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Geisterstunde

von Oriane

Kapitel 1

Lynna zh’Thels kam von ihrem Rundgang durchs Haus zurück und legte Tricorder und Taschenlampe auf dem Wohnzimmertisch ab. „Alle Fenster und Türen sind gesichert. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Lucy“, sagte sie, während sie der alten Dame, die etwas eingefallen in ihrem Sessel saß, aufbauend zunickte.
„Das ist alles so surreal“, murmelte sie. „Meine eigenen Kinder – Mörder. Und nun sind sie hinter mir her.“
„Wir sind nicht sicher, dass es so ist“, sprach Baqh ihr gut zu. Er lehnte sich vom Sofa hinüber und legte der alten Frau seine Hand auf den Arm. „Meine Kollegin und ich sind hier, um sie vor dem schlimmsten Fall zu bewahren, aber das bedeutet nicht, dass der auch eintreten wird.“
Die beruhigenden Worte des Bolianers schienen die alte Dame tatsächlich zu erreichen. Sie lächelte ihm dankbar zu und richtete sich ein wenig auf. „Ich werde diese Nacht trotzdem nicht schlafen können, ganz abgesehen von meinen Kindern, die versuchen könnten, mich umzubringen.“ Ein Schatten huschte bei diesen Worten über ihr Gesicht. „Es braut sich ein Sturm zusammen und zwar ein heftiger, wenn mich meine alten Knochen nicht täuschen. Der Wind wird ums Haus heulen, als wäre es das letzte, was er je tun wird. Irgendjemand hat dieses alte Haus so entworfen, dass man in Sturmächten sicher keinen Schlaf findet und das hier auf dem platten Land, wo der Wind sowieso schon immer heftig zieht.“
„Baqh und ich werden auf keinen Fall schlafen“, erklärte Lynna der Frau. Dann ließ sich die Andorianerin neben ihrem Kollegen aufs Sofa plumpsen. „Sie sollten aber zumindest versuchen zu schlafen, Lucy. Ein bisschen Ruhe wird Ihnen guttun.“
„Gab es schon einmal jemanden, der versucht hat, Sie umzubringen, Lynna?“, fragte die Frau scheinheilig, als wüsste keiner der beiden Agenten, wovon sie sprach. Bevor Baqh Lynnas andorianisches Temperament zurückhalten konnte, erwiderte sie schnippisch: „Mehrfach. Außerdem bin ich dazu ausgebildet worden zu erkennen, wann Gefahr droht, sonst wäre ich nicht hier.“
„Entschuldigen Sie“, bat Lucy mit resigniertem Blick, „aber ich bin es nicht gewohnt, mich in meinem eigenen Haus verstecken zu müssen.“
Bevor die ganze Sache weiter eskalieren konnte, griff Baqh ein und brachte beide Frauen mit einer strikten Geste zum Schweigen. „Das reicht. Sie können sich immer noch streiten, wenn die Nacht vorbei ist und Agent Hood die Täter gefasst hat.“
Es kam nicht oft vor, dass die Leute nach einer von Baqhs Ermahnungen tatsächlich schwiegen, aber heute schien einer dieser besonderen Tage zu sein.
Lynna und er, beide Agenten der Federation Security, waren abgestellt worden um Lucy Hensley zu beschützen, die ihrerseits Hauptzeugin in dem Mordfall war, den das Team um Mikael Hood gerade bearbeitete. Lucy hatte erst nicht mit der Sprache rausrücken wollen, aus Angst, ihr könnte etwas zustoßen. Als sie es dann doch getan hatte, ließen die Morddrohungen nicht lang auf sich warten, also hatte Mikael beschlossen, Lucy beschützen zu lassen. Dass sie so gleichzeitig zum Köder für die Mörder, genauer gesagt, ihre eigenen Kinder wurde, die leider immer noch auf freiem Fuß waren, hatten ihr die Agenten wohlweißlich verschwiegen und sie schien auch nichts zu ahnen. Angst hatte sie sowieso schon.
„Wissen Sie was?“ Die alte Dame kletterte aus ihrem Sessel, wesentlich zuversichtlicher als noch vor ein paar Minuten. „Ich werde uns jetzt eine schöne Kanne Tee kochen. Und da wir alle drei diese Nacht sowieso nicht schlafen können, soll uns nicht langweilig werden, nicht wahr? Ich weiß schon, was wir machen. Ganz abgesehen davon, dass ich nicht über meine Kinder nachdenken möchte.“
