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Eyes without a face

von Jimaine

Kapitel 1

Allenby: "...Yes. Well, you've had a glimpse into the pit."
Lawrence: "No...a glimpse of sanity... And I'm not going back."


***********


Träume.
Als Wissenschaftler wie als Arzt sollte er sie als etwas Natürliches ansehen, die Art und Weise wie das Unterbewußtsein Streß verarbeitete, Furcht, allerlei starke Emotionen und Erlebnisse.
REM-Schlaf.
Überlebenswichtig.
Soviel zur ärztlichen Meinung.

Als Person und als Mensch würde er es vorziehen, eine Zeitlang ohne Träume sein zu können. Oder zumindest andere Träume zu haben. Länger als er zurückdenken konnte, schien es Dr. Julian Bashir, als ob er nachts in einer Zeitschleife gefangen war. Er drehte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in der Armbeuge, um es von der harten, schmutzigen Matratze fernzuhalten. Gleichzeitig wickelte er die fadenscheinige Decke noch enger um sich. In den vergangenen Wochen war er noch dünner geworden, hatte zwölf Pfund verloren, mehr Gewicht als er sich leisten konnte. Nur gut, daß es hier im Herzen dieses trostlosen Felsbrockens mitten im Weltraum keinen Spiegel gab.

Internierungslager 371.
In seinen Träumen entkam er diesem Ort, körperlos und unsichtbar glitt er durch die Barrieren aus Gestein und Metall und erwartete, dem eisigen Vakuum des Weltraums zu begegnen. Nur um zu seiner Überraschung statt der sternenübersäten Kälte ein lichtloses Dunkel vorzufinden, das ihn samtig warm umschloß.
Hier fühlte er sich sicher. Beschützt. Geliebt.

Jeden Moment nun würde er sie spüren...ja, da war sie wieder, die andere Präsenz. Kraftvoll, beängstigend und beruhigend zugleich...aufregend und betörend...sogar fast etwas vertraut.
Er lächelte, ein bißchen traurig.
Immer wieder spürte er diese Präsenz, immer war sie außer Reichweite, verließ niemals die Schatten. Stets unternahm Julian den Versuch, sich dem Phantom zu nähern, doch die Entfernung schrumpfte nie, nicht mal einen Meter.
Immer gerade außer Reichweite.
Alles, was er sehen konnte, waren diese Augen, ihr warmer Blick wie eine physische Berührung. Ein Blick, der ihn in dem Wissen ließ, daß er Liebe finden würde an dem Tag, an dem die Schatten verschwanden. Ein Versprechen in einem Kaleidoskop aus Blau, mysteriös und zärtlich. Wenn er doch nur das Gesicht sehen könnte...es ließen sich keinerlei Umrisse ausmachen, jegliche Form blieb im Dunkeln verborgen.
In seinem Schmerz hielt er nur mit Mühe ein verzweifeltes Wimmern zurück. Nacht für Nacht sah er der Liebe ins verborgene Gesicht, fühlte wie die Leere in seinem Inneren wuchs und sehnte sich nach dem, was er nicht haben konnte. Der Wunsch war so stark, daß es wehtat, forderte eine Berührung, *irgendetwas*...doch dann erwachte er zu einem weiteren Tag in Gefangenschaft.
Und ohne daß etwas gesagt oder getan worden war, wichen die blauen Augen wieder zurück in das undurchdringliche Dunkel.
Er spürte diesen Verlust jedes Mal aufs Neue, wie einen Eiszapfen, den man ihm durchs Herz trieb. Nacht für Nacht.
So wie jetzt. Die Entfernung wuchs und das blaue Leuchten verblaßte.

_Nein! Nein, noch nicht..._

Die Augen ohne Gesicht würden wiederkommen, sobald er das nächste Mal einschlief, dessen war er sich sicher, und der Abschiedsschmerz war mit jedem Mal schwerer zu ertragen.
Die Liebe stahl sich still und leise davon.
Julian Bashir hatte nie eine Chance.

Der Traum wurde jäh durch die schwere Hand zerstört, die ihn an der Schulter packte und unsanft wachrüttelte.
"Dr. Bashir."
Er öffnete die Augen und blinzelte mehrmals, bis die Welt um ihn herum langsam Konturen bekam. Das dunkle verwitterte Gesicht des klingonischen Generals Martok direkt über ihm war ausdruckslos und nur seine Stimme verriet seine Sorge - eine Sorge, die von den übrigen Insassen dieser Baracke geteilt wurde.
"Doktor", bestand Martok auf dem Punkt, den er nicht genauer ausführen mußte, Julian wußte sofort, was gemeint war. "Sie müssen ihn überreden, da rauszukommen und sich auszuruhen, ansonsten wird er morgen tot sein und mit ihm unsere einzige Hoffnung auf Flucht."
Alarmiert setzte Julian sich auf. "Ich hatte ihm *ausdrücklich* befohlen, bis zum Morgen nichts zu tun!"
"Ganz offensichtlich nimmt er Ihre Befehle nicht als solche wahr", grollte der Klingone mit unverhohlenem Sarkasmus. "Man kann seine Hartnäckigkeit nur bewundern."
"Und ich kann nur denken, daß er mich bewußt ignoriert! Macht er wenigstens Fortschritte?" Mit der einen Hand zog er den Verschluß seiner Uniformjacke zu, wobei er sich wünschte, daß es eine Möglichkeit gäbe, die Kleidung zu reinigen, die er schon seit Wochen trug, und griff mit der anderen nach dem Medikit, das ihm die Jem'Hadar freundlicherweise überlassen hatten. Im nächsten Moment war er dann schon auf den Beinen und eilte hinüber zur anderen Seite des Raumes, wo Martok bereits eines der Feldbetten von der Wand abgerückt hatte und nun die Wandverkleidung öffnete. Stück für Stück wurde der schmale Gang sichtbar, der tief ins Innere der Wand führte.
An der Tür gab einer der Romulaner das Signal, daß die Luft rein war. Keine Jem'Hadar in der unmittelbaren Nähe ihrer Baracke.
Julian duckte sich und zwängte seinen Körper in die klaustrophobische Enge. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das Dunkel, das nur von dem schwachen Glühen freiliegender Plasmaleitungen erhellt wurde. Und dann sah er ihn.
"Hören Sie", begann der Doktor und wählte bewußt einen scharfen Befehlston, "wenn Sie so scharf darauf sind zu sterben, bitten Sie doch einfach die Jem'Hadar, Sie zu erschießen!" Zum x-ten Mal fragte er sich, wie dieser Mann mit seiner Körperfülle hier drinnen nicht nur Platz hatte, sondern auch *arbeiten* konnte!
"Sparen Sie mir die Predigt, Doktor", schnappte Enabran Tain, seine Konzentration voll auf dem Labyrinth von Schaltkreisen direkt vor seinem Gesicht. Vor Anstrengung waren seine Augen zu Schlitzen verengt und jeder Atemzug hallte unerträglich laut durch die enge Kammer. Zuwenig Sauerstoff in der Luft und die Temperatur war viel zu hoch, selbst für einen Cardassianer, stellte Julian abermals fest.
"Sie tun sich selbst keinen Gefallen", appellierte er an die Vernunft, doch der Cardassianer unterbrach ihn mit einem verächtlichen Schnauben. Tain wandte sich so weit zu ihm um, wie die Wände es zuließen und bedachte den störenden Menschen mit einem Blick, der gewöhnlich für niedere Lebensformen wie Amöben vorbehalten war. Nach einem weiteren herablassenden Schnaufen knurrte er, "Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie mich meine Arbeit machen ließen. Jede Minute zählt...und Sie halten mich nur auf!"
Für eine Weile beobachtete Julian ihn, sah den Schweiß, der auf der Haut glänzte und an den Gesichtshöckern entlangrann. Tain ging es schlecht; man brauchte nur genau hinschauen, um die alten Hände zittern zu sehen, Hände, die im letzten halben Jahrhundert die Fäden von mehr Intrigen auf und jenseits von Cardassia gezogen hatten als Julian es sich auszumalen vermochte. Dies war ein alter Mann, der sich vergeblich gegen die Grenzen wehrte, die das Alter seinem Körper auferlegte und sich Unmögliches abverlangte.
Sein Körper ließ ihn von Tag zu Tag mehr im Stich. Und dennoch mobilisierte er seine letzten Kräfte in diesem Versuch nach Hilfe zu rufen.
"Bitte", sagte er in seiner besten Arztstimme, "kommen Sie und gönnen sich eine Pause! Nur fünfzehn Minuten. Ich haben Ihnen bereits die höchstmögliche Dosis des Herz-Kreislauf-Stabilisators verabreicht; mehr kann ich nicht vertreten! Ihr Herz kann die Leistung nicht erbringen, zu der Sie es zwingen, und von Ihrem übermäßig hohen Blutdruck will ich gar nicht erst anfangen!"
Der ehemalige Führer des Obsidian Order sah Bashir nicht einmal an, sondern arbeitete methodisch weiter, repolarisierte einen weiteren Stromkreis und antwortete dann mit einem kleinen selbstzufriedenen Erfolgslächeln, "Was wollen Sie mir sagen, Doktor?"
"Ich sage, daß Sie vermutlich einen Hirnschlag oder ein Aneurysma haben werden, wenn Sie die Ruhezeiten nicht einhalten", gab Bashir kalt zurück.
Tain ließ einen langen Atemzug entweichen und dann noch einen und sagte schließlich, "Das kann ich nicht tun, Doktor. Wenn einer von uns aus diesem Gefängnis entkommen soll, muß ich diesen Transmitter in das Lebenserhaltungssystem einbauen. Einmal aktiviert, wird er einen Hilferuf in Endlosschleife in Richtung des Wurmlochs senden. Das Signal müßte von...jemandem empfangen werden."
_Oh und ich bin sicher, daß es im Alpha-Quadranten ganz furchtbar viele Leute gibt, die sich in den Gamma-Quadranten aufmachen würden, bloß um Ihnen zu helfen! Es ist ja nicht so als ob Sie jedermanns Liebling wären!_ "Sie glauben doch nicht, daß irgendjemand auf Cardassia die Mittel hat zu helfen...?! Dort haben sie alle Hände mit den Klingonen voll und würden garantiert keine Rettungsaktion riskieren oder einen offenen Angriff auf eine Dominionbasis starten, selbst wenn es um die Rettung von Enabran Tain ginge!" Bashir wurde wütend und ein Teil dieser Wut wurde von seiner eigenen Furcht und Verzweifelung geschürt, der Angst, nie nach DS9 zurück zu kommen, wo zweifellos ein Formwandler derzeit seine Rolle spielte, *sein* Leben lebte. "Die könnte es nicht weniger interessieren... Ich meine, immerhin endete Ihr letzter Kreuzzug gegen die Gründer nicht wirklich in Glanz und Gloria."
Das saß. Tain warf ihm einen haßerfüllten Blick zu, die dunklen, für gewöhnlich immer halb geschlossenen Augen für einen Moment weit offen...und voller Zorn. Aber er blieb ruhig, völlig gelassen, und setzte nach diesen paar Sekunden Blickkontakt seine Arbeit ungerührt fort.
In den Augen des alten Mannes hatte Julian für einen kurzen Moment einen Funken der Macht aufglimmen sehen, über die Tain einst verfügt hatte, ein Überbleibsel der Arroganz und Kaltblütigkeit eines Mannes, der daran gewöhnt war zu kommandieren und zu kontrollieren, daran, daß seine Untergebenen ihm bedingungslos gehorchten.
Er konnte einen Schatten der Person sehen, die Tain einst gewesen war, und das jagte ihm Angst ein. Ebenso veranlaßte ihn dieser Schatten zu einem Moment des Zögerns, bevor er fortfuhr, "Und was die Föderation angeht, so würde ich von denen auch nicht allzu viel erwarten. Ich kenne Captain Sisko. Bestenfalls schickt er einen Runabout, um nach dem Rechten zu sehen, aber nie im Leben ein Schiff oder gar eine ganze Flotte."
"Ich darf behaupten, daß Starfleet so ziemlich die letzte Instanz ist, auf der meine Hoffnung ruht...aah!" Tain zuckte zurück und hielt sich die schmerzende Hand, schützte sie vor dem Funkenbogen, der aus dem Spaghettigewirr der Kabel regnete.
_Bei diesem Tempo wird er sich noch innerhalb der nächsten Stunde umbringen._ Julian reagierte sofort und schob sich weiter in den engen Zwischenraum vor, Metall im Rücken, Metall unmittelbar vor seinem Gesicht. Sein langer, schmaler Körperbau gereichte ihm zum Vorteil und ließ ihn schnell zu dem Cardassianer vordringen, der warnend eine Hand hob.
"Kommen Sie mir nicht zu nahe, Doktor, ich bin nicht besonders gut gelaunt!"
"In Ihrem derzeitigen Zustand können ein paar mehr dieser elektrischen Schocks definitiv Herzstillstand auslösen", erklärte Bashir, der sich weigerte, wieder abgewimmelt zu werden. "Ich bin Arzt. Ich werde diese mutwillige Selbstzerstörung nicht zulassen! Wenn jemand das Signal auffängt - was voraussetzt, daß Sie lange genug leben, um den Transmitter fertigzustellen - würde er doch sehr enttäuscht sein, wenn alles, was es bei seiner Ankunft noch zu retten gibt, eine cardassianische Leiche ist. Sofern überhaupt jemand kommt." _Oh Allah, ich hoffe es! Ich will nicht wie Martok zwei Jahre hier verbringen, von Tag zu Tag dahinleben - *über*leben - und das in dem Wissen, daß man nicht nach mir sucht oder mich gar vermißt, weil ein Formwandler meinen Platz einnimmt. Ob wohl irgendjemandem etwas Ungewöhnliches auffällt? O'Brien, Jadzia...oder vielleicht Garak... Garak, verflucht..._
"Wenn ich das Signal schicke und es bis durch das Wurmloch geht", murmelte Tain wie zu sich selbst, ein Zittern in seiner Stimme und er schien noch blasser als zuvor, "brauchen wir nur zu warten. Es wird Hilfe kommen."
_Garak... Er denkt doch nicht, daß *Garak* ihm zur Hilfe kommt, oder?_ Ganz konnte er aber seine eigene Aufregung beim Gedanken an Rettung nicht verleugnen. "Nun, Sie müssen sich dieser Hilfe ja sehr sicher sein."
Tains Nicken war kaum sichtbar und seine Antwort noch weniger. "Das bin ich." Es war die einzige Hilfe, über die er noch gebieten konnte, die einzige, von der gehofft hatte, sie nie zu brauchen, nie auf sie angewiesen zu sein, nicht einmal im Angesicht des Todes.
Doch nun war er hier und tat genau das. Hoffen. Welch' Ironie. Er war sich sicher, daß die Einzigartigkeit seiner Notlage mit dem üblichen eleganten Sarkasmus gewürdigt werden würde. Loyal bis zum Tod, das war der Eid - und dann waren da noch andere Bande... Er hätte sich nie träumen lassen, jemals auch nur eine Spur von Reue zu empfinden, aber das Gefühl war da, tief in ihm, und es störte seine Arbeit, schwächte seine Konzentration, ließ seine Hände unsicher werden. Zugegeben, er wurde alt und der Tod würde sich nicht viel länger auf Distanz halten lassen. Eile war angesagt. Bei seiner Rettung wollte er am Leben sein, nicht tot, wollte leben, wenn...er...kam.
Etwas regte sich in dem finsteren Labyrinth von Tains Gedanken, Julian konnte es sehen und es hatte nichts mit der Rekonfiguration von Plasmaleitungen zu tun. Garak. Bestimmt dachte er an Garak. Julian stellte sich das überraschte Gesicht des cardassianischen Schneiders vor, wenn er nicht nur Tain hier vorfand, sondern auch seinen menschlichen Freund.
Unweigerlich drängte sich der Nachgedanke auf, welchen Grund Garak denn haben sollte, überhaupt zu kommen. Tain hatte ihn ins Exil geschickt. Es war Tain gewesen, der ihn hätte sterben lassen, als sein Implantat versagte, wenn Julian Tain nicht hartnäckig zur Kooperation gedrängt hätte. Und gleichermaßen hatte Tain versucht, ihn umzubringen, bevor er die cardassianisch-romulanische Flotte in den Gamma-Quadranten - und in den Untergang - führte. Dieser Mann hatte niemals etwas anderes als Bosheit gegenüber Garak gezeigt, manchmal gepaart mit Liebenswürdigkeit und Zuneigung, aber auf eine so niederträchtige, unehrliche Art, die das Endresultat nur noch giftiger machte. Warum glaubte Tain, daß Garak, der bei dem letzten Versuch, das Leben seines früheren Arbeitgebers zu retten, nur knapp mit dem eigenen davongekommen war, dieses erneut aufs Spiel setzen würde?
Ihre Verbindung mußte enger sein als Julian es bislang gedacht hatte. Doch er hatte niemals behauptet zu verstehen, was Garak zu dem motivierte, was er tat.
"Sie haben fünfzehn Minuten", informierte er Tain. "Wenn Sie dann nicht rauskommen, rufe ich die Wachen!"
Tain lächelte dünn. "Das würden Sie nicht wagen."
Es kostete Bashir keine große Mühe, sein Pokerface zu bewahren und das Lächeln in all seiner Kälte zurückzugeben. "Lassen Sie's besser nicht darauf ankommen." Damit drehte er sich um und schob sich in Richtung Ausgang.
Einige Meter hinter sich hörte er Tains mißmutiges, "Fünfzehn Minuten..."

