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Die Berechnung der Unendlichkeit

von Enem, Melui

4 - Nebenwirkungen

4
Unerwünschte Nebenwirkungen


Bedächtig stellte Spock die kleine Schatulle, die man ihm gerade erst überbracht hatte, auf dem schmalen Sideboard ab. Er hatte einen Blick hineingeworfen und sie ebenso schnell wieder geschlossen. Persönliche Dinge von Botschafter Spock, Erinnerungen, aber er fühlte sich unwohl dabei, sie zu berühren und mit dieser scheinbar morbiden Neugier zu betrachten. Dass sein Verhalten unlogisch war, war Spock bewusst, denn im Grunde waren es seine Erinnerungen, auch wenn das so nicht ganz korrekt war. Trotzdem stellte er die Schatulle weg, jedoch mit der Gewissheit, dass er sich zu einem anderen – besser geeignetem – Zeitpunkt damit befassen würde.

Vielleicht, wenn er nach Neu-Vulkan zurückkehrte. Darüber hatte er mit Jim immer noch nicht gesprochen und die jüngsten Ereignisse hatten dieses Gespräch nahezu unmöglich gemacht. Oder es lag daran, dass der Doktor es am Ende doch geschafft hatte, an sein Gewissen zu appellieren, an die Freundschaft auch, die ihn mit Jim verband – beides irrelevant und verstörend unlogisch, wenn man es im Detail betrachtete.

Aber auch das fiel ihm schwer und er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass der menschliche Anteil in ihm gerade weitaus mehr Aufmerksamkeit forderte. Der Teil, explizit dargestellt, der sich vor dem Tod fürchtete und vor allem vor dem Wissen, wann der Tag sein würde. Der logisch-analytische Teil in ihm, der ihm vor Augen hielt, dass es nicht korrekt sein konnte, anzunehmen, dass sich die Geschichte in einer neuen Zeitlinie detailliert wiederholte, war gerade sehr schwach gegenüber den lästigen menschlichen Emotionen.

Er hätte sich dem Kolinahr unterwerfen sollen, dachte Spock, um wie viel leichter wäre sein Leben verlaufen. Selbst wenn er in eine ähnliche Situation wie diese geraten wäre, hätte er sie mit der nötigen Distanz zu bewerten gewusst. Wenn er nur eine einzige Entscheidung in seinem Leben anders getroffen hätte.

Mitten hinein in diese Überlegungen meldete der Türsensor einen Besucher. Spock hob den Kopf, stand sogar auf, doch zur Tür ging er nicht. Die Unpersönlichkeit dieser Unterbringung störte ihn für gewöhnlich nicht, er legte wenig Wert auf Persönliches, jedoch fiel ihm unangenehm auf, dass es die kleinen Dinge waren, die ihm missfielen. In diesem Fall schlicht der fehlende Hinweis, wer der Besucher war.

Wieder zwitscherte der Sensor. Offenbar handelte es sich um einen sehr hartnäckigen Besucher, trotzdem sah Spock keine Veranlassung zu öffnen. Er wollte mit niemandem reden.

Nach einer Weile, in der klar wurde, dass, wer auch immer vor der Tür ausgeharrt hatte, es nicht weiter versuchen würde, wandte sich Spock um und schritt zum Fenster. Dort auf dem Sims lag sein Kommunikator, den er ebenfalls deaktiviert hatte, und gerade war er versucht, ihn einzuschalten. Womöglich hatte Nyota versucht ihn zu erreichen? Es war unwahrscheinlich, dass sie dort an der Tür gewesen war, da er ihr bereits im Vorfeld mitgeteilt hatte, dass er etwas Zeit für sich selbst in Anspruch nehmen wollte. Abgesehen davon schien das Ende ihrer Beziehung ohnehin besiegelt zu sein. Dass sie sich noch hin und wieder trafen, war dem Umstand geschuldet, dass sie wohl beide rational genug waren, über allzu Persönliches hinwegzusehen. Er schätzte Nyotas scharfen Verstand und auch den unkomplizierten Umgang mit ihr zu sehr, als dass er es aufgrund einer solchen Nichtigkeit hätte missen wollen, sie zu treffen. Und er hoffte Nyota dachte über ihn dasselbe. Ihre Gespräche bezüglich ihrer unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen waren allesamt ruhig und konstruktiv verlaufen. Sie waren zu der bestmöglichen Übereinkunft gekommen.