Die beiden Agenten warfen sich einen ratlosen Blick zu. Dann stand Baqh auf, um Lucy in die Küche zu folgen. Sie kramte in einem Schrank über dem Herd, bis sie einen großen, hölzernen Kasten zu fassen bekam. Mit zufriedenem Gesicht öffnete sie ihn und ein wohliger, würziger Geruch strömte Baqh in die Nase. „Das riecht herrlich!“, gab er zu und erntete ein verschmitztes Lächeln von Lucy.
„Meine Spezialmischung für solche Nächte. Seien Sie so gut und holen Sie drei Tassen aus dem Schrank dort drüben, ja?“
Baqh tat, wie ihm geheißen, während die alte Dame den Replikator um eine Kanne heißes Wasser bat. Bedächtig gab sie die Teeblätter in einen Filter und hängte ihn in die Kanne. Sofort wurde der würzige Geruch verstärkt. Die beiden kehrten ins Wohnzimmer zurück, wo Lynna angestrengt in die Dunkelheit starrte.
„Hast du etwas gesehen?“, fragte Baqh, aber die Andorianerin schüttelte den Kopf. „Ich habe es mir wahrscheinlich nur eingebildet. Der Wind ist stärker geworden, hörst du? Er heult schon ums Haus.“
„Beste Voraussetzungen!“, freute sich Lucy. Sie ließ sich zurück in den Sessel plumpsen und rieb sich die Hände.
„Beste Voraussetzungen wofür?“, fragte Lynna irritiert. Entweder hatte Lucy ein Talent dafür, unangenehme Gedanken in den Hinterkopf zu verbannen, oder sie steckte tiefer in der Geschichte mit drin, als sie zugab. Anders konnte sie sich nicht erklären, wo Lucys plötzliche Vorfreude herkam.
Die alte Dame senkte die Stimme zu einem Raunen. „Für eine Gruselgeschichte.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Information im Gehirn der Andorianerin angekommen war und sie hatte Mühe, Baqhs begeistertes, rundes Gesicht zu ignorieren. „Ist das Ihr Ernst?“
„Aber ja! Es gibt nichts Schöneres als sich in einer Sturmnacht gemeinsam zu gruseln. Mit meinen Kindern habe ich das oft gemacht, selbst als sie schon erwachsen waren. Reden Sie sich also nicht damit heraus, dass Sie zu alt für so etwas wären.“
Lynna sah die alte Dame an, als wäre diese verrückt geworden. „Sie werden in Ihrem eigenen Haus beschützt, weil ihre vier Kinder auf die Idee kommen könnten, Sie umzubringen und Sie wollen uns allen Ernstes Gruselgeschichten erzählen?“
Lucy nickte, als würde sie nichts davon auch nur im Entferntesten merkwürdig finden. „Ganz genau.“
„Also ich finde die Idee großartig. Meine Großmutter hat und auch immer Gruselgeschichten erzählt, wenn bei Familienfeiern alle ihre Enkel beisammen waren. Es war der Höhepunkt für uns Kinder. Ich weiß nicht, ob sich bolianische und irdische Gruselgeschichten groß unterscheiden, aber ich würde gerne eine Geschichte von der Erde hören.“
„Das glaube ich jetzt nicht“, murmelte Lynna entsetzt. „Baqh, wir sind hier um aufmerksam zu sein. Eine Geschichte wird uns nur ablenken.“
„Oh, keine Sorge, ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, bei der Sie schnell sehr wachsam werden, was Ihre Umgebung angeht.“ Die alte Lady lächelte verschmitzt.
„Das ist doch lächerlich“, widersprach Lynna, verschränkte die Arme, merkte aber, dass sie wenig dagegen tun konnte, dass Baqh die Idee liebte. „Aber von mir aus, erzählen Sie Ihre Geistergeschichte, wenn es Ihnen Freude macht. Aber seien Sie mir nicht böse, wenn ich nicht zuhöre, sondern meine Arbeit mache.“
Mit wissendem Blick schenkte Lucy allen dreien eine Tasse Tee ein. „Ich werde Sie zu nichts zwingen, Lynna. Tun Sie, was Sie für richtig halten, aber nehmen Sie doch einen Schluck Tee. Oder lenkt Sie das auch zu sehr von Ihrer Arbeit ab?“
Die Andorianerin seufzte. „Nein.“ Dann probierte sie einen Schluck. Das Getränk war ihr entschieden zu heiß und verbrannte beinahe ihre empfindliche Zunge, aber das Aroma war wirklich nicht schlecht. Sie würde den Tee etwas stehen lassen, bis er auf Zimmertemperatur abgekühlt war. Dann war er zwar immer noch sehr viel wärmer als alles, was sie von Andoria kannte, aber immerhin trinkbar. Baqh schloss die Hände um seine warme Tasse und lehnte sich zurück. Lucy nahm ebenfalls einen Schluck Tee, stellte ihre Tasse aber wieder ab und begann ihre Geschichte.

