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Blaue Stunde

von werewolf

Kapitel 1

Idahani – Tag, 2374

Skrain Dukat saß auf dem Boden der Arrestzelle des Föderationsschiffes, das Honshu genannt wurde.
Seit Stunden saß er dort unbeweglich und starrte ins Nichts, im dämmerigen Licht der Deckenlampen. Bordnacht.
Er war allein. Allein mit sich und seinen Gedanken.
Ein Außenstehender würde die Art, wie er dort saß, wohl als friedlich bezeichnen. Aber in seinem Inneren tobten die Gedanken und Gefühle, die er selbst nicht einzuordnen vermochte.

Das Dunkel um Skrain herum schien nach ihm zu greifen, mit eisigen Fangarmen wollte es ihn fassen und es würde ihn holen. Das hieß, das musste es nicht. Das hatte es schon.
Das hatte es an dem Tag, als er Ziyal hatte sterben sehen.
Naprem zu verlieren, hatte ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben, Ziyals Tod darüber hinaus.

Seitdem herrschte in seinem Kopf ein wildes Durcheinander von Rationalität, verschiedenen Gefühlen und den Dämonen, die an seinem Verstand zerrten, ihn jeden Tag ein Stück mehr zersetzten.
Trauer und Wut über den Verlust seiner Familie, die er über alles geliebt hatte. Verzweiflung. Einsamkeit. Reue, dass er sie nicht beschützt hatte. Und Angst. Angst vor dem, was mit ihm passierte und was er nicht verhindern konnte.
Die Situation fühlte sich ein wenig so an wie die Berichte von denen, die den Angriff eines Raubtiers überlebt hatten. Sie hatten wohl die ganze Zeit über gewusst, dass es da war, dass es lauerte und auf den Moment wartete, anzugreifen, das Opfer zu packen und zu zerfetzen.
So war es mit dem Wahnsinn auch. Er wusste, dass er da irgendwo im Schatten wartete und dass er selbst nichts dagegen tun konnte, wenn er ihn holte.
Irgendwann schloss er erschöpft die Augen. Sein Zeitgefühl hatte er verloren, denn Zeit war ihm nicht mehr wichtig, seit er allein war. Schlafen konnte er nicht, nicht mehr. Nur dann, wenn sein Körper am Ende war und er förmlich bewusstlos wurde.
Und irgendwann später öffnete er die Augen wieder. Warum, wusste er nicht genau, aber er hatte ein seltsames Gefühl, das ihn dazu brachte.

Zuerst sah er nur das Dämmerlicht, wie sonst auch, aber als er den Kopf zur Seite wendete, traute er seinen Augen nicht.
Naprem.

Er blinzelte ein paar Mal, aber sie saß noch immer neben ihm.

Sie lächelte. „Hallo, Skrain.“
Er konnte nichts sagen, zu überrascht war er, aber offenbar war sie nicht enttäuscht davon.
„Ich freue mich sehr, dich zu sehen. Auch wenn es mir lieber wäre, wenn es dir besser ginge.“
„Ich bin wahnsinnig“, brachte er schließlich heraus, wusste aber selbst nicht, ob er das zu sich oder zu ihr sagte.
„Mag sein, und es tut mir leid, dass du in keiner angenehmeren Position bist, aber mir macht es nichts. Du bist noch immer der Skrain, den ich geheiratet habe und der der Vater meiner Tochter ist.“
Sie rückte etwas näher zu ihm und legte ihre Stirn an seine.

Dass er die Berührung fühlen konnte, wenn es nur eine Halluzination war, wunderte ihn zwar, aber er beschloss, jeden Gedanken daran beiseite zu schieben. Sie war hier, und das war alles, was zählte.

Er legte einen Arm um sie und widerstand dem Impuls, die Augen zu schließen, denn dann wäre sie vielleicht wieder fort.

