TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Bis an der Erde steinern Herz, Band 2

von MaLi

Der über seinen Schatten springt

Freitag.
Das bedeutete ausschlafen und gammeln. Ayel tat es ausgiebig, bevor er sich genüsslich reckte und in Zeitlupe von der Natur gezwungen aus dem Bett kroch. Eine volle Flasche stand neben seinem Lager. Er musste die morgendliche Wasserausgabe verschlafen haben. Ayel hatte sich gerade erleichtert, als auch schon Torre auftauchte und mit Sauermiene dessen eben gespendetes Lebenswasser in den grossen Sammeleimer umgoss. Dieses Amt machte keiner gerne, doch es musste sein; auch am Freitag.
„Sehen wir uns später?“, fragte er Ayel und machte sich bereits auf den Weg.
„Klar!“, versprach der und freute sich.

Die Lüftung startete und sog den Gestank aus dem Zellenblock. Das brachte immer kalte Luft herein, doch zumindest roch diese gut. Ayel reckte sich erneut, bibberte kurz im kalten Luftzug und trat dann erwartungsvoll in den Flur. In Tirans Zelle gegenüber war Komra auf Besuch. Er sass beim jungen Bohrmeister auf der Matratze und spielte etwas wie Boccia mit ihm. Obwohl Tiran wie ein Meister die schönsten Quader aus den Steinblöcken schlug, schien er sich hier nicht so geschickt anzustellen. Komra gewann öfter als dem kleinen Jungen lieb war.

„Ach, mach dir nichts draus“, tröstete ihn Komra freundlich und drückte ihn väterlich.
„Jedes Mal“, schmollte Tiran und verschränkte missmutig die Arme.
„Nächstes Mal gewinnst du“, versprach der Arzt und Counselor optimistisch und verteilte die Steinchen wieder.
Ayel trat einen Schritt näher um bemerkt zu werden.
„Ayel“, lud ihn Komra freundlich ein, „komm doch zu uns! Willst du mitspielen?“
„Nein danke“, wehrte der etwas unsicher ab, kam aber doch in die Zelle und setzte sich neben Komra.

Tirans Matratze war noch schlafwarm und machte ihm das Sitzen angenehm. Er liebte vorgewärmte Plätzchen, während sie Oren stets ein Graus gewesen waren. Der hätte sich lieber den Hintern verkühlt, als auf jemandes angewärmten Stuhl zu sitzen. Ayel lächelte bei dem Gedanken an ihn und doch machte es ihn traurig.
Oren. Der beste, liebste und treuste Freund, den er je gehabt hatte. Die Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit wärmte ihn bis ins Herz und gab ihm gleichzeitig einen schmerzhaften Stich.
Nero war immer alleine. Eingesperrt in einer Iso-Zelle, ohne Nachbarn, der ihn ablenken oder aufmuntern konnte. Wie schaffte der das nur?! Ayel für sich glaubte, in so einer Einzelhaft längst wahnsinnig geworden zu sein.

„Wir sollten Nero zu uns holen“, schlug er unvermittelt vor. „Er sollte nicht immer alleine sein.“
„Ich habe ihn oft gefragt“, warf Komra vorsichtig ein, „aber er wollte nicht. Er meinte, vielleicht später mal. Er ist noch immer sehr aufgewühlt. Ich glaube, ohne die Drogen würde er durchdrehen.“
„Er nimmt Drogen? Regelmässig, meine ich?“
Dass sich Nero Drogen beschaffen konnte, wusste er seit dem ersten Monat hier. Sie hatten ihm damals über die Nacht nach der Auspeitschung hinweg geholfen. Komra nickte.
„Ja. Es ist in Ordnung, denn sie halten ihn ruhig und bei Laune. So ist er mir lieber als … du weisst schon.“
Ayel blinzelte zustimmend und versank wieder in Gedanken, während Komra mit Tiran spielte.