_Man sollte auch auf kleine Erfolge stolz sein._ Martok bot ihm seine Hand und half ihm aus der Öffnung ins Licht. Beim Verschließen der Wand bemerkte er, daß auch der Klingone alles andere als gut aussah. "Und wie geht's uns heute, General?" erkundigte er sich mit einem gedanklichen Seufzer. Martok humpelte und sein Atem ging schwer. Am Ende eines jeden Tages hatte der Klingone neue Verletzungen, die alten konnten noch nicht einmal vernünftig abheilen. "Die Knochennaht hat nicht gehalten, nicht wahr?"
Martok grollte wie nur ein Klingone es konnte und schüttelte den Kopf, das Gesicht vor Schmerzen verzogen, als er sich setzte. Die Hände hielt er schützend auf die linke Seite seiner Brust gelegt. "Ich fürchte...bedaure nein, Doktor. Ich habe versucht, die Schläge so gut wie möglich zu blocken...doch er hat meine Verteidigung zweimal durchbrochen...sehr stark -" Martok hustete, offensichtlich unter Schmerzen.
Neben dem Klingonen stehend tastete Julian dessen Brustkorb mit vorsichtigen Fingern ab; selbst auf der dunklen Haut war die großflächige purpurne Verfärbung deutlich zu erkennen. "Oh ja. Wieder gebrochen. Die selben beiden Rippenpaare, exakt an der selben Stelle wie zuvor. Der Jem'Hadar hat ganz schön zugeschlagen...wollen Sie was gegen die Schmerzen?"
"Nein, nein", erwiderte Martok, auch wenn sein leises Ächzen unter dem Druck von Bashirs Fingern seine Worte Lügen strafte. "Andere brauchen die Medikamente nötiger als ich. Tain..."
"Er wird gleich eine Pause einlegen", beruhigte ihn Julian. _Hoffe ich zumindest._ "Genau wie Sie es tun sollten." Natürlich war das nicht möglich, aber er wollte es zumindest gesagt haben.
Die Antwort war ein bedächtiges Nicken und ein langer Blick auf das geschlossene Panel, hinter dem Tain im stillen Dunkel arbeitete. "Schon ein seltsamer Mann, dieser Cardassianer. Ich habe selten jemanden gesehen, der so verbissen ein Ziel verfolgt. Wie ich Ihnen bereits sagte, Doktor, er hat mit dieser Arbeit schon Monate vor Ihrem Eintreffen begonnen und wenn er nicht so versessen auf Geheimhaltung wäre und etwas weniger vorsichtig arbeitete, wäre er schon längst fertig. Perfektionismus scheint diesen Echsenhälsen im Blut zu liegen." Ungeachtet seiner schmerzenden Rippen streckte er sich lang auf dem harten Gestell aus, das hier als Bett galt - klingonische Soldaten waren vermutlich auch die einzigen, die nichts an dem Mangel an Schlafkomfort auszusetzen hatten - und meinte, "Aber wer würde wegen ihm kommen?"
_Vielleicht nur ein einfacher Schneider,_ wollte Julian gerade antworten, doch zuckte er nur mit den Schultern und sagte, "Es gibt jemanden...eine Person auf Deep Space Nine. Er war einst ein sehr enger Vertrauter von Tain."
Martok ließ den angehaltenen Atem in einem abwertenden Knurren entweichen. "Ah ja, der Cardassianer im Exil..."
"Sein Name ist Elim Garak", ließ Julian ihn wissen. "Ich kenne ihn. Wir...sind Freunde." _Oder so nahe an diesem Konzept wie's gerade noch geht. Kaum vorzustellen, daß wenn wir ihn und Odo damals nicht gerettet hätten, er dasselbe Schicksal wie Tain erlitten hätte! Er wäre jetzt hier...wäre schon seit zweieinhalb Jahren hier gewesen. Wer ihn wohl vermißt hätte?_ Für einen Moment fühlte er ihn allzu deutlich, diesen seltsamen, scharfen Schmerz in seinem Herzen bei diesem Gedanken. "Tain ist sich sicher, daß Garak kommen wird. Ich auch."
_*Ich* hätte ihn vermißt!_
"Hoffen wir, daß Sie Recht haben. Sie und Tain, um unser aller Willen."

Ja, er hätte Garak auf der Station vermißt. Sehr sogar. Er wußte nicht, warum genau, aber über die Jahre zurückzudenken und sich vorzustellen, daß Garak nie ein Teil jener Erinnerungen gewesen sein sollte...tat weh.
Zu viele Dinge, gute wie schlechte, wären ohne Garaks Gegenwart und Eingreifen nicht so verlaufen, wie es der Fall gewesen war, sondern hätten sich...anders...ereignet.
Zu oft war Garak der entscheidende Faktor in der Entwicklung einer Krisensituation gewesen, zu oft hatte er eine wesentliche Rolle im Stationsleben gespielt.
_Und in *meinem* Leben!_
Die Erinnerungen an Garaks Freundschaft waren ihm lieb und teuer und jetzt umso mehr, da ihm klar war, was die Alternative hätte sein können. Und vielleicht waren Erinnerungen alles, was ihm bleiben sollte, alles was er zum Überleben haben würde, falls Tains Nachricht nicht durchgehen sollte. Oder falls niemand sie hörte.
Ein freundliches Lächeln, anregende Unterhaltung beim Mittagessen, ein leises amüsiertes Lachen angesichts von Julians ach-so-menschlichen Meinungen und die klaren Augen, in denen unzählige Lügen und unzählige Wahrheiten verborgen lagen.
Welche Farbe hatten diese Augen überhaupt? Er hatte nie darauf geachtet.

"General, ich werde in einer Stunde bei Ihnen sein und mich um Ihre Rippen kümmern. Ich muß vor der Sperrstunde noch einige Leute aufsuchen. Ein Romulaner ist -"
"Ich weiß." Martok schaute stumm und nicht ohne Bewunderung zu, wie Bashir mehrere gefüllte Hyposprays, Tablettenstreifen und Desinfektionsmittel unter seine Uniform steckte, und unter die Bandage schob, die er sich zu diesem Zweck um die Hüfte gewickelt hatte. Er wußte, was Bashir tat, wenn die Jem'Hadar nicht hinsahen, und als Klingone und Krieger applaudierte er solcher Tapferkeit. Auf seine eigene besondere Art und Weise bekämpfte der Arzt den Feind. Bashir, Tain und Martok selbst, manchmal auch die Romulaner, sie alle waren Kämpfer hier, die ihre vereinten Talente für das Ziel des Ausbruchs einsetzten. Sollten ihre Kerkermeister von Bashirs heimlichen Aktivitäten erfahren, würden sie alle darunter leiden. "Oh, Doktor, ich weiß", sagte er leise. "Ich kann warten. Seien Sie vorsichtig."
Julian lächelte. "Ich werd's versuchen."

