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Geisterstunde

von Oriane

Kapitel 2

„Das ist doch nicht wahr, mein Schatz, es ist nur eine Geschichte. Hast du sie vielleicht in der Schule gehört? Du brauchst jedenfalls keine Angst zu haben, wir sind alle hier und beschützen dich“, redet die Mutter ihrer Tochter gut zu, aber es hilft nicht. Noch immer wandern die Augen des Kindes ängstlich umher.
„Er hat gesagt, er kommt her sobald es dunkel ist.“
„Aber es ist doch schon lange dunkel draußen“, meint einer ihrer Brüder spöttisch. „Dein Geist verspätet sich wohl.“
Die Mutter ermahnt ihn und wirft ihrem Mann hilfesuchende Blicke zu. „Hier drinnen ist es hell“, sagt er und lächelt seiner Tochter zu. „Wir werden heute Nacht ein Licht in deinem Zimmer anlassen, in Ordnung?“
Das Mädchen schüttelt den Kopf. „Das bringt nichts.“
Plötzlich weiten sich ihre Augen angstvoll und sie sieht zum Fenster. „Es tut mir leid!“, ruft sie mit ihrer hellen Kinderstimme. Der Wind heult auf, es gibt einen lauten Knall! Und Plötzlich wird der große Raum nur noch von flackerndem Kerzenschein erleuchtet. Alles elektrische Licht ist aus.