„Naprem…kann ich dich etwas fragen?“ Inzwischen traute er seiner Stimme wieder.
„Aber natürlich. Was immer du möchtest.“
„Ist…Ziyal auch…bei dir? Wo auch immer das sein mag?“
„Ja. Es geht ihr gut, und ich soll dich sehr herzlich von ihr grüßen.“
Er lächelte, wenn auch nur für einen Moment. „Ist sie wütend auf mich, weil ich sie nicht beschützt habe?“
„Aber nein. Sie weiß, dass du dein Bestes getan hast. Einen besseren Vater hätte sie sich nicht wünschen können, hat sie mal zu mir gesagt.“
„Und…du? Auch dich konnte ich nicht schützen.“
„Skrain, ich wusste von Anfang an, dass es nicht ungefährlich ist, deine Frau zu sein. Du hättest nichts tun können, um zu verhindern, was passiert ist. Aber ich bereue es nicht, dich geheiratet zu haben. Keinen Moment mit dir.“
Er zog sie etwas fester an sich, und sie legte den Kopf auf seine Schulter.
„Ziyal sagte mir, dass du in Wahrheit nicht beim Absturz…gestorben bist“, es kam ihm merkwürdig vor, das zu sagen, wenn er mit ihr sprach, „aber wann genau, wollte sie mir nicht sagen.“
„Möchtest du es wissen?“
Er zögerte kurz. „Ja, wenn es dir nichts ausmacht…“
„Nein, das tut es nicht, aber es ist ein wenig seltsam, darüber zu reden.“
„Das musst du nicht…“
„Es gibt so ziemlich nichts, was ich nicht für dich tun würde. Also…ich habe noch ziemlich genau sechs Tage und elf Stunden gelebt. Das mit den Stunden weiß ich aber auch erst rückblickend. Beim Absturz des Schiffes wurde ich ziemlich schwer verletzt, aber irgendwie habe ich es geschafft, noch fast eine Woche lang körperlich sehr anstrengende Arbeit zu verrichten. Aber dann konnte ich das nicht mehr, ich war einfach zu geschwächt…und das war dann mein Ende.“
„Sie haben dich getötet?“
Sie nickte.
„Das tut mir leid.“ Er meinte es so.
„Du hast dich dafür schon entschuldigt. Und wie gesagt, es ist nicht dein Versagen gewesen.“

Aus einem Impuls heraus krallte er die Finger der rechten Hand fest in seinen Oberschenkel. Der körperliche Schmerz hatte ihm in letzter Zeit schon öfter geholfen, den seelischen zumindest für einen Moment besser zu ertragen. Allerdings hinterließ es auch deutliche Spuren, nach denen ihn der psychologische Gutachter schon gefragt hatte.
Naprem fasste sein Handgelenk. „Skrain, nicht. Das schadet dir mehr, als es nützt.“
Er musste innerlich zugeben, dass sie Recht hatte, und lockerte den Griff wieder.
„Danke.“
Sie strich ihm über den Unterarm.
„Ich kann einfach nicht leben ohne dich, ohne Ziyal. Ihr wart alles für mich.“
„Und ihr für mich. Das wird sich auch nie ändern.“
„Ich bin so einsam“, seine Stimme zeugte mehr und mehr von der Verzweiflung, die er spürte, „egal, wo ich hingehe, man verachtet und hasst mich nur. Ich werde vor Gericht stehen, Kriegsverbrechen. Es gibt niemanden, der mich auch nur wirklich anhört. Es gibt niemanden mehr, für den es sich zu leben lohnt.“ Vor jedem anderen wäre es ihm peinlich gewesen, so zu reden, aber nicht vor ihr. Sie hörte ihm zu, immer, und sie erwartete nicht von ihm, dass er keine Schwächen zeigte oder nie Zweifel hatte.
„Versuch es, Skrain. Gib nicht auf, auch wenn es schwer ist. Und egal, was sie urteilen oder was man über dich denkt, ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du nur getan hast, was du tun musstest. Sie kennen dich nicht, wissen nicht, in welcher Lage du warst. Und egal, was sie tun, ob sie dich in ein Gefangenenlager verbannen oder was auch immer, sie können die Wahrheit nicht ändern. Ich werde zu dir halten, immer.“

Er musste die Frage doch noch stellen, sie ließ ihn einfach nicht in Ruhe. „Warum bist du hier?“
„Weißt du denn nicht, welcher Tag heute ist?“
Er schüttelte den Kopf.
„Der Idahani-Tag. Erinnerst du dich noch, was ich dir darüber erzählt habe?“
Er nickte. ‚Nacht der Toten‘, bedeutete dieser Name. Es hieß, dass man an dieser einen Gelegenheit im Jahr die verlorenen Angehörigen wiedersehen konnte. Fast niemand glaubte wohl noch daran, aber Naprem hatte das immer getan.
Und er jetzt auch.

