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Die Nebel von Ashan

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Leben und Tod
sind eins im
Nebel der Zeit
(Bajoranische Weisheit)



Die Strahlen der Sonne tauchten die wogenden Weizenfelder in ein goldenes Licht. Liebe und Stolz lagen in Kiras Blick - und ein Hauch von Wehmut, den jemand, der sie weniger gut gekannt hätte als die dunkelhaarige Frau an ihrer Seite, vermutlich gar nicht bemerkt hätte.
„Dahkur ist wunderschön, Nerys.“
„Ja, das ist ist.“ Bareil hat Dahkur auch geliebt ... Bei diesem Gedanken spürte Kira wieder den Schmerz, den sie empfunden hatte, als der Vedek in ihren Armen gestorben war. Sein Tod lag nun schon so lange zurück. Aber sie wusste, dass ein Teil ihres Herzens immer um ihn trauern würde. Jener Teil, der mit ihm gestorben war ...
Jadzia Dax fühlte den Kummer der Bajoranerin, noch bevor sie ihn in den dunklen Augen las.
„Dieser Ausflug war eine gute Idee, Nerys“, sagte sie, um Kira abzulenken. „Deine Heimat ist so ganz anders als meine. Ein Jammer, dass wir morgen schon zurück müssen. Es gibt hier so vieles, das du mir vorher unbedingt noch zeigen musst. Wie wäre es als nächstes mit ...“ Dax sah sich suchend um, bis ihr Blick an einem dunklen Felsmassiv hängenblieb. „.. diesem Gebirge dort. Es ist schon viel zu lang her, seit ich das letzte Mal auf einen Berg geklettert bin - außerdem sind echte Berge einfach etwas Anderes als eine Holodecksimulation.“
Kira schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, du wirst weiterhin mit Quarks Holodeck vorliebnehmen müssen, Jadzia. Ashan ist Sperrgebiet. Die Cardassianer haben das Gebirge vor ihrem Abzug vermint. Ein Racheakt des hiesigen Gouverneurs. Angeblich soll sein einziger Sohn während der Besatzung bei einem Jagdunfall in den Bergen ums Leben gekommen sein. Zumindest war das die offizielle Version. - Aber es war Winter, wahrscheinlich hat er sich ganz einfach nur verirrt und ist erfroren. Vermutlich wollte sein Vater sich an der bajoranischen Natur rächen, so verrückt das auch klingen mag. Es wäre besser gewesen, wenn er die Berge einfach gesprengt hätte. Die Minen haben mehr als einen Bajoraner das Leben gekostet, bis die Regierung Ashan zum Sperrgebiet erklärt hat. Seitdem hat niemand mehr einen Fuß in dieses Gebirge gesetzt.“
„Ist denn niemand auf die Idee gekommen, die Minen zu entschärfen?“
Kira lächelte bitter. „Bajor ist voll von solchen kleinen Abschiedsgeschenken. Sie alle zu suchen und unschädlich zu machen würde den finanziellen Etat übersteigen, den die Regierung dafür bereitgestellt hat. Ashan, das sind nur einige wertlose Felsen, um die sich eine uralte Legende rankt, weiter nichts.“
„Wie aufregend. Ich liebe alte Legenden.“ Dax ließ sich auf einen umgestürzten Holzstamm nieder und sah Kira auffordernd an.
„Ich bin nicht sehr gut im erzählen“, wehrte die Bajoranerin ab.
„Unsinn, du bist hervorragend, also ...?“
„Na schön, es heißt, dass ...“ Kira verstummte.
„Was ist los?“, protestierte Dax lachend. „Versuchst du etwa, dich zu drücken?“
„Wir sind nicht allein“, sagte Kira leise, während sie automatisch nach ihrem Phaser griff.
Dax lauschte. Dann vernahm auch sie das Geräusch. Ein Keuchen, das langsam näherkam.
„Deine uralte Legende handelt nicht zufällig von einem feuerspeienden Drachen, oder?“
„Was?“
„Vergiss es. Es betraf eine alte terranische Sage, von der Benjamin Curzon mal erzählt hat.“
Die Trill hatte sich erhoben und stand nun neben der Bajoranerin. Angestrengt starrten beide in die dichten Zweige eines Jamak-Busches, die sich nun teilten und eine verhüllte Gestalt freigaben.