***

„Komra“, fragte Tiran irgendwann unvermittelt, „willst du eigentlich mal Kinder haben?“
„Ja. Sehr gerne sogar.“
„Wenn du willst, kannst du mich haben, bis meine Eltern mich hier abholen!“, bot er sich grossmütig an.
„Danke, Schatz; das ist sehr lieb von dir“, meinte Komra leise.

Ayel wunderte sich, dass der Arzt darauf nicht in Tränen ausbrach. Auch wenn er sich nach aussen immer stark gab und für alle da war, sie wussten, dass er noch immer furchtbar litt. Kind Tiran musste wirklich zu einer Art Ersatz für ihn geworden sein; Komra war der Einzige, der richtig gut mit ihm klar kam. Ayel brannte es auf der Zunge, Komra nach seinen Kindern zu fragen, doch er hielt es zur Zeit nicht für angebracht und schluckte die Frage hinunter. Stattdessen lehnte er sich zur Seite und legte seinem Freund den Kopf auf die Schulter. Komra konnte auf diese Weise selbst entscheiden, was er davon halten wollte. Er konnte Ayels Trost annehmen und zugeben, dass er ihn brauchte, oder er konnte so tun, als würde Ayel Zuneigung brauchen, und sich so unbemerkt selber seelische Erleichterung verschaffen.
Komra wählte den Mittelweg, zog Ayel väterlich an sich und bedankte sich gleichzeitig für dessen Beistand. Ayel nickte lächelnd und schloss die Augen. Ihn überraschte immer wieder, wie warm und angenehm so eine Umarmung war.

***

„Ayel“, begann Komra nach einer stummen Weile ein Gespräch, „da du doch selber … so einen Hang zum Anhänglichen hast: Warum schnappst du dir nicht mal Tiran? Der kriecht hier auch jedem in die Hosentasche, ob es jenem passt oder nicht. Er knuddelt sehr gerne. Würdet ihr da nicht beide bekommen, was ihr sucht?“
Ayel begann sich etwas unruhig zu bewegen. Der Gedanke begeisterte ihn nicht. Komra lachte leise.
„Verstehe“, behauptete er und Ayel sah misstrauisch hoch.
„Was verstehst du?“ Er hoffte inständig, dass Komra zum falschen Schluss gekommen war.
„Du magst zwar gerne kuscheln und dich anschmiegen“, kam der Counselor der Wahrheit gefährlich nahe, „aber du möchtest dabei selber gerne der Kleine sein. Bei Tiran hättest du das nicht und müsstest wieder die Führung übernehmen. Stimmt’s?“
Ayels Ohren, die ihm immer gerne als Wahrheitsbarometer aushalfen, leuchteten in tiefstem Grün.

Oh ihr Götter, dachte er und wünschte sich verzweifelt, im Erdboden zu versinken.
„Gar nicht wahr“, murmelte er säuerlich und wohlwissend, niemanden damit überzeugen zu können.
Komra lachte sanft.
„Wofür schämst du dich denn, hm? Sind nicht Liebe und Zuneigung die Motoren unserer Gesellschaft? Was würde aus unseren Kindern werden, wenn Väter keine sensible Seite hätten?“
„Ja, klar. Und das sagst du mir in einer Gruppe, wo sogar die Frauen männlicher als die Männer sind“, konterte Ayel und war noch immer nicht beschwichtigt.

Sich selbst schon als unerträglichen Softie empfindend, konnte er es gar nicht leiden, wenn andere an ihm diese Eigenschaft hervorhoben. Er fühlte sich dann in seiner Männlichkeit verletzt und in die Damenriege abgeschoben. Daran änderten auch die häufigen Beteuerungen nichts, dass auch ein zarter, sensibler Mann ein gleichgestelltes Mitglied der Gesellschaft sei. Er erlebte es anders und auf diese Erfahrung stützte er sich. Ausserdem war es doch genau der Hauptgrund, warum ihn seine angebetete Livis seit Jahren zurück wies.