„Wie viel Zeit habe wir noch?“ Er hatte Angst vor der Antwort.
„Ich weiß nicht, aber ich schätze mal, noch etwas. Zumindest hoffe ich das.“
„Vielleicht sollten wir einfach nicht daran denken“, meinte er, „zumindest gäbe es da eine Möglichkeit.“ Scheinbar beiläufig strich er mit einer Hand an ihrer Seite herunter und ließ sie auf ihrer Hüfte liegen.
„An was du schon wieder denkst“, meinte sie mit einem Grinsen, „aber da widerspreche ich dir in keiner Weise.“

Als er wieder aufwachte, war er wieder allein. Das Erste, was er feststellte. Das Einzige, was für ihn gerade von Bedeutung war, es zu bemerken.
Er hatte nicht geglaubt, sie jemals wieder in den Armen halten zu können, wenn er einschlief.

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit blieb er noch etwas liegen und dachte an alles, was passiert war in der Nacht.

Das Gespräch mit ihr hatte ihm gutgetan, und sie hatte ihm verziehen, dass er weder Ziyal noch sie hatte retten können. Mehr noch, sie hatte ihm versichert, dass es nicht seine Schuld gewesen war. Und sie hielt ihn nicht für einen Verbrecher.
Ihr und Ziyal ging es gut.

Ihr noch einmal wirklich nahe sein zu können, mit Körper und Geist, hatte ihm unglaublich viel bedeutet.

Während er sich wieder anzog und das Bett –eher eine Matratze mit einer Decke- in Ordnung brachte, überlegte er, ob es real gewesen war.
Sie war tot, eine Erkenntnis, die ihn jedes Mal mit Bitterkeit erfüllte, und deshalb konnte sie eigentlich nicht hier gewesen sein.

Aber andererseits konnte er sich nicht vorstellen, dass eine Halluzination so echt sein konnte. Er hatte schon Wahnvorstellungen gehabt, und die hatten sich immer anders angefühlt. Immer hatte er schon dabei bemerkt, dass es nicht der Wirklichkeit entsprach.

Er hatte mit ihr geredet, ihre Berührung gefühlt, sie im Arm gehalten.

Der Gutachter würde sagen, das Gespräch hätte er sich eingebildet, um sein Gewissen zu beruhigen, den Rest, um seinen sexuellen Bedürfnissen nachzukommen.
Vielleicht hätte der Terraner Recht damit, wahrscheinlich sogar, wenn er versuchte, es bei klarem Verstand zu betrachten. Allerdings konnte es niemand wirklich wissen. Der Idahani-Tag war früher ein nicht unwesentlicher Bestandteil der bajoranischen Religion gewesen, viele hatten daran geglaubt. Hatten sie alle geirrt?
Mythen und Legenden gab es wohl in allen Kulturen des unendlichen Universums, und auch wenn die meisten von ihnen sie heute als Aberglaube abtaten, so enthielten sie des Öfteren einen Funken Wahrheit.

Aber was bedeutete es schon, ob es real gewesen war oder nicht? Sie war da gewesen, ob nun nur aus seiner Sicht oder ob andere das bestätigen konnten, spielte eigentlich keine Rolle. Denn wen sonst ging es etwas an?

Er horchte auf, als er ein Gespräch auf dem Gang vor seiner Zelle hörte.

„Captain, ich muss Sie sprechen.“
„Lieutnant Commander Ferres. Was gibt es?“
„Ich bin heute Morgen die Sensorlogbücher der schiffsinternen Überwachung durchgegangen, und da ist mir etwas aufgefallen, das den Arrestzellentrakt betrifft.“

Jetzt wurde es interessant.

