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Die Berechnung der Unendlichkeit

von Enem, Melui

5 - Unruhige Nacht

Bis zum Abend hatte Leonard seinen Streit mit Jim schon beinahe wieder vergessen. Die Arbeit war anstrengend gewesen, auch wenn soweit alle über den Berg waren, da war überhaupt keine Zeit gewesen, sich um etwas anderes Gedanken zu machen. Das holte ihn erst wieder ein als er im Shuttle saß, das ihn zum Hotel zurückflog. Verkniffen starrte Leonard aus dem Fenster auf die seltsamen verdrehten Bahnen der Raumstation. Jim würde nicht klein beigeben, das war nicht seine Art, und meistens etwas, das Leonard sogar willkommen hieß. Nur heute war es wirklich das letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte, die Fortsetzung einer Diskussion, bei der er nur verlieren konnte. Jocelyn hatte ihm seine Sturheit immer vorgeworfen, aber in Jim hatte er in der Hinsicht wohl seinen Meister gefunden. Immerhin, dachte er bitter, konnte er seine Ex-Frau jetzt ein wenig besser verstehen.

Es war verletzend, nur wollte Jim das offenbar nicht zur Kenntnis nehmen. Er musste wissen, dass Joanna Leonard alles bedeutete. Jims Weigerung einen so wichtigen Teil seines Lebens wie seine Tochter es war kennenzulernen, sagte einiges aus. Womöglich konnte Jim nicht nachvollziehen, wieso es für Leonard von Bedeutung war, aber Tatsache blieb, er wusste, dass es so war. Wenn nicht, sagte das ebenfalls einiges aus und machte nichts besser. Die Alternative, dass er es wusste und ignorierte, gefiel Leonard genauso wenig, aber er vermutete, dass es genau so war.

Leonard war sich seiner sicher gewesen, Jim hatte ihm auch nie einen Grund gegeben zu zweifeln. Es hatte gleich gepasst, sie hatten von Anfang an gut zusammen funktioniert. Aber das, erinnerte er sich dunkel, war mit Jocelyn ja ganz ähnlich gewesen. Er hatte schon einmal eine solche Beziehung in den Sand gesetzt, er glaubte nur nicht, es ein zweites Mal ertragen zu können. Und darum wusste Jim ganz genau, er hatte ja eine gute Portion von den Nachwirkungen der Scheidung auf Leonard mitbekommen, er wusste auch, wie sehr Leonard sich in den Jahren danach gegen die Möglichkeit einer neuen Beziehung gewehrt hatte. Und dann war er es gewesen, der es letztendlich forciert hatte, jetzt war es offenbar ebenfalls er, der die Grenzen feststeckte. Jim wollte nicht weiter in Leonards Leben hineingelassen werden, obwohl er die Mauern überhaupt erst eingerissen hatte, das war schon eine klare Ansage.

Das Shuttle stoppte, Leonard stieg aus und ging langsam auf die Eingangstüren des Hotels zu. Er hatte es nicht mehr eilig, auch weil er heute keine Energie mehr hatte zu streiten. Gleichzeitig war er jetzt bereits wieder so verärgert, dass er einen solchen Streit sogar beginnen würde, wenn er sich nicht vorher beruhigte.

Er nahm die Treppen und rief sich, nicht zum ersten Mal, in Erinnerung, Jim Zeit zu lassen. Noch vor zwei Jahren hätte er immerhin Stein und Bein geschworen, dass Jim niemals eine ernsthafte Beziehung eingehen würde, dafür wäre er nicht der Typ. Und hier waren sie nun, ihrer beider Vergangenheiten zum Trotz. Psychologisch und objektiv betrachtet konnte er Jims Zurückschrecken vor dem, was er sicher als einen gewaltigen Schritt betrachtete, durchaus einordnen. Bindungsängste hatte Leonard ihm schon attestiert, da hatten sie sich kaum einen Monat gekannt, und freilich erklärte sich das aus der Situation heraus, in der Jim aufgewachsen war. Jims Verhalten aber persönlich zu akzeptieren, wenn es ihn so direkt betraf, fiel Leonard wesentlich schwerer als ihm lieb war.

Vor ihrem Zimmer blieb er stehen und nahm sich einen Moment. Kein Streit, beschwor er sich selbst. Er würde jetzt nicht mit ihm streiten, egal, was Jim sagte oder tat. Leonard schloss kurz die Augen, atmete einmal durch und öffnete dann die Tür zu ihren Räumlichkeiten. Ein paar Schritte hinein, er ließ den Blick schweifen und dann war es klar.

Jim war gar nicht da. Großartig.