„Entschuldige“, meinte Komra leise aber aufrichtig, „jetzt habe ich dich getroffen, oder?“
Ayel nickte kaum sichtbar, als könne er es so bestätigen und verneinen zugleich.
„Oje“, seufzte der Arzt und zog ihn versöhnlich etwas fester an sich. „Ich werde nichts mehr wegen Tiran sagen“, versprach er und drückte Ayel kurz um das Versprechen zu festigen.
„Nein, es …“, widersprach der junge Romulaner, „eigentlich hast du ja Recht. Es ist nur …“ Er brach ab und verlor den Faden.
„Es ist nur so, dass der Schatten automatisch mit geht, sobald du drüber springen willst“, half ihm Komra auf die Sprünge.
„Ja. Genau.“

***

Ayel genoss die Umarmung, die Stille und sah halb anwesend, halb in Gedanken dem spielenden Tiran zu. Erst als der ihn unvermittelt ansprach, war er mit einem Schlag zurück in der Realität.

„Ayel, warum gibt es hier eigentlich keine Schaukeln?“
„Ähm …“, der Angesprochene wandte sich überrumpelt und hilfesuchend an Komra. Der lächelte sanft.
„Er ist vier“, erinnerte der ihn leise, „erklär es ihm auch so.“
Ayel schluckte und sah ihn flehend an. Hilf mir?! Doch Komra nickte ihm nur aufmunternd zu und liess ihn im Regen stehen.
„Also, die … die haben sie weggenommen“, würgte er zaghaft hervor.

Sein Kopf glühte vor Unsicherheit und Scham. Tiran würde mit der Erklärung, dass er eigentlich schon fast dreissig Jahre alt und im furchtbarsten Gefängnis der Galaxis und nicht auf einem Spielplatz war, nichts anfangen können. Also versuchte er es so und hoffte, dass sich Tiran damit zufrieden geben würde.

„Warum?“, wollte der aber unbeirrt wissen.
„Weil … die kaputt sind.“
„Hängen sie sie wieder auf, wenn sie wieder ganz sind?“, fragte er und glitzerte Ayel hoffnungsvoll an. Der sah wieder flehend zu Komra, welcher lächelte und nickte.
„Ja“, behauptete Ayel darum.
„Wann?“
„Nächst- … nächstes Jahr.“
„Wie oft muss ich da noch schlafen?“
„Noch oft.“
„Mehr als zwei Mal?“
„Ja. Mehr als zwei Mal.“
„Ich glaube“, meinte Tiran zuversichtlich, „so lange kann ich warten!“
„Guter Junge“, war alles, was Ayel dazu einfiel.

Er war unbeschreiblich dankbar, dass Tiran daraufhin die Klappe hielt. Komra lächelte ihm zu, hielt lobend den Daumen in die Höhe und nickte anerkennend. Ayel schaffte nur ein einseitiges Lächeln, das eher in die Kategorie Grimasse gehörte, dann sah er betreten weg.
„Na siehst du“, meinte Komra sanft, „war doch gar nicht so schwer.“

Ayel seufzte tief. Er sah das anders. Sein ganzes Inneres befand sich im Alarmzustand, seine Hände zitterten kaum merklich und ihm war heiss und kalt zugleich. Obwohl er die Situation nach Komras Aussage gut gemeistert hatte, fühlte er sich heillos überfordert und verloren.
Er wusste selbst nicht warum. Tiran konnte nichts für seinen Zustand und hinter Kind stand noch immer sein alter Freund und Kumpel. Wie oft hatten sie doch auf der Narada die Pausen zusammen verbracht, gelacht und Streiche ausgeheckt. Mit Tiran als Technikgenie hatten sie Spindtüren manipuliert, an den Duschen geschraubt und auch schon den einen oder anderen kleinen Defekt verursacht. Es war immer lustig und ausgesprochen kurzweilig mit ihm gewesen. Und jetzt? Jetzt ging Ayel ihm aus dem Weg, mied seine Gesellschaft und stiess ihn weg, wenn der auf Tuchfühlung ging. Genau jetzt, wo es Tiran doch so schlecht ging, dass der nicht einmal mehr das Leben im Hier und Jetzt ertrug. Ayel fühlte sich schuldig und spürte den Stich des Verrats. So war er bestimmt kein guter Freund …