Kiras Hand löste sich von ihrer Waffe. Von der unbekannten Gestalt, die sich beim Gehen schwer auf einen Stock stützte und deren rasselnder Atem das Geräusch gewesen war, das sie beide gehört hatten, drohte keine Gefahr. Der weite Umhang verbarg, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Die oder der Unbekannte schien sie noch gar nicht bemerkt zu haben. Plötzlich verfing der Stock sich in einer großen Wurzel. Die Gestalt strauchelte und fiel mit einem hellen Aufschrei zu Boden, wo sie reglos mit dem Gesicht nach unten liegenblieb. Offenbar handelte es sich um eine Frau. Eine Frau, die dringend Hilfe brauchte.
Kira hatte die Stelle als erste erreicht. Sie kniete neben der Unbekannten nieder.
„Haben Sie keine Angst. Wir werden Ihnen helfen.“
„Nein!“ Mit einem erstickten Schluchzen versuchte die Frau von Kira wegzurobben.
Die Major zögerte kurz, dann fasste sie die Unbekannte an den Schultern und rollte sie vorsichtig auf den Rücken. „Sie müssen keine Angst haben“, wiederholte sie sanft. „Wir werden ...“ Sie brach ab und starrte entsetzt in das Gesicht einer Bajoranerin. Sofern man die von Geschwüren bedeckte Masse, aus der sie zwei trübe Augen ansahen, überhaupt so nennen konnte.
Kiras Kehle entrang sich ein Keuchen, das Dax, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, veranlasste, die Hand nach den bebenden Schultern ihrer Freundin auszustrecken.
„Nein!“ Kira zuckte zurück. „Fass mich nicht an! Du darfst mich nicht berühren! Und sie“, die Major bettete die andere Bajoranerin, die inzwischen offenbar das Bewusstsein verloren hatte, auf den Boden. „ ...auch nicht!“
Jadzia spürte wie ihre Nackenhaare sich aufrichteten. „Warum?! Was hat sie?!“
„Sie wird sterben“, sagte Kira mit erzwungener Ruhe. „Genau wie ich!“

***

Julian Bashir kämpfte. Für die unbekannte Bajoranerin war jede Hilfe zu spät gekommen. Sie war wenige Stunden, nachdem man sie nach DS9 gebracht hatte, gestorben, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Inzwischen wusste er, dass es sich hier um eine Krankheit handelte, deren Erreger laut Auskunft der bajoranischen Gesundheitsbehörde während der Besatzungszeit von den Cardassianern künstlich entwickelt worden war, um ihn als biologische Waffe gegen den Widerstand einzusetzen. Dass es dann offenbar nicht so weit gekommen war, lag vermutlich einzig und allein daran, dass die Besatzung vorher aufgegeben worden war. In den bajoranischen Datenbanken existierten nur wenige Informationen darüber. Verschiedene Tests hatten bestätigt, dass der Erreger nur bajoranische DNA befiel und sie sich gegenüber allen Gegenmitteln als resistent erwies. Trotzdem kämpfte Bashir weiter. Die tote Bajoranerin hatte sich wahrscheinlich im letzten Stadium befunden. Aber Kira war bisher lediglich infiziert. Die Krankheit war noch nicht ausgebrochen. Es musste eine Möglichkeit geben. Es musste ...
An diese Hoffnung klammerte er sich genauso verzweifelt wie Sisko, Dax, O’Brien und die anderen, die abwechselnd sein verzweifeltes Bemühen von der anderen Seite des Quarantänefeldes aus verfolgten.
„Haben Sie schon Gul Dukat kontaktiert?“, fragte die Trill ohne den Blick von den blassen Zügen der Bajoranerin zu nehmen.