Leonard pfefferte seine Tasche auf das Bett und ließ sich gleich quer daneben fallen. Oh sicher, er hatte nicht erwartet, dass Jim den ganzen Tag hier hocken würde, aber um diese Zeit war er normalerweise wieder da, was immer er den Tag über gemacht hatte. Dass er ausgerechnet heute nicht da war, sprach Bände. Hatte das heute Morgen tatsächlich schon gereicht, dass Jim ihm aus dem Weg ging? Leonard starrte an die Decke, fünf Minuten, zehn, aber allein vom Liegen wurde er so müde, dass er sich gleich wieder aufrappelte und einen Moment an der Bettkante sitzenblieb. Der simulierte Himmel draußen wurde schon dunkel. Seufzend zog Leonard seine Tasche heran, holte den Kommunikator hervor und wählte Jim an.

Das Gerät piepste von dem Tisch her, auf dem Leonard es am Morgen abgelegt hatte.

„Fantastisch“, knurrte Leonard, beendete den Anruf und warf seinen Kommunikator neben sich aufs Bett. Hieß das, Jim war den ganzen Tag über nicht zurückgekommen? Das machte ihm jetzt schon beinahe Sorgen. Jim mit seinem Talent für gefährliche Situationen brachte es vermutlich sogar auf der Raumstation, die er gerade erst gerettet hatte, fertig, sich in Bedrängnis zu bringen.

Oder er war ganz einfach immer noch bei Spock. Leonard konnte sich zwar kaum vorstellen, dass der Vulkanier Trost brauchte – oder wenigstens annehmen würde – aber Jim würde ihm womöglich eine Wahl lassen. Einen Augenblick lang überlegte Leonard tatsächlich, Spock anzufunken, bevor er über sich selbst den Kopf schüttelte. So jemand war er nicht und das wäre auch das Verhalten, das Jim – zu Recht – die Flucht ergreifen lassen würde.

Stattdessen stand Leonard auf und ging ins Bad. Eine Dusche war genau das, was er jetzt brauchte.

*


Aber bis er wieder aus dem Bad kam, war von Jim immer noch keine Spur zu sehen. Leonard zog sich um, setzte sich mit seinem PADD an den Tisch und ging halbherzig seine Nachrichten durch. Er war todmüde, aber dass Jim noch nicht wieder da war, ließ ihm keine Ruhe.

Draußen war mittlerweile jeder simulierte Sonnenstrahl verschwunden und tiefste Nacht, als endlich die Tür ging. Leonard hob den Kopf, sah Jim hereinschlüpfen und ertappt stehenbleiben.

„Du bist noch wach“, murmelte er und zögerte offensichtlich kurz, bevor er ganz in den Raum trat und sich zu Leonard setzte.

„Offensichtlich“, knurrte der, schaltete das PADD aus und schob es ein Stück von sich.

„Hast du gewartet?“, fragte Jim ebenso leise wie zuvor und sah ihn jetzt auch an.

„Natürlich.“ Genauso unwirsch wie zuvor, jeder Vorsatz war sowieso dahin, auch wenn oder gerade weil Jims Tonfall so ein vorsichtiges Herumtänzeln war.

„Du hättest nicht-“

„Ich weiß“, unterbrach Leonard ihn schroff, stand ruckartig auf und ging einige Schritte auf Abstand. Er gab vor, Jims Zusammenzucken nicht zu bemerken. „Ich hätte nicht müssen und ich bin ein Idiot, dass ich es getan habe.“

Ein oder zwei Augenblicke lang sagte keiner von ihnen etwas, Leonard in mühsam in Kontrolle gehaltener Frustration und Jim... das konnte er gar nicht sagen, nicht einmal als Jim auch aufstand und sich zu ihm umdrehte.

„Du bist noch wütend“, stellte er fest und etwas an seinem Ton war merkwürdig. Er wirkte aufgewühlt, nicht aufgebracht, das war die größte Überraschung und der einzige Grund, warum Leonard stehenblieb, als Jim näherkam und ihn einfach umarmte.

Umklammerte geradezu. Leonard zog irritiert die Augenbrauen zusammen, denn das – das war sicher nicht Jims Art, mit Konfrontation umzugehen, war es zumindest nie gewesen. Überrumpelt erwiderte Leonard die Geste. Jims Atem war zu laut und zu schnell an seinem Ohr.

„Bitte, Leonard...“, stieß er hervor und das ließ nun wirklich alle Alarmglocken schrillen. Leonard – das war selten.

„Was ist los?“ Leonard schob ihn an den Schultern ein Stück von sich um ihn ansehen zu können, aber Jim wich seinem Blick aus. „ Jim – was ist los?“, wiederholte er und betonte jedes Wort einzeln, als er keine Antwort bekam.

„Ich kann das jetzt nicht, okay?!“ Jim raufte sich die Haare und sah ihn dann direkt an. „Ich kann“, er holte Luft, „jetzt nicht mit dir streiten. Nach allem was passiert ist. Ich bin...“ Sein Blick irrte wieder davon.