************

In jener Nacht lag er wach. Statt zu schlafen (und zu träumen) entschied er sich, an die Wand gelehnt auf seiner Pritsche zu sitzen und über den Schlaf seiner Mitgefangenen zu wachen. Und über die Zukunft nachzudenken. Was für eine Hoffnung gab es denn noch für sie außer einem Transmitter, den der sterbende alte Mann, der fünf Meter weiter schlief, wahrscheinlich nie würde fertigstellen können? Sie alle könnten für alle Ewigkeit hier eingesperrt bleiben.
Mit einem Gähnen zog er die Knie an die Brust und umschloß sie fest mit den Armen. Ihm war kalt, doch der Grund war nicht die niedrige Temperatur. Wenn er die Augen schloß, auch nur für einen kurzen Moment, hörte er die vielen Stimmen, all die vielen Erinnerungen.
"Ops an Dr. Bashir. Könnten Sie bitte raufkommen? Ich hätte gerne Ihre Meinung zu einer Angelegenheit gehört." Siskos tiefe, beruhigende Stimme, für ihn immer eine Quelle von Mut und Stärke, wenn er selbst nichts mehr davon übrig hatte. So wie jetzt.
"Nun, Julian, dann wollen wir doch mal sehen, ob du diesen Vorsprung noch einholen kannst! Ich bin wieder in *der Zone*!" O'Brien, der ihn mit einem Lachen einlud, sich der Herausforderung einer weiteren Runde Darts zu stellen.
Inspiration, Unterstützung und ein offenes Ohr, das für seine Kollegen nie verschlossen blieb. Speziell nicht für den jungen Julian Bashir, mit dem er viel Zeit verbrachte. Julian wünschte sich, daß O'Brien jetzt hier wäre, ihm mit einer rauhen Hand einen freundschaftlichen Knuff gab. Er wollte die Stimme des Ingenieurs hören, die ihm gut zuredete, der weiche irische Akzent verstärkt von einigen Gläsern Bier, und ihm versprach, ihn aus diesem Schlamassel rauszuholen.
O'Brien würde wissen, was zu tun war. Genau, er würde ihn und alle anderen binnen einer Stunde hier raushaben.
O'Briens Erfahrung, die Hilfe seines besten Freundes, all das vermißte er nun schmerzlich.
"Du solltest den Frauen auf der Station ein bißchen Zeit lassen, mit deinen Hormonen Schritt zu halten, Julian." Das Necken von Jadzia Dax, die ihn auf ihre spezielle Weise aus der Reserve lockte, zum Teil die große Schwester, zum Teil die Mutterglucke (ihre eigenen Worte) und zum Teil die gute Freundin. Meistens nervte ihn ihre übergeduldige, elterliche Fürsorge. Jetzt allerdings würde er alles dafür geben, ihre Stimme in diesem Raum zu hören und zu wissen, daß die gesammelte Weisheit aus sieben Leben sich mit dem Problem der Flucht befaßte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er hoffnungslos in die atemberaubend schöne Trill verschossen gewesen war, er erinnerte sich mit einem schiefen Lächeln an jene Tage, doch die Schwärmerei der Vergangenheit war nichts im Vergleich mit der Freundschaft, die sie heute verband. Sicher, sie sah toll aus, hatte einen ebenso attraktiven wie scharfen Verstand und die hübschesten blauen Augen, die er je gesehen hatte, aber...

Blaue Augen.
Gefüllt mit einer herzzerreißenden Einsamkeit, die so groß war wie seine. Nicht Jadzia Daxs Augen.
Blaue Augen traten ihre stumme Wache an, als er zu träumen begann. "Wer bist du?" wollte er wissen, forderte abermals verzweifelt eine Antwort, doch sein Gedanken-Wort wurde von der dunklen Leere verschluckt, die sie beide umgab. "Wer bist du?"
Blaue Augen unterstellten ihm, daß er die Antwort bereits kannte.
Tatsache?
Unsicherheit trübte seine Sicht, zog ihn nach unten und er verlor den Halt. Die Traumfigur drohte zu verschwinden. Mit aller Willenskraft hielt er an ihr fest.
Gesichtslos und stumm beobachteten blaue Augen seinen Kampf, weder lobend noch entmutigend angesichts von Julians Bitten und den vergeblichen Versuchen, die Distanz zu überbrücken.
Endlich Liebe zu berühren.
*Du kennst mich, Julian.*
Der Traum war fort. Er war wieder ganz alleine und er fiel. Fiel durch eisige Dunkelheit und nichts und niemand würde seinen Fall brechen. Er konnte nicht atmen...

Er riß die Augen auf.
"Aufstehen!" Das knochige Gesicht des Jem'Hadar, umrahmt von spitzen Auswüchsen, war gänzlich ausdruckslos.
Verwirrt und verängstigt versuchte Julian eine Antwort hervorzuächzen, eine Frage, weshalb er so behandelt wurde; die Finger des Soldaten schienen sich noch enger um seine Kehle zu schließen, je verzweifelter er um Luft rang. Brutal wurde er von der Pritsche und auf die Füße gerissen.
Und losgelassen.
Sauerstoff füllte seine Lungen, erreichte sein Gehirn, und er hustete und hielt sich den schmerzenden Hals. Sein Brustkorb fühlte sich an als habe jemand nach einer Operation mehrere Pfund Reißnägel im Inneren vergessen. Tränen füllten seine Augen. "Was...?" krächzte er und wurde sich bewußt, daß er höchst unehrenvoll vor dem Jem'Hadar Soldaten - den Soldaten, korrigierte er sich, Mehrzahl! - und dem alles überwachenden Vorta auf die Knie gefallen war. "Was soll das?" wiederholte er und hoffte, daß seine Furcht nicht sichtbar war.
Die Augen des Vorta waren ein blasses, wäßriges Lavendelblau, kalt und leer wie die eines Haies.
Ein perverses Zerrbild seiner Träume in der grausamen Realität.
"Sie werden sich fügen und Ihre Strafe entgegennehmen, Mensch", sagte der Vorta, dessen Name, so erinnerte sich Julian, Deyos lautete, und für einen unendlich kurzen Sekundenbruchteil war ein Anzeichen von Leben in den kalten Gletschern der blauen Augen zu erkennen.
Es war Freude, die Freude eines Sadisten, der gleich seinen Spaß haben würde.

Martok, Tain, die Romulaner und der stets teilnahmslose Breen standen im Hintergrund und machten keinen Versuch einzugreifen und Julian zu helfen; für einen Moment haßte er sie für ihre Passivität. Es war aber nicht Feigheit, das wußte er sehr wohl, sondern vielmehr gesunder Verstand. Zusehen war alles, was sie konnten, denn ein Eingreifen könnte und würde für sie den Tod bedeuten.
Oder Schlimmeres.
Nun, ihm schien es fast so als würde ihm die fragwürdige Ehre zuteil, "Schlimmeres" zu erfahren. Über Details wollte er besser nicht spekulieren. Mit mehr Wagemut als er fühlte griff er nach der Kante seines Bettes und zog sich langsam auf die Beine, bis er Auge in Auge mit Deyos stand und fragen konnte, "Und was für ein Vergehen wird mir vorgeworfen?"
"Ein Fall von Gedächtnisverlust?" schalt Deyos mit einem Kopfschütteln und einer lausigen Imitation von Bedauern. "Gestatten Sie mir, Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, Doktor." Er trat näher heran und sein unangenehmes Gesicht war nur Zentimeter von Bashirs entfernt. "Sie haben die Auflagen verletzt. Sie haben sich nicht an die Regeln gehalten. Sie haben das Vertrauen gebrochen, das ich in Sie setzte, als ich Ihnen Ihre medizinische Ausrüstung zurückgab."
Julians Blut wurde kalt wie Eis. Dabei war er doch so verdammt vorsichtig gewesen, hatte wertvolle Medikamente nur angewendet, wenn es absolut notwendig war. _Du seelenloser Bastard!_ "Demnach hätte ich sie leiden lassen sollen", antwortete er und begegnete der Kälte des Vorta mit seiner eigenen Rage, doch so heiß seine Wut brannte, sie richtete nichts gegen diesen Blick aus kühler, abschätzender Verachtung aus, "ist es das, was ich hätte tun sollen?" Bei seiner Ankunft hatte es in diesem Gefängnis so viele Kranke gegeben, Verletzte und Sterbende, denen eine ordentliche medizinische Versorgung versagt wurde. Alles, was sie erhielten, war Wasser und einige Bandagen. Schmerzmittel waren ein kaum zu beschaffender Luxus und nur wenige waren verzweifelt genug, den normalerweise dafür erforderlichen Preis zu zahlen.
Und all das half gar nichts.
Julian Bashir hatte nicht untätig zusehen können. Einige der schwereren Fälle hatten zugegebenermaßen keine Hoffnung mehr außer den Tod, doch sobald er sein gutgefülltes Medikit in Händen hatte, war er losgezogen und hatte nach bestem Können die Schäden repariert, die das Dominion angerichtet hatte, von Kampfverletzungen bis hin zu Unterernährung. Auch hatte er es sogar gewagt, für die Gefangenen Nahrungsrationen in größerer Menge und besserer Qualität anzufordern - eine Aktion, die ihm die dünne Narbe über der linken Augenbraue eingebracht hatte.
"Ihr Besitz wurde Ihnen wieder ausgehändigt, um den Klingonen kampffähig zu halten", erinnerte Deyos ihn eisig, "damit er weiterhin gegen die Jem'Hadar antreten kann."
Und Martok in einem Stück zu halten war eine Vollzeitbeschäftigung, da dieser jeden Tag aufs Neue in den privaten Trainingskämpfen der Jem'Hadar in die Mangel genommen wurde! Selbst ein Klingone mit seiner naturgegebenen aufs Kämpfen und Überleben ausgelegten Physiologie konnte nur eine begrenzte Menge Schaden erleiden, bevor selbst der beste Arzt ihn nicht mehr rechtzeitig zum nächsten Kampf wieder zusammenflicken konnte! Doch nicht nur Martok brauchte ihn. Da waren noch Tain - speziell Tain, denn ohne weitere Behandlung würde sich der Zustand des alten Cardassianers binnen weniger Tage extrem verschlechtern - und viele, viele andere, Cardassianer, Romulaner, ein paar Menschen, ein ganzes Lager voller Leute, die begonnen hatten, auf die Hilfe eines ausgebildeten Arztes zu vertrauen, auch wenn er nur verhältnismäßig wenig für den Einzelnen tun konnte. "Habe ich das nicht getan?"
Deyos seufzte. "Ja, das haben Sie...doch abgesehen davon arbeiten Sie zuviel, Doktor. Glauben Sie bitte nicht, daß uns Ihre geheimen...mildtätigen...Hausbesuche nicht aufgefallen sind."
"Was hätte ich tun sollen?" gab Julian knapp zurück. "Ich bin Arzt."
"Ja, das sagten Sie bereits mehrmals. Und um ehrlich zu sein war ich wenig überrascht, von den ersten Wunderheilungen zu hören..." Er brachte es wirklich fertig, seinen Worten einen Anklang von Mitgefühl zu geben, wenn auch von der giftigen Art. "Dennoch haben Sie sich meinen Befehlen widersetzt. Sie werden entsprechend bestraft werden. Nehmt ihn mit", befahl er den Jem'Hadar und warf General Martok ein entschuldigendes Halblächeln zu. "Du kämpfst besser gut, Klingone, und vermeidest ernstere Verletzungen. Der gute Doktor wird eine Weile ganz alleine verbringen, um über sein Fehlverhalten nachdenken zu können."
Ohne ein Wort packten die Jem'Hadar Julian bei den Armen und schoben ihn zur Tür. "Halt!" schrie er und wehrte sich gegen den stahlharten Griff. "Er wird sterben, wenn er nicht regelmäßig behandelt wird!" Seltsamerweise dachte er bei diesen Worten nicht an Martok, sondern an Enabran Tain, der im Hintergrund auf seiner Pritsche saß und aus trüben halbgeschlossenen Augen zusah, wie die Wachen Julian fortzerrten.
Er dachte an Tain...und Garak.
Und daran gerettet zu werden...irgendwann.
Für einen Moment schien Deyos den Einwand abzuwägen, dann nickte er dem Jem'Hadar zu, der Julians Medikit gegriffen hatte. "Das kann hierbleiben. Ich bin sicher, jemand hier weiß damit umzugehen." Sein kalter Blick glitt über die Insassen von Baracke 6 und er fügte hinzu, "Daß mir keiner versucht, es dem guten Doktor gleichzutun. Dies ist die einzige Warnung, die ich Ihnen gebe. - Was ihn angeht", und sein Lächeln wurde noch kälter, "bringt ihn zum Isolationsblock, Zelle 21B."
Die Jem'Hadar bestätigten den Befehl ihres Herren mit einem scharfen Nicken.

Julian war sich der besorgten Blicke durchaus bewußt und war dafür dankbar, aber Besorgnis half nicht, die in ihm aufsteigende Panik zu mildern. Er hatte bei seinen Untersuchungen mehrere Gefangene gesehen, deren Wunden nur von professioneller und gezielter Folter herrühren konnten.

"Keine Angst, Doktor, Sie werden die Gesellschaft Ihrer Kameraden nicht allzu lange vermissen. Im Gegenteil, ich möchte sogar mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß Sie, sobald Sie Ihr neues Quartier gebührend bezogen haben, es letztendlich begrüßen werden, allein zu sein."

