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Dämmerung

von Laurie

Kapitel 1

Über dem Gipfel des Berges Seleya ging die Sonne unter. Orangerote Schlieren färbten den Himmel in leuchtenden Farben und das vereinzelte Schreien der Vögel wurde bis weit über die Grenzen des heiligen Ortes hinausgetragen. Die Szenerie war beeindruckend, die Atmosphäre in ihrer unberührten Stille beruhigend, und dennoch ... Saavik fühlte sich unbehaglich. Unbehaglich genug, um sich dieses trügerische Gefühl einzugestehen.

Sie stand am Fuß der Treppen, die zum Tempel hinaufführten, und blickte in die Ferne. Unter ihr erstreckte sich der Planet, eine endlose Fläche aus Sand und felsigen Erhebungen, von der Dämmerung mit rötlichem Licht übergossen. Gleichzeitig unbekannt und vertraut, einschüchternd und sicher, Heimat ... und dennoch.

Ein leichter Wind spielte mit einzelnen ihrer Haarsträhnen, und sie ertappte sich dabei, wie sie dieses Gefühl als angenehm empfand. Sie trug ihr Haar mit Bedacht offen; sie hatte es schon immer gemocht, wenn der Wind mit sanften Fingern über ihre Haut strich und an ihren Locken zupfte, selbst damals auf Hellguard schon. Verräterische Empfindungen ...

Das halbwilde, verunsicherte Kind von damals war verschwunden, doch etwas von ihm würde immer in ihrem Herzen weiterleben, das wusste Saavik. Sie hatte sich den Lehren Suraks geöffnet, aber der andere Teil von ihr, der nicht vulkanische, würde sich nie ganz ausradieren lassen.

Sie war nie so gut wie Spock darin gewesen, diesen anderen Teil zu verstecken. Spock ... wie von selbst wandten sich ihre Gedanken ihm zu; sie hatte an kaum etwas anderes denken können, seit ... seit. Seit allem.

Die Erinnerungen hätten nicht wehtun sollen, aber sie taten es trotzdem.

Kobayashi Maru. Khan.

Zwei akkurate Reihen aus förmlich gekleideten Mitgliedern der Sternenflotte mit ernsten Mienen, zwischen ihnen ein schlichter, schwarzer Sarg.

Das Zittern in James Kirks Stimme, das die Trauer, die er über den alles verschlingenden Verlust empfinden musste, nicht einmal ansatzweise wiedergeben konnte.
„Von allen Seelen, die mir je auf meinen Reisen begegneten, war seine die ... menschlichste.“

Die Tränen in Saaviks Augen, heiß, beschämend und sich zugleich so richtig anfühlend, dass sie sich nicht die Mühe gab, sie zurückzuhalten.

Amazing Grace. Die Reise zurück zur Erde.

„Er ist nicht wirklich tot, solange wir uns an ihn erinnern.“

USS Grissom. Captain Esteban.

David. Seinem Vater so ähnlich, so menschlich. So illusorisch.

Genesis.

Ein leerer Sarg. Kälte. Ein vulkanischer Junge, nackt, verstört, unwissend. Schutzlos, bedürftig, genauso, wie sie es gewesen war, damals.

Spock und zugleich doch nicht Spock ... seine Augen leer und verständnislos, seine Emotionen ein unentwirrbares Durcheinander aus Furcht und Verlorenheit.

Erdbeben, Feuer. Das Stöhnen des sterbenden Planeten um sie herum, überall.

Spock. Der Schmerz in seinen Augen, die Wildheit, das vorsichtige Vertrauen.

Pon Farr.

David.

Klingonen.

Admiral Kirks Stimme, verzerrt durch den Kommunikator, voller hilfloser Wut und Trauer, als sie ihm die Wahrheit überbringen musste.
„David ist tot.“

Spock, immer wieder er. Eine leere Hülle ohne Geist.

Klingonischer Bird-of-Prey. Gestank, unverständliche Schriftzeichen an den Wänden und an den Schalttafeln.