Schon schwebten Spocks Finger über dem Kommunikator, als ein anderes Geräusch ihn regelrecht herumfahren ließ. Etwas, oder besser jemand, machte sich an seiner Tür zu schaffen.

Sekundenlang konnte sich Spock nicht vorstellen, dass das tatsächlich möglich war. Dass jemand – gerade hier auf der Yorktown – so dreist sein konnte, in sein ihm persönlich zugewiesenes Quartier einzubrechen, doch nur einen Wimpernschlag später musste er feststellen, dass er sich getäuscht hatte.

Die Tür glitt mit einem kaum hörbaren Zischen auf und über die Schwelle stolperte…

„Captain?“, murmelte Spock irritiert.

Vor ihm riss Jim offensichtlich ertappt den Kopf hoch und blinzelte ihn an.

„Ich nehme an, Sie haben eine Erklärung für Ihr… unorthodoxes Eindringen?“

Die Tür zischte wieder zu und Jim sprang erschrocken einen Schritt zur Seite. Kurz wandte er sich um, als müsste er sich versichern, dass sie tatsächlich nicht belauscht wurden, dann drehte er sich wieder zu Spock um und rieb sich deutlich verlegen mit den Händen über die Jeans.

Überhaupt fand Spock die legere Kleidung des Captains zusätzlich verwirrend, aber er überging das. Es war nicht das erste Mal, dass er ihn so sah, nur das erste Mal, dass Jim in dieser legeren Aufmachung ausgerechnet ihn besuchte.

„Ahm… es tut mir leid“, brachte Jim endlich hervor „Wirklich, Spock, Sie müssen mir glauben. Wenn ich gewusst hätte… Offenbar geht es Ihnen gut, das… ist wirklich schön zu sehen.“

Spock zog eine Augenbraue hoch. „Sie brechen hier ein, um festzustellen, dass es mir gut geht?“

Verlegen lachte Jim auf, wühlte in seinen Haaren und wiegelte dann ab. „Einbrechen ist jetzt schon ein bisschen hoch gegriffen, finden Sie nicht?“

„Wie würden Sie das gewaltsame Eindringen in ein fremdes Quartier unter Zuhilfenahme von…“ sein Blick fiel auf die Plastikkarte, die Jim nervös in den Fingern drehte, „…Spezialwerkzeug umschreiben?“

Jetzt hob Jim peinlich berührte die Karte und steckte sie rasch ein. „Also wirklich, Spezialwerkzeug… das ist meine Schlüsselkarte. Wie auch immer. Ich würde sagen, ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe versucht Sie zu kontaktieren, das ist mir nicht gelungen. Also beschloss ich – naja – nach dem Rechten zu sehen.“

„Ich verstehe“, Spock deutet ein Nicken an. „Wie Sie sehen, ist alles rechtens. Wenn ich Sie dann bitten dürfte, mich alleinzulassen, Captain. Ich habe noch sehr viel…“

„Ich hab die Nachricht auch bekommen, Spock“, unterbrach ihn Jim flüsternd. Hilflos hob er die Hand. „Deshalb bin ich hier…“

„Ich verstehe“, sagte Spock ein weiteres Mal und wich gleichzeitig einen halben Schritt zurück. „Und ich… kann den Hintergedanken Ihres Besuchs auch nachvollziehen, dennoch wäre es nicht nötig gewesen.“

„Ja“, murmelte Jim schwach und senkte den Blick. Es war unmöglich zu sagen, was er jetzt dachte, dennoch glaubte Spock eine gewisse Enttäuschung an ihm wahrzunehmen. Dass er es bemerkte, änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass er nicht wirklich wusste, wie er damit umgehen sollte. Oder er wusste es, scheute sich aber, das in die Tat umzusetzen.

