische Verhältnisse warmen und verregneten Stadt Köln. Regen, eins der vielen Phänomene, die Lynna zh'Thels nicht kannte und die es ihr schwer machten, sich an die Erde zu gewöhnen. Doch an eine Rückkehr war nicht zu denken.
Schwer atmend drückte sie sich in die Nische eines der alten Klinkerhäuser, die wohl viele Jahrhunderte alt waren und man überall im Kern der Altstadt erhalten hatte. Bevor sie sich auf freie Fläche begab, musste sie wissen, ob man ihr nicht eine Falle stellte. Vielleicht waren ihr alle drei Ganoven und nicht nur der eine gefolgt, vor dem sie davonlief. In der warmen, verregneten Dämmerung spähte sie über den weiten Platz, an dessen gegenüberliegendem Ende sich die gewaltige Kathedrale aufbaute. Der Dom, so hieß er hier nur, ebenfalls ein Relikt aus der weit zurückreichenden Vergangenheit der Stadt, hatte es ebenfalls geschafft in der Moderne zu überleben. Die grauen Steine sollten einmal weiß gewesen sein, zumindest hatte ihr das der Mann in der langen Robe erzählt, den sie einmal gefragt hatte, als sie im Innern der Kathedrale Schutz vor dem Regen gesucht hatte. Die Mauern zeigten Spuren der jahrhundertelangen Restaurierung. Lynna vermutete, dass keiner der ursprünglichen Bausteine mehr dort stand, aber wen kümmerte es, der Dom sah alt aus. Holobilder, die man im Innern ausgestellt hatte, zeigten große Gerüste zwischen den Türmen, die das Bauwerk wohl stabilisiert hatten, bis man sie durch Kraftfelder ersetzt hatte. Die Kirche sollte einst ein Zentrum des christlichen Glaubens gewesen sein, aber Lynna wusste weder, woran Christen glaubten, noch ob es sie überhaupt noch gab und woran man einen erkannte.
Sie warf die Überlegungen mit einem Blick über die Schulter beiseite und beschloss, den Sprint über die Domplatte zu wagen, hinüber in halbwegs sichere Gefilde. Zwar sagte ihr Gefühl, dass sie ihren Verfolger abgehängt hatte, aber seit einer unschönen Situation, die damit endete, dass sie zwischen einem Orioner und einem Bolianer landete, die sich darum stritten, wer als erster mit ihr anstellen durfte, was auch immer er anstellen wollte, war sie vorsichtiger geworden. Ihre kleine, zierliche Gestalt erwies sich als praktisch, wenn man ungesehen bleiben wollte, leider aber half das alles nichts, wenn man in den Klauen eines Orioners hing und nicht genug Kraft aufbringen konnte, sich anständig gegen ein Muskelpaket wie ihn zu wehren.
Der Sprint über den Platz verlief reibungslos, ohne dass sie jemand weiter verfolgte. Zumindest gönnte sie sich jetzt ein kleines Aufatmen. Hier, auf dem ehemaligen Bahnhofsvorplatz begann Max' Territorium, was allerdings nicht hieß, dass ihr hier jeder wohlgesonnen entgegentrat.
Jahre vorher mochte Kölns Altstadt eine beliebte und bevölkerte Einkaufsstraße gewesen sein, doch seit die Geschäfte verschwunden oder sich in die Zentren nach außerhalb verlagert hatten, hing ein düsterer Geruch in der Luft. Lynna kannte es nicht anders, aber die Älteren erzählten manchmal in wehmütigen Momenten davon. Tagsüber tröpfelten ein paar Touristen durch die Straßen, einige Restaurants und Imbissbuden hielten sich hartnäckig und wenn die Sonne warm schien, drängte sich der Eindruck einer friedlichen Gegend auf. Aber jeder, der sich ab der Dämmerung auf die Straße wagte, wusste es besser.
Die junge Andorianerin war mit ihren vierzehn Jahren in diese Welt hineingeraten und musste sich nach drei Jahren langsam eingestehen, dass sie hier gefangen war, dass die Erde ihr ganz und gar nicht die Freiheit gab, die sie sich selbst in ihren Träumen versprochen hatte.
„Hey, Lynna!“
Eine helle Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Aus einem dunklen Hauseingang trat ein schlaksiger Junge hervor, ein Caitianer mit stumpf gewordenem roten Fell, aber leuchtend grünen, wachsamen Augen. „Wo bist du gewesen? Du wirst erwartet.“
„Kleiner Zwischenfall, okay? Nichts beunruhigendes.“
Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag. Wenn Nisuto sich hier herumtrieb, konnte sie sich entspannen. Der Junge war ein Feigling, der auf Abwege geraten war und es nicht schaffte, sich wieder aufzurappeln. Lynna hatte ihn nie gefragt, wo er herkam, es genügte ihr, eine in gewisser Weise verwandte Seele gefunden zu haben.