Nachdenklich betrachtete er den jungen Bohrmeister, der mit Begeisterung ein Mandala aus den bunten Steinen erstellte. Klein Tirans Fantasie schien unerschöpflich. Bereits seit einem Jahr mit nichts anderem beschäftigt, schienen ihm die kleinen Felsstückchen nie langweilig zu werden. Wie er sich freute, wenn ihm einer der Brüder wieder eine neue Farbe aus dem Steinbruch mitbrachte … Erst kürzlich hatte ihm Ygnar Stücke des Gneis überreicht, die aus dem Konglomerat gebrochen waren. Nun lagen die schwarzweissen Steine zwischen grauen, gelben, roten, moosgrünen, schwarzen und gemusterten in einem bunten Kreis.

„Na los“, ermunterte ihn Komra und lächelte sanft. „Trau dich!“
Ayel holte tief Luft, beruhigte Herz und Hände und schloss die Augen.
„Tiran, willst du knuddeln?“, sprach sein Mund von alleine.
„Ja, immer!“, freute sich der, verliess sofort sein Mandala und rollte sich neben Ayel ein, den Kopf vertrauensvoll auf dessen Beine gebettet.
Ayel spürte ein inneres Zittern und begann dann etwas unbeholfen, Tirans Seite zu kraulen. Komra biss erfolglos sein Schmunzeln tot. Ayel wusste, was der dachte. Bestimmt etwas im Sinne von, er ist doch kein Hund oder so etwas.
„Das ist ungewohnt, klar?“, zischte er leise.
„Ich sag ja gar nichts“, gab Komra zurück und klang verdächtig vergnügt. „Aber sieh mal, wo dein Schatten jetzt ist!“
„Hm?“

Ayel sah sich überrascht um und verstand. Tatsächlich, er hatte es geschafft! Er war erfolgreich über seinen Schatten gesprungen und nicht einmal dabei gestorben. Zumindest schien Komras Lächeln ihm das sagen zu wollen.
„Es wird sich für dich lohnen“, versprach ihm der Arzt, „du wirst sehen! Kann ich euch zwei kurz alleine lassen? Ich muss mal dahin, wo selbst der Prätor zu Fuss geht …“
„Klar, kein Problem“, gab ihn Ayel frei.

Insgeheim war er sogar froh, nicht mehr dem prüfenden Blick des Arztes ausgesetzt zu sein. Komra unterstützte ihn in allem, was er tat, dieses amüsierte Schmunzeln allerdings mochte Ayel gar nicht. Es fiel ihm nicht leicht, auf eine Art mit seinem alten Freund Tiran zu verkehren, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Ayel umarmte Torre, knuddelte mit Piri, kuschelte sich an Livis und liess sich von Komra drücken, doch bei Tiran war es anders. Wie der Counselor so treffend festgestellt hatte, war ER nun der Umarmer, Knuddler, Kuschler und Drücker; ein Rollenwechsel, der ihm eigentlich nicht besonders gefiel. Obwohl er die Situation als unangenehm empfand, genoss er es doch auch, Tirans ruhige Atemzüge unter seiner Hand zu spüren. Sein Freund vertraute ihm, begab sich in seine Obhut und glaubte fest an Ayels aufrichtige Gefühle für ihn. Ayel glaubte mehr und mehr, ein geschältes, rohes Ei in seinen Händen zu balancieren; eine Verantwortung, die er als zu gross für sich betrachtete. Er traute sich kaum seine Beine zu bewegen aus Angst, Tiran könnte sich dadurch gestört fühlen. Der hatte mittlerweile die Augen geschlossen, war aber, wie Ayel vermutete, noch wach.