_Was immer er damit auch meint, ich sollte mich besser nicht darauf freuen!_
Hoffentlich würden Martok oder einer der Romulaner, die schließlich beide fähige und hochrangige Mitglieder des Tal'Shiar gewesen waren, Tain am Leben halten, bis der Transmitter fertig war. _Tain ist überzeugt davon, daß Garak für ihn Kopf und Kragen riskieren wird...ich hoffe, er hat Recht._ Aber selbst Garak könnte es nicht mit der Stärke und Feuerkraft einer ganzen Schwadron Jem'Hadar aufnehmen. So clever und durchtrieben er war, es war kaum denkbar, daß er unbemerkt in diesen Komplex eindringen konnte und lange genug am Leben blieb, um einen Fluchtplan in Gang zu setzen.
Außerdem hielt Julian den cardassianischen Schneider für intelligenter als daß er einfach so hereinspazierte und dann unschuldig vorgab, sich verlaufen zu haben und bloß nach dem Weg nach Hause fragen zu wollen. Allerdings klang das für ihn bedenklich wie eine Ausflucht, die Garak machen würde, sollte man ihn an einem Ort ertappen, wo er sich nicht aufhalten durfte.
Interessanter Gedanke. Wie *konnten* sie überhaupt gerettet werden?
Martok nickte kurz, als ihre Augen sich trafen. Ein paar Arbeitstage noch, hatte Tain letzte Nacht gesagt. Zwei, vielleicht drei. Vielleicht eine Woche. Sie würden alle am Leben sein, wenn die Befreier kamen. "Seien Sie tapfer, Doktor", sagte er und schlug sich im klingonischen Salut auf die Brust (was er umgehend bereute). "Sie haben das Herz eines Kriegers!"
Trotz des schmerzhaft harten Griffes der Jem'Hadar mußte Julian lächeln. "Mit Schmeichelei werden Sie weit kommen, General." Dann wurde er zur Tür gestoßen. "Heute ist allerdings ein guter Tag zum Sterben." _Bin aber nicht sonderlich versessen darauf!_
Die Tür schloß sich und sie standen draußen auf dem Gang; Julian spürte seine Arme kaum noch, so fest hielten ihn die Jem'Hadar, die ihn mühelos mit sich zerrten als sei er eine Marionette ohne jedes Gewicht.

Er wußte nicht, wie lange sie liefen oder wohin man ihn brachte, jeder Gang in dieser Felsstruktur sah praktisch gleich aus. Eine Zeitlang hatte er das Gefühl als wäre der Boden leicht abschüssig und fragte sich, wie tief das Gefängnis wohl in die Substanz des Kometen hineinreichte. Schon längst hatten sie die Sektionen hinter sich gelassen, welche die Gefangenen beherbergten.
_So groß kann das hier gar nicht sein! Der Komet ist dafür nicht groß genug..._
Eine Einheit Jem'Hadar marschierte an ihnen vorbei und der Erste unter ihnen signalisierte Deyos seine Ergebenheit mit einem unterwürfigen Salut, eine Geste, die seine Männer wiederholten, doch der Vorta nahm keine Notiz.
_Arroganter Bastard!_ Wenn nicht das Ketracel White wäre, jene Substanz, auf die nur der Vorta-Aufseher Zugriff hatte, würden die stolzen Jem'Hadar Deyos Anlaß geben, seine Einstellung zu überdenken, wußte Julian.
Dieser Teil der Struktur schien der Unterbringung der Jem'Hadar zu dienen, was auch das Fehlen von offiziellen Wachen entlang der Gänge erklärte, und Julian sah keinerlei weitere Gefangene.
Nur einen Andorianer, groß und kräftig gebaut, und dennoch trug ihn der Jem'Hadar mit Leichtigkeit. Er war selbstverständlich tot und wurde gerade zur Entsorgungskammer gebracht. Seine Antennen hingen schlaff von seiner Stirn und das blaue Gesicht war geisterhaft bleich. Aus dem verzerrten Gesichtsausdruck ließ sich schließen, daß er unter großen Schmerzen gestorben war.
Mit einem Mal bogen die Jem'Hadar rechts und links von ihm in einen schmalen Seitenkorridor ab und damit war offensichtlich das Ziel erreicht. Julian war das ganz recht, denn er machte sich allmählich Sorgen um die Blutzufuhr in seinen Armen. Sie folgten ihm durch die einzige Tür in einen dunklen Raum, Deyos ebenfalls, und die schweren Türen schlossen sich hinter ihnen mit einem schwachen Flüstergeräusch. Sie waren dicht und solide genug, um keinerlei Laut nach außen dringen zu lassen.
Niemand würde ihn hören.

War es nur seine Einbildung oder war es wirklich ungewöhnlich kühl hier drinnen? Nicht kühl, regelrecht *kalt*! Ins Halbdunkel blinzelnd, sah Julian die Silhouette des Vorta und wie er sich auf dem einzelnen Stuhl niederließ, dem einzigen Möbelstück im Raum.
Oh ja, es war verflucht kalt! Seine Uniform mochte verdreckt und an manchen Stellen zerrissen sein, doch war Julian froh, daß er sie trug. Der synthetische Stoff war nicht nur unbrennbar, er isolierte den Träger auch von extremen Temperaturen, ob hoch oder niedrig. Auf diese Weise konnte er seine Körperwärme konservieren und fühlte die Kälte nur auf seinem Gesicht und seinen Händen.
Und seinem Nacken, seiner Brust und...
"Hey!"
Ein massiver Jem'Hadar Unterarm legte sich um seinen Hals und seine Arme wurden ihm fast aus den Schultern gerissen, als man sie nach hinten drehte und gleichzeitig nach oben, wo sie zwischen seinem Körper und der gepanzerten Front eines Jem'Hadar eingeklemmt blieben.
Mit beängstigender Klarheit verstand er plötzlich die Lage wie nur ein besiegter Mann, dem das Leid unmittelbar bevorstand, verstehen konnte und durch sein Denken hallte ein panischer Schmerzensschrei. Sein eigener. Er hatte bloß keinen Atem, um ihn auszustoßen.
Sie öffneten den vorderen Reißverschluß seiner Uniform, zogen ihn bis zur Hüfte hinunter. Unter seinem Rollkragenhemd fühlte er die Kälte und wie sich Gänsehaut über seinen Oberkörper ausbreitete. Wenn seine Arme nicht festgehalten würden und ihn zur Bewegungslosigkeit zwangen, hätte das Zittern vor Kälte und Angst, das ihn nun gegen seinen Willen packte, nur den Blick bodenloser Furcht verstärkt, den er in seinen Augen wußte. Er konnte nicht einmal sprechen; er war wie gelähmt. Ohne zu blinzeln, starrte er Deyos an und bemerkte in einem Anflug von Selbstironie, daß sein linker Mundwinkel zu zucken begann. Eine nervöse Reaktion, die er seit Jahren nicht mehr bei sich festgestellt hatte, nicht einmal unter dem Druck der schwierigsten und kompliziertesten Eingriffe im OP. Nicht einmal im Kampf unter Feindbeschuß. _Hilflosigkeit...das Gefühl, in einer unerträglichen Lage gefangen zu sein, konfrontiert mit Fakten und Chancen, an denen sich nichts ändern läßt... Vater..._
Es war immer während der erhitzten Streitereien mit Richard Bashir passiert. Zuerst hatte ihn eine unaussprechliche Wut verstummen lassen, ihn unfähig gemacht, verbal zurückzuschlagen, und irgendwann hatte er die Tiraden seines Vaters einfach nicht mehr wahrgenommen. Er zwang sich, den Schmerz, den ihm die Worte verursachten, nicht länger als solchen wahrzunehmen und schließlich, zu aufgebracht über seine eigene Unfähigkeit, dem anderen Mann die Stirn zu bieten, gab er dann nach, schluckte alles herunter, nahm es hin. Er verließ einfach den Raum und lief fort. Fort, fort von der Wahrheit, die er niemandem anvertrauen konnte.
Nun, diesmal konnte er nicht fortlaufen. Nirgendwo hin.
Er war genauso wenig in Kontrolle wie damals als Fünfzehnjähriger. Die Angst schaltete ihn einfach auf Autopilot. Sein linker Mundwinkel zuckte nun ständig, immer schneller, und aus dem Zucken wurde ein stetiges Vibrieren. _Zumindest einige Dinge ändern sich nie!_ Es war nicht hilfreich zu wissen, daß es sich um einen automatischen Reflex handelte, verursacht vom vegetativen Nervensystem, als der Jem'Hadar einen seiner Arme losließ, um sowohl Uniform- wie Hemdsärmel herunterzuziehen.
Die freigelegte Haut reagierte auf die Kälte, die feinen Härchen richteten sich auf, und Julian hörte das Lachen des Soldaten neben seinem Ohr, fühlte den Widerhall in der massiven Brust, die gegen seinen Rücken drückte. Deyos lächelte, offenbar über einen privaten Witz, den man nicht mit dem menschlichen Gefangenen teilen wollte. Noch nicht.
Oder hatten sie es bereits getan? Würden sie es noch tun?
_Ich werde nicht wie der Andorianer enden! Niemals! Niemals!!!_ Nicht so wie einige der armen Teufel, die er versorgt hatte, Leute, die durch die Aufmerksamkeit der Wärter gelitten hatten und die er hatte sterben sehen.
Einer seiner Arme war frei. Besser als gar nichts. Und mit seinem letzten Mut schlug Julian zu, wollte den Jem'Hadar vor ihm treffen, den mit dem herablassenden Grinsen, der mit einer breiten Hand gerade den dünnen Stoff seines Hemdes hochschob und die Uniform weiter nach unten zog. Er spürte die Finger auf seiner Haut.
"Nimm' deine Hände weg! Faß' mich nicht an!" brüllte er und sog die Luft scharf ein, um den Aufschrei zurückzuhalten, als seine Faust auf den mit Knochenspitzen besetzten Kiefer des Jem'Hadar traf. Ein guter Haken, bemerkenswert für Bashir, doch ohne jede Konsequenz für diese Kreatur. Er fühlte Knochen brechen, brennendheißer Schmerz raste seinen Arm entlang und raubte ihm den Atem.
Der Jem'Hadar zuckte nicht einmal mit der Wimper.
"Sie werden feststellen, Doktor, daß Ihre Fluchtversuche zum Scheitern verurteilt sind", klang Deyos' spöttische Stimme in seinen Ohren, doch er hörte sie kaum durch das Dröhnen seines eigenen Herzschlags. Der Stoff seines Hemdes zerriß mit einem lauten Knall und nun überrollte ihn die Kälte in voller Stärke. Sie nagte sich bis auf die Knochen in ihn hinein, mit Millionen winziger Zähne und ließ nicht los, zu grausam stark, um nur einfaches Zittern zu bewirken. Sie tat *weh*! Aufgewachsen in der trockenen Hitze der Wüste hatte er die Kälte immer gehaßt.
Seine Arme taten auch weh, schon nahezu taub in dem Schraubstockgriff des Jem'Hadar, und er hatte jegliches Gefühl in seiner blutenden rechten Hand verloren. Doch die Kälte war am schlimmsten.
Julian glaubte nicht, daß es jemals wieder eine Zeit geben würde, wo er sich wieder richtig warm fühlte. Die Kälte würde bleiben und Tod war ihr Nachname.
Nie mehr würde er in der Lage sein, diese boshafte (wenn man einer Temperatur Charaktereigenschaften zuschreiben könnte, wäre es diese!) Kälte auszuschließen und wieder er selbst zu sein.
Und dann ging das Licht an! Ah, das *LICHT*! Man konnte die Augen zukneifen und es war immer noch zu grell. So verflucht grell...flüssige weiße Helle, die aus dem Nichts zu kommen schien, ohne sichtbaren Ausgangspunkt. Nichts blieb verborgen, alles wurde in der harschen Helligkeit gebadet, die der Kälte in ihrer Erbarmungslosigkeit gleichkam.
Und das dünne Lächeln des Vorta, als die Starfleet-Uniform samt der unangenehm riechenden Unterwäsche lose um Julians Füße hing.
Ein Schluchzen stieg in ihm auf und er erwartete fast, daß die Tränen, die hinter seinen Augen brannten, sich zu Eis wandeln würden, noch bevor sie vergossen waren. Die Kälte saugte alle Energie aus ihm heraus, verbrannte sein Inneres mit beängstigender Geschwindigkeit. Er war nun komplett nackt, doch wo er die Hitze von Scham und Erniedrigung hätte spüren sollen, war da nur eine weitere Welle unbeschreiblicher Kälte.
Kälte.
Und Furcht.
So grob wie möglich wurde er einige Schritte vorwärts gezerrt, näher an Deyos heran. Keine Chance, daß er sich hätte wehren können, auch wenn der ruhige, durchdringende Blick, der von Kopf bis Fuß über ihn glitt, Grund genug gewesen wäre. Es war eine Mischung aus Scham und Rachelust, die er in dieser Stärke bislang nur ein Mal erlebt hatte. Er wollte Deyos tot sehen. Tot! Wollte ihn schlagen, ihn töten, und die Furcht, die seine Gedanken dominierte, in den Augen des Vorta sehen, nur für einen kurzen Moment im Augenblick des Todes.
Diese blassen Augen, eben noch so leer...doch nicht länger, denn nun glitzerten sie vor Vergnügen.