Lynna ertappte Baqh, wie er zusammengezuckt war, als Lucy ihre Stimme erhoben und von dem Wind und dem Knall erzählt hatte. Mit großen Augen starrte der Bolianer die alte Dame an, die verschmitzt vor sich hinlächelte. Was Lynna aber viel mehr störte, war die Tatsache, dass sie der Geschichte genauso verfallen war, wie ihr Kollege. Zwar versuchte sie so zu tun, als würde sie nur mit halbem Ohr zuhören, doch Lucys Stimme zog sie magisch an. Dazu kam, dass sie mit einer lebhaften Fantasie gesegnet war und so sah sie die Familie genau vor sich, das kleine Mädchen am Kopfende des Tisches, die Blicke der anderen teils sorgenvoll, teils ungläubig und belustigt auf sie gerichtet. Und das Mädchen, wie es keinen der Blicke erwidert, sondern stur mit großen Augen nach draußen oder zur Tür starrt.
Sie musste zugeben, dass es eine gute Gruselgeschichte war, die Lucy sich da ausgedacht hatte. Die alte Dame griff nach ihrer Tasse und nahm noch einen großen Schluck daraus. Baqh atmete tief durch. Lucy schenkte ihm ein amüsiertes Lächeln. „Es ist schön, oder? Ich habe nie verstanden, was den Reiz am Gruseln ausmacht, aber eigentlich ist es auch egal.“
„Es ist das Zusammenspiel von Angst und der Gewissheit, dass wir sicher sind“, antwortete Baqh. „Ich habe mich ein bisschen damit beschäftigt.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Lucy interessiert.
„Im einen Moment gruseln wir uns und in der nächsten Sekunde wissen wir wieder, dass wir sicher auf dem Sofa sitzen. Gleichzeitig können die meisten humanoiden Spezies diese Gefühle nicht empfinden, also ist es der schnelle Wechsel dazwischen. Das ist zumindest meine Theorie.“
„Das klingt sehr analytisch.“ Die Erklärung schien Lucy nicht zu gefallen.
Baqh zuckte mit den Schultern. „So denke ich nunmal. Aber das bedeutet nicht, dass ich das Gruseln verlernt habe.“
Klack! Wie auf ein Stichwort, wurde es plötzlich stockduster im Wohnzimmer. Erschrocken riss Baqh die Augen auf und sah sich wild im. Kein Schemen war mehr zu erkennen und erst, nachdem alle drei einige Sekunden bewegungslos dagesessen hatten, atmete jemand tief durch. „Man könnte meinen, der Sturm hätte der Geschichte zugehört“, lachte Lucy leise. „Meine Güte, mir ist das Herz stehen geblieben.“
Man hörte ein Rascheln und dann das leise Geräusch von Metall auf Metall. Kurz darauf flammte helles weißes Licht auf, sodass Baqh die Augen erschrocken wieder zukniff. Insgeheim ärgerte er sich, dass er nicht darauf gekommen war, seine Taschenlampe auszupacken. Stattdessen leuchtete Lynna nun systematisch den Raum ab. Der Bolianer konnte ihr Gesicht nicht richtig sehen, aber die Schemen, die er wahrnahm, sahen alarmiert aus. Auch Lucy schien es bemerkt zu haben. „Keine Panik, Lynna, das passiert öfter wenn es stürmt“, sagte sie und schälte sich aus ihrem Sessel. Im Dunkeln tappte sie vorsichtig hinüber zu der Kommode hinter sich. Sobald sie sich bewegte, war Lynna trotz ihrer beruhigenden Worte aufgesprungen und beobachtete mit ihrer Taschenlampe jeden Handgriff der alten Dame. Auch Baqh hatte jetzt seine Taschenlampe angemacht und leuchtete ein wenig in der Gegend umher, nur um etwas Sinnvolles zu tun zu haben. „Irgendwo hier müssten doch noch…ahja!“ Lucy zog drei dicke Kerzen und ein Feuerzeug hervor, kam zurück zum Tisch und binnen weniger Sekunden war das Wohnzimmer schwach von drei kleinen, flackernden Flammen erhellt. Normalerweise hätte Baqh es als gemütlich empfunden, aber die Geschichte hinterließ bereits einen faden Geschmack. Er deaktivierte seine Taschenlampe und Lucy setzte sich wieder, aber Lynna ließ der kleine Zwischenfall keine Ruhe.
„Wollen Sie nicht beim Sicherungskasten nachsehen?“, fragte sie, während sie angestrengt aus der großen Fensterfront in die Dunkelheit starrte. Der Wind heulte wieder auf.
„Der ist vollkommen automatisiert und sollte sich in ein paar Minuten selbst diagnostiziert und wenn nötig repariert haben. Außerdem passen die Kerzen so schön zur Stimmung.“
„Muss ich sie daran erinnern, warum wir hier sind?“, fragte Lynna und hatte Mühe, nicht zu entgeistert zu klingen. „Wenn ich Sie wäre, würde ich mich bei elektrischem Licht sehr viel wohler fühlen. Außerdem behindert das Kerzenlicht Baqh und mich bei der Aufgabe, Sie zu beschützen, Lucy!“
„Es scheint, als hätten Sie mehr Angst, als ich, meine Liebe“, antwortete Lucy mit ruhiger, konzentrierter Miene. Lynna erkannte, dass sie sehr wohl eine Heidenangst hatte und nur gut darin war, sie zu verstecken. Äußerlich war sie die Ruhe in Person, aber die Art, wie sie die Schultern verkrampft hielt und sich nicht traute, sich umzusehen, war auf den zweiten Blick doch relativ offensichtlich.
„Entschuldigen Sie“, sagte Lynna. Dann straffte sie die Schultern und versuchte, die begonnene Geistergeschichte aus ihrem Kopf zu vertreiben, um wieder in einen analytischen Modus zu gelangen. „Ich würde gerne einen Rundgang durchs Haus machen“, erklärte sie. „Nur um sicher zu gehen. Baqh, du bleibst mit Lucy hier und lässt einen Kanal zu mir offen. Ich werde mich durch alle Räume arbeiten und auch bei den Sicherungen vorbeischauen. Vielleicht kann ich das Licht doch wieder in Gang bringen.“
Ihre entschlossene Haltung beruhigte Baqh zusehends, sodass er ebenfalls seine Agentenader wiederfand. Er nickte, streckte den Rücken durch und aktivierte seinen Kommunikator. Auch die Taschenlampe schaltete er wieder ein. Die unheimliche Anspannung wich einer Arbeitsspannung. Dann verließ Lynna das Wohnzimmer, in einer Hand die Taschenlampe, die andere am Phaser an ihrem Gürtel.