„Was genau?“
„Also, es wurden für die Zeit zwischen 0023 und 0534 nicht nur die Lebenszeichen und Energiesignatur einer Person, in der Zelle 01 festgestellt, sondern auch noch eine zweite Signatur. Bei den Lebenszeichen gab es aber keine Änderung.“
„Sie meinen die Zelle von Dukat?“
„Ja. Und ich habe keine Erklärung für die Aufzeichnungen.“
„Vielleicht ein Sensorschatten?“
„Unwahrscheinlich, Sir. In den allermeisten Fällen werden dann auch die Lebenszeichen gespiegelt.“
„Gestern Nachmittag wurden die Computersysteme in einigen Schiffsteilen neu eingestellt. Fragen Sie dort nach, ob es auch die Sensoren für den Arrestzellentrakt betroffen hat.“
„Jawohl, Sir.“

Das erstaunte ihn jetzt wirklich.
Ein weiterer Hinweis dafür, dass es real gewesen war. Außerdem fiel ihm ein, dass ein so verwirrter Geist wie der seine wohl kaum eine so vernünftige und stimmige Halluzination erschaffen konnte.

Aber noch ehe er näher darüber nachdenken konnte, betrat der Gutachter seine Zelle, zusammen mit dem Bordarzt und einem Wachposten.

Wie jeden Tag wurde er zuerst körperlich untersucht. Damit die Scanergebnisse nicht verfälscht wurden und der Psychologe ihn auf weitere Anzeichen ‚autoaggressiven Verhaltens‘, wie es in seiner Akte stand, überprüfen konnte, hatte er sich bis auf die Unterhose zu entkleiden.

Die Gründe dafür waren ihm zwar eigentlich egal, da er es ohnehin nicht ändern konnte, aber es stand so im Protokoll, dass man ihn über solche Maßnahmen umfassend informieren musste.

Der Gutachter warf einen Blick die Stelle an seinem Oberschenkel, die inzwischen durch einen recht heftigen Bluterguss gekennzeichnet war, und notierte sich etwas auf einem PADD.

„Sie können sich wieder anziehen“, der Arzt war offenbar fertig mit den Scans, „aber wenn Sie noch eine Mahlzeit auslassen, müssen wir sie zwangsernähren, das wissen Sie.“ Natürlich wusste er das. Es wurde ihm nicht selten gesagt, denn er verweigerte immer so lange das Essen, bis er kurz davor stand, dass man so mit ihm verfuhr.
Oft legte man ihm das als reinen Widerwillen aus, aber das stimmte nicht. Er konnte einfach nichts essen. Natürlich könnte er das so erklären, aber er tat es nicht. Es ging niemanden etwas an.

Der Bordarzt verließ die Zelle immer so schnell wie möglich, so auch heute.

Der Psychologe setzte sich auf einen der zwei Stühle in dem Raum und bedeutete ihm, auf dem anderen Platz zu nehmen.
„Für Ihre Verletzung habe ich eine drei notiert.“ Es gab eine Skala für selbst zugefügte Verletzungen verschiedener Ursprünge, wobei eine eins den leichtesten und eine fünf den schwersten so zufügbaren Schaden bezeichnete.
Wenn Naprem ihn nicht davon abgehalten hätte, wäre es wohl wieder mindestens eine vier geworden.
„Warum haben Sie das getan?“
Er antwortete nicht.
Der Terraner zuckte die Schultern und begann mit denselben Fragen wie jeden Tag. Bisher hatte er zu fast allen geschwiegen, aber auch die schon beantworteten sollte er immer wieder aufs Neue kommentieren.
„Name?“
„Skrain Dukat.“
„Eltern?“
„Isoar und Meran Dukat.“
„Geschwister?“
„Zwei Brüder.“

So ging es erst mit allgemeinen Fragen los, bevor der Gutachter zu den emotionaleren Themen kam. Diese Fragen hatte er zum größten Teil noch nie beantwortet, fast immer geschwiegen, nur selten die Antwort direkt abgelehnt.

„Warum essen Sie nicht ohne Aufforderung?“
Schweigen. Weil ich nicht kann, dachte er.
„Warum fügen Sie sich selbst Verletzungen zu?“
Wenn Sie in meiner Lage wären, wüssten Sie es.
„Wie beurteilen Sie Ihre psychische Stabilität?“
Wie soll ich die schon beurteilen. Nicht vorhanden.
„Fühlen Sie sich einsam oder isoliert?“
Er musste auflachen. Natürlich. Meine Frau und meine Tochter sind tot und ich werde von allen gehasst. Wer sich da nicht einsam fühlt…
„Was erheitert Sie so an dieser Frage?“
„Ich glaube kaum, dass ich darauf noch antworten muss.“ Die Verachtung schwang in seiner Stimme mit.
„Hören Sie mal, ich kann kein vernünftiges Gutachten schreiben, wenn Sie nicht kooperieren.“
„Ihre Meinung über mich steht doch ohnehin schon fest. Als ob es etwas ändert, wenn ich antworte.“
„Wie Sie meinen, es ist Ihr Prozess.“




Heute war die Befragung besonders ausführlich.
Und die Themen machten es für ihn immer schwieriger, das Gespräch auszuhalten.