************

"Laßt uns anfangen", gab er den leisen, fast sanften Befehl an die Jem'Hadar. "Wir haben schon lange genug gewartet; ich sehe keine Notwendigkeit, noch länger zu warten. - Anfangen."
Die Hände ließen ihn los und er stand auf seinen Beinen, leicht schwankend, als der Halt plötzlich fehlte. Jeder seiner Instinkte schrie danach zu rennen. Er konnte nicht. Und wohin sollte er schon rennen? Das Licht war blendend.
Es füllte Julians Augen erneut mit Tränen und wie zuvor blinzelte er sie fort; er sah den Schlag nicht kommen. Der Schmerz, der durch seinen Körper jagte, als der Kolben des Plasmagewehrs seine Genitalien traf, war unbeschreiblich. Überraschung! Der Raum bewegte sich, kreiste, Schwärze sog ihn in sich hinein... Ein zweiter Hieb traf ihn oberhalb des rechten Oberschenkels direkt in die Leiste, und er verlor die Balance. Julians Knie gaben nach und der dritte Hieb in den Nacken schickte ihn zu Boden. Dann kam ein vierter mitten ins Gesicht, gefolgt von einem fünften und sechsten auf seine linke Schulter. Und ein siebter...achter...mehr...
Vermutlich schrie er; er konnte sich nicht erinnern.

Das erste, was nach dem Schmerz kam, war neue Kälte.
Kalter Stein unter seinem schmerzenden Körper, eine zusätzliche Reihe Kratzer und Prellungen neben denen, die er bereits erlitten hatte. Atmen schien unmöglich.
Julian betete, daß der nächste Schlag ihm das Bewußtsein rauben würde, oder daß der Vorta als nächstes seine Exekution befehlen würde. Beides wäre in Ordnung. Er hatte Vergewaltigungsopfer unter den anderen Gefangenen behandelt und war sich ziemlich sicher, daß ihm das gleiche bevorstand. Sein Bewußtsein war kurz davor, aus schierer Angst zu versagen bei dem Gedanken, was ihm diese Kreaturen antun könnten... Jede Sekunde erwartete er den Befehl, erwartete die Berührung, den Schmerz. Jeder seiner Muskeln verkrampfte sich vor Zittern.
Der Befehl allerdings lautete, "Stop!"
Die Jem'Hadar gehorchten und für einen kurzen Moment auch die Zeit. Eine Ewigkeit verging in dem kurzen Moment, in dem Julians Universum nur aus lähmender Kälte bestand, die rasch den brennenden Schmerz auslöschte, ein Extrem durch ein anderes ersetzte. Verängstigt stolperte sein Geist von Todeswunsch zu Kindheitserinnerungen zu Fluchtphantasien, und er lag einfach nur da und versuchte nicht einmal sich zu bewegen.
Deyos stand daneben, der stille Beobachter.
"Wie enttäuschend", meinte er abfällig und signalisierte den Jem'Hadar zurückzutreten. "Ich kann sehen, daß diese Art von Folter ziemlich sinnlos sein wird. Wir werden den Plan ändern."

Julian konnte nichts von dem sehen, was um ihn herum vorging; er hielt seine Augen geschlossen, konzentrierte sich auf jeden Atemzug als wäre es sein letzter. Sein Mund füllte sich mit dem metallischen Geschmack von Blut, er konnte spüren, wie es naß von seiner aufgeplatzten Lippe tropfte und als dünnes Rinnsal mit dem verschmolz, das von seiner Nase in Richtung Kinn rann. Der Schmerz wurde allmählich zu einem starken, hartnäckigen Pochen, das zu Julians Leidwesen keinen einzigen Nerv ausließ.
An den Stellen, wo ihn das Gewehr getroffen hatte, verwandelte es sich in ein glühendes Pulsieren, so wie zwischen seinen Beinen, wo der Schlag mehr als nur einen Kratzer hinterlassen hatte. Er hatte das Blut gesehen; wenn die Verletzung nicht behandelt wurde, könnte er gut und gerne an einer Infektion draufgehen.
Mit jedem Atemzug war ihm das jedoch mehr und mehr egal und er merkte nicht, wie der Vorta um ihn herumging und ihn wiederholt mit der Stiefelspitze anstieß. Sein Körper wurde kälter und kälter, wurde eins mit dem Felsen. Entkam dem Licht und der Kälte, entkam in die Bewußtlosigkeit.
Aber Deyos' Stimme hielt sein Ich im Hier und Jetzt, verankerte es mit honigsüßer Bosheit, ein Schnurren eisiger Nonchalance. "Wie ihr sehen könnt", erzählte der Vorta den Jem'Hadar, "ist er ein viel zu zerbrechliches Exemplar. Er würde es nicht überleben, wenn wir fortfahren würden...und so sehr es mich auch schmerzt, es zuzugeben, er ist zu wertvoll als Gefangener als daß wir es uns leisten können, ihn zu verlieren."
Wenn Julian dazu in der Lage gewesen wäre, hätte er vor Erleichterung geweint, doch alles was er fertigbrachte, war ein gepeinigtes Wimmern und ein Mundvoll Blut tropfte auf den Steinboden. Die Dankbarkeit gab ihm eine Sekunde der Wärme, bis Deyos die Kälte zurückbrachte. Wie flüssiger Stickstoff floß sie in Julians Körper, brannte sich mit jeder abwertenden Silbe tiefer in sein Gedächtnis ein. Ihm wurde schlecht.
"Zu wertvoll als Gefangener...wenn er als Mann doch nur halb so beeindruckend wäre." Deyos lachte und die Jem'Hadar stimmten mit ein.
Das Geräusch peitschte über Julian hinweg wie Hagel, harsch und kalt, weitete die Risse in seinem geistigen Schutzwall noch weiter und es gab keinen Schutz. Keine Verteidigung. Er wand sich vor Schmerz und Erniedrigung.
_Laß' es aufhören, lieber Gott, wenn es dich gibt, laß es aufhören! Stop! Stop! STOP!_
"Stoooop", stöhnte er und auf der Seite liegend versuchte er aus reinem Instinkt sich zusammenzukrümmen. Mittlerweile hatte er nicht einmal mehr die Kraft, einen Arm zu bewegen. Wochen der Unterernährung, Streß, Schmerz und Kälte endeten darin, daß sein Körper sich bedingungslos ergab.
Die empfindlichen Ohren des Vorta fingen den schwachen Laut auf und er lächelte. Er beugte sich hinunter und ergriff das stoppelige Kinn seines Opfers mit langen Fingern. Ohne besondere Vorsicht drehte er das schmutzige, zerkratzte Gesicht nach oben.
_Fliegen..._ Sein Bewußtsein war entkommen und schwebte zwischen den Sternen. Gefühllos glitt er durch das Nichts, alles war warm und beruhigend. Jemand berührte ihn, hielt ihn zurück, und unendlich müde öffnete er seine Augen...
Das Lächeln spiegelte sich in ihnen wieder.
"Dennoch..." Deyos hielt Julians Kinn und strich mit dem Daumen entlang der blutbefleckten Unterlippe. Sanft...sehr sanft... "Ich muß zugeben...ich bin neugierig..."
Neugierig.
Da war ein Glitzern in Deyos' Augen, wie ein Funke in einem Prisma aus Eis, ein dunkles Versprechen, daß dies noch nicht vorbei war. Daß das Schlimmste noch kommen sollte. Er lehnte sich näher heran, so nahe, daß Julian den warmen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte, die Erregung roch, deren Ursache sein Leiden war.
Julian registrierte jedes Detail in dem teigigen, unattraktiven Gesicht des Vorta. Blasse Haut, Alterslinien, die Stellung der Nase, die Lippen, der gebogene Kamm der Ohren und wie sie in den Kiefer übergingen. Nie würde er es vergessen. Die Augen bohrten sich mit einem Blick totaler Kontrolle in die seinigen.
"Haltet ihn fest!"
Sie wußten, daß er sie nicht von dem, was sie mit ihm vorhatten, abhalten konnte und Deyos bereitete es zweifellos große Freude, es ihn ebenso wissen zu lassen. Blasse blaue Augen glänzten mit dem Genuß seiner eigenen Macht. Er konnte einzig und allein einen gutturalen Protestlaut von sich geben, der dem Vorta nur ein leises Lachen entlockte, als die Jem'Hadar ihn auf den Rücken drehten und jede Bewegung unmöglich machten, indem sie sich auf seine Unterarme knieten; ein weiterer Schrei - ein ersticktes Japsen mangels Kraft zum Schreien - als ein schwerer Stiefel mit voller Wucht auf seine verletzte Hand trat. Knochen gaben nach...
Der Schmerz war unerträglich, sein Körper bäumte sich auf und jeder Muskel zuckte unkontrollierbar. Dann spürte er das Gewicht des anderen Jem'Hadar auf seinen Beinen, knapp unterhalb der Knie.
Selbst wenn er im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte gewesen wäre, hätte er sich nicht einen Zentimeter bewegen können.
Auch konnte er seine Peiniger nicht länger sehen, denn plötzlich bedeckte etwas Weiches sein Gesicht - seine Uniform, dem Geruch nach zu urteilen - das seine Welt von schmerzvoller Helligkeit in verzweifelte Dunkelheit stürzte. Sie schloß ihn ein, umfaßte ihn in ihrem klaustrophobisch-engen Griff, erstickte ihn fast und er versuchte sich zu wehren -
Panik!
Erwürgend...
Sie schnürten das Kleidungsstück über seinem Gesicht fest, so daß es seine Augen und Nase bedeckte, seinen Mund aber freiließ, damit er atmen konnte. Wie überaus freundlich!
Julian schluckte Blut; er fürchtete sich zu sehr, um die lähmenden Angstschauer abzuschütteln.
Die Angst machte seine Haut mehr als empfindlich genug, um die Hand auf seinem Schenkel zu spüren.
Sein Körper wurde steif wie ein Brett.
Die kalten Finger gruben sich in den harten Muskel, drückten, untersuchten...ließen los und wanderten langsam aufwärts zu seiner Hüfte...
"So zerbrechlich gebaut..." Deyos' Ton enthielt sowohl Verwunderung wie Verachtung. "Weiche Haut...kaum irgendwelche bemerkenswerte körperliche Stärken." Die Finger spreizten sich, wie eine große Spinne, die ihre Beine streckte. Eine zweite Hand berührte die linke Seite seiner Brust und zeichnete die Konturen seiner hervorstehenden Rippen nach.
Auf und ab...auf und ab...
Julian stöhnte; ein übler Geschmack von Galle und Magensaft stieg in Schüben aus seinem konvulsierenden Magen auf und die Kälte wurde angesichts dieser...Degradierung nebensächlich. Er konnte nicht schreien, konnte keinen Laut hervorbringen außer kleinen wimmernden Tönen, als die Hände über seinen Körper glitten. Streicheln, Berührung...Reiben, Fühlen...
Das Blut dröhnte in seinem Kopf, Kälte biß in seine Haut, ein Kribbeln an den Stellen, die Vorta-Hände berührten.
Ihn überall berührten.
Überall.
Ein Finger sank in seinen Bauchnabel, und er biß seine Zähne noch fester zusammen. Sein Kiefer tat vor Anstrengung weh. Unsanft streichelten die kalten Hände seine Brust in langen, bestimmten Kreisen, erforschten seine Achselhöhlen und zupften neugierig an dem Haarwuchs dort.
Er fühlte sich so erniedrigt...