„Mir musst du das nicht sagen. Aber Max ist wütend.“ Dicht neben ihr tappte der Caitianer auf leisen Pfoten durch die Gassen, in denen sich die Reste der täglichen Touristen aufhielten, von denen heute wegen des Regens noch weniger anwesend waren als sonst. An mancher Ecke wurde jemand fortgebeamt und bald würde sich das Innere der Stadt wieder als das präsentieren was es war, nämlich die Heimat von Heimatlosen und von Abschaum.
„Max kann sich aufregen, so viel er will. Bisher habe ich jeden Job zu seiner Zufriedenheit ausgeführt. Wann werde ich endlich bezahlt?“, knurrte sie. Nisuto zuckte unwillkürlich mit den Schnurrhaaren, als die wütende Geste ihrer Hand sie berührte. Auch wenn Geld in der Gesellschaft keine Rolle mehr spielte, essen musste sie trotzdem. Max kümmerte sich gut um seine Schützlinge, das musste man ihm lassen, allerdings hatte er ihr etwas essenzielleres als Essen oder gelegentlich Energie für einen Replikator versprochen – und zwar Kontakte. Gute Kontakte zum Kriminalwissenschaftlichen Institut in Stockholm, oder zum Föderationssicherheitsdienst. Denn das war der Weg, den Lynna eigentlich gerne gehen wollte. Sie wollte Verbrechen aufklären und keine begehen, doch in ihrer jungen Naivität hatte sie Max' Köder geschluckt. Und nun saß sie fest.
„Er ist eben misstrauisch.“
„Ja, ein bisschen zu sehr, wie ich finde. Vielleicht will er mich auch einfach bei sich behalten, weil ich gut bin. Deswegen vertröstet er mich immer wieder auf morgen! Warum er dich nicht längst mit einem Hungerlohn auf die Straße gesetzt hat, weiß ich auch nicht.“ Es sollte nicht verletzend klingen und Nisuto verstand, was sie damit sagen wollte. Nicht zum ersten Mal schnitten sie das Thema an. „Ich möchte einfach nur von hier fort“, seufzte sie.
„Und du wirst das schaffen. Du bist so stark, du hast etwas besseres verdient, als das hier.“ Sanft legte Nisuto ihr eine Pfote auf die Schulter, fuhr dann durch ihr kurzes, struppiges weißes Haar und berührte freundschaftlich ihre Antenne. Sie lächelte und kraulte ihn zum Dank kurz hinter dem linken Ohr.
„Was ist mit dir? Ich frage mich immer wieder, warum du nicht längst abgehauen bist. Dein Onkel, der könnte dir heraushelfen.“
Wie immer, wenn sie diese Frage stellte, begann der Caitianer, herumzudrucksen. Und da er in näherer Zukunft keine Antwort geben zu wollen schien, ließ Lynna ihn in Frieden. „Komm schon, nicht das Max nachher dich drankriegt, Kleiner, weil ich zu spät bin.“

Sie kamen an einem alten Haus an, das mehr oder weniger unauffällig von einem Türsteher bewacht wurde. Der Trill, der sich seine Kapuze tief über den Kopf gezogen hatte, musterte Lynna und Nisuto misstrauisch, aber da die Andorianerin öfter hier ein und aus ging und sich niemand wirklich vor Nisuto fürchten konnte, ließ er die beiden ohne Kommentar passieren. Außerdem war der Trill alles andere als ein Türsteher. Er hasste es, wenn Max ihn dazu verdonnerte.
Von innen wirkte das Haus ganz anders als von außen. Die schöne, alte Fassade wurde von schmutzigen Böden und zerstörter, verstaubter Inneneinrichtung abgelöst, die wohl vor ein paar Jahren noch modern gewesen war, aber jetzt ließ Max sie zu Sperrmüll verkommen. Lynna spürte, wie der Vorsteher-Trill ihnen hinein folgte und sich dann unauffällig vor sie setzte.
„Max erwartet dich schon sehnsüchtig“, erklärte er und zog geräuschvoll die Nase hoch.
„Es liegt nicht in meiner Absicht, ihn warten zu lassen“, antwortete Lynna, sich darum bemühend, keine angeekelte Miene zu verziehen.
„Du redest immer so herrlich geschwollen, Kleine“, lachte der Trill. „Wo hast du das wohl her?“
Sie gab keine Antwort, sondern wandte sich an Nisuto. „Du gehst nach oben, in Ordnung? Warte da auf mich. Und stell nichts blödes an!“
Der Caitianer nickte und machte, dass er schnell die schmale Wendeltreppe hinaufkam, um den Kommentaren des Trills zu entgehen. Lynna dagegen schlug den Weg Richtung Wohnzimmer ein, das Max „Arbeitszimmer“ darstellte.