„Fühlen Sie Reue für den Tod ihrer Frau und Ihrer Tochter?“
Das geht Sie gar nichts an.
„Sind Sie der Meinung, dass Sie sie hätten retten können?“
Es fiel ihm immer schwerer, zu schweigen.
„Haben Sie Ihre Frau geliebt?“
„Natürlich.“ Sie und Ziyal waren alles für mich. Was meinen Sie, warum es mir jetzt so geht.
„Und umgekehrt?“
„Was soll das heißen?“
„Ob es nicht etwa andere Gründe für sie gegeben hat, Sie zu heiraten. Zum Beispiel, ob Sie sie unter Druck gesetzt haben…“
Als ob ich das fertig gebracht hätte.
„…oder ob sie sich vielleicht Vorteile davon versprochen hat.“
„Reden Sie nicht so über meine Frau.“

Der Terraner notierte sich etwas, bevor er fortfuhr. „Wie stellte sich Ihr Zusammenleben meistens dar? Gab es Konflikte?“
Schweigen.
„Wenn ja, wie haben Sie die gelöst?“
Wie jedes andere Paar auch.
„Sie machen es mir schwer, da nicht näher drauf einzugehen.“
Jetzt reichte es ihm endgültig. „Tue ich das? Ich weiß, dass Sie mich für einen brutalen Schläger halten, der nicht in der Lage ist, Probleme normal zu lösen, Sie denken, ich töte gerne, habe mit meinem Kommando nur Allmachtsfantasien ausgelebt und bin nebenbei auch noch ein Vergewaltiger.“
Er war aufgestanden und lief unruhig im Raum auf und ab.
„Aber Sie wissen nichts über mich. Gar nichts. Sie kennen mich nicht, sondern haben nur Ihre vorgefertigte Meinung. Sie denken, Sie wären ein allwissender Experte, der niemandem Rechenschaft schuldig ist. Dabei trauen Sie sich noch nicht einmal alleine in meine Zelle, obwohl ich gar nichts davon hätte, Sie anzugreifen. Aber wissen Sie was? Es ist mir egal, was Sie von mir denken. Meine Frau hat mir verziehen, und das ist das Einzige, was für mich zählt. Sie liebt mich noch immer und verurteilt mich nicht.“

Am Abend saß er wieder genau an der gleichen Stelle, aber heute schien die Dunkelheit ihn nicht fassen zu wollen. Im Gegenteil, sie blieb sogar auf Abstand, denn an der Stelle, wo Naprem gestern gesessen hatte, war es etwas heller als überall sonst im Raum.

Er blieb die ganze Nacht so, beobachtete die Schatten im Zwielicht und dachte an seine Frau. So sehr er die Zeit, die er gestern mit ihr hatte verbringen dürfen, genossen hatte, so sehr hatte es sein Verlangen danach, sie zurückzubekommen, verstärkt. Natürlich hatte er nicht damit abgeschlossen, wie könnte er das, aber er hatte begonnen, es zu akzeptieren. Und jetzt…

Aber er würde sich nie wünschen, dass sie nicht dagewesen wäre letzte Nacht. Trotz allem war es die einzige schöne Zeit gewesen, die er seit Jahren erlebt hatte.

Nach einigen Stunden war ihm klar, dass er auf ihre Rückkehr wartete. Dabei war das ganz und gar unmöglich, denn gestern war der einzige Tag im Jahr gewesen, wo das ging.

Und während er dort saß und dem gleichmäßigen Summen der Maschinen lauschte, kam der Wahnsinn durch die Tür und holte ihn endgültig.




Idahani-Tag, 2375

Als er im komplett dunklen Quartier auf Empok Nor saß und versuchte, seinen Gedanken auszuweichen, passierte es wieder.