Die Scham, die mit dem Wissen um seine Hilflosigkeit kam, brannte sogar noch stärker als die Berührungen selbst.
Entlang seines Schlüsselbeins, seines Halses...ruhten für einen Moment an seiner wild pulsierenden Halsschlagader, begleitet von einem amüsierten Lachen. "Bemerkenswert...alles an ihm ist so länglich...fragil..._schwach_." Von seiner Schulter tanzten die Finger abwärts, massierten seine Haut als ginge es darum, einen unwilligen Liebhaber zu ermuntern, und die Handflächen strichen fast unmerklich über seine Brustwarzen.
Nur indem er hart auf seine verletzte Lippe biß, konnte Julian sich beherrschen und nicht seufzen vor... Nun, sicher nicht, weil es ihm gefiel. Eher vor Furcht, Furcht und Abscheu über diese forcierte Intimität. Schimpfworte aus einem Dutzend Sprachen blitzten durch seinen Kopf, alle möglichen Beleidigungen, ihm wurde schwindelig bei dem Sturzbach aus Haß und Scham. Er versuchte, seine Hand aus dem Griff des Jem'Hadar zu befreien, warf seinen Kopf hin und her und rieb ihn hart über den Steinboden, um die Uniform von seinem Gesicht zu kriegen...alles, um Deyos' Berührung zu entkommen.
Alles, um ihn aufzuhalten, bevor er Julian noch weiter in den Abgrund trieb.
Deyos schnalzte anzüglich mit der Zunge, als er vorsichtig diese seltsamen runden Flächen dunklerer Haut auf der Brust des Menschen umkreiste und beobachtete, wie die empfindlichen Erhebungen sich zusammenzogen, teils durch die Kälte, teils aufgrund seiner Berührung. "Das ist wirklich _faszinierend_", merkte er begeistert an und verfolgte mit wissenschaftlicher Neugier, wie sie mit jeder Stimulation härter wurden und zwischen seinen Fingern anschwollen.
Julian fühlte kaum, wie ihm die Tränen in die Augen traten und verfluchte seinen Körper für diesen Verrat. _Sie haben Recht...ich bin wertlos...kann nicht widerstehen, kann nicht kämpfen... Keine Kontrolle über nichts..._ Sie konnten mit ihm spielen, jeden Knopf drücken, den sie wollten, und er würde gehorchen, ob es ihm gefiel oder nicht.
Mit dieser Erkenntnis verlor er seinen letzten Fetzen Selbstachtung.
Sein Herz hämmerte in seiner Brust, so laut, daß er glaubte, es müßte jeden Moment zerbersten.
Nicht länger vor Furcht.
Es waren die Dämonen der Scham, die ihn auf Deyos' Geheiß hin folterten und seine Unfähigkeit und Schwäche verspotteten.
Er schluchzte...
...ein beängstigendes Geräusch in dieser widerhallenden Kammer eisiger Schwärze...
...das sich mit einem mahnenden "Tsk-tsk" von dem Vorta mixte, dessen Aufmerksamkeit nun von Julians Brustwarzen abließ und...anderswo...hinwanderte. Diese Hände bewegten sich mit eiskalter Bestimmung, kämmten auf dem Weg durch den feingoldenen Haarwuchs und strichen wie ein Hauch fauler Luft über seinen Magen...
"Dies ist eine so außergewöhnliche Gelegenheit", flüsterte Deyos. Julian glaubte, seinen Atem auf seiner Haut spüren zu können...er konnte nur nicht sagen, wo genau. Das Gefühl schien von überall zu kommen und brachte Welle um Welle von Gänsehaut mit sich, drehte ihm den Magen um...
Er würgte, hustete...sein ganzer Körper erschauerte vor Ekel.
Doch er konnte es runterschlucken.
"So erfrischend... Schaut zu und lernt!" befahl er den Jem'Hadar, wie ein Lehrer, der seinen Schülern ein besonders lehrreiches Experiment vorführen wollte...mit Julian als Versuchskaninchen. "Angesichts der physischen Zartheit dieses Exemplars nehme ich an, daß er weder für seine Rasse noch sein Geschlecht ein geeigneter Vertreter ist. Wohl eher ist er ein Irrtum der Natur, genetisch defekt und auf den Schutz und die Führung anderer angewiesen, da er in seiner Minderwertigkeit nicht alleine überleben könnte. Seine bloße DNS schreibt Unterwürfigkeit vor...es ist seine Bestimmung..."
Ein lautes Stöhnen des Protests quälte sich Julians Hals empor. Zwischen seinen Beinen fühlte er nun eine Hand, die langsam die Innenseite seiner Schenkel streichelte, aufwärts glitt...näher, immer näher...
"War das eine Bitte um mehr? Ah, wie er zittert", spottete der Vorta. "Ja, zweifellos findet er Gefallen daran, dominiert zu werden...kontrolliert...berührt..."
_Du kranker Bastard! Bastard! LASS' DEINE HÄNDE VON MIR! LASS'DEINEHÄN - _ Innerlich schrie Julian vor Schmerz und purem Entsetzen. Sein Atem kam in rauhen Stößen, als sich eine Hand, die Handfläche feucht mit einem dünnen Schweißfilm, in seine Schamhaare grub. Schon längst hatte er das Zittern seines Körpers nicht mehr unter Kontrolle. Deyos' Berührung war Agonie! Die Hand des Vorta glitt über die exakte Stelle, wo ihn der Jem'Hadar mit dem Gewehr getroffen hatte, und sandte neue glühende Nadeln des Schmerzes durch seinen Unterleib. An einigen Stellen war das Blut in den dunklen Locken bereits angetrocknet und verkrustet, doch zum größten Teil waren sie noch feucht und hinterließen rote Streifen auf Deyos' Hand, welche die Mischung aus Schweiß und Blut mit auf ihren Weg nahm und weiter verteilte.
Jeder Fingernagel, der über seine Haut kratzte, verstärkte den Strom stiller Tränen, die die Uniform über seinen Augen tränkten.
_Allah, laß mich sterben! Laß mich sterben! Laß mich einfach nur sterben...sterben... Sterbensterbensterben..._

Die Vorta-Stimme war allgegenwärtig in dem eisigen Fegefeuer von Julians Bewußtsein. Leise, schmeichelnd, haßerfüllt, und jede Silbe synchron zu dem Rhythmus seiner Hände auf der Haut seines Opfers. "Du brauchst es, nicht wahr, Mensch, diese Kontrolle? Einen Herren, der dich berührt... Es erregt dich..."
In dem Moment, wo die Finger seinen Penis griffen, fand Julian seine Stimme wieder.
Mit einem wortlosen Schrei mobilisierte er all seine verbliebene Kraft, eine Stärke, von der er nicht wußte, daß er sich noch besaß. Die Kraft der Verzweiflung machte es möglich, daß er seinen linken Arm befreite; der Jem'Hadar war völlig überrascht.
Deyos lachte und wich Julians Faust mit Leichtigkeit aus, während er fortfuhr, mit beiden Händen die Genitalien des Menschen zu untersuchen, die so seltsam glatt waren, die Haut so weich. Gänzlich ungeschützt und verletzlich. Trotzdem war dieser Mensch sicherlich auf eine unerklärliche Weise stolz auf diese physischen Attribute, um so mehr Grund für Deyos, das Spiel hierauf zu konzentrieren. "Jaaaa...oh, was für eine Reaktion! Wunderbar!" applaudierte er und ließ seine Finger weiter an dem schlaffen Organ entlanggleiten, rieb einen feuchten Daumen über die Spitze, drückte wahllos hier und da. Die andere Hand beschäftigte sich mit der weichen Fülle der Hoden, versteckt zwischen festen goldbraunen Schenkeln. "Aber haltet ihn fest! Haltet ihn!"
Umgehend schloß sich eine riesige Jem'Hadar-Hand um Julians Handgelenk, quetschte es und drückte den Arm mühelos zum Boden zurück, bevor er nach der Uniform greifen und sie sich vom Gesicht reißen konnte. Und Julian scherte sich nicht länger um Ehre oder Würde. In ihren Augen war er keine Person, kein Lebewesen, das Achtung verdiente...und Deyos' Worte gärten in seinem Unterbewußtsein, entfalteten ihre unterschwellige, grausame Magie, und bewirkten, daß er das Bild, das sie von ihm hatten, zu seinem eigenen machte.
"Spürst du das?" verhöhnte ihn die Stimme und dann preßte etwas Hartes gegen seinen Schenkel, warm und pulsierend, das eine ölige, feuchte Spur auf seiner Haut hinterließ. "Ist das gut? Interessiert, Mensch?"
Und er wußte, was nun kommen würde. _Nein, laß es nicht zu! Allah, bitte! Laß ihn nicht weitermachen! BITTE NICHT! NEIIIIIIIIIIIIIIN _

Da sie geklont wurden, bestand weder für Jem'Hadar noch für Vorta die Notwendigkeit von Sex zu Fortpflanzungszwecken - doch Folter stand auf einem anderen Blatt.
Schwache lustvolle Laute begleiteten jede kleine Bewegung, mit der Deyos sich an seinem Körper rieb. Geführt von kalter Hand glitt das harte Glied die empfindlichen Innenseiten seiner Schenkel auf und ab, über die Leistengegend, seinen Bauch, seine Brust...das glitschige Präejakulat floß im Überfluß und Deyos malte so feuchte Muster auf seinen Oberkörper, schrieb die Geschichte der Erniedrigung von Julian Bashir nieder.
Eines Mannes, der weniger und weniger wußte, wer er war. Oder was.
Der Mensch merkte zu keiner Zeit, wie der Vorta seine Position wechselte, neben ihm, über ihm - Deyos achtete sehr darauf, daß er mit Ausnahme seines Penis keinen weiteren Körperkontakt hatte, nicht einmal eine flüchtige Berührung von Haut auf Haut. Das schlüpfrige Organ ruhte an Julians Hals, pulsierte im Gleichklang mit seiner Schlagader; er fühlte die Flüssigkeit langsam abwärts rinnen, sich mit seinem Schweiß vermischen. Riechen konnte er sie auch.
Konnte den Triumph des anderen riechen, herb und durchdringend, und darin enthalten seine eigene Niederlage.
Der Geruch des Vorta auf seinem ganzen Körper. Er klebte an seinem Oberkörper, seinem Unterleib, zwischen seinen Beinen, in seinem Haar...und, doch wußte er das noch nicht, genauso in seinem Bewußtsein.
Ein Bewußtsein, das jetzt zerbrach, jetzt wo die Belastung für ihn zu groß wurde.
Er dachte nicht länger daran, seinen Schmerz und Haß zu verbergen. Jetzt schrie er aus Leibeskräften, wehrte sich, wand seinen Körper in der fruchtlosen Bemühung, den tastenden Händen zu entgehen.
Mißhandelnde Hände.
Erneut kniete Deyos zwischen seinen Beinen und griff erneut nach dem unerregten menschlichen Penis, faßte ihn in einer Hand mit seinem eigenen und begann seine Hüften langsam zu bewegen, rhythmisch, fast sinnlich. Befriedigte Seufzer, vermischt mit an ihn gerichteten Beschimpfungen.
Tränen flossen unter Julians Augenbinde hervor und über seine Wangen, aber sie reichten nicht aus, um ihn reinzuwaschen von der Scham, von *seinem* Geruch... Er fühlte sich so schmutzig...
Kalter Schweiß stand auf seinem Körper und verstärkte die Kälte im Raum, als er schrie und schrie. Er schrie, bis seine Stimme versagte, wehrte sich, bis sein Rücken und Hintern vom Felsen blutig geschürft waren.
Und immer noch lachte Deyos ihn aus, die Phantomstimme seidenweiches Gift, wohingegen die Berührungen nur allzu real waren. Die betont langsamen Bewegungen ließen sich nicht ignorieren, er konnte nicht verdrängen, wie der Vorta sein steifes Glied genießerisch über seine Schamhaare rieb und offenbar Gefallen an der unbekannten, leicht rauhen Stimulation durch die drahtigen Locken fand. Bald waren sie naß von der natürlichen Gleitflüssigkeit, die aus den zahlreichen Drüsen entlang der Unterseite des Organs austrat.
Eine nasse Hand streichelte seine Oberschenkel und die zitternden Muskeln, die immer noch versuchten, das auf seinen Knien lastende Gewicht des Vorta abzuwerfen, die andere spielte weiter mit seinem Penis.
Wie ein Farmer, der auf einer Viehauktion die Geschlechtsorgane eines potentiellen Zuchtbullen untersuchte.
Oder wie ein nekrophiler Pathologe, der seinen Kick aus Sexspielen mit seiner Lieblingsleiche kriegte. Aber diese Leiche konnte noch Schmerz empfinden, als nichtverheilte Wunden mißachtet und berührt wurden.
Julian wußte nicht, wie lange es so weiter ging. Es hätten Stunden sein können oder auch nur eine halbe, Zeit war nicht länger fühlbar. Von irgendwo weit, weit, weit weg kam ein seltsames Geräusch...ein Aufschrei...die Stimme, die ihm soviel Elend verursacht hatte, rief etwas...
Doch sie konnte ihn nicht mehr erreichen.
Sein Bewußtsein trübte sich schrittweise ein, Empfindungen wurden gedämpfter, unwirklicher, verloren etwas von ihrer Schärfe.
Er nahm es kaum wahr, daß Deyos mit einem verächtlichen Schnaufen von ihm abließ und den Jem'Hadar befahl, ihn loszulassen. "Wie ich sagte..." Ein tiefer Atemzug, dann drehte ihn ein schwerer Stiefel auf den Bauch und ein Paar Hände, die er als Deyos' erkannte (er würde sich immer, immer, immer daran erinnern, wie sie sich anfühlten! Immer!), legte sich auf die Rundung seines Hinterteils. Ein Daumen glitt schlangengleich zwischen seine gefühllosen Pobacken und verteilte die warme, klebrige Flüssigkeit auch dort, strich einige Tropfen über den Eingang zu seinem Körper. Nur einzige winzige Berührung und nur ein leichter Druck nach innen. Als ob er ein Versprechen machte.
Eine Sekunde lang übermannte ihn die Furcht, daß man ihn doch noch vergewaltigen würde, daß alles, was er bislang durchlitten hatte, nur ein perverses Vorspiel gewesen war, doch im nächsten Moment waren die Hände nicht mehr.
An ihrer Stelle war das Licht zurückgekehrt und badete ihn in kalter Helligkeit, ließ keinen noch so winzigen Teil seiner schamvollen Erfahrung unbeleuchtet.
Und da war Gelächter. Deyos.
Er konnte nichts sehen, nicht einmal Silhouetten. Nur weißes Licht, dessen Glanz und helle, perfekte Stärke seine eigene Entehrung betonte, den Schmutz...die Wertlosigkeit.
"Wie bemitleidenswert", bemerkte der Vorta.
Was sagte er da? Sein eigener Atem ging zu laut, das ohrenbetäubende Rauschen in seinem Kopf, als er versuchte bei Bewußtsein zu bleiben. Er mußte. Er wollte nicht ohnmächtig werden und sich nicht verteidigen können.
"Sogar ein simpler Akt wie dieses Fortpflanzungsritual übersteigt seine Fähigkeiten. Vielleicht tun wir ihm einen Gefallen, wenn wir ihn töten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mitglied seiner Spezies - *irgendeiner* Spezies - ihn als Gefährten wählen würde, nutzlos wie er ist... Er ist nicht einmal reizvoll genug, daß ein anderes Wesen ihn als das unterwürfige *Spielzeug* benutzen würde, das er ist!"
Auch wenn die Bewegung schmerzte, brachte Julian seinen Arm neben seinen Kopf und verbarg sein Gesicht. Sein Selbst stolperte durch einen langen, langen Gang. Rannte...rannte fort von den Schmerzen, der Stimme und dem Licht.
Dem Licht...
"Nun, bis zu einem gewissen Punkt zeigte er durchaus ein geringfügiges Potential", seufzte Deyos theatralisch, "aber ich sehe, ich habe zuviel von einem Menschen erwartet. Ich dachte, er könnte mehr wert sein...die Kreatur, die er ist, ist allerdings zu weit unter meiner Würde; ich werde an ihn keine Energie verschwenden."
Deyos' Sperma trocknete auf seinen Schenkeln, seinen Genitalien, seinem Bauch...
"Ich bin nicht länger interessiert."
Sein Zittern war fast zu stark, um andere Bewegungen zuzulassen, doch hob er den Kopf und sah auf.
Einige Fuß entfernt, umgeben von einem Halo engelshaft-weißgleißenden Lichtes, das seiner satanischen Natur Lügen strafte, stand Deyos der Vorta und ein schwaches überlegenes Lächeln umspielte seine blaßrosa Lippen.
"Nutzlos."
Sie würden ihn jetzt töten, dessen war er sich sicher. Er besaß keinen weiteren Unterhaltungswert für sie.
Und er würde keinen Protest einlegen.