Captain Sisko neben ihr nickte. „Er hat im Namen der cardassianischen Regierung sein Bedauern ausgesprochen. Über Major Kiras Zustand - und darüber, dass Cardassia leider keinerlei Informationen über diese Krankheit hat.“
„Aber sie haben den Erreger doch entwickelt!“
„Was sie niemals offiziell zugeben werden.“
„Zweifelst du daran, Benjamin?“
„Nein“, erwiderte Sisko müde. „Aber das ändert nicht, dass die bajoranische Regierung kein Interesse daran hat, den neuen Frieden durch die Erörterung dieser Frage zu gefährden. Zumal diese tote Frau und Kira offenbar die einzigen Infizierten sind. Der Himmel allein weiß, wo diese Bajoranerin mit dem Erreger in Kontakt gekommen ist. Die von der bajoranischen Regierung ausgeschickten Seuchenteams haben in ganz Dahkur sowie in allen angrenzenden Provinzen jeden Stein umgedreht, ohne das geringste Anzeichen zu finden.“
„Weiß Shakaar es schon?“
Sisko schüttelte den Kopf. „Der Premierminister befindet sich in schwierigen Verhandlungen mit einigen oppositionellen Gruppen. Die bajoranische Regierung und die Vedekversammlung waren sich diesmal ausnahmsweise einmal einig, ihn erst zu informieren, wenn die Gespräche vorbei sind.“
„Aber Nerys ...“
„Sie kennt die Entscheidung und billigt sie.“
Dax enthielt sich einer Bemerkung.
Doktor Bashir schob die Scheibe, die ihn und seine Patientin vom Rest der Krankenstation trennte, zurück und trat zu ihnen. Sein ernstes Gesicht sagte mehr als alle Worte.
„Sie können ihr nicht helfen!“ Siskos Frage war mehr eine Feststellung, und als der Arzt antwortete, klang seine Stimme monoton, fast als würde er mit sich selbst sprechen:
„Ich werde nicht aufgeben - niemals! Ich werde sie retten, Captain!“ Bashir sah weder Sisko, noch Dax an, als er dies sagte.
„Das werden Sie, Julian“, stimmte Dax leise zu.
Auch Sisko nickte. So als könne der reine Glaube aus einer verlorenen Hoffnung eine echte Chance machen.
Doch genau wie Bashir ihrem Blick ausgewichen war, vermieden es nun Jadzia und Sisko, den Arzt anzusehen.
„Ich werde sie retten!“, wiederholte Julian.
Doch sie alle wussten, dass es eine Lüge war.

***

Wie so oft in den vergangenen Tagen saß Dax an Kiras Bett und versuchte, ihre Verzweiflung beim Anblick der Bajoranerin durch gespielte Munterkeit zu verbergen. Inzwischen war die Krankheit ausgebrochen. Als erstes hatten Kiras Haare und Augen ihren Glanz verloren. Dann hatten sich überall an ihrem Körper kleine Schwielen gebildet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis daraus Geschwüre werden würden. Die Krankheit schritt derart schnell voran, dass Doktor Bashir seiner Patientin, die beinahe stündlich schwächer wurde, noch eine Woche, höchstens zehn Tage gab.
„Jadzia ...?“
„Ich bin hier, Nerys.“ Dax beugte sich tief über das von Schwielen übersäte Gesicht der Bajoranerin.
„Jadzia ...“ Kiras einst so kräftige volle Stimme war nur noch ein schwacher Hauch. „Ich habe lange nachgedacht. Es gibt nur einen Ausweg ... Ashan ... du musst mich nach Ashan bringen ...“
„Ashan ...?“ Dax runzelte die Stirn. War es möglich, dass Nerys im Fieberwahn redete?
„Die Nebel ... Jadzia ...“ Kira hustete. „Versteh doch. Sie war auf dem Weg zu den Nebeln ...“
Die Trill musste nicht fragen. Sie wusste, dass Nerys die tote Bajoranerin meinte.