„Tiran“, fragte er ihn leise, „bist du eigentlich gerne Kind?“
„Schätze schon.“
Das war nicht Kind Tirans Sprechweise! Auch nicht seine Stimme. Erschrocken wandte Ayel seinen Kopf nach seinem Schoss. Tiran öffnete gerade seine eisgrauen Augen und blickte zu ihm hoch.
„Du bist wach?!“ Ayel meinte nicht das physische Wachsein.
„Ja“, meinte der junge Bohrmeister und lächelte beruhigend. „Ich komme immer zurück, wenn ich mich besonders wohl und sicher fühle. Das sagt zumindest Komra. Kann ich bleiben? Auf deinem Schoss, meine ich.“
„Ähm … ja. Okay.“
Ayels Körpertemperatur fuhr gerade Karussell mit ihm. Tiran war einer seiner besten Freunde, doch so vertrauten Umgang hatten sie noch nie miteinander gehabt. Scham und Stolz. Ayel atmete tief durch und versuchte, beides abzuschütteln. Als ihm die Stille zu unangenehm wurde, frage er: „Du fühlst dich also … sicher bei mir?“

Er vermied das Wort wohl; es drückte zu viele Gefühle aus. Er fühlte sich jetzt schon unsicher und auf eine eigenartige Weise präsentiert, da wollte er sich nicht auch noch sensibel geben. Dass Tiran sich bei ihm wohl fühlte ehrte ihn und tat ihm gut, doch es war ihm zu vertraut, um dazu zu stehen. Tiran war immerhin ein Mann, knapp dreissig Jahre alt, ein Handwerker und trug bereits wieder einen deutlichen Bartschatten. So jemanden in seinem Schoss zu haben und zu streicheln, fühlte sich für Ayel mehr als nur befremdlich an.

Er seufzte stumm. Ging das seinen Freunden auch so? Piri, Torre, Komra? Wenn er selbst auf ihren Beinen lag, völlig aufgelöst und nicht er selbst? Sahen sie dann auch den vierunddreissigjährigen Huther mit Bartschatten? Er hatte nie den Eindruck gehabt. Er glaubte immer zu fühlen, dass sie ihn so nahmen wie er war, ihm genau das Mass an Zuwendung und Liebe gaben, das er gerade nötig hatte. Er war nie zu kurz gekommen; im Gegenteil. Piri und Torre zwangen ihn fast zu seinem Glück, überschütteten ihn mit Gefühlen und liessen ihn kaum mehr gehen. Warum konnte er selbst das bei Tiran nicht? Warum konnte er nur annehmen, aber nicht geben?

„Ja“, antwortete der junge Bohrmeister aufrichtig. „Ich bin zwar nicht immer hier, aber ich weiss, dass du dich sehr für uns einsetzt. Komra erzählt mir eine Menge. Er hält mich auf dem Laufenden, da ich mich an nichts erinnern kann, wenn ich Kind bin.“
„Wie ist das so? Kind sein?“
„Das kann ich dir nicht sagen“, meinte Tiran nachdenklich und blinzelte. „Ich kann mich an die Kind-Zeit nicht erinnern. Würdet ihr nicht alle das Gleiche behaupten, würde ich nicht einmal glauben, dass ich zweitweise so bin. Das ist mir echt peinlich, ehrlich! Ich komme mir jedes Mal vor wie ein Trottel, wenn ich mir vorstelle, wie ich auf dem Boden rum krieche, wie ein kleiner Junge brabble und mit Steinchen spiele.“
Ayel musste schmunzeln.
„Ist so!“, lachte Tiran und schüttelte über sich selber den Kopf. „Warst du nie betrunken und hast dir hinterher anhören müssen, was du alles Dämliches getan hast? So fühlt sich das an. Du hast keine Erinnerung aber alle schwören dir, dass es sich so abgespielt hat.“

Ayel grinste breit, als eine alte Erinnerung von ihm Besitz ergriff.
„Einmal war ich so betrunken“, nickte er. „Einmal konnte ich mich wirklich an nichts mehr erinnern. Am Abend habe ich noch meinen Uniabschluss gefeiert und am nächsten Morgen lag ich kahl rasiert in einer Koje auf der Narada! Verdammt Mann, ich habe meine Haare geliebt?!“
Sie lachten beide.
„Warum hast du dich denn rasiert? Viele von uns behalten ihre Haare. Oren auch. Das ist keine Regel im Bergbau!“
„Ich weiss“, nickte der Hutmann, „aber ich schätze mal, die wollten mich der Crew angleichen. Aussenseiter war ich schon genug durch meine Statur und den Uniabschluss.“
„Verstehe“, nickte Tiran.
Der junge Bohrmeister war erst vor drei Jahren der Crew beigetreten. Da war Ayel bereits Hauer und fest in die Mannschaft integriert.