„Ich… weiß nicht, ob er je mit Ihnen über Delta Vega gesprochen hat“, fing Jim nun plötzlich an. „Das…“, er lächelte bitter, „… bitte verzeihen Sie, die Vorstellung, dass ich Sie frage, ob Sie etwas über sich selbst wissen, ist ein wenig paradox.“

„Wir teilten keine Erinnerung“, hielt Spock fest, „wenn es das ist, was Sie meinten.“ Jims scheinbar wahlloses Aufgreifen irgendeiner Situation erschien ihm merkwürdig, aber er nahm es ihn. Immerhin, das war ihm schon klar, hatte Jim Botschafter Spock dort zum ersten Mal getroffen und unter anderen mit seiner Hilfe war er überhaupt erst wieder auf die Enterprise zurückgekehrt. Er hatte mit seinem alten Ich darüber gesprochen, aber Spock war so vage geblieben, wie er selbst es wohl ebenfalls gehandhabt hätte. Es ging ihm einzig und allein darum, Spock in seiner jüngeren Version, möge den Nutzen einer Freundschaft – wie dieser zu Jim – irgendwann schätzen lernen.

Nun, er schätzte Jim. Ähnlich wie bei Nyota, sah er auch bei ihm ein unglaubliches Potenzial, vielleicht mehr, als Jim sich in seinen jungen Jahren bewusst sein konnte. Dennoch, oder gerade deswegen, sah er keinen Grund, solche Dinge vorwegzunehmen. Die Zeit würde es ohnehin bewahrheiten, Jim war ein großartiger und würde ein noch viel besserer Captain werden. Und ja, vielleicht hatte es in der Tat seinerzeit diese kleine Hilfestellung von Botschafter Spock gebraucht. Jetzt aber…

„Nein“, unterbrach Jim seinen Gedankengang. Seine Stimme klang heiser. „Nein, das meinte ich nicht. Er… teilte sie mit mir.“

„Bitte?“ Er musste sich verhört oder Jim schlichtweg falsch verstanden haben. Vielleicht drückte er sich auch nur undeutlich aus, eine höchst anstrengende Eigenart der Menschen, die Dinge nicht im Kern zu erfassen.

„Erinnerungen“, stieß Jim hervor, holte tief Luft und sah ihn nun an. Seine Augen flackerten. „Er teilte seine Erinnerungen mit mir, via… ich weiß nicht wie Sie das nennen, aber es war auf alle Fälle verstörend, wenn ich das so sagen darf.“

Spock betrachtete ihn nachdenklich. „Sie sprechen von einer vulkanischen Gedankenverschmelzung?“

„Ja!“ Jim lächelte unsicher, es verflog sofort wieder. „Ich glaube, das war es.“

Unmöglich! Das konnte einfach nicht sein. Wieso hätte er – Botschafter Spock! – das tun sollen?! Spock atmete langsam aus, seine Gedanken rasten, während er noch einen Schritt näherkam. „Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Captain.“

Unruhig wich Jim jetzt seinem Blick aus, wandte sich sogar halb ab und begann plötzlich im Raum auf und ab zu laufen. Spock drehte sich um und verfolgte sein Tun von seinem Standpunkt aus.

„Ich weiß nicht“, flüsterte Jim endlich. „Ich – ich wollte erklären, warum ich hier bin, aber im Grunde weiß ich es nicht. Es erschien mir richtig, vorhin… nach dieser Nachricht… Ich wusste nicht, ob es Ihnen gut geht und…“ Abrupt wirbelte Jim herum und sah ihn mit großen Augen an.

