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Träume aus Licht

von Nerys

Kapitel 1

Träume aus Licht


Drei Tage. Drei quälend lange Tage. Die erschöpften Gesichter ringsum erschienen Meru wie ein Spiegel ihrer selbst. Sie spürte in jedem Muskel, jedem Knochen, dass sie ebenso matt und entkräftet aussah wie all die anderen Bajoraner, die am Ufer des Luhann-Flusses ausharrten und verzweifelt darauf warteten, die Reise in ein besseres Leben fortsetzen zu können. Das Land auf der anderen Seite des vom Herbstregen stark angestiegenen Gewässers gehörte bereits nicht mehr ihrer Heimatprovinz Dahkur an. Der Aufbruch aus der Gemeinde, in der sie groß geworden war, schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, fast wie in einem anderen Leben, obgleich kaum mehr als zwei Wochen vergangen waren. Wehmütig dachte sie an das Heim ihrer Kindheit zurück, von dem sie einst geglaubt hatte, dort mit ihrer eigenen kleinen Familie zu leben. Das Haus mit den liebevoll eingerichteten Räumen und den hohen Fenstern, die viel Licht hinein ließen, war von ihren Urgroßeltern erbaut worden und hatte sich seitdem im Besitz der Familie befunden. Bis es wie so viele andere zuvor von den Cardassianern annektiert worden war. Meru blickte hinab auf den kleinen Jungen, der still und friedlich an ihrer Brust lag. Es machte sie unendlich traurig, dass Reon und seine Schwester niemals durch den weitläufigen Garten tollen würden, wie sie selbst es als Mädchen so oft getan hatte. In ihrer Erinnerung atmete sie den Duft der im Frühjahr in vielen Farben blühenden Bäume und Büsche ein. Jetzt im Herbst bildeten die herabgefallenen Blätter eine rotgoldene Decke auf dem Gras, das am frühen Morgen schwer vom Reif war.
„Meru“, sagte eine Stimme und sie erblickte Taban, der mit ein paar anderen jungen Männern in der Gegend ringsum nach Essbarem gesucht hatte. Neben ihm tapste Nerys auf ihren kurzen Beinen über die Wiese. Ein kleines Tier hüpfte vor ihr davon, woraufhin sie ihm kichernd folgte. Taban ging ihr hinterher. Meru lächelte leicht. Ohne diesen Mann und die beiden Kinder, die aus ihrer Liebe geboren waren, hätte sie längst alle Hoffnung begraben. Reon war inzwischen mit ihrer Brustwarze zwischen seinen Lippen eingeschlafen und sie löste ihn vorsichtig. Ihr magerer erschöpfter Körper schaffte es kaum mehr, genügend Milch zu produzieren, um das Baby zu ernähren, das noch keine feste Nahrung verdauen konnte. Vor Hunger war Reon oft unleidlich und seit sie am Fluss lagerten, kränkelte er durch die kalte feuchte Witterung.
Taban ließ sich neben sie auf die Wolldecke sinken, die keinen Schutz vor dem vom Regen aufgeweichten Untergrund bot. Seufzend reichte er ihr ein kleines Stoffbündel. „Mehr gibt es nicht.“
„Beeren“, sagte Nerys mit ihrem hohen Stimmchen, während sie sich dicht an den wärmespendenden Körper ihrer Mutter kauerte.
Behutsam übergab Meru das Baby ihrem Mann, damit sie ihre Tochter in die Arme nehmen konnte. Nerys wollte sich hungrig über die wenigen dunkelblauen Beeren hermachen, die ihr Vater mitgebracht hatte, doch die waren das einzige, das sich für Reon zerkleinern ließ. Es tat Meru weh, ihre Tochter jammern zu hören, weil sie nur die rohen alten Pilze bekam, die scheußlich schmeckten. Einen davon würgte sie selbst hinunter.
„Wir müssen hier weg“, stellte Taban zum wiederholten Male fest. „Es gibt nichts mehr zu essen. Wenn wir noch länger warten, verhungern die Kinder.“
„Der Fluss führt immer noch zu viel Wasser. Du weißt, dass ich das nicht schaffe, schon gar nicht mit dem Baby. Aber du bist kräftig genug. Vielleicht solltest du Nerys nehmen und es allein mit ihr versuchen. Dann seid wenigstens ihr beide sicher. Ich komme mit Reon nach, sobald ich kann.“ Meru sah ihn ernst an. Sie wusste, was er davon halten würde, genauso wie sie wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab.
Er schüttelte heftig den Kopf. „Ich lasse euch nicht zurück!“
„Taban, wenn ihr nicht geht, verhungern wir alle. So habt ihr wenigstens Chance.“ Sie streichelte ihm liebevoll über die von wirrem borstigem Barthaar überwucherte Wange. „Reon und ich, wir kommen in einem der Flüchtlingslager unter und überleben dort zumindest.“
„Was ist, wenn wir uns nicht wiederfinden? Ich möchte dich nicht verlieren, Meru, und ich möchte nicht, dass Nerys ohne ihre Mutter aufwachsen muss.“
„Besser so als tot!“, schleuderte sie ihm heftig entgegen. Schon die bloße Vorstellung, von ihm und ihrer geliebten Tochter getrennt zu sein, brach ihr das Herz, doch es ging nicht anders. Sie dachte an das Baby, das sie in sich trug, und von dem sie Taban noch nicht erzählt hatte. Wenn er von ihrer erneuten Schwangerschaft gewusst hätte, wäre er erst recht nicht bereit gewesen, sie zurückzulassen.

