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Die Gouvernante

von Verena

Kapitel 2

Lucy Davenport ging mit beschwingten Schritten durch den Flur im Ostflügel Burleigh Manors. Es war früher Morgen und das Leben in dem großen Herrenhaus erwachte langsam. Man konnte die leise Stimme von Bitts, dem Butler, vernehmen, der in der Halle dem Hauspersonal die Aufgaben für den Tag zuwies. Lucy vermutete, dass auch in der riesigen Küche ein reges Treiben herrschte und lächelte bei dem Gedanken an eine gute, heiße Tasse Kaffee. Die Gouvernante fühlte sich trotz der Ereignisse der vergangenen Nacht seltsam ausgeglichen. Als ihr der Lord gestanden hatte, dass er sie liebe, hatte sie ihm kein Wort geglaubt und ihm dieses auch energisch mitgeteilt. Nach einer Entschuldigung seinerseits hatten sie sich eilig getrennt, um der peinlichen Situation ein Ende zu machen. Ein Adeliger wie der Lord konnte ihr, der Tochter eines verarmten Esquire, nichts weiter bieten als eine Carte Blanche - und die Geliebte eines Mannes zu werden, nur, wenn er ihr tief in die Augen sah, davon hielt Lucy nichts.

Sie war jetzt mit vierzig Jahren weit über das Alter hinaus, in dem Männer normalerweise um Frauen freiten und so zu einer alten Jungfer geworden. Es war wohl an der Zeit, sich damit abzufinden. Zugegeben, als Burleigh sich ihr gestern genähert hatte, war sie einen ganz kleinen Moment schwach geworden, aber auch nur für wenige Sekunden. Er mochte sie jetzt hinauswerfen lassen, weil sie sich ihm verweigert hatte, Hauptsache, ihre Integrität war gewahrt. Allerdings war sie noch immer die Gouvernante und es war ihre Pflicht, sich um die Kinder zu kümmern. Henry war gerade acht Jahre alt und bot mit diesem Alter bereits das perfekte Bild eines standesbewussten Adeligen. Er war stets steif und zuvorkommend und glich seinem Vater auffallend. Beatrice war ein Jahr jünger als ihr Bruder und ein hübsches Persönchen mit langen blonden Haaren. Lucy war überzeugt, dass Beatrice in einigen Jahren in der Londoner Gesellschaft für Furore sorgen würde. Ihre scheue Art und ihre natürliche Anmut mussten jedem Mann ins Auge fallen.

Lucy gelangte zu der Tür, die in die Räume der Kinder führten und öffnete sie leise. Bereits beim Betreten des ersten Zimmers, des Schulzimmers, bemerkte Lucy, das etwas nicht stimmte. Es war kein Gefühl, eher eine Ahnung, denn der Raum mit der Tafel und den zwei Bänken bot keine Veränderungen. Stattdessen fühlte er sich... leer an. Lucy passierte auch das Ankleidezimmer und betrat dann nach einem leisen Klopfen das Schlafzimmer der Kinder. Es war leer, die Betten waren ordentlich gemacht und das Fenster stand offen, um die frische Luft einzulassen. Doch es war eindeutig, dass die Kinder nicht nur schon früher als sonst aufgestanden waren. Lucy sah, dass auf Beatrices Nachttisch die Miniatur ihrer Mutter, der verstorbenen Lady Elisabeth Burleigh, fehlte und die Gouvernante wusste, dass das Mädchen diese nie entfernte.

Panik stieg in Lucy hoch. Wo waren die Kinder? Sie musste Lord Burleigh informieren. Während sie das Kinderzimmer verließ und sich in Richtung des Westflügels aufmachte, schossen die Gedanken wild durch ihren Kopf. In diesem Haus geschahen seltsame Dinge, die ihr schon oft genug Angst gemacht hatten. Undefinierbare Geräusche, die nachts erklangen; Beatrice, die behauptete, ihre Mutter würde noch immer am Leben sein; verängstigtes Personal - und ein Lord, der dies alles als Unfug abtat. Mit gerafften Röcken eilte Lucy voran, sich heftige Vorwürfe machend. Warum hatte sie gegenüber Burleigh nicht noch eindringlicher insistiert, dass irgendetwas vorging, das sie sich nicht erklären konnte? Jetzt waren vielleicht Beatrice und Henry Opfer ihrer Unvorsicht geworden.

„Miss Davenport, warten Sie bitte einen Moment!“, vernahm sie eine Stimme hinter sich. Lucy verharrte und wandte sich um. Mr. Lionel Wanders, Lord Burleighs Kammerdiener und engster Vertrauter, kam eine Seitentreppe hinauf und lächelte die Gouvernante freundlich an. Er war ein relativ junger Mann von unscheinbarem Aussehen und stupfen, grauen Augen, der immer und überall auftauchte, wenn man am wenigsten mit ihm rechnete. Obwohl er harmlos erschien, traute ihm Lucy nicht. Es lag etwas Lauerndes in seinem Blick, das sie beunruhigte.

„Mister Wanders“, nickte sie ihm ruhig zu, obwohl sie innerlich vor Unruhe und Sorge um die Kinder zitterte. „Was kann ich für Sie tun?“

„Seine Lordschaft möchte Sie unverzüglich in der Bibliothek sehen“, teilte ihr Lionel mit.

„Ich war unterwegs dorthin“, antwortete Lucy steif. Es war ihr natürlich bekannt, dass es der Hausbesitzer vorzog, die frühen Morgenstunden und den späten Abend in der riesigen Bibliothek zu verbringen. Es ärgerte sie, dass Wanders sie noch immer behandelte, als gehöre sie nicht zum Haushalt. „Ich wünsche noch einen schönen Tag.“

Ohne seine weitere Reaktion abzuwarten setzte sie ihren Weg fort und fand sich schließlich vor der hohen, mit Schnitzarbeiten verzierten Tür zu Burleighs Allerheiligstem wieder. Lucy atmete tief durch und klopfte, ohne noch weiter zu zögern. Ihr war zwar stets unwohl, wenn sie so plötzlich in die Intimsphäre des Lords vordrang, doch das Verschwinden der Kinder und die Dringlichkeit dieser Nachricht gaben ihr Mut.

„Herein“, ertönte es und sie trat ein.
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