„Die alte Legende ...“, fuhr Kira fort. Ihre Finger krallten sich in den Stoff von Jadzias Uniform. „Es heißt, die Nebel von Ashan seien der Atem der Propheten, sie seien heilig und würden Sterbenden das Leben zurückgeben ... Diese Frau glaubte daran. Nur deshalb war sie dort. Sie wusste, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb. Deshalb wollte sie nach Ashan ...“
„Und jetzt willst du, dass ich dich dorthin bringe?!“
„Du musst es tun, Jadzia, bitte! Ich ... bin zu schwach, um es ohne deine Hilfe zu schaffen ...“
„Dann glaubst du an diese Legende?“
„Ich weiß nicht mehr, an was ich glauben soll. Aber ich weiß, dass Julian mich nicht retten kann. Ich sterbe ... Nein!“, winkte sie ab, als Dax widersprechen wollte. „Es genügt, wenn Julian versucht, mir etwas vorzumachen ...“
„Er war noch nie ein guter Lügner.“
„Nein.“ Kira lächelte schief. „Wären alle Bajoraner so schlechte Lügner, hätte keiner von uns die Besatzung überlebt. Der arme Julian. Er gibt sich so viel Mühe, mir Mut zu machen, während die Wahrheit ihm überdeutlich ins Gesicht geschrieben steht. - Aber ich ... will nicht hier in diesem Bett sterben! Ich habe nicht mein ganzes ... Leben lang gekämpft, um jetzt so einfach ... dahinzusiechen. Wenn die ... Medizin mir nicht helfen kann, dann ... können es vielleicht die Propheten ...“
Dax schwieg. Als Wissenschaftlerin war sie überzeugt, dass es für alle mystischen Vorfälle und Erscheinungen natürliche physikalische Erklärungen gab. Zumindest meistens. Auf Anweisung der bajoranischen Regierung war Nerys hier unter absolute Quarantäne gestellt worden. Sie durfte die Krankenstation nicht verlassen. Sisko hatte sich diesem Befehl gebeugt. DS9 war trotz allem eine bajoranische Raumstation und Kira war ein bajoranischer Offizier. Hätte er sich geweigert, hätte man sie nach Bajor auf eine Isolierstation gebracht, ohne dass er dagegen etwas hätte unternehmen können. Hier auf DS9 war sie wenigstens von ihren Freunden umgeben.
Kira von der Station zu bringen, würde gegen einen klaren Befehl verstoßen und Benjamin in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Hinzu kam, dass Ashan Sperrgebiet war. Niemand durfte es ohne Genehmigung der bajoranischen Regierung betreten. Außerdem war Nerys schon sehr schwach. Es war möglich, dass sie eine Reise nach Ashan nicht überleben würde.
Nun, in dem Fall müssen wir wenigstens nicht befürchten, andere könnten infiziert werden …
Als hätte sie Jadzias Gedanken erraten, lächelte Kira. „Du wirst mir helfen ...?“
Dax warf alle Zweifel über Bord. Es spielte keine Rolle, ob sie an diese Legende glaubte. Nerys lag im Sterben. Wie konnte sie ihr da diesen letzten Wunsch abschlagen? Die Trill nickte.
„Du wirst deine Meinung nicht ändern? Auch wenn ich das Bewusstsein verlieren sollte?“
„Gib mir eine Stunde für die Vorbereitung. Ich muss uns ein Shuttle besorgen und alles andere arrangieren. Eine Stunde nur, Nerys. Ich schwöre dir, dann bringe ich dich nach Ashan.“
„Sie werden Major Kira nirgendwo hinbringen!“
Dax fuhr erschrocken herum.
Doktor Bashir stand in der geöffneten Tür der Quarantäne-Abteilung der Krankenstation und musterte sie vorwurfsvoll.
„Julian“, hauchte Kira schwach. „Ich muss nach Ashan! - Jadzia, erklär es ihm!“
In knappen Worten erläuterte die Trill ihr Vorhaben. Nachdem sie geendet hatte, starrte Bashir sie fassungslos an. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, beabsichtigen Sie, Captain Siskos Befehle und die Anweisungen der bajoranischen Regierung zu ignorieren? Und - was noch weitaus schlimmer ist, Kiras Leben aufs Spiel zu setzen und jeden Bajoraner, der Ihnen da unten über den Weg läuft, in die Gefahr einer Ansteckung zu bringen? Und das alles wegen eines alten Märchens über Nebel mit magischen Kräften?!“
„Kein ... Märchen, Julian!“, widersprach Kira, bevor Dax etwas entgegnen konnte. „Die Nebel existieren! Sie ... dürfen mich nicht ... aufhalten! Dazu haben Sie ... kein Recht! Es ist ... mein Leben!“
„Und was ist mit dem Leben all der Bajoraner, denen Sie begegnen werden?!“
„Das Ashan-Gebirge ist Sperrgebiet“, warf Dax ein. „Niemand hält sich dort auf!“
„Ein Gebirge? Bei Gott, Jadzia! Wie soll Nerys es schaffen, durch ein Gebirge zu gehen? In ihrem geschwächten Zustand könnte das ihren Tod bedeuten!“
„Und ... wenn schon ...“ Kiras bitteres Lachen ging in einem Hustenanfall unter. „Ich sterbe doch sowieso“, fuhr die Bajoranerin fort, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war. „Sehen Sie mich doch an ... Verdammt, Sie sollen mich ansehen!“, fauchte sie mit letzter Kraft, als Bashir in verlegener Hilflosigkeit an ihr vorbei auf die Bettdecke schaute, die Kira nun mit einem Ruck zur Seite riss.