Auf einmal brach in der Menge um die kleine Familie herum ein Tumult los. Die Bajoraner begannen durcheinander zu rufen und ein jeder suchte seine Lieben und die wenigen Habseligkeiten zusammen. Die Gesichter waren gezeichnet von Angst und Verzweiflung.
„Die Cardies kommen!“, hörte Meru schließlich einen alten hinkenden Mann in unmittelbarer Nähe schreien, noch ehe sie die über der Menge kreisende Spähdrohne erblickte.
Alle wussten, was das bedeutete. Man würde sie mitnehmen und wer kräftig genug war, würde in einem der Arbeitslager landen, in denen der Tod wartete. Die anderen endeten weggesperrt in einem Flüchtlingscamp, wo es ebenso wenig Hoffnung gab. Für die Cardassianer war nur wichtig, dass all das Elend verborgen blieb, das sie unter dem bajoranischen Volk verursachten. Was aus den Familien wurde, aus den Kindern, das kümmerte niemanden.
„Komm schnell!“ Taban drückte seiner Frau das Baby in die Arme, um selbst die kleine Nerys zu tragen, die furchtsam strampelte.
Hastig folgte Meru ihm auf eine kleine Anhöhe in den Schutz einiger Sträucher, von wo aus sie beobachteten, wie sich die große Gruppe der am Fluss wartenden Bajoraner in alle Winde zerstreute. Viele flohen kopflos in die Umgebung, um irgendwo Schutz zu suchen. Die Rufe der Erwachsenen und das Weinen der Kinder gingen im Röhren eines Motors unter, als eine Transportmaschine des cardassianischen Militärs auf der Wiese nahe dem Flussufer aufsetzte. Als die Laderampe hinunter klappte und ein Trupp schwer bewaffneter Soldaten ins Freie trat, drückte Taban Merus Hand.
„Sie erwischen uns“, murmelte sie kaum hörbar.
Genau das würde passieren, wovor sie zu flüchten versucht hatten. Der Traum von einem sicheren Leben, von einer Zukunft für die Kinder zerplatzte wie eine Seifenblase. Einige der Bajoraner, die noch am Ufer zurückgeblieben waren, wateten ins kalte Wasser und versuchten verzweifelt den Fluss zu durchqueren. Die reißende Strömung trieb selbst die besten Schwimmer unter ihnen ab. Zwei kräftige junge Männer retteten sich ein Stück weit flussabwärts ans sichere Ufer, doch mehrere andere Bajoraner verschwanden in den Fluten. Irgendwo viel zu nahe ertönte das schreckliche Zischen einer Energiewaffe und jemand schrie. Meru wagte kaum zu atmen. Sie drückte ihren Sohn an sich, vor Aufregung zu fest, und er begann zu plärren. Eine harsche Stimme rief etwas auf Cardassianisch und sie hörte die schweren Stiefel der Soldaten durchs Unterholz stapfen. Direkt vor den Büschen, die der Familie als Deckung dienten, blieben sie stehen und hoben ihre Gewehre.
„Rauskommen!“, befahl einer von ihnen ungeduldig.
Merus Herzschlag schien für einen Moment auszusetzen, als Taban ihr ein stummes Zeichen gab, Nerys zu seinen Füßen absetzte und sich langsam aufrichtete.
„Wo ist das Balg, das vorhin geschrien hat?“ Der Soldat deutete mit dem Lauf seiner Waffe von dem Bajoraner auf das Blattwerk hinter ihm.
Widerstandslos ging Taban ihnen entgegen. „Hier ist niemand außer mir.“
Die kleine Nerys strafte ihn Lügen, indem sie ihm hinterher lief und den Cardassianern direkt vor die Füße, ehe Meru sie am Kragen zu fassen bekam.
„So so, da ist niemand.“ Mit einem bösartigen Lächeln senkte er sein bisher auf den unbewaffneten Mann gerichtetes Gewehr und zielte auf das ahnungslose Kleinkind.
Meru schnappte nach Luft. Blitzartig sprang sie auf, um sich schützend vor ihre Tochter zu stellen. „Bekommt ihr Tapferkeitsorden dafür, unschuldige Kinder zu erschießen?“, schnaubte sie verächtlich.
Wortlos schlug ihr der Soldat den Lauf seiner Waffe über den Kopf. Im Fallen hörte sie, wie Taban ihren Namen rief. Das plärrende Baby mit ihrem Körper schützend, prallte sie mit dem Gesicht seitlich gegen einen scharfkantigen Stein und die Flut von Schmerz, die auf sie einströmte, riss sie ins Dunkel.

