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Wahre Freunde

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Freundschaft ist auch ein Weg zum Verrat
(Cardassianisches Sprichwort)


Von hier oben wirkten die tiefverschneiten Hütten beinahe malerisch. Die glitzernde weiße Decke verbarg die Baufälligkeit der armseligen Behausungen - und sie verhüllte auch gnädig die Körper jener Unglücklichen, die in der beißenden Kälte der letzten Nacht erfroren und am Morgen von den cardassianischen Wachen achtlos auf einen Haufen gestapelt worden waren - vermutlich, um sie im Laufe des Tages zu verbrennen, da die Erde im Winter zu hart war, um eines der in den milderen Jahreszeiten in solchen Fällen üblichen Massengräber auszuheben.
Der junge Mann, der vom hinteren Sitz des Gleiters hinab auf dieses Bild sah, schüttelte sich unwillkürlich bei dem Gedanken, in weniger als einer Minute die Wärme im Innern der Kabine gegen die Kälte da draußen eintauschen zu müssen. Wie alle Cardassianer hasste er die bajoranischen Winter von ganzem Herzen. Wäre es möglich gewesen, diesen Feind dadurch auszuschalten, dass man jeden zweiten Bajoraner an die Wand stellen ließ, das Oberkommando hätte wohl kaum so lange gezögert, wie der Gleiter für die Landung brauchte.
Der junge Offizier, der nun dem Piloten einen kurzen Dank zunickte, bevor er aus dem Gleiter kletterte, verabscheute den eisigen Wind, der ihm entgegenschlug, aber selbst wenn es möglich gewesen wäre, er war sicher, dass er niemals fähig wäre, einen anderen um des Wetters Willen kaltblütig zu exekutieren - nicht einmal einen Bajoraner. Wenn er ehrlich war, dann bezweifelte er eigentlich schon ob er überhaupt in der Lage war, jemanden zu töten - ganz gleich aus welchem Grund.
Sein Vater musste geahnt haben, dass seinen Sohn bereits die bloße Vorstellung, das Blut eines anderen zu vergießen, mit Unbehagen erfüllte. Vermutlich hatte er ihm nur deshalb diesen Posten ausgerechnet hier in einem bajoranischen Flüchtlingslager verschafft, in der Hoffnung, sein Sohn würde dort härter werden, endlich lernen, dass er als Cardassianer dazu geboren war, über mindere Völker zu herrschen - und zwar mit allem, was diesen Begriff ausmachte.
In diesem Moment, da er den Kommandanten des Lagers in Begleitung eines jungen Offiziers auf sich zukommen sah - und die nackte Angst in den Augen des ausgemergelten Bajoraners, der auf einen Wink des Lagerleiters hastig nach seinem Gepäck griff und es so schnell er konnte in die Kommandantur trug - in diesem Moment wünschte der junge Mann sich so brennend wie nie zuvor, nicht seinem Vater zu liebe die Soldatenlaufbahn eingeschlagen zu haben. Eigentlich hatte er in die Politik gehen wollen. Aber sein Vater stammte aus einer alten Kriegerfamilie und hatte für die verweichlichten Politiker, wie er sie zu nennen pflegte, nichts als Verachtung übrig. Trotzdem war er nicht zu stolz, einige einflussreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als Freunde zu haben.
Da ihm infolge eines tragischen Unfalls in seiner Jugend eine glänzende militärische Karriere, wie sie sein eigener Vater und vor ihm dessen Vater gemacht hatten, versagt geblieben war, hatte er sich notgedrungen ein anderes Bestätigungsfeld suchen müssen. So hatte er stattdessen ein mächtiges Finanzimperium aufgebaut und auf diese Weise dem Kriegeradel seiner Familie den des Geldes hinzugefügt.
In all den Jahren aber hatte er den Traum einer militärischen Karriere niemals aufgegeben, ihn stattdessen auf seinen Sohn übertragen, ohne sich darum zu kümmern, ob er von diesem geteilt wurde.
Und er hätte sich nicht gescheut, alle Macht und allen Einfluss, den sein Name, sein Geld und seine Politikerfreunde bedeuteten, einzusetzen, um seinem Sohn Steine in den Weg zu legen, falls er es wagen sollte, sich gegen ihn aufzulehnen.