Er blinzelte, überzeugt, daß das Licht ihm etwas vorgaukelte...die Jem'Hadar gingen - war die Tür offen? - und für eine kurze Sekunde verweilte Deyos, stand über ihm und kostete seinen Sieg aus. Dann wandte er sich um und folgte ihnen.
Alles, was Julian durch den Tränenschleier sah, war eine Silhouette, die mit dem blendenden Weiß verschmolz.
Dann nichts mehr.
Nichts.
Die Tränen brannten in den Abschürfungen und Kratzern auf seinem Unterarm, der Schmerz war jedoch eine kleine Unannehmlichkeit verglichen mit dem Terror, der sich unaufhaltsam weiter durch sein Ich fraß.

Ein Geräusch...er erkannte es als die sich schließende Tür. Er war eingesperrt.
Allein.
Allein in der Kälte und dem Licht, nackt, zerschlagen, völlig demoralisiert und verängstigt.

***************

Endlich kam die Dunkelheit und umschloß ihn mit ihrem schwarzen Tarnmantel, eine körperlose Wand als Schutz gegen das Böse, das ihn umgab. Julian bemerkte es kaum, denn obwohl das Licht erloschen war, schien es in seinem Kopf weiter, umso heller, und er konnte...es...nicht...verbannen...
Gegen den schreienden Protest seines Körpers zog sich Julian an der Wand empor und seine blutenden Hände glitten mehrfach am Gestein ab, bevor es ihm gelang, sich aufzusetzen. Waren sie wirklich fort? Sterne tanzten vor seinen Augen. Für ihn gab es kein Dunkel, sondern nur Licht. Gnadenlos schien es auf ihn herab, erleuchtete sein ganzes Selbst, sein Versagen, blendete ihn...
Und so rannte er nur.
_Fort! Fort von dem Licht! Lauf' fort! Fortfortfortfortfoooo-ooo -..._
" oort", schluchzte er (Licht! *Versteck' dich, Julian!* Die Hände des Vorta auf seiner Haut, streichelnd...) und zog die Knie an die Brust. Heftige Schauer schüttelten seinen Körper und er schwitzte stark in der Eiseskälte des Raumes.
(_"Du brauchst es, nicht wahr, Mensch, diese Kontrolle? Einen Herren, der dich berührt... Es erregt dich..."_)
Sein Magen rebellierte und die Wucht der plötzlichen Krämpfe warf ihn auf den Boden zurück, wo er schwer auf den Rücken fiel.
Würgend.
_Sterbe... LUFT! ICH STERBE!_

Instinkt trieb ihn dazu, sich auf die Seite zu drehen und seine Luftröhre von dem bißchen freizuhusten, das sein Magen freigegeben hatte; etwas davon war in seine Nasenhöhle eingedrungen und Magensäure brannte auf den empfindlichen Schleimhäuten.
Er hustete und keuchte, bis er wieder frei atmen konnte. Doch war er noch weit von normalem Atmen entfernt.
Die Luft füllte seine Lungen mit Eis. Er mußte flüchten, laufen...ein Versteck finden, wo er sich ausruhen...sich aufwärmen konnte.
Wärme...Schutz...
Mühsam plazierte er eine schlaffe Hand - sich nicht entsinnend, daß es die verletzte Rechte war - neben seinem Gesicht und stemmte sich mit dem gebrochenen Handgelenk gegen den kalten Felsen, um hochzu...
Alle Muskeln in seiner Hand und seinem Arm erzitterten vor Schmerz und Hilflosigkeit und gaben nach, sein Ellbogen knickte zur Seite wie ein zersplittertes Streichholz. Es ging nicht und er rang erneut um Atem. An seinem Körper klebte Erbrochenes zusammen mit kaltem Schweiß, bedeckte seine Brust, befleckte seine Beine, seinen Bauch, eine weitere Schicht über dem getrockneten Blut, dem Dreck und - Deyos. Den Geruch und die Spuren seiner Behandlung, die er hinterlassen hatte. Alles wurde sichtbar in dem allwissenden Licht.

Er kauerte sich zusammen und wimmerte leise. Er mußte flüchten, sich vor den fremden Händen in Sicherheit bringen, die seinen Körper mit solch abartiger Intimität berührten, Schutz finden vor dem *LICHT*... Qualvoll langsam, mehr getrieben von Instinkt als Willen, zog er seinen frierenden Körper auf den Ellbogen einige Zentimeter vorwärts. Dann noch ein paar. Und noch einen. Einen Meter schon...und noch einen...in die Raummitte hinaus.
Wie lange er dafür brauchte, wußte er nicht. Zeit hatte keine Bedeutung in dem Licht, vor dem er davonlief.
_Nur weg!_
Gab es denn nirgendwo ein Versteck? Vor Anstrengung keuchend hielt er inne und lag still und zitternd da. Seine Beine spürte er nicht mehr und auch seine Finger waren taub vor Kälte geworden. Der Gestank von Erbrochenem hing in der Luft; er nahm ihn nicht wahr.
Alles was er roch war Deyos. Ein Name, ein Gesicht, eine Stimme, eine Berührung...kamen zusammen in dem Geruch, der seinen Körper überzog. Und es ließ ihn durch und durch erfrieren. Der Vorta hatte seine Seele zu einem langsamen Tod verdammt und einzig und alleine die Erinnerungen bereitgestellt, die Werkzeuge, die Julian Bashirs Ich für den letztendlichen Selbstmord brauchen würde. Dieser würde kommen. Die Entscheidung aufzuhören...nicht mehr zu kämpfen...sich der Kälte zu ergeben...

Wasser...er sehnte sich nach nichts so sehr wie nach Wasser. Wasser zum Trinken, zum Waschen...ein heißes Bad..
Eine warme, liebevolle Umarmung.

Eine schwache Erinnerung schwebte am Rand seiner Wahrnehmung. Jemand hatte sich um ihn gesorgt...er konnte sich kaum erinnern...oder war es ein Traum gewesen?
Es hatte sich so wunderbar real angefühlt.
Blau.
Blaue Augen, genau... Die Erinnerung wurde deutlicher und ein Hoffnungsschimmer belebte seine schwindende Realität. Wenn er sich nur an diesem Bild festhalten konnte...diesem Rettungsring... Blaue Augen ohne Gesicht, deren sanfter Blick die schmerzhafte Helligkeit des Lichts milderte und die Kälte erträglicher machte. Der Blick eines Liebenden, eine Versicherung, daß er in Sicherheit war, geliebt wurde und daß er -

(_"Nutzlos."_)
Leuchtendes Azurblau verblaßte zu einem verwaschenen, kränklichen Pastell, der Farbe von Eis.
Der Farbe von Scham und Qual.
(_"Dennoch...ich muß zugeben, ich bin...neugierig."_)
Deyos. Krankes Vergnügen tanzte in blassen, bläulich-lavendelglitzernden Augen.
Er wurde nicht geliebt, nie geliebt worden! Es war alles eine Illusion gewesen. Er war der Liebe nicht wert, war es nicht wert, als Partner in Betracht gezogen zu werden! Wertlos, schwach und unattraktiv!
Wie hatte er bloß glauben können, daß jemand mit so wunderschönen, liebevollen Augen ihn als Empfänger dieser Gefühle erwählen könnte? Wie hatte er hoffen können, daß solch eine Person wie die aus seinen Träumen überhaupt existierte?
(_"Zu zerbrechlich...ein Irrtum der Natur, genetisch defekt...unterlegen..."_) Die Erinnerung an Deyos' Stimme war ebenso real wie die Erinnerung an seine Berührung.
Überall an seinem Körper.
(_"Ist das gut? Interessiert, Mensch?" Gelächter..._)
Schlimmer als der Tod.
(_"Nutzlos." Deyos' Mund verzog sich mit Verachtung, wie er auf ihn herabblickte, den Gefallenen, das zerbrochene Nichts, das er war, und drehte sich dann um, ohne ihn mit mehr als diesen zwei Silben zu würdigen._)
Er war für sich selbst verloren, für die Person, die er einst gewesen war, und er wußte nur, daß er (_Nichts ist! Nutzlos! Schwach!_) war...er rannte, fiel, fiel der Dunkelheit entgegen (endlich!) und seiner Erlösung.
Sans Resistance.
Gegenwehr war perfekt nutzlos.
Genau wie er.
Wem würde etwas ausmachen, wenn er starb? Wer würde ihn davon abhalten?
_Sie haben mich vergessen...allein...niemand ist hier..._
Allein in der Dunkelheit, wo niemand sich bemühen würde, ihn zu retten. Der Vorta hatte Recht. Er konnte sich nicht einmal selbst schützen, wieso sollte er von anderen erwarten, daß sie auf ihn bauten, ihm vertrauten?
Ihn liebten?
_Wie?_ schrie er, als ihn eine weitere Welle der Kälte und Furcht schüttelte. Und ebenfalls quälte ihn der tiefschürfende Haß auf den Mann, der er war, oder besser *nicht* war, eine Idee, die Deyos in ihn eingebrannt hatte, nur daß er dieses noch nicht wußte. Es war da, das Stigma, grub sich mit jedem Atemzug tiefer und tiefer in ihn hinein, mit jedem Atemzug, der den diesen Geruch mit sich führte.
(_"Bemitleidenswert...so zerbrechlich...kaum begehrenswert. Zu schwach...ein Irrtum der Natur...nicht länger interessiert."_) Jajaja, er hatte Angst! Oh ja, er hatte Angst, und er war zu schwach gewesen, dieses vor ihnen zu verbergen!
Und jetzt war er allein und dafür war er dankbar.
Niemand war hier...
Und auch er hatte die Absicht zu gehen.
_Niemand..._