„Völlig durch den Wind“, schloss Leonard stirnrunzelnd. „Offensichtlich.“

Jim befreite sich aus seinem Griff, kam wieder näher und küsste ihn. Das war nun wieder typisch Jim. Ein Kuss und man wusste, wo er es hinführen wollte, seine Patentlösung. Und er machte es gut, natürlich, aber... „Nicht“, murmelte Leonard an seinen Lippen und hielt ihn fest. „Jim, nicht jetzt“, dieses Mal nachdrücklicher zeigte es Wirkung. Da war vielleicht sogar ein Hauch Unsicherheit in Jims Blick, als er ihn ansah. Leonard hätte fast gelächelt, strich ihm stattdessen durch die Haare und küsste ihn noch einmal kurz.

„Ich schlafe quasi schon“, fügte er hinzu und jetzt nickte Jim knapp, löste sich aber noch nicht gänzlich von ihm, die Finger strichen über Leonards Nacken. „Ich war bei Spock“, sagte er leise.

„Ich habe nicht nach einer Erklärung gefragt.“

„Ja, ich weiß“, murmelte Jim. „Ich war nicht lange dort, er hat mich rausgeschmissen.“

„Und das beschäftigt dich immer noch?“ Leonard schnaubte. Zumal sicher jeder einzelne von Jims Freunden ihn schon mal rausgeschmissen hatte. Jim hatte nicht das geringste Gefühl dafür, wann es Zeit war, zu gehen und jemanden in Ruhe zu lassen.

„Er war seltsam.“

„Sein anderes Ich ist gestorben – sogar er muss das merkwürdig finden, was erwartest du.“

Jim nickte, offensichtlich nicht überzeugt, ließ die Hände sinken und deutete Richtung Bad. „Ich bin gleich fertig.“

*


Es konnte kaum drei Stunden später sein, als Leonard aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Im ersten Moment konnte er nicht sagen, was ihn geweckt hatte, dann hörte er Jims keuchenden Atem. Er rollte sich herum, tastete auf die andere Seite des Bettes und fand Jims Hand.

„Licht, 20%“, murmelte Leonard verschlafen, sah in dem gedämpften schwachen Licht Jim aufrecht im Bett sitzen und rappelte sich jetzt selbst stöhnend auf. Oh Himmel, er war völlig fertig, konnte kaum die Augen offen halten.

„Was is‘ los?“

Jim antwortete mit einem fahrigen Kopfschütteln, presste die Hände auf die Augen und nahm einige tiefe Atemzüge. „Kopfschmerzen... scheiß Traum.“

„Hab was fürs erste“, antwortete Leonard undeutlich. Ächzend angelte er nach seiner Tasche neben dem Bett, wühlte durch den Inhalt und fand schließlich das Hypospray. „Komm her.“

„Hasse die Dinger“, murrte Jim, aber kam wie geheißen zu ihm rüber gekrochen, lehnte sich an ihn und schloss die Augen. Er jaulte leise auf, als Leonard das Mittel injizierte.

„Baby.“ Leonard beförderte das leere Hypospray und die Tasche auf den Boden, löschte das Licht und ließ sich dann einfach nach hinten umfallen. Jim rutschte an ihn heran und wickelte sich geradezu um ihn herum. Mit einem Kopfschütteln strich Leonard über seinen Rücken. „Albträume, der große Captain. Fürchterliche böse Monster unter dem Bett...“

Jim knurrte nur. „Nich‘ so ein Traum“, nuschelte er.

*


Darauf hätte es Leonard ja beruhen lassen, wenn er nicht nach einer Zeitspanne, die sich anfühlte wie fünf Minuten, tatsächlich aber sicher länger war, den ersten Tritt abgekriegt hätte. Jim neben ihm, registrierte er im Halbschlaf, rollte sich herum, strampelte und wimmerte leise. Gefangen, ganz offensichtlich, in einem weiteren Traum. Einen Moment lang versuchte Leonard es einfach zu ignorieren. Er war nicht fertig, er war tot, so fühlte es ich jedenfalls an, und das obwohl er an Schlafmangel und Erschöpfung gewöhnt war.

Dieses Mal musste er Jim direkt wachrütteln. Er sah so kaputt aus wie Leonard sich fühlte, wie er ihn so verständnislos blinzelnd anstarrte.

„Wieder geträumt?“

Jim nickte langsam und verzögert, als müsse er erst Sinn aus den Wörtern machen.

„Krall?“, hakte Leonard nach, angestrengt bemüht, wachzubleiben. Es wäre nichts neues, dass Jim von seinen Gegnern eine Weile lang bis in den Schlaf verfolgt wurde. Aber dieses Mal schüttelte er den Kopf.

„Kein Albtraum.“

„Ja? Hat verdammt wie einer ausgesehen“, sagte Leonard, aber länger konnte er die Augen beim besten Willen nicht offenhalten. Er spürte noch wie Jim sich wiederum an ihn drängte, dann war er weg.

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