Seine Gedanken, sie machten ihm Angst und er konnte ihnen nicht entkommen, war mit ihnen hier eingesperrt und es gab keinen Ausweg.
Das Dunkel schien zu leben, es hielt ihn fest, es ließ ihn nicht los und es brachte förmlich Gestalten hervor, die ihn zerreißen und vernichten wollten.

Wenn die Gedanken nur aufhören würden…

Er öffnete die Augen, als er eine Berührung an der Schulter spürte.
Er sah zur Seite und bemerkte Naprem, die sich neben ihn gesetzt hatte.
„Jetzt sag nicht, dass du schon wieder vergessen hast, welcher Tag heute ist.“ In ihrer Stimme bemerkte er keinen Vorwurf, im Gegenteil, sie lächelte.
Nur am Rande fragte er sich, wie er sie sehen konnte, wo es doch völlig dunkel war.
„Nein, natürlich nicht.“ Inzwischen verabscheute er den Klang seiner Stimme, selbst daraus schien schon das zu sprechen, was in seinem Inneren vor sich ging.
„Aber?“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du herkommst.“
„Natürlich komme ich zu dir.“ Sie strich ihm über den Oberarm, was ihn vor Schmerz zusammenzucken ließ.
„Ich hatte gehofft, du tust das nicht mehr.“ Wieder kein vorwurfsvoller Ton, nur die Sorge um ihn ließ sich darin erkennen. Wie gut sie ihn kannte.
„Ich habe es auch versucht. Aber es wurde immer schlimmer.“
Sie nickte verständnisvoll und legte ihm einen Arm vorsichtig um die Schultern und den Kopf an seine Halsbeuge. „Geht das so?“
Er bejahte. „Es tut mir leid, was ich in letzter Zeit gesagt und getan habe. Du musst glauben, dass ich dein Volk hasse, immerhin habe ich das immer so dargestellt. Aber das ist nicht so. Es ist nur…“ Er wusste nicht, wie er fortfahren sollte.
„Ich verstehe. Wirklich.“
Sie schwiegen kurz. „Der Gutachter hatte mich tatsächlich mal gefragt, ob ich einsam bin. Da wusste ich echt nicht mehr, was ich antworten sollte.“
Sie lachte kurz. „Das kann ich verstehen. Wo wir gerade bei dem Thema sind: warum bist du hier und nicht irgendwo im Föderationsraum?“
„Ich konnte fliehen, als das Schiff abstürzte.“
Pause.
„Naprem…ich war im Begriff, mich damit abzufinden, dass du…nicht mehr da bist. Und dann bist du wiedergekommen, für die paar Stunden. Seitdem konnte ich nicht mehr aufhören zu hoffen, auch wenn ich wusste, dass es vergeblich ist.“
„Was willst du damit sagen?“
„Gibt…es eine Möglichkeit, dass wir nicht mehr getrennt sind?“ Eine Frage, die ihn Mühe kostete.
Sie schloss kurz die Augen. „Ja, aber ich weiß nicht, ob ich dir dazu raten sollte.“ Pause. „Der Tod ist das Einzige, was dich zu Ziyal und mir bringt. Aber überlege es dir gut. Du könntest noch neunzig oder gar hundert Jahre leben.“
„Wozu sollte ich das?“
„Ich weiß, du siehst keinen Sinn darin, und vielleicht hast du Recht. Aber bedenke, du kannst diesen Entschluss nicht mehr rückgängig machen.“
Er sah sie fest an. „Das ist mir klar.“
„Wenn es wirklich dein Wunsch ist…“ Sie erhob sich, ging ein paar Schritte und streckte die Hand nach ihm aus. „Ich würde mich freuen, wenn wir uns nicht wieder trennen müssen.“
Er stand ebenfalls auf, trat auf sie zu und ergriff ihre Hand.



Name: Skrain Dukat
2320-2375
Todesursache: unklar

So stand es am nächsten Tag im Stationsjournal.

AU: Da Dukat in dieser FF eher gestorben ist, finden die Ereignisse danach (chirurgische Anpassung, Besessenheit durch pah-Geister etc) auch nicht statt. Das wollte ich aber nicht am Anfang schon schreiben, um nicht alle Ereignisse in der FF vorher zu verraten. Danke fürs Lesen :) freue mich über Reviews

LG
werewolf
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