Es dauerte etwa zwanzig Minuten bis Lynna zurückkam. Baqh und Lucy hatten nicht viel gesprochen. Der Bolianer wollte es sich zur Aufgabe machen, die alte Dame zu beruhigen, aber wenn er ehrlich war, lief es eher andersherum. In kurzer Zeit hatte Lucy ihn offensichtlich ins Herz geschlossen, sodass er sich ein wenig fühlte, wie ihr jüngster Sohn. Dann dachte er daran, dass ihre vier Kinder drauf und dran waren, ihre Mutter zu töten und ihm wurde schlecht bei seinen Gedankengängen. Die alte Dame war eine so freundliche, gemütliche und fürsorgliche Person! Was hatte sie in der Erziehung ihrer Kinder nur verbockt?
„Alles ruhig“, antwortete Lynna auf die fragenden Blicke der beiden. „Wahrscheinlich war es wirklich nur der Sturm.“
„Das Licht?“, fragte Baqh.
„Lucy hatte recht, da kann man nur warten, bis die Diagnose abgeschlossen ist. Die läuft aber schon. Dürfte nicht mehr lange dauern.“
Die drei verfielen einige Minuten in Schweigen. Die Kerzen flackerten, warfen tiefe Schatten und Baqh ertappte sich dabei, wie er immer wieder mit der Taschenlampe hineinleuchtete, um die Schatten zu vertreiben. Irgendwann wurde es Lynna zu bunt. Sie legte eine Hand auf Baqhs, in der er die Lampe hielt, um ihn davon abzuhalten, weiter mit ihr herumzuwedeln und warf ihm einen strengen Blick zu. Er verstand den Wink und schaltete ihn ab.
„Lucy, wie wäre es, wenn Sie mit der Geschichte weitermachen?“, schlug sie dann vor. Die alte Dame wirkte erleichtert.
„Gerne. Stumm hier bei Kerzenlicht zu sitzen ist noch schlimmer als mit einer Gruselgeschichte im Dunkeln.“

„Das ist aber ein Sturm“, bemerkt die Mutter und blickt besorgt nach draußen, aber nicht wegen eventueller Geister, sondern eher wegen ihrer Blumenbeete. „Ich werde nach den Sicherungen sehen.“ Der Vater steht vom Tisch auf. Niemand widerspricht ihm.
„Waren das etwa deine Geister?“ Einer der Jungs grinste böse zu seiner kleinen Schwester hinüber, die jetzt nicht mehr ängstlich, sondern ernst aussieht. Sie nickt langsam. Die Sicherheit des Mädchens macht nun auch die anderen nervös, obwohl sie es nicht zugeben wollen. Schweigend warten sie auf die Rückkehr des Vaters. Aber er kommt nicht wieder.
„Da!“, ruft plötzlich der jüngere Bruder und zeigt erschrocken auf eine dunkle Ecke des Raumes. „Die Schatten bewegen sich.“
„Natürlich bewegen sie sich! Die Kerzen flackern schließlich“, schnauzt der Ältere den Jüngeren an.
„Das war kein Kerzenflackern! Sieh doch hin, da ist der Schatten eines Menschen!“
Ängstlich sieht die ganze Familie zur Wand. Tatsächlich! Die Gestalt eines Mannes bewegt sich langsam an der vertäfelten Wand auf und ab. Hektisch winkt sie mit den Armen.
„Vater will, dass wir uns in Sicherheit bringen“, erklärt das kleine Mädchen ruhig. Sie ist die einzige, die nicht vor Angst erstarrt ist. „Aber es wird nicht helfen.“
Die Mutter ruft nach dem Vater, es kommt keine Antwort, nur das Winken der Gestalt wird heftiger.
„Seht, jetzt sind sie vor den Fenstern.“ Die kleine klingt merkwürdig befriedigt, fast schon gehässig. Vor den großen Fenstern tanzen die Schatten. Der Sturm heult dazu und es scheint, als würde sich alles zu einer eigenartigen, untoten Melodie zusammenfügen. Die Mutter springt auf und scharrt ihre Kinder um sich. Von allen Seiten bewegen sich jetzt die Schatten an den Wänden, dann springen mit einem Knall die Fenster auf. Einer der Jungen lässt einen spitzen Schrei los. Das Heulen wird augenblicklich lauter, der Wind peitscht den Regen hinein und binnen weniger Sekunden sind die Kerzen ausgeblasen. Das letzte Licht ist erloschen. In Panik klammert sich die Familie aneinander, nur das Mädchen steht entspannt in der Mitte des Raumes und begrüßt die Geister. Sie kann nicht anders. Überall treten die Schatten aus den Wänden, heulen und klagen nach Erlösung, versuchen die Familie mit ihren kalten Fingern anzufassen. Plötzlich erhellt wieder ein Licht den Raum, aber es kommt nicht von einer rettenden Lampe, sondern aus den Augen des kleinen Mädchens. Ein letztes Mal ruft sie mit kindlicher Stimme: „Es tut mir leid!“ Dann verzerrt sich ihr Gesicht zu bösartigen Zügen.
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