„Wo zum Teufel bist du gewesen?“, fuhr er sie an, nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Max – oder besser Maximilian Becker - benahm sich gerne wie eine kriminelle Größe, dabei reichte sein Einfluss nicht weiter als bis zum ehemaligen Bahnhofsvorplatz. Und wer sich nun vorstellte, dass er ein kleines Verbrecher-Imperium leitete – weit gefehlt. So sah vielleicht sein Wunschtraum aus, aber Lynna durchschaute ihn nach den drei Jahren, die sie nun für ihn arbeitete.
„Ich habe alles arrangiert, wie ausgemacht“, erklärte sie dem aufgebrachten Menschen. Er war einer der schmierigen Sorte, relativ schmal und schlaksig und mit kleinen, bösen Augen, die in diesem Moment jedoch geweitet aufgerissen auf sie gerichtet waren.
„Warum hat das so lange gedauert? Du hättest vor Stunden wieder hier sein müssen!“
„Manchmal kommt eben etwas dazwischen“, knurrte Lynna und verdrehte die Augen.
„Ist dir jemand gefolgt?“
„Natürlich nicht. Wofür hältst du mich, eine Anfängerin?“
„Du kommst immer so knapp, so knapp davon.“ Wild fuchtelte er mit der Rechten vor ihrer Nase herum, mit dessen Daumen und Zeigefinger er einen Spalt gerade so breit wie Lynnas Antenne zeigte.
„Wann bezahlst du mich endlich, Max?“
„Nur noch dieser Coup, kleine. Nur dieser eine. Danach wirst du bekommen, was ich versprochen habe. Und jetzt hör auf, dumme Fragen zu stellen. Wo ist Trevor, der Hund von unvereinigtem Trill?“
„Draußen.“ Sie zeigte hinter sich. Es war immer dasselbe mit ihm. Er versprach und hielt nicht. Aber was sollte sie sonst tun? Wo sollte sie hin? Max sorgte für sie und auch, wenn er ein Ganove war und sie die meiste Zeit anpöbelte, bei ihm hatte sie etwas gefunden, zu dem sie zurückkehren konnte. Wie sollte sie das ohne eine neue Perspektive aufgeben?
Meistens handelte Max mit gestohlener Ware, vorzugsweise mit kleineren Shuttles, oder was auch immer sonst Lynna mitbrachte, wenn er sie wieder auf Streifzüge schickte. Aber diesmal schien es etwas größeres zu sein, was er plante, sonst würde er nicht so hibbelig um sie herum tanzen und hätte sie längst wegen ihrer Verspätung angeschrien. Ja, an Max' ambivalenten Charakter gewöhnte man sich nicht so schnell.
Nachdem Max durchs Haus nach dem Trill gerufen hatte und dieser sich widerstrebend im Arbeitszimmer eingefunden hatte, war die kleine Truppe komplett. Nisuto gehörte nicht wirklich dazu. Er war Max' nur von seinem Bruder, der eigentlich nicht sein Bruder war, aufgebrummt worden, weil niemand mit dem kleinen, struppigen Jungen etwas anfangen wollte. Lynna war davon überzeugt, dass Max tief in seinem Innern einen guten Fleck besaß, der ihn manchmal dazu brachte, Leute wie sie oder Nisuto aufzunehmen.
„Lynna hat meine Nachricht überbracht und den Deal klargemacht“, erklärte Max verschwörerisch und die Andorianerin versuchte, ein genervtes Augenrollen zu unterdrücken, als Trevor begeistert nickte. Dieser Trill hatte seine Intelligenz, genauso wie seinen Ehrgeiz irgendwo auf seinem Heimatplaneten vergessen. Die Trill, von denen Lynna gehört hatte, arbeiteten ihr Leben lang um sich auf die Vereinigung mit dem Symbionten vorzubereiten. Sie hatte ihn nie gefragt, wie weit er gekommen war und ob es für ihn jemals die Aussicht auf eine Vereinigung gegeben hatte, doch wenn sie ehrlich war, glaubte sie nicht recht daran. Trevor würde in seinem Leben nichts mehr erreichen, dazu reichte seine Intelligenz einfach nicht aus.
„Deal ist übertrieben“, widersprach Lynna. „Er beschafft uns Kontakte, damit wir ungesehen rein und wieder herauskommen. Wir stehlen das Schiff für seinen Boss und wir werden belohnt. So einfach ist das.“
„Siehst du, ich kann dich gar nicht abgeben“, meinte Max stolz lächelnd und fuhr ihr mit seiner schmutzigen Hand durchs Haar. Es blieb aber nicht dabei, sondern seine Finger wanderten weiter zu ihrer Antenne, wo sie frivol auf Wanderschaft gingen. „Du bist viel zu gut. Ich brauche dich.“ Lynna versteifte sich und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Max wusste nicht, was er da tat – hoffte sie zumindest.
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