Wir befinden uns in einem alten Haus. Ein richtig altes Haus, mit knarzenden Dielen, Wendeltreppen und Geheimgängen hinter Wandteppichen. Es ist das Herrenhaus einer alten englischen Adelsfamilie und steht weit draußen im Wald, ein paar Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Die Vorfahren der Familie haben einen Burggraben um das Haus gezogen und nachts wird noch immer aus alter Tradition das Tor geschlossen und die Brücke hochgezogen. Aber die Familie, die das alte Haus bewohnt, verlässt es sowieso nur noch selten über die herkömmlichen Wege. Sie haben das Haus modernisier und einen Transporter eingebaut, den sie fast ausschließlich benutzen.
Eines Abends sitzen sie beim Abendessen, sie lachen und scherzen und sind glücklich, dass sie beisammen sind. Nur die jüngste ist merkwürdig still. Immer wieder schielt sie durch die großen Fenster nach draußen und lässt die Zimmertür nicht aus den Augen.
Nach einer Weile bemerkt die Mutter, dass etwas mit ihrer Jüngsten nicht stimmt und als sie nachfragt, antwortet das Mädchen, es würde auf einen bösen Geist warten.
Es war eine Nacht wie diese, ungemütlich und stürmisch, aber der Esstisch war gemütlich mit Kerzen beleuchtet und hinter den dicken Mauern fühlte die Familie sich sicher. Die Mutter versucht ihre Tochter zu beruhigen, erklärt ihr, dass die Geister keinen Weg ins Haus finden würden und dass der Wind viel zu stark sei, sodass sie weggeweht würden. Aber es hilft nicht viel, das Mädchen schaut sich noch immer ängstlich um.


Mit einem glücklichen Grinsen umfasste Baqh seine Tasse fester. Das versprach eine herrlich gruselige Geschichte zu werden. Lucy hatte eine wunderbare Erzählerstimme und so wie sie in ihrem Sessel saß, zurückgelehnt, die Hände im Schoß und ein geheimnisvolles Lächeln aufgesetzt, hätte der Bolianer sie am liebsten sofort als Großmutter adoptiert.
Lynna dagegen saß aufrecht und ließ den Blick immer wieder langsam durchs Zimmer schweifen, kontrollierte den Tricorder, der aufgeklappt auf dem Tisch lag und schielte dann und wann skeptisch zu Lucy hinüber.

Irgendwann wird es den älteren Geschwistern zu bunt mit dem kleinen Mädchen und sie beschließen, es ein wenig zu ärgern.
„Wie ist er so, der Geist?“, fragen sie.
„Eigentlich ist er lieb“, antwortet sie mit vollem Ernst. „Aber ihm sind schreckliche Dinge zugestoßen, die er in Ordnung bringen will. Deshalb nimmt er von Menschen Besitz und bringt sie um.“
Verständlicherweise ist die Mutter entsetzt über die Fantasien ihrer Tochter. „Woher hast du diese Geschichte? Haben deine Brüder sie dir erzählt?“, fragt sie und schielt ärgerlich zu den drei Jungen.
„Nein, der Geist hat sie mir erzählt. Er sagte auch, dass es ihm sehr leidtut, dass er aber keine Wahl hat. Er wird heute hierherkommen und die Geister des Hauses wecken. Und dann werden wir sterben.“

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