Krankenstation. Doktor McCoy, der mit dem Rücken an Spocks Bett gelehnt auf dem Boden saß, die Hände gegen die Schläfen presste und murmelte: „Dieses verdammte, grünblütige Spitzohr bringt mich um.“

Vulkan. Sarek, T’Lar.

„Ich wähle die Gefahr.“

Fal-Tor-Pan. Warten und Hoffen, gegen besseres Wissen.

Und dann ... Spock, natürlich. Nicht mehr nur die leere Hülle, aber noch lange nicht der, den sie gekannt hatte. Noch lange nicht ihr Ausbilder, ihr Mentor, der geholfen hatte, sie zu der Person zu formen, die sie war.

Die verzweifelte Hoffnung und schließlich die übermächtige Erleichterung auf Kirks Gesicht, als Spock innehielt und sich zu ihm umwandte, versuchte, sich zu erinnern.
„Jim. Ihr Name ist Jim.
„Ja.“

Wiedersehen. Eingehüllt in menschliche Freude. Lächeln, die Saaviks Seele erreichten. Spock, umgeben von Menschen, die alles gegeben, alles riskiert und hinter sich gelassen hatten, um ihn zurückzuholen. Spock ... immer wieder und wieder Spock.


Saavik erschauderte, und diese ungewöhnliche physische Reaktion ließ sich nicht nur auf den kühlen Wind zurückführen. Gewaltsam versuchte sie, die Erinnerungen in ihr sicheres Verlies im hintersten Winkel ihres Gehirns zurückzudrängen. Sie war Vulkanierin, sie hatte die Lehren Suraks umarmt, sie ließ sich von nichts als der Logik leiten.

Logik. Die Romulanerin in ihr wollte lachen, amüsiert und bitter zugleich, doch die Vulkanierin gebot ihr Einhalt. Er würde vorübergehen, der momentane Zustand des Unwohlseins, der Kampf zwischen den beiden Extremen ihres Wesens. Vor langer Zeit hatte die Logik sie aufgefangen, als sie kurz davor gewesen war, sich in diesem Kampf selbst zu zerstören, und seitdem hatte sie sich immer auf sie verlassen können. Nun ja, zumindest fast immer. David war eine Ausnahme gewesen, und Spock ... Spock hätte verstanden, und er hätte ihr den richtigen Weg aufzeigen können, wie so oft. Spock ...

Sie hatte sich ihm so nahe gefühlt, selbst vor dem Pon Farr schon. Und nun ... nun –
Er hatte sie kaum angesehen, dort am Fuß des Tempels. Jeden seiner Gefährten hatte er intensiv betrachtet, jedes Mal war Erkennen in seinen Augen aufgeflackert, doch über sie war sein Blick kaum mehr als gleichgültig hinweggeglitten.

„Er braucht Zeit“, hatte Sarek gesagt, und Saavik wusste es. Es war nur logisch, dass es Spock leichter fiel, das Band mit seinen Kameraden, die er so viel länger kannte als Saavik, wieder zu knüpfen, als dasselbe mit ihr zu tun. Dennoch ...

Es würde vorübergehen, auch das wusste sie. Es wird vorübergehen, Saavikam, hörst du?

Saavik schlang die Arme um den Oberkörper, als könnte das etwas an der stetig zunehmenden Spannung in ihrem Inneren ändern. Sie sehnte sich danach, mit jemandem über ihre Gedanken zu sprechen; zwar wollte sie niemandem direkten Einblick in die zerklüftete Landschaft ihrer Empfindungen geben, die so anders aufgebaut war als die der wahren Vulkanier, sondern es hätte ihr schon gereicht, diese Gefühle wenigstens zu verstehen.

Sie zögerte, ließ den Blick ein weiteres Mal über ihre Umgebung gleiten und fasste endlich einen Entschluss. Das dumpfe Brüten, dem sie sich den ganzen Tag über hingegeben hatte, half nichts, und auch ihre Meditationen bewirkten keine Besserung. Wenn selbst die Logik nicht weiterhalf ... dann gab es nur noch einen möglichen Weg. Amanda.