Der junge Mann hatte zu gut gewusst, dass er gegen die Möglichkeiten seines Vaters nichts würde ausrichten können. Auch ohne den Widerstand seines Vaters hätte er es schon schwer genug gehabt, mit seinen radikalen Ideen in der Politik etwas zu werden, also hatte er den leichteren Weg gewählt und sich dem Willen seines Vaters gebeugt, was er bitter bereute.
Wie naiv war er doch gewesen, zu glauben, es wäre damit getan zu lernen, wie man eine Waffe führte oder einen Gegner im Nahkampf besiegte. Während seiner Ausbildung hatte er sich an den Gedanken geklammert, mit etwas Glück auf Cardassia einen ruhigen Posten in einer Reserveeinheit zu ergattern, um sich dann endlich mit den Dingen beschäftigen zu können, die ihn weitaus mehr interessierten. Wie hatte er auch nur einen Moment denken können, dass sein Vater dies zulassen würde.
Der junge Mann verbannte die Bitterkeit aus seinen Zügen, als er nun Haltung annahm und seinen neuen Vorgesetzten militärisch grüßte.
Gul Marak machte den Eindruck eines Mannes, der sich genau an dem Platz befand, wo er sich befinden wollte, ein Umstand, der ihm nach Meinung des Jüngeren nicht unbedingt zur Ehre gereichte. Seinem Begleiter indessen konnte man deutlich anmerken, dass er sich ebenso wenig wohl fühlte wie der Neuankömmling, den er aus seinen hellblauen Augen kalt musterte.
Instinktiv spürte der junge Mann, dass sein Gegenüber, der kaum älter als er selbst war, ihn hasste und fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte, wie konnte man jemanden hassen, den man nie zuvor begegnet war?
„Stehen Sie bequem“, unterbrach Gul Marak diese Überlegung. „Ich betrachte es als eine große Freude, dass man Sie meinem Kommando zugeteilt hat. Sie müssen wissen, dass ich in meiner Jugend die Ehre hatte, unter ihrem Großvater zu dienen. Ein großer Krieger, in der Tat, genauso bedeutend wie Ihr Vater, wenn auch auf einem anderen Gebiet. Sie können wirklich stolz auf Ihre Familie sein, Elim. - Ich darf Sie doch Elim nennen, oder?“
Der junge Mann nickte.
Diese übertrieben herzliche Begrüßung eines Untergebenen bewies, dass sein Vater noch mehr Einfluss haben musste, als er angenommen hatte. Und wenn der Kommandant sich gerne in der Ehre sonnen wollte, den Sohn eines mächtigen Mannes einem Mentor gleich beim Vornamen zu nennen, sollte er dies ruhig tun. Auch wenn Gul Marak es mit Rücksicht auf seinen Vater wohl niemals wagen würde, ihn unfreundlich zu behandeln, war es doch besser, ihn nicht öffentlich zu beleidigen, indem er auf einer förmlichen Anrede bestand.
„Schön“, sagte der Kommandant zufrieden. „Dann erlauben Sie mir nun, Ihnen meinen Zweiten Offizier, Glan Khemor Dukat, vorzustellen. Ich hoffe, dass Sie beide gute Freunde werden.“
Das bezweifle ich, dachte Elim. Der Zweite Offizier, kein Wunder, dass er mich hasst.
Ohne Frage hatte Dukat sich nach der Ermordung des Ersten Offiziers, Glinn Lutar, durch den bajoranischen Widerstand berechtigte Hoffnung auf diesen Posten gemacht. Ein Posten, der ihm nun vom Sohn eines einflussreichen Mannes weggeschnappt wurde - der ihm denselben mit Freuden überlassen hätte, aber das wusste Dukat ja nicht.
Elim erlaubte sich ein stilles Seufzen. Nein, auf die Freundschaft dieses Mannes durfte er wohl nicht hoffen, eher musste er sich vorsehen, nicht zufällig das Opfer eines bedauerlichen Unfalls zu werden, denn dieser Dukat wirkte auf ihn nicht wie ein Mann, der sich tatenlos etwas wegnehmen ließ, das er haben wollte.
Du hättest meines Vaters Sohn sein sollen, dachte Elim. Damit wäre uns allen besser gedient gewesen.
