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Die Berechnung der Unendlichkeit

von Enem, Melui

3 - Versprechungen

3
Versprechungen



„Wie lange, denkst du, bis die Crew wieder auf den Beinen ist?“, fragte Jim als Leonard aus dem Bad kam. Er lag bäuchlings quer auf dem breiten Bett, mehrere Datentafeln um sich herum verteilt und ein PADD in der Hand, von dem er nicht einmal aufgesehen hatte.

„Kann ich nicht sagen, Jim, und daran ändert sich auch nichts, wenn du mich noch tausendmal fragst.“ Leonard zog sich die weiße Uniformjacke über und griff nach seinen Schuhen, bevor er sich neben Jim aufs Bett hockte, um sie anzuziehen.

„Eine grobe Schätzung würde mir schon reichen, Doktor.“

Er brauchte Jims Augenrollen gar nicht zu sehen, es war deutlich zu hören. Eine Antwort gab er ihm erst, als er beide Schuhe angezogen hatte und Jims auffordernder Blick auf ihm lag. „Einige werden noch Wochen oder Monate brauchen, willst du das wissen? Die, die in absehbarer Zeit wieder arbeiten können oder ihre Verletzungen vollends auf der Enterprise auskurieren können... eine Woche.“

„Wie viele fehlen mir dann?“

„Der Überlebenden?“, fragte Leonard scharf nach und bereute es gleich wieder, als er Jims Zusammenzucken bemerkte. Das war ein wunder Punkt, verständlicherweise, das was Jims Psyche am meisten zu schaffen machte. „Nicht viele. Vielleicht zehn, bei denen ich empfehlen würde, sie für drei bis sechs Monate vom Dienst freizustellen.“

Jim nickte stumm, rührte sich nicht einmal als Leonard leise seufzte und die Hand in seinen Nacken legte. „Du hast mehr gerettet, als jeder andere vermocht hätte.“

„Darum geht es nicht“, antwortete Jim dumpf, das Gesicht in die Decke gepresst, bevor er den Kopf leicht wandte, in Leonards Richtung zwar, aber seinem Blick auswich. Natürlich ging es nicht darum, Jim machte sich dennoch Vorwürfe, in manchen Momenten, wer würde das nicht. Aber gerade fühlte Leonard sich ernsthaft versucht, Spock zu zitieren, das war eine wahrhaft unheimliche Entwicklung. Das Wohl Vieler wiegt schwerer als das Einzelner. Das war nicht, was Jim hören wollte.

„Du hast richtig gehandelt. In jedem Moment.“

Jetzt sah Jim ihn doch an, nur ein schwaches Zucken um die Mundwinkel. „Es macht mir fast Angst, wenn du das sagst. Du hast doch immer was auszusetzen.“

„Oh bitte“, schnaubte Leonard und stand auf. „Ich sage gar nichts mehr.“ Er hielt kurz inne. „Nur das: Es täte dir auch ganz gut, ein oder zwei Monate Pause zu machen. Das können die verehrten Admiräle kaum ablehnen, so oft wie du ihnen den Arsch gerettet hast.“

Jim lachte leise. „Selbst wenn sie es nicht ablehnen könnten, dafür haben wir gar keine Zeit. Ich habe ihnen bereits für die nächste Mission zugesagt. Wir müssen baldmöglichst auf Teenax sein und die diplomatischen Verhandlungen mit diesen kleinen Biestern wieder aufnehmen. Womöglich endet es dieses Mal besser, mit ein bisschen Hilfe von Kevin, man kann ja hoffen. Und danach geht es weiter nach-“

„Du hast was?!“, fuhr Leonard ihm dazwischen, als er endlich verarbeitete, was Jim ihm hier eigentlich so beiläufig hingeworfen hatte. „Baldmöglichst? Was soll das denn heißen?“

„Naja, die Enterprise wird in spätestens zehn Tagen fertiggestellt sein, dann werden wir noch ein paar Tage die Systeme testen... also in spätestens zwei Wochen.“

„Zwei Wochen! Bist du jetzt völlig verrückt geworden?!“ Das war doch wirklich nicht zu fassen.

„Was?!“ Fast schon anklagend sah Jim ihn an. „Was soll das denn auf einmal?“

„Das frage ich dich“, zischte Leonard, die Augen wütend zusammengekniffen. „Das war nicht, was wir abgemacht haben.“

„Du hast gerade gesagt, bis in einer Woche ist die Crew wieder auf den Beinen.“

„Ich habe gesagt, bis dahin sind sie runter von der Krankenstation, nicht dass du sie sofort wieder auf eine Mission jagen kannst. Und das gilt nicht nur für die Verletzten, das gilt für deine gesamte Mannschaft! Verdammt nochmal, Jim – wir haben darüber geredet, direkt nach deinem ersten Versuch mit diesen Mini-Aliens zu verhandeln, und du warst einverstanden. Landurlaub, sagt dir das was?“

Jim setzte sich langsam auf und sah ihn verkniffen an. „Wie nennst du das, was wir gerade machen?“