„Du brabbelst nicht“, wechselte Ayel unvermittelt das Thema.
„Was?“
„Als Kind. Du brabbelst nicht. Du sprichst eigentlich ganz normal, nur der Wortschatz ist einfacher und deine Stimme klingt anders. Höher. Kindlicher halt. Die meisten von uns mögen dich so.“
„Ist trotzdem peinlich“, schüttelte Tiran den Kopf.
„Weisst du, dass ich …“ begann Ayel zögerlich, „… dass ich auch so bin? Gespalten?“
„Wirklich?“, fragte Tiran erstaunt nach.
„Ja. Nicht so wie du, also mit Zeitausfällen und so. Ich merke immer, wenn ich … also, wenn ich jemand anderes werde.“
„Ist unheimlich, nicht?“
„Ja.“

„Erzähl mir von Kind“, bat Tiran.
„Ähm, also … Kind ist … sehr offen und … liebenswert. Alle mögen es und es sagt sehr liebe Dinge zu den Leuten. So aus dem Herzen halt, weisst du? Es mag Schaukeln und Steine und will morgens nicht aufstehen. Eigentlich wir alle nicht. Es hat Angst vor den Klingonen, ist sehr anhänglich und ziemlich verschmust.“
Er lächelte und Tiran machte mit. Er nickte.
„Du glaubst nicht, wie oft ich „aufwache“ und bei jemandem auf dem Schoss liege …! Genau wie bei dir jetzt. Ich bin froh, dass ihr mich alle trotzdem noch akzeptiert.“
„Das tun wir“, bestätigte Ayel.

Überrascht stellte er fest, dass er sich jetzt völlig ruhig und wohl fühlte und das, obwohl sogar der Original-Tiran auf seinen Beinen lag. Komra hatte Recht gehabt, der Schattensprung hatte sich für ihn gelohnt! Er hätte wohl sonst kaum die Chance gehabt, mal wieder mit seinem alten Freund dem Bohrmeister zu sprechen. Er hatte ihn vermisst.

„Tiran, kann ich dich was fragen?“
„Ja? Alles, soweit ich dir Auskunft geben kann.“
„Komra sagte, er sagte, dass Personen die sich nicht kennen, dass die andere Namen haben. Warum heisst dein Kind-Ich dann auch Tiran?“
„Es heisst nicht so. Hallo Tiran!“ Komra war von seiner Mission zurückgekehrt und stand im Türrahmen. „Schön, dass du wieder da bist!“
Ayel konnte nur erahnen, wie lange der Arzt schon hier war und wie viel der von ihrem Gespräch mitbekommen hatte. Er trat ein und setzte sich wieder zu ihnen auf die Matratze.

„Kind heisst eigentlich Naiad. Ich hatte Angst, dass die Crew noch mehr Mühe hat, es zu akzeptieren, wenn es sich auch noch anders nennt. Also fragte ich es, ob es okay wäre, wenn wir es stattdessen Tiran nennen. Als Spitznamen sozusagen. Es war einverstanden und machte es euch so leichter, Tiran zu akzeptieren wie er ist. Es ist nicht unbedingt fair aber … ich wollte nur, dass es für alle so einfach wie möglich ist. Die Zeit war gerade hart genug. Entschuldige, Tiran.“
Der hob abwehrend die Hände.
„Schon okay! Wenn alle einverstanden waren? Ich habe …“

KNALL!
Die Tür flog auf und der Klingone mit dem Servierwagen betrat den Zellenblock. Tiran schoss von Ayels Beinen hoch, floh in die Ecke, wo er sich zusammenkauerte und wie ein verschrecktes Kätzchen unter der Kommode hinter seinen Knien hervor lugte. Naiad war wieder da.

Rezensionen