*Niemand...außer dir und mir, Julian.*
Das Licht wurde schwächer, wandelte sich zu einem gräulichen Zwielicht, in dem sich die blauen Augen seines unbekannten Wächters auf ihn richteten und ihn in warmer Stille wiegten. Ihm nicht gestatteten aufzugeben. Ihre tiefreichende Ruhe war eine stillschweigende Verleugnung von dem, was der Vorta gesagt hatte.
Wie gerne würde er ihnen glauben, doch er konnte nicht.
*Es ist die Wahrheit, Julian, und du weißt es.*
An der Schwelle zwischen Realität und Bewußtlosigkeit hing ein Name, gerade außerhalb seiner Reichweite, unberührbar, nicht greifbar.
*Ich bin bei dir, Julian. Vielleicht nicht in deinem Kopf, aber in deinem Herzen. Ich bin schon seit langem dort...so wie du in meinem. Lebe, mein Geliebter, lebe! Du mußt!*
Die Stimme in seinen Gedanken war wie eine leichte Berührung voller ernstgemeinter Zuneigung, die sich gänzlich von der des Vorta unterschied. Es war nach wie vor eine Illusion, erschaffen von seinem gefolterten Geist, doch zumindest keine unangenehme.
Sie dämpfte den schneidenden Schmerz der langen, langsamen Reise in eine Welt, von der er nicht zurückkehren würde.
*Du weißt, daß ich dich nicht sterben lassen werde, oder? Ich werde dich holen, Julian...*
*Julian...*
Ihm gefiel der Klang seines Namens aus diesem Mund. Eine angenehme Stimme...wie Musik...seltsam vertraut...
Aber Namen waren bedeutungslos und ebenso die Liebe. Er verdiente sowieso nichts davon.
"Danke...mein Geliebter", flüsterte er und entkam, endlich, in die Bewußtlosigkeit, einem Ort, den das Licht nicht erreichen konnte, und schlief.

*************

Dunkelheit war wunderschön. Dunkelheit war Sicherheit.
Als er ein kleiner Junge gewesen war, hatte er sich vor der Dunkelheit gefürchtet und die Gespenstergeschichten, die sein Großvater so gerne erzählte, jagten ihm Angst ein. Erzählungen von Dämonen und Kreaturen der Unterwelt, die der Legende zufolge unter Sand und Fels lebten und nachts die Wüste durchstreiften. Es war das uralte Böse, unsterblich, verführerisch und tödlich, jeder Reisende, der den Weg eines Dämonen kreuzte oder seine Ruhe störte, war verloren. Julian vergaß keine dieser Geschichten, keinen der Namen.
Später hatte sich die Furcht mit Faszination gemischt, als das große Unbekannte in den dunklen Tiefen des Weltraums immer interessanter wurde, doch selbst in seiner Neugier und Abenteuerlust, die ihn ins Universum hinausgelockt hatte, war stets ein gewisses Maß an Unbehagen verblieben.
Für Julian Bashir, den Erwachsenen, war Dunkelheit zu seiner einzigen verfügbaren Zuflucht geworden; das wahre Böse verbarg sich im Tageslicht. Die Dämonen würden es nicht wagen, ihm ins Dunkel zu folgen, denn dort konnten sie weniger ausrichten. Sie brauchten das Licht, es war für sie als Werkzeug unverzichtbar, denn nur durch das Licht konnten sie in ihren Opfern die größte Furcht und Demütigung erwirken; sie brauchten die Bloßstellung im Licht für den besten Effekt.
Die Dunkelheit verbarg ihn vor ihren Blicken, vor ihrer Berührung, es hielt ihre Stimmen fern und gab ihm Zeit zu heilen, Gelegenheit sich auszuruhen und in dem hellerleuchteten, eisigen Chaos seines Bewußtseins sein Ich wiederzufinden.

Er träumte wieder.
Heilende Träume gefüllt mit Erinnerungen, warm und beruhigend mit Gefühlen der Freundschaft und Sorge; die stille Gegenwart seines unbekannten Geliebten, immer in der Nähe, war all die Sicherheit, die er brauchte.
Manchmal erschien ein Lichtschimmer in der Ferne und kam auf ihn zu, wurde größer, und ein kalter Angstschauer jagte durch seinen Körper. Aber es gab keinen Grund, sich vor irgendetwas zu fürchten. Sanft führte ihn die Liebe zurück in die sichere Schwärze, tiefer hinein ins Dunkel und erklärte ihm, daß es noch nicht an der Zeit sei, zurückzukehren. Noch nicht. Er war noch nicht bereit.
Julian ertrank mit allen Sinnen in dieser tröstenden Stimme. Stimme? Nein, es gab keine Worte, doch nahm er sie trotzdem wahr. Sie umgab ihn, beruhigend und schmerzlindernd, ihr nichtexistenter Klang wie eine heilende Berührung. Er ließ sie durch sich fließen und zur totalen Entspannung bewegen.
Und das bedrohliche Licht wurde schwächer je weiter er sich in sich selbst zurückzog. Schließlich verglomm auch der letzte schwache Schein und das einzige Leuchtfeuer in der Dunkelheit waren die blauen Augen mit ihrem Versprechen von Liebe und Schutz.

Ein leises, zufriedenes Lächeln stahl sich auf Julian Bashirs Gesicht und er schlief.

***************

Als er erwachte und die Augen öffnete, fand er sich im Dunkeln wieder. Das Licht, an das er sich erinnerte, war fort - zumindest das Licht außerhalb. In ihm schien es immer noch, grell und unerbittlich. Doch im Moment war es zweitrangig verglichen mit der lähmenden Kälte, die ihn geweckt hatte. Auch wenn es Julian eigentlich egal war, lag seinem Körper etwas am Überleben und jeder Instinkt reagierte, um den Tod durch Unterkühlung zu verhindern. Er mußte sich bewegen, Wärme erzeugen.
Leichter gesagt als getan, da ihm sein Körper wie eine einzige gigantische Prellung vorkam und jede Bewegung nur noch mehr Schmerzen mit sich bringen würde.
Er fragte sich, wieviel Zeit wohl vergangen war. Wie lange war er bewußtlos gewesen? Ein kleiner Teil seines Gehirns begann automatisch mit einer Selbstdiagnose, eine Prozedur, die unabhängig vom eigentlichen Denken ablief und ihren Ursprung in langen Jahren an der Medical School hatte.
Er schaffte es sogar, sich aufzusetzen und bedauerte, daß er dieses Mal keine Wand zum Anlehnen hatte. Ihm blieb für die äußerliche Untersuchung seines Körpers nur seine linke Hand, die zwar auch schmerzte, im Gegensatz zur Rechten aber brauchbar war. Vorsichtig berührte er die verkrusteten Wunden und zuckte jedes Mal zusammen; die Kälte dämpfte den Schmerz glücklicherweise etwas und gestattete ihm so, einige klare und zusammenhängende Gedanken zu formulieren, wenn schon nichts anderes. Der Schmerz...er erinnerte sich an den Schmerz, wie intensiv er gewesen war. Da waren noch andere Dinge, aber sie waren in Scham gehüllt und in seinem Unterbewußtsein vergraben, er hatte keinerlei Zugriff auf sie. Es würde im Moment seine Kräfte übersteigen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bis der Tag kam, wo er stark genug war, dem Schrecken entgegenzutreten, würde die kalte, gleißend helle Lücke in seinem Bewußtsein klaffen.

Stille.
Das völlige Fehlen von Geräuschen war zermürbend. In dieser kalten Einsamkeit gab es nichts, worauf er seine Sinne richten konnte, nichts außer sich selbst und seinem flachen, angestrengten Atmen.
Sein Mund war wie trockenes Pergament und voll von einem bitteren Nachgeschmack. Magensäure. Er mußte sich übergeben haben...ja, jetzt nahm er den Geruch war. Überall an seinem Körper und - Als der kleine funktionierende Teil seines Ich sich abmühte, all die verschiedenen Gerüche und sonstigen Empfindungen zu verarbeiten, kämpfte er so gut es ging gegen den aufkommenden Brechreiz. Erbrochenes, Schweiß, Blut, Urin...etwas anderes, das zu benennen sein Gehirn sich weigerte, etwas das die furchteinflößende Helligkeit und Panik zurückbrachte... Sein Puls verdoppelte sich, raste... _Ich erinnere mich nicht! Ich werde mich nicht erinnern! Darf mich nicht erinnern!_
Die Erinnerungen kamen zu nahe heran, die Angst wurde zu groß. Sie ließ ihm keine Chance und nahm von seinem ganzen zerschundenen Körper Besitz. Mit einem leisen Klagelaut schloß er die Augen gegen das vermeintliche Licht, hob die Arme, um *sie* abzuhalten...er konnte ihre Augen fühlen, wie sie über sein nacktes Fleisch krochen, ihn berührten...
Hörte das denn niemals auf???

Er konnte die Reaktionen seines Körpers nicht kontrollieren. Ein heftiges Zittern, ähnlich schweren Fieberschüben, packte ihn, begleitet von einer nagenden Übelkeit...vor seinen aufgerissenen Augen tanzte die Helligkeit, wurde erst dunkler, doch dann leuchtete das Weiß umso heller... Ihm war furchtbar schlecht und seine Orientierungslosigkeit wuchs mit jedem Kälteschauer, mit jedem Schluchzen/Würgen, das zwischen seinen klappernden Zähnen entkam.

Entkommen.
Es mußte einen Weg hier raus geben!
Flucht aus der Unwirklichkeit... Diese schrecklichen Erfahrungen hätte er nie machen dürfen, dieses Elend war nicht Teil seines Lebens, es paßte nicht in sein Leben, gehörte nicht zu ihm...oder doch?
Sein Leben war in Wahrheit Wärme, Geborgenheit, freundliches Licht...oder war das alles nur ein Traum gewesen, so wie das wegweisende Licht, auf das er in seinen verschwommenen Halbphantasien vertraute?

Blaue Augen ohne Gesicht.
Wo waren sie? War er letzten Endes tatsächlich allein? Und in Abwesenheit seines Beschützers brach die Panik über ihn herein, eine flammende Invasion brennender Kälte, und in ihrem Kielwasser kam die Verzweiflung, die ihn mit sich riß und auf das Flüstern zu schwemmte...auf die Stimme zu... (_"Nutzlos... Zu schwach... Minderwertig."_)
Die Worte wiederholten sich immer und immer wieder, lauter und lauter, lauter...bis der Chor seinen Kopf füllte, durch sein ganzes Denken dröhnte. Mit einem Aufschrei war er auf den Füßen und warf sich in die Dunkelheit, wo er schwer auf dem Boden aufschlug, sich an Knie und Schulter verletzte. Die heftige Bewegung hatte ihren Preis; ausgehend von seiner Leistenverletzung jagten Schmerzensblitze in alle Richtungen durch seinen Körper, aufwärts, abwärts, überall hin, so stark, daß er den Fall gar nicht spürte.
"Wo...bist...du...?" krächzte er. Er war SCHMERZ, nichts und niemand sonst. Alles außer Schmerz und Kälte war nur eine hübsche Illusion und das schloß seine Traum-Liebe mit den vertrauten Augen ein. Julian Bashir war geistig nicht anwesend. Julian Bashir war immer noch auf der Flucht, gefangen in dem kleinen Universum seiner eigenen Erinnerung. Seine Beine waren bleischwer, bei jedem Schritt zog er die Füße nach. Doch er mußte in Bewegung bleiben und rennen, sonst würden sie ihn einholen, ihn erneut quälen...

Und abermals stürzte sein Bewußtsein in sich zusammen.
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