Er verbarg diesen Gedanken hinter einem neutralen Lächeln. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Glan Dukat“, sagte er förmlich.
Dukat verneigte sich steif - und so knapp, dass es gegenüber einem Vorgesetzten schon fast einer Beleidigung gleichkam.
„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Glinn Garak.“

* * *

Verstohlene Blicke folgten Garak auf seinem Rundgang. Sein Vorgänger hatte nur selten einen Fuß in das Lager gesetzt - genau wie der Kommandant und die anderen Offiziere hatte er sich fast ausschließlich im Bereich der cardassianischen Quartiere außerhalb der elektrischen Umzäunung aufgehalten. Ein Offizier, der an seinem ersten Tag höchstpersönlich das Lager aufsuchte - und das auch noch bei einem Wetter, das jeden Cardassianer, der draußen keinen Dienst zu versehen hatte, in die Wärme der Häuser zog, das war mehr als ungewöhnlich.
Aber die Rangabzeichen an seiner Uniform genügten den Wachen, um ihre Verwunderung für sich zu behalten - und kein Bajoraner hier hätte es jemals gewagt, die Aufmerksamkeit eines Cardassianers durch offen gezeigte Überraschung auf sich zu lenken.
So stapfte Garak unbehelligt durch den tiefen Schnee. Gul Marak hatte sein Erstaunen nicht verborgen, als er ihn um die Erlaubnis gebeten hatte, das Lager inspizieren zu dürfen. Es war offensichtlich gewesen, dass der Kommandant sich zunächst keinen rechten Reim auf dieses seltsame Anliegen hatte machen können. Daher hatte er lediglich einige lobende Worte ob so viel Diensteifers geäußert und ihm vorgeschlagen, sich von Glan Dukat begleiten zulassen.
Garak hatte dies höflich abgelehnt. Er legte gewiss keinen Wert auf die Gesellschaft eines Mannes, bei dem er nicht sicher sein konnte, ob er ihm nicht in einer dunklen Ecke ein Messer zwischen die Rippen rammen würde, um dann zu behaupten, es wäre einer der Bajoraner gewesen. Außerdem gedachte er etwas zu tun, was sich nicht unbedingt mit der vom Militär vertretenen Harten Linie vereinbaren ließ - und dabei wollte er keinen anderen Cardassianer dabeihaben - und schon gar keinen, der ihm mehr als feindlich gesonnen war.
Gul Marak hatte Garaks Ablehnung mit einem Lächeln quittiert, dem sich entnehmen ließ, dass der Kommandant plötzlich sicher gewesen war, den Grund für den Wunsch seines neuen Ersten Offiziers zu kennen. Mit einem verschwörerischen Zwinkern hatte Gul Marak ihm versichert, dass er das Lager so oft und so gründlich inspizieren könne, wie er es für angemessen halten würde, ohne ihn dafür um Erlaubnis bitten zu müssen.
Garak hatte sich nicht damit aufgehalten, sich über dieses Verhalten zu wundern, sondern war nach einem kurzen Abstecher in das ihm zugewiesene Quartier sofort ins Lager gegangen.
Der Posten am Tor hatte ihm die Richtung gezeigt und ihm gesagt, wo er die Baracke finden würde, die er suchte. Aber diese Baracken sahen alle gleich aus, besonders jetzt, da sie alle gleichermaßen verschneit waren.
Garak blieb stehen und runzelte leicht die Stirn. Dieses Lager war größer als er gedacht hatte. Falls es hier überhaupt so etwas wie Wege gab, so waren sie unter der dichten Schneedecke nicht auszumachen.
Auch wenn er es sich nur ungern eingestand, musste er zugeben, dass er die Orientierung verloren hatte. Natürlich könnte er seinen Kommunikator benutzen, um sich vom Posten am Tor den Weg ein weiteres Mal erklären zu lassen, aber es widerstrebte ihm, vor diesem einfachen Soldaten wie ein Idiot dazustehen, nein es musste eine andere Möglichkeit geben.