Das kurze ärmellose medizinische Nachthemd bedeckte Kiras Körper nur bis knapp unter die Hüfte. Der Anblick ihrer nackten Beine, die über und über mit Geschwüren bedeckt waren, ließ den Arzt schlucken.
Dax wurde so blass, dass ihre dunkle Trillzeichnung sich noch schärfer als üblich von ihrer Haut abhob.
Mit einem unterdrückten Stöhnen zog die Major die Decke wieder über ihre Beine. „Sie können mir nicht ... helfen, Julian - und das wissen Sie auch.“ Kiras Rechte fuhr über die Schwielen auf ihren Wangen. „Es ... wird nicht mehr lange dauern, dann wird mein Gesicht genauso aussehen! Ich sterbe, Julian! Wollen Sie mich hier einfach so ... dahinsiechen lassen?! Vielleicht ... sind die Nebel nur ein ... Märchen ... aber wer gibt Ihnen das ... Recht, das zu entscheiden?!“
Erschüttert sah Bashir die Bajoranerin an. Dann wanderte sein Blick zu Dax’ entschlossenen Zügen. Mit einem Seufzen schob der Arzt seine Bedenken beiseite. „Also schön, Jadzia, bringen Sie Major Kira nach Ashan. Unter einer Bedingung!“
Dax hob fragend eine Braue.
„Wenn Kira überhaupt eine Chance haben soll, muss sie medizinisch betreut werden“, sagte Bashir langsam. „Und zwar ununterbrochen!“
„Nein, Julian!“ Kira machte eine abwehrende Geste. „Es reicht, wenn Jadzia ... ihre Karriere für mich ... ruiniert! Sie haben damit ... nichts zu tun!“
„Nun, ich fürchte, genau das habe ich!“
„Haben Sie sich das gut überlegt, Julian?“, fragte Dax. „Die Konsequenzen für ihre berufliche Zukunft bei der Sternenflotte ...“
„... sind nicht Ihr Problem“, unterbrach sie Bashir. „Ich werde Sie begleiten!“

***

Die dunklen Felsen wirkten selbst im zarten Licht des Morgens bedrohlich. Es war lange her, dass Bashir eine derart trostlose Landschaft gesehen hatte. Keine Bäume, keine Sträucher, überhaupt keine Vegetation. Nur nacktes kahles Gestein. Natürlich konnte dies ein Werk der cardassianischen Besatzer sein, die auch an anderen Stellen Bajors bei ihrem Abzug verbrannte Erde hinterlassen hatten. Aber irgendwie war Bashir sicher, dass diese Berge schon von Anbeginn der Zeit, lange vor Ankunft des ersten Cardassianers, so gewesen waren.
Kein Ort, den ich mit dem Begriff Hoffnung in Verbindung bringen würde, schoss es ihm durch den Kopf. Ein Seitenblick zu Dax verriet ihm, dass die Trill ähnliche Gedanken hegte.
Kira indessen wirkte so voller Erwartung, so voller Glauben, beinahe entrückt, dass keiner der anderen es über sich brachte auszusprechen, was er dachte.
Sie hatten die Rio Grande am Rand des Gebirges gelandet und waren dann zu Fuß aufgebrochen. Laut Stationslogbuch war die Trill mit dem Shuttle nach Bajor geflogen, um den Ort, an dem sie die sterbende Bajoranerin getroffen hatten, noch einmal gründlich zu überprüfen. ... Vielleicht gab es ja doch etwas, das Kira helfen konnte. Die unbekannte Bajoranerin musste irgendwo hergekommen sein. Vielleicht waren dort andere Infizierte, die noch lebten ...