„Hat man Sie deswegen gestern von der Party weggeholt?“

Spock kniff die Augen zusammen, nickte einmal, schwieg aber. Aus dem einfachen Grund, weil er gar nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Er wollte auch nicht darüber reden, sich dem merkwürdigen Gefühl nicht stellen, das sich so schwer unterdrücken ließ und im Grunde wollte er auch die Eröffnungen, die Jim gerade gemacht hatte, nicht hören. Das waren Dingen, die ihn nichts angingen, die niemals hätten passieren dürfen! Zu der Trauer und dem Unvermögen, ihr wirklich Herr zu werden, gesellte sich jetzt auch noch der Anflug von Wut, den Spock nur mühsam niederzwang.

„Würden Sie-“

„Ja“, murmelte Jim, bevor er aussprechen konnte und nickte vage. Er machte ein paar Schritte zur Tür hin und blieb dann nochmal stehen. Nervös fuhr er sich durch die Haare. „Ihr Verlust tut mir sehr leid, Spock. Ich denke, Sie wissen das, aber ich wollte es dennoch aussprechen. Ich hoffe auch, ich bin Ihnen damit nicht zu nahegetreten.“

Die Worte trafen ihn unvorbereitet. Tatsächlich flammte die Trauer jetzt für eine Sekunde auf und Spock holte bebend Luft, bevor er sich wieder im Griff hatte. Wenn Jim das bemerkt hatte, ließ er sich nichts anmerken, aber er stand immer noch an der Tür, sah ihn an und wartete. Spock wusste nicht worauf. Was wollte er von ihm?

Schließlich kam er doch ein wenig näher, murmelte ein schlichtes „Danke“ und sah Jim an. Sekundenlang heftete sich der Blick aus blauen Augen auf ihn, dann wich Jim aus, aber ein kaum sichtbares Lächeln huschte über sein Gesicht. War das so etwas wie Erleichterung? Auch das konnte Spock schwer einschätzen und dann wurde er ohnehin überrumpelt.

„Ich entschuldige mich im Voraus“, murmelte Jim, machte einen Schritt und bereits im nächsten Moment hatte er die Arme um Spock geschlungen und ihn an sich gezogen.

„Ich betrachtete ihn als Freund“, murmelte Jim außerdem, aber das bekam Spock kaum mehr mit.

Die unerwartete Berührung an sich hätte bereits gereicht, um ihn geringfügig aus der Bahn zu werfen, zumindest in dem instabilen emotionalen Zustand, in dem er sich befand. Aber es war ja nicht nur das. Mit der Berührung fiel er ungebremst in das tiefe Loch, das die Trauer in seine Beherrschung gerissen hatte und die widersprüchlichsten Emotionen schlugen wie Wellen über ihm zusammen. Einen klaren Gedanken zu fassen, war beinahe unmöglich und so schlug sein Geist wild um sich, um sich aus dem Sog zu befreien. Es gelang ihm nicht, denn neben seiner eigenen kalten Dunkelheit, lauerte dort etwas weitaus Verwirrenderes: Die Trauer und der Schmerz eines reellen Verlusts. Es schlug ihm mit solcher Kraft entgegen, dass er nicht einmal die Chance sah, sich zu wehren, hüllte ihn ein, riss an ihm und dann…

… war da gar nichts mehr.

Doch.

Die warme, trostsuchende Umarmung war noch da. Jene, die seinen Körper hielt, und die andere, die sich an sein Bewusstsein schmiegte.

Grob befreite sich Spock aus Jims Umarmung, stieß ihn sogar noch ein Stück von sich und wich dann mit wenigen Schritten in den Raum aus.

„Hinaus“, verlangte er, mit so viel Zurückhaltung, wie ihm noch möglich war.

Jim wirkte mehr als nur verwirrt, machte einen schwankenden Schritt und sah dann auf. Wollte er etwas sagen? Er kam nicht dazu, denn jetzt fegte Spock an ihm vorbei, öffnete die Tür und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er ihn am Arm gepackt und hinausgeworfen.

„Gehen Sie! Auf der Stelle!“

Vielleicht war Jim zu überrascht, denn tatsächlich stolperte er rückwärts über die Schwelle.

Sofort schlug Spock auf die Verriegelung, die Tür schloss sich und er wich schwer atmend davor zurück.

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