Garaks suchender Blick fiel auf zwei junge bajoranische Mädchen, fast noch Kinder, die zu seiner Linken so dicht an die Wand einer Baracke gepresst hockten, als wollten sie mit ihr verschmelzen. Offenbar waren sie in der entgegengesetzten Richtung unterwegs gewesen, ohne dass er sie bemerkt hatte. Die Hütten standen hier so eng beieinander, dass sie, wären sie nicht stehengeblieben, ihm unweigerlich über den Weg gelaufen wären, was sie anscheinend hatten vermeiden und deshalb in der Deckung der Wand hatten warten wollen, bis er vorübergegangen war.
Als Garak nun auf sie zutrat, duckten sie sich noch tiefer, während ihre Mienen den gehetzten Ausdruck eines vom Jäger gestellten Wildes annahmen.
Erst jetzt bemerkte er, dass zwischen ihnen noch ein kleines dunkelhaariges Mädchen hockte. Es mochte ungefähr sechs oder sieben Jahre alt sein, und im Gegensatz zu den beiden Älteren starrte ihn die Kleine aus dunklen Augen trotzig an.
„Du“, Garak legte dem einen der beiden älteren Mädchen seine Rechte auf die Schulter.
Mit einem Schrei schüttelte sie seine Hand ab, sprang auf, stieß ihn beiseite und rannte davon. Garak, der mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet hatte, taumelte und hatte Mühe, sein Gleichgewicht nicht zu verlieren - was durch den Umstand erschwert wurde, dass die kleine Bajoranerin ihm kräftig gegen das Schienbein trat, bevor das andere ältere Mädchen sie zurückriss, um sich von einem Moment auf den anderen laut schluchzend an seine Knie zu klammern.
„Bitte, tun Sie ihr nichts“, flehte die junge Bajoranerin, während sie Mühe hatte, das Kind gleichzeitig davon abzuhalten, den Cardassianer erneut zu traktieren. „Haben Sie Erbarmen, ich beschwöre Sie, ich werde alles tun, was Sie verlangen - absolut alles - aber, bei den Propheten, vergreifen Sie sich nicht an einem unschuldigen Kind!“
„Es liegt nicht in meiner Absicht, ihm ein Leid zuzufügen“, sagte der Garak ruhig, während er mit einer lässigen Bewegung einen erneuten Angriff zweier kleinen Fäuste abwehrte. „Daher würde ich es für angebracht halten, wenn du meine Beine loslässt, mit dem grässlichen Geheul aufhörst und stattdessen dafür sorgst, dass sie endlich Ruhe gibt.“
„Sie werden sie nicht bestrafen?“, kam es ungläubig zurück.
„Nein“, wiederholte Garak, dem langsam die Geduld ausging. „Welchen Grund sollte ich deiner Meinung nach wohl haben, das zu tun?“
„Nun, aus Zorn darüber, dass sie Sie getreten hat und ...“ Das Mädchen zögerte. „... darüber, dass meine Freundin sich Ihnen ... widersetzt hat.“
Garak runzelte die Stirn, dann begriff er alles ... ihre Angst ... Gul Maraks Zwinkern ... und warum ihre Freundin so voller Panik davongelaufen war.
Ein cardassianischer Offizier betrat das Lager nicht, es sei denn, er war auf der Suche nach einer hübschen Bajoranerin für sein Bett.
Natürlich waren ihm wie jedem auf Cardassia schon diverse Gerüchte über diesen Aspekt der Besatzung zu Ohren gekommen, aber genau wie alle hatte er sie ignoriert, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Cardassianische Soldaten - oder gar Offiziere - paarten sich nicht mit Angehörigen minderer Rassen, weder mit, noch gegen deren Willen - das war schlicht undenkbar, eine unerhörte Beleidigung für jede cardassianische Frau! Die wenigen Berichte, die es wagten, das Gegenteil zu behaupteten, verschwanden ohne jemals diskutiert zu werden - genau wie diejenigen, die sie verfasst hatten.
Garak atmete tief durch. Das war weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort, das Verhalten seiner Regierung in Frage zu stellen - mochte es in diesem Punkt auch noch so falsch sein.
Am ganzen Körper zitternd hatte die junge Bajoranerin sein Mienenspiel verfolgt. Ihre langen dunkelbraunen Haare fielen wie ein Schleier über ihre Schultern, ihre großen grauen Augen schwammen in Tränen. Er hatte bisher noch