Als Meru wieder zu sich kam, fand sie sich im Laderaum eines Transportfliegers wieder. Das Motorengeräusch dröhnte so laut, dass sich die dicht aneinander gedrängten Bajoraner kaum miteinander verständigen konnten. Die meisten schienen dafür ohnehin viel zu verängstigt. Es war fürchterlich heiß in dem engen Raum und es stank nach Schweiß und Erbrochenem. Kinder weinten. Schwindel erfasste Meru, als sie sich aufrichtete, um sich nach ihrer Familie umzusehen. Mit den Fingern betastete sie ihre linke Wange, die scheußlich schmerzte, und spürte warmes Blut. Zwischen den stummen, zitternden Bajoranern konnte sie Taban, Nerys und Reon nicht entdecken – falls sie sich überhaupt mit ihr in diesem Transporter befanden. Ihr Blick fiel auf ein kleines Mädchen, höchstens zwei oder drei Jahre älter als ihre eigene Tochter. Tränenüberströmt stand es da, ein zerschlissenes Kleidchen am Leib und ein völlig verdrecktes Stofftier an sich gedrückt. Niemand schien sich um das Kind zu kümmern.
Nach einem schier endlosen Flug setzte die Maschine auf und die Rampe wurde geöffnet. Alle drängten gleichzeitig hinaus ins Freie. Meru nahm das fremde Mädchen bei der Hand, damit es nicht mitgerissen und verletzt wurde. Als eine der letzten konnte sie schließlich den engen schummrig ausgeleuchteten Raum verlassen und atmete gierig die kühle Luft ein. Der Transporter war in einem Hof gelandet, auf dem sich mehrere dutzend zerlumpt aussehende Bajoraner versammelt hatten, welche die Neuankömmlinge mit leeren Augen beobachteten.
„Papa!“, rief das Mädchen plötzlich, riss sich von ihr los und lief einem drahtigen blonden Bajoraner entgegen, der es hochnahm und liebevoll an sich drückte.
Von hinten legte sich eine Hand auf ihre Taille, was sie fast zu Tode erschrocken herumwirbeln ließ. Für einen Moment wurde ihr erneut schwindlig. Vor ihr stand Taban, in einem Arm Reon haltend und Nerys an den anderen geklammert. Ein unglaubliches Gefühl der Erleichterung durchströmte sie, und darauf bedacht dem Baby nicht wehzutun, fiel sie ihrem Mann um den Hals.
„Langsam, Meru“, sagte er sanft. „Du könntest eine Gehirnerschütterung haben. Du hast dir ganz schön den Kopf aufgeschlagen.“
Sie winkte ab. „Wo sind wir hier gelandet?“
„Das ist das Flüchtlingslager auf der Singha-Ebene.“ Ein niedergeschlagenes Seufzen entkam ihm. „Ich konnte euch nicht davor beschützen.“
Meru hauchte ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange. „Du hast getan, was dir möglich war, Geliebter. Wir werden es irgendwie schaffen. Zusammen.“
„Zusammen“, wiederholte er.
Die Zukunft mochte ungewiss sein, doch einer Sache, einer einzigen, war sich Meru vollkommen sicher. Sie würde all die Hoffnungen und Träume, die sie für ihre kleine Familie in sich trug, niemals sterben lassen. Wenn die Propheten es wollten, würden ihre Kinder eines Tages im Garten ihres eigenen kleinen Hauses herumtollen. In Sicherheit. In Frieden.
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