Für einen Moment machte das Leonard tatsächlich sprachlos – das konnte immerhin unmöglich sein Ernst sein -, dann wurde er wütend. „Wie ich das hier nenne?!“ Er deutete an sich herab. „Arbeit – mitten im All in einer verdammten Schneekugel, die wir gerade erst vor der Zerstörung gerettet haben! Oder was meinst du wo ich hingehe, wenn ich mich jeden Morgen so in Schale werfe? Kein Land und kein Urlaub in Sicht.“

Einen Moment schwieg Jim, dann schnaufte er. „Schon gut, das kriegen wir schon hin. Irgendein Planet wird sich finden, wenn wir-“

„Nicht irgendein Planet“, unterbrach Leonard ihn. „Die Erde.“

„Wir sind auf einer Fünf-Jahres-Mission, es ist nicht vorgesehen, dass wir zur Erde zurückkehren. Deswegen ist es ja eine Fünf-Jahres-Mission.“

„Es ist auch nicht vorgesehen, dass uns unser Schiff unterm Hintern weggeschossen wird“, knurrte Leonard. „Und es ist uns nicht verboten- ach, weißt du was, vergiss es, dafür habe ich jetzt keine Zeit.“

„Oh super“, maulte Jim und richtete sich auf. „Erst fängst du an, dich mit mir zu streiten, dann haust du einfach ab. Was ist denn los, was hab ich dir denn getan?“

„Sagte ich dir bereits“, presste Leonard heraus. Oh er kannte diesen Ton und er machte ihn wahnsinnig. Er bedeutete auch, dass das hier zu einem Streit werden würde, für den er wirklich keine Zeit hatte, wenn er nicht innerhalb der nächsten halben Minute aus diesem Raum verschwand. Seine Selbstbeherrschung war schon dünn und Jim jetzt eindeutig auf Konfrontationskurs.

„Wir können das heute Abend in Ruhe besprechen“, wiegelte er also ab, bevor Jim noch etwas sagen konnte und verließ das Schlafzimmer.

„Was ist dein verdammtes Problem?!“, rief Jim ihm hinterher, sprang hörbar vom Bett und folgte ihm auf dem Fuße. Leonard rollte mit den Augen. „Es geht hier doch wohl nicht nur um ein paar Tage Landurlaub, mein Gott! Denn wenn es das ist, reden wir kurz mit den Teenaxi und legen einen fünftägigen Zwischenstopp bei unseren Fabona-Freunden ein.“

„Ich bin jetzt weg deine Crew zusammenflicken, entschuldige mich bitte.“

„Warum muss es ausgerechnet die Erde sein, das war nie vorgesehen!“

Jetzt fuhr Leonard doch herum, knirschte mit den Zähnen und funkelte ihn wütend an. „Du hast es vergessen oder? Das ist doch nicht zu fassen.“

„Was?!“

„Oder vielleicht hast du es nicht vergessen, sondern willst dich einfach nur darum herumdrücken, wie jedes Mal, wenn dir irgendetwas unangenehm ist. Es ist immer dasselbe. Du hast Angst – oder weiß Gott was du hast! Keinen Bock womöglich nur und es ist dir scheißegal, was ich will. Ich hatte keine ruhige Minute seit wir hier sind und du kriegst es nicht einmal mit.“

„Ich habe keine Ahnung, von was du redest!“, fauchte Jim mittenrein. „Wie wär’s du sprichst so mit mir, dass ich es auch verstehe, reicht doch schon, dass man Spock alles aus der Nase ziehen muss und am Ende mit nichts dasteht!“

„Wir haben kaum noch Zeit für uns, darum geht es“, presste Pille nur unwesentlich ruhiger hervor. Das war immerhin ein Teil der Wahrheit. So ruhig das Leben auf der Enterprise eine Zeitlang vor sich hingeplätschert war, das gab Captain und Chefarzt eher noch mehr zu tun – mit komplexen diplomatischen Missionen einerseits und jeder Menge kleiner Wehwehchen andererseits.

„Vor Krall hast du es selbst noch gespürt: Die unendlichen Weiten sind ein bisschen zu unendlich auf Dauer. Sie brauchen alle eine Pause – ein bisschen Zuhause. Ich weiß nicht, was sich auf einmal für dich geändert hat, ich brauche es jetzt jedenfalls mehr denn je.“

„Ich weiß wieder, wofür ich das hier mache, das hat sich geändert“, fuhr Jim auf.

„Weißt du auch noch, wofür wir Urlaub auf der Erde machen wollten? Wir haben mal darüber geredet. Ich dachte, du würdest Joanna endlich kennenlernen wollen. Sie will dich jedenfalls kennenlernen.“ Es machte ihn schon wieder rasend, wenn er sah, wie Jims Gesichtsausdruck verschlossener wurde. „Sie fragt jedes Mal nach dir.“

„Natürlich will ich sie kennenlernen!“, widersprach Jim heftig, aber nicht ganz glaubhaft. Sicher, zum Teil war es bestimmt wahr, aber Leonard wusste, wie Jim war, wenn er etwas unbedingt wollte, und das gehörte eindeutig nicht in diese Kategorie.