Amanda würde sie verstehen, und sie wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sofort bereit dazu, Saavik bei der beschwerlichen Reise durch ihre Gefühlslandschaft zu helfen. Ihr unter die Arme greifen, wenn sie stolperte, ihr einen Kompass geben, wenn sie die Richtung verlor ... sofern Saavik ihren Stolz hinunterschlucken und es über sich bringen könnte, sie darum zu bitten.

Sie wägte noch die verschiedenen Optionen gegeneinander ab – Kontrolle gegen Vertrauen, Einsamkeit gegen Gemeinschaft, Vulkanierin gegen Romulanerin –, als sie in ihren Berechnungen gestört wurde. Leise Schritte näherten sich von hinten, und Saavik musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, zu wem diese Schritte gehörten. Kein Vulkanier, sondern ein Mensch, ein Mitglied ihrer improvisierten Crew. Sie erkannte sie alle an ihrem Gang, konnte alle voneinander unterscheiden, und sie wandte selbst dann nicht den Kopf, als der Mann in gerade ausreichendem Abstand zu ihr stehenblieb.

Sie konnte Leonard McCoy atmen hören, aber entgegen ihrer Erwartungen schien er sich nicht dazu genötigt fühlen, sich dem unnötigen menschlichen Bedürfnis nach leicht dahinplätschernden Gesprächen hinzugeben. Er stand einfach nur neben ihr und schwieg, und sie selbst sah keinen Grund dazu, die Stille zu unterbrechen.

Es dauerte lange, bis McCoy schließlich sprach. „Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie erinnert mich das an zuhause.“

Saavik ging nicht darauf ein; nicht nur, weil das Thema „Zuhause“ einen zu oft auf gefährliche Pfade führte, sondern auch, weil sie die Logik hinter dieser scheinbar willkürlichen Bemerkung nicht erfasste. McCoy betrachtete den Himmel, der noch immer in den bunten Schattierungen der Dämmerung leuchtete, das wusste sie. Sie selbst hatte dem Sonnenuntergang nicht mehr Beachtung als notwendig geschenkt, aber sie hatte die Erfahrung gemacht, dass derartige Naturphänomene auf Menschen einen seltsamen Reiz auszuüben schienen. Wieso es den Doktor ausgerechnet an sein Millionen von Meilen entferntes Zuhause erinnerte, entschloss sich ihr allerdings nicht.

„Sie sollten schlafen, Doktor“, stellte sie fest. Selbst ohne ihn anzusehen, fiel es ihr nicht schwer, die Erschöpfung des Mannes zu registrieren.

Es war eine logische Beobachtung, doch McCoy hielt davon offenbar nicht viel. So menschlich ...

„Ich hab den ganzen Tag lang geschlafen, und mein Biorhythmus ist völlig durcheinander geraten“, sagte er in dem mürrischen Tonfall, an den sie sich mittlerweile gewöhnt hatte. „Ich schwöre, wenn ich noch eine einzige weitere Sekunde irgendwo herumliege, werde ich verrückt. Endgültig.“

Verrückt. Das hatte er auch auf dem Bird-of-Prey behauptet, als er Saavik nach ihrer Rückkehr von Genesis untersucht hatte, und obwohl sie wusste, wie oft Menschen zu Übertreibungen neigten, hatte sie ihm dieses eine Mal sofort geglaubt. Verrückt. Das Wort mochte nicht klar umrissen sein und häufig falsch gebraucht werden, aber auf seinen damaligen Zustand hatte es gepasst, irgendwie. Zumindest konnte Saavik sich vorstellen, dass die Übertragung einer vulkanischen Katra auf einen nicht darauf vorbereiteten Menschen und die daraus resultierenden Nebenwirkungen durchaus etwas waren, das sich annehmbar mit dem Begriff „verrückt“ beschreiben ließ.

Was genau hatte Spock in McCoy gesehen, so dass er sogar bereit dazu gewesen war, ihm seine Seele anzuvertrauen? Ihm, einem Menschen, schwach, den Lehren Suraks gegenüber nicht aufgeschlossen, so unlogisch, so schwer zu katalogisieren? Sie wusste es nicht, und McCoy gab ihr keine Gelegenheit, ausführlicher über das nachzudenken, worüber sie sich seit dem Fal-Tor-Pan wunderte.

„Und Sie? Wieso schlafen Sie nicht?“, fragte er, beinahe so, als interessierte er sich wirklich für die Antwort. Die meisten Menschen jedenfalls taten es nicht, wenn sie eine derartige Frage stellten, doch Saavik hatte längst gelernt, dass sich weder der Doktor noch seine Kameraden in das allgemeingültige Raster einordnen ließen.

„Ich verspüre kein Bedürfnis nach Schlaf“, erwiderte sie steif. Es war die Wahrheit – sie benötigte nicht so viel Schlaf wie Menschen und ihre Meditationen während dieses sich nun dem Ende zuneigenden Tages hatten genügt, um ihre psychische und physische Leistungsfähigkeit auf einem konstanten, zufriedenstellenden Level zu halten.

McCoy stieß den Atem aus. Er klang beinahe resigniert, als er entgegnete: „Natürlich tun Sie das nicht.“

Damit hielt Saavik das Ende ihres kurzen und natürlich äußerst überflüssigen Gesprächs für gekommen; vorerst hatten sie genügend Oberflächlichkeiten ausgetauscht. Es wäre logisch von McCoy gewesen, sie nun zu verlassen und mit seiner dringend benötigten Erholung fortzufahren, doch wieder einmal dachte er nicht daran, sich der Logik zu beugen.

„Geht es Ihnen gut, Saavik?“, wollte er so unvermittelt wissen, dass Saavik ihm tatsächlich das Gesicht zuwandte. Helle Augen blickten sie an, offen und selbst nach allen ausgestandenen Strapazen seltsam wach.

Er nannte sie immer bei ihrem gegebenen Namen, niemals bei ihrem Rang. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich daran stören sollte. Saavik – auf Romulanisch bedeutete das „kleine Katze“, aber das hatte sie niemals jemandem verraten. Wieso auch?

Sie verlagerte kaum wahrnehmbar ihr Gewicht, als sie antwortete. „Ja.“

McCoy zog die Augenbraue hoch, ganz leicht nur. „Und dann erzählen sie immer, Vulkanier könnten nicht lügen.“

Saavik drehte sich nun auch mit dem gesamten Körper in seine Richtung. Sie ahnte, dass sich dieses Gespräch nicht so schnell erledigen ließ, wie sie hoffte, und eine abweisende Körperhaltung würde die Sache nur unnötig erschweren.

„Ich halte diese Unterstellung für nicht angemessen“, sagte sie, möglichst neutral.

McCoy hob abwehrend die Hand. „Ja, ja, schon gut.“

Doch, er war müde, er mochte behaupten, was er wollte. Es hieß, dass Vulkanier nicht lügen konnten, aber ebenso wenig konnte man Vulkanier anlügen, ohne sich dabei durch irgendeine scheinbar unwichtige Kleinigkeit zu verraten. In diesem Fall versteckte sich die Kleinigkeit in der Stimme des Doktors; hinter dem grummeligen Tonfall und dem Südstaaten-Akzent lauerten eine tiefe Erschöpfung und eine ebenso große Verwundbarkeit. So verwundbar, so menschlich ... und trotzdem hatte Spock diesem Mann seine Seele in die Arme gelegt.

„Nur ... wenn wirklich etwas sein sollte, irgendetwas, wenn Sie vielleicht einfach jemanden zum Reden brauchen, können Sie immer zu mir kommen.“

Das Angebot, mehr noch, die dahinter versteckte Aufforderung war ebenso verwirrend wie überraschend, und Saavik fragte sich unwillkürlich, ob McCoy schlichtweg seine Pflichten als Arzt und Ansprechperson für alle Crewmitglieder selbst nach der Landung für nicht abgeschlossen hielt oder ob mehr dahinter lag. Ob er mehr ahnte, als er sollte.

Mit vulkanischer Gleichgültigkeit hielt Saavik ihre stoische Maske aufrecht, die genau das war: eine Maske. Die Unruhe in ihrem Inneren ließ sich damit zwar verbergen, aber nicht auslöschen, ebenso wenig wie die Erinnerungen. Sie und Spock, an einer geschützten Stelle inmitten des sterbenden Planeten ... Pon Farr ...

„Ich werde Ihr Angebot berücksichtigen, sollte ich mich tatsächlich jemals in einem derartigen Zustand befinden“, sagte sie knapp, und McCoys Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln.

„Ich hab Hoffnung.“

War das Ironie? Doch, Spock hatte recht gehabt: Irgendwann gewöhnte man sich an die Menschen und ihre obskuren Formen der persönlichen Kommunikation. Vor einigen Monaten noch hätte Saavik den Doktor darauf hingewiesen, dass es für ihn nicht den geringsten Grund gab, angesichts ihrer Aussage Hoffnung zu schöpfen, mittlerweile allerdings kannte sie ihn und auch die anderen gut genug, um sich jeden Kommentar zu verkneifen. Anscheinend fühlten sich Menschen wohler, wenn sie in Gesprächen auf solche Mittel zurückgreifen konnten.

Ein Schweigen senkte sich zwischen sie, und diesmal hielt Saavik ihre Unterhaltung tatsächlich für beendet. Was hätten sie einander noch mitteilen sollen? Sie waren zwar Mitglieder derselben Crew, aber das hieß noch lange nicht, dass sie einander mehr als das Nötigste zu sagen hatten.

Und dennoch ... irgendetwas verhinderte, dass sie sich von McCoy verabschiedete. Vielleicht die Erinnerungen, vielleicht ihre Unruhe. Vielleicht das Bedürfnis danach, mit jemandem zu sprechen, der diese verräterischen Gefühle verstehen würde; und es gab niemanden, der das besser könnte als der emotionale Doktor McCoy, da war Saavik sich sicher – abgesehen von Amanda, die sich derzeit nicht in Reichweite befand. Es war nur logisch, ihn zu fragen, und trotzdem überraschte sie sich selbst, als sie es tat.

„Doktor? Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen?“

Erneut wandte er ihr das Gesicht zu; ihre eigene Überraschung über sich selbst spiegelte sich in seinen Augen wider.

„Nur zu, Saavik“, forderte er sie freundlich auf.

Sie zögerte, ehe sie aussprach, was sie trotz aller Meditationen nicht verstand.
„Wieso haben Sie eingewilligt, am Fal-Tor-Pan teilzunehmen? Sie wussten um das hohe Risiko, das die Zeremonie begleitet.“

Wieso? Es war eine naheliegende Entscheidung gewesen, das schon, aber irgendetwas verriet Saavik, dass noch mehr hinter McCoys bewundernswert furchtloser Zustimmung gelegen hatte – etwas, das zu verstehen sich vielleicht lohnen würde.

McCoy erwiderte ihren forschenden Blick mit einer Offenheit, die sie zuvor bei kaum einem anderen Menschen gesehen hatte, und sicherlich bei keinem Vulkanier, Spock vielleicht ausgenommen.

„Ich hatte keine andere Wahl“, sagte er. „Nicht nur, weil ich ihn ungerne bis an mein Lebensende in meinem Gehirn herumschleppen wollte.“

Saavik hob die Augenbrauen angesichts dieser plumpen Beschreibung, wandte jedoch nichts ein.

„Ich musste es auch tun, weil er mein Freund ist, und für einen Freund bin ich bereit, jede noch so gering erscheinende Chance zu ergreifen“, fuhr McCoy fort. Er beobachtete sie aufmerksam, als wartete er geradezu auf Widerspruch, und sie konnte nicht anders, als ihm den Gefallen zu tun.

„Die Menschen scheinen viel von Freundschaft zu halten. Dabei sind die Handlungen, die dadurch hervorgerufen werden, nicht logisch“, gab sie das wider, was sie selbst seit vielen Jahren glaubte, ohne genau zu wissen, wann ihr diese Einsicht zum ersten Mal gekommen war, wann sie sich ihr zum ersten Mal geöffnet hatte.

McCoy verdrehte die Augen auf eine Art, die ihr mittlerweile vertrauter war, als sie jemals zugegeben hätte. „Bitte, Saavik, Sie nicht auch noch. Ich werde mich mit keinem Vulkanier mehr auf eine Diskussion über menschliche Emotionen einlassen.“

„Trotzdem können Sie nicht bestreiten, dass die Handlungsweisen Ihrer Kameraden, insbesondere die Admiral Kirks, nicht auf Logik gründeten. Wenn man die Verluste gegen den Gewinn abwägt ...“

Sie musste sich nicht einmal bemühen, um sofort wieder das kurze Gespräch zwischen Sarek und Kirk in ihrem Geist zu hören.

„Was ich getan habe, musste ich tun.“
„Aber um welchen Preis? Ihr Schiff, Ihr Sohn ...“
„Wenn ich es nicht versucht hätte, wäre der Preis meine Seele gewesen.“


All die Opfer – wofür? Für ein plumpes Konzept, eine Erfindung der Menschen, die sie trotz ihrer offensichtlichen Unlogik mit einer Hingabe pflegten, die Saavik zuvor bei keiner anderen Spezies beobachtet hatte. Freundschaft. Was konnte das schon bedeuten?

Die Art, wie McCoy seine Augenbrauen zusammenzog, war ihr nicht vertraut, und sofort fühlte Saavik sich unwillkürlich wie eine Kadettin, die es geschafft hatte, ihren Ausbilder zu verärgern.

„Himmel, Saavik, so etwas lässt sich doch nicht in einer Gleichung zusammenfassen – die Opfer, die wir alle gebracht haben und jederzeit wieder zu bringen bereit wären!“, sagte McCoy heftig, stärker auf ihren Kommentar reagierend, als sie erwartet hatte.

Sie wollte verstehen, wieso er so reagierte, doch als sie den Mund öffnete, um zu widersprechen, schnitt er ihr das Wort ab.

„Geben Sie es zu, Sie hätten genau dasselbe getan. Ihr Vulkanier seid nicht so gefühllos, wie ihr andere glauben lassen möchtet, und Sie schon gar nicht.“

Einige Sekunden lang starrte Saavik ihn reglos an, gleichgültig, wie sie hoffte, während ihre Gedanken rasten und die Flutwelle der Erinnerungen ein weiteres Mal über ihr zusammenzuschlagen drohte. Sie hätten genau dasselbe getan. Hätte sie? Die Vulkanierin in ihr war bereit dazu, diese These logisch zu überprüfen; der andere Teil jedoch hielt sie im Schach. Vielleicht hatte Doktor McCoy recht. Vielleicht gab es, wenn menschlich geprägte Begriffe wie „Freundschaft“ und „Gefühle“ betroffen waren, tatsächlich keine einfache Gleichung. Vielleicht steckte mehr dahinter als problemlos zu definierende Variablen. Vielleicht ... hätte sie wirklich dasselbe getan. Unter gewissen Umständen, für gewisse Personen. Und in diesem Fall ... wenn es um Spock ging ...

Etwas in ihr drängte danach, McCoys Feststellung – eine Feststellung, keine Frage, als gäbe es für ihn nicht den geringsten Zweifel an ihrer Gültigkeit – zu bejahen, doch das Durcheinander in ihrem Geist verunsicherte Saavik so sehr, dass sie das einfache Wort nicht über die Lippen brachte.

Ihre Finger schlossen sich fester um den Stoff ihrer roten Uniformjacke, die einen deutlichen Kontrast zu McCoys ziviler Kleidung bildete; die Antwort, die ihm schließlich überreichte, entsprach der vollständigen Wahrheit. „Ich bin mir nicht sicher.“

McCoy hielt ihren Blick fest. „Denken Sie drüber nach“, schlug er vor, nun wieder freundlich, ganz der Arzt, der sich immer erst um alle anderen kümmerte, ehe er sich um sein eigenes Wohlbefinden sorgte, der sich sogar von Saaviks abweisender Distanz nie hatte einschüchtern lassen.

„Ich versichere Ihnen, dass ich sowohl physisch als auch psychisch wohlauf bin. Eine Untersuchung ist unnötig.“
„Jetzt hören Sie mir mal zu, es ist meine Aufgabe, sicherzustellen, dass es allen Crewmitgliedern gutgeht. Mir ist es völlig egal, ob es sich dabei um Klingonen oder Vulkanier oder grüne Marsmännchen handelt – solange sie zur Crew gehören, stehen sie unter meiner Verantwortung, und das gilt auch für Sie.“


Vielleicht wäre das ebenfalls etwas, das sie von dem launischen Doktor lernen könnte: bedingungslos für das einzustehen, was man für richtig hielt, was der richtige Weg für einen war, wofür es sich zu kämpfen lohnte.

Sie nickte, und er schenkte ihr eines seiner schiefen Lächeln.
„Und, Saavik, falls es Ihnen nichts ausmacht – sprechen Sie mit Jim. Erzählen Sie ihm von David. Lassen Sie ihm noch ein bisschen Zeit, aber sprechen Sie mit ihm, bevor wir abreisen.“

Erneut beugte Saavik in zustimmender Manier den Kopf. Die Bitte kam nicht überraschend, und auch, wenn sie wusste, dass ihr diese Aufgabe nicht leichtfallen würde, stimmte sie ohne Nachdenken zu. Nicht nur, weil es logisch war, sondern auch, weil sie es James Kirk schuldete, ebenso wie seinem Sohn. David ...

„Das werde ich.“

„Gut ...“, sagte er, dann zog er mit einem tiefen Atemzug die Schultern hoch. „Ich glaube, ich gehe doch wieder ins Bett. Diese komischen vulkanischen Zeremonien sind anstrengender, als man glaubt. Ich fühle mich, als könnte ich eine Woche lang nur schlafen.“

Er hätte es nicht aussprechen müssen; Saavik hatte längst bemerkt, dass die Erschöpfung, die während ihrer Unterhaltung in den Hintergrund gerückt war, ihren Griff nun wieder fest um den Doktor schloss.

Zum ersten Mal, seit McCoy sich zu ihr gesellt hatte, lockerte Saavik ihre steife Körperhaltung ein wenig, indem sie die Arme an den Seiten hielt, anstatt sie zu verschränken.

„Ich wünsche Ihnen gute Erholung“, sagte sie, und sie meinte es ehrlich.

„Danke. Ich Ihnen auch, Saavik.“

Nach einem letzten Blick auf sie drehte er sich um und machte Anstalten, den Ort zu verlassen. Ihre Stimme hielt ihn zurück.

„Doktor?“

Er hielt inne, erwartungsvoll und zum zweiten Mal an diesem Abend überrascht von ihr. „Ja?“

Vielleicht war es nicht logisch, ihm die Erkenntnis mitzuteilen, die sich während ihres Gesprächs in ihrem Kopf aufgebaut hatte; aber wenn es jemals eine Person gegeben hatte, die sich von mangelnder Logik nicht im Geringsten stören ließ, dann war das Leonard McCoy.

„Ich glaube, ich kann jetzt nachvollziehen, wieso Spock ausgerechnet Ihnen seine Katra anvertraute“, sagte sie.

Er entgegnete nichts, doch das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, machte Worte in gewisser Weise überflüssig: kein halbherziges, kein sarkastisches oder schiefes Lächeln, sondern das offenste, ehrlichste, das ihr jemals entgegengebracht worden war.

Sie sah dieses Lächeln noch lange vor sich, nachdem McCoy sie endgültig alleine gelassen hatte, und wieder dachte sie an alles, was sie den ganzen Tag über beschäftigt hatte. Kameradschaft. Opfer. Unerklärliche Handlungsweisen, Entscheidungen und Emotionen. Und – Freundschaft. Eine höchst kuriose, menschliche Begrifflichkeit. Schwer zu umfassen, schwer zu beschreiben, und sicherlich nicht logisch. Und trotzdem ... Als sie beobachtete, wie die ersten Sterne am Firmament erschienen, dachte Saavik, dass sie das Prinzip hinter diesem Begriff vielleicht langsam verstand.
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