Sisko hatte diese Erklärung geschluckt. Ebenso das von Doktor Bashir offiziell verhängte absolute - und damit auch für Nichtbajoraner gültige Verbot, Kira zu besuchen, das der Arzt mit dem geschwächten Zustand der Major begründet hatte.
... an deren Bett er von nun an bis auf Weiteres persönlich und allein wachen wolle …
Niemand hatte Verdacht geschöpft. Keiner hatte bemerkt, dass Dax Doktor Bashir und Kira an Bord der Rio Grande gebeamt hatte, kaum, dass sie an Bord gewesen war. Doch weder Dax noch Bashir machten sich etwas vor. Das Gelingen ihres Planes hing davon ab, wie lange es dauern würde, bis jemand da oben auf DS9 den Stationsarzt, aus welchem Grund auch immer, kontaktieren wollte. Denn dann würden sie unweigerlich entdecken, dass Bashir - und auch Kira - sich nicht mehr auf der Station befanden. Sisko würde zwei und zwei zusammenzählen und einen Suchtrupp ausschicken, um sie zurückzuholen. Sie konnten also nur hoffen, dass für die nächste Zeit niemand auf DS9 einen Arzt benötigte.
Die Wärme der Sonnenstrahlen kündigten einen heißen Tag an. Der Himmel war wolkenlos. Kein Wind bewegte die trockene Luft.
„Registrieren Sie Anzeichen einer Nebelbildung?“, fragte Bashir leise.
Dax starrte auf ihren Trikorder. „Nein, keine, Moment mal ...“ Die Trill klopfte leicht gegen das Display des Gerätes, auf dem plötzlich alle Anzeigen erloschen waren.
Etwas hatte sich verändert. Ohne erkennbaren Grund war der Himmel grau geworden. Die Sonne war fort. Die Luft war merklich kühler geworden - und feuchter.
„Da!“ Bashirs ausgestreckter Arm deutete auf dunkle Schatten, die dem sie umgebenden Gestein zu entweichen schienen, sich zu einer Nebelwand verdichteten, die sich von allen Seiten rasch näherte.
Wie eine Schlinge, die sich zuzieht, dachte der Arzt unwillkürlich. „Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?“, fragte er laut.
Dax schüttelte den Kopf. „Nein, aber ...“ Der Rest des Satzes ging im Geräusch des Windes unter, der von einem Moment auf den anderen über sie hinwegfegte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Bashir, dass Kira auf die Knie gesunken war. Um sie herum heulte der Sturm. Dann hatte der Nebel sie erreicht, hüllte sie ein.
Die Welt um Julian versank in dunklen Schatten. Bilder tauchten aus seinem Bewusstsein auf. Erinnerungen an Orte, an Freunde, an Frauen, die ihm einmal etwas bedeutet hatten - aber auch an Momente, die er schon vor langer Zeit vergessen oder verdrängt hatte.
... sein erster Kuss ... O’Brien, der ihn zwang, sein Versprechen gegenüber den kranken Jem Hadar zu brechen ... Melora ... Bareil, dem er nicht hatte helfen könne n... Garak ... Ro Laren ... der Tag, an dem er sein Examen ablegte ... Ekoria, die in seinen Armen starb ...
Dann, plötzlich, verschwommene Eindrücke. Bilder von Orten, Zeiten und Personen, die er nicht kannte, niemals zuvor gesehen hatte...
... Gesänge ... lodernde Fackeln ... Schreie ... brennende Mauern ... Rauch ...
Gefühle, die nicht seine eigenen waren, durchfluteten Bashir. Stark und mächtig brandeten sie einer gewaltigen Welle gleich durch sein mentales Selbst.
... Angst ... Schmerz ... Trauer ... Verzweiflung ... Reue ...
Der Arzt empfand diese fremden Emotionen so als ob es seine eigenen wären. Irgendwo in einer Ecke seines Verstandes wisperte eine kleine Stimme noch, dass dies nicht sein könne, dass es medizinisch nicht möglich sei. Dann wurde es Nacht um ihn.
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