„Ach ja wirklich? Denn es wirkt nicht so. Ist ja nicht das erste Mal, dass du dich darum herumwindest. ‚Ich kann nicht mit Kindern‘. Wovor hast du so eine Angst?! Sie ist meine Tochter, sie ist jetzt schon ganz vernarrt in dich ohne dich je getroffen zu haben-“ Mitten hinein piepste ein Kommunikator. „Du hast überhaupt keinen Grund“, schimpfte Leonard weiter, während er das Gerät vom Nachttisch nahm, „zu befürchten, dass sie dich nicht leiden könnte- ja doch!“, nahm er das Gespräch schließlich an. „McCoy hier.“

Es war Jims Kommunikator, durfte er dann feststellen, aber Jim rauschte gerade an ihm vorbei ins Bad, bevor er ihm noch das Gerät übergeben konnte.

„Captain Kirk ist gerade nicht verfügbar“, gab er knapp an seinen Gesprächspartner weiter. „Kann ich was ausrichten?“

*


Er hatte das Gespräch kaum beendet, als Jim wieder aus dem Bad kam und direkt vor ihm stehenblieb, der Gesichtsausdruck verkniffen, aber auch ein wenig entschuldigend.

„Ich will Joanna kennenlernen“, versicherte er, deutlich ruhiger als noch Minuten zuvor. „Sie ist die wichtigste Person in deinem Leben, natürlich will ich das. Es ist nur-“

„Einen Moment“, unterbrach Leonard ihn. „Das war eine Nachricht für dich.“ Er hob den Kommunikator kurz an, bevor er ihn weglegte. „Vom Hauptquartier weitergeleitet. Spock ist tot.“

„Was?!“ Jim entglitten sämtliche Gesichtszüge. „Das kann gar nicht sein! Willst du mich verarschen? Das ist ein echt schlechter Scherz-“

„Botschafter Spock, nicht unserer“, klärte Leonard rasch auf. „Er war alt, selbst für einen Vulkanier. Das erklärt vermutlich, was mit Spock los war, oder? Ist ganz schön gruselig, von sich selbst zu hören, dass man gestorben ist, oder? Womöglich hat er es gespürt...“ Erst jetzt bemerkte er, wie bleich Jim geworden war, wie mitgenommen er aussah. Stirnrunzelnd musterte Leonard ihn. „Alles klar? Jim?“

„Ja, klar“, murmelte Jim. „Du hast recht, erklärt einiges.“

„Mhm“, machte Leonard zustimmend. „Er ist eben doch nicht so gefühlskalt, wie er gerne wäre.“ Er schwieg einen Moment. Er war Botschafter Spock vielleicht zwei-dreimal begegnet, aber jede davon war eindrucksvoll gewesen, das musste selbst er zugeben. Auch wenn es seltsam gewesen war, sich vorzustellen, dass er ein und dieselbe Person war, wie der Spock, den er kannte – nur älter und in einer etwas anderen Welt aufgewachsen. Leonard war ganz froh, sein zukünftiges Ich nicht kennenlernen zu müssen. Merkwürdig – unvorstellbar – das waren die Worte, die er dafür fand, eine vollkommen und rein menschliche Emotion.

Spocks Wort für seine Gedanken wäre vermutlich: unlogisch. Er schüttelte leicht den Kopf.

„Ich muss zur Arbeit. Du sagst, du würdest Joanna gerne kennenlernen? Dann kriegst du das mit Sicherheit geregelt, Mission zugesagt hin oder her. Und denk dran: Die Crew könnte einen Heimaturlaub gut brauchen. Sogar Spock, nach neustem Kenntnisstand.“

Er bekam keine Antwort, nur ein verzögertes halbes Nicken.

„Hey, Jim“, er schnipste mit den Fingern, „Hörst du mir-“

„Ich muss weg“, sagte Jim und begann in Windeseile sich Schuhe und Jacke anzuziehen. Leonard bekam ihn am Ärmel zu fassen.

„Aber wolltest du dich nicht mit Scotty um 0900 in der Werft treffen?“

Jim hielt inne, fluchte leise. „Ja, stimmt…“, warf er ihm dann hin und riss sich los. „Dafür habe ich jetzt keine Zeit, ich muss zu Spock.“ Er war schon an der Tür.

„Was zum Teufel!“, fauchte Leonard. „Du kannst doch jetzt nicht einfach-“

Immerhin drehte Jim sich noch einmal um, fahrig und durcheinander wie Leonard ihn selten gesehen hatte. Er kam auch nochmal zurück, küsste ihn kurz auf den Mund, was Leonard aus dieser Situation regelrecht verdattert zurückließ. „Wir reden später weiter – heute Abend, versprochen.“ Und damit war er aus der Tür. Gerade war Leonard zu überrascht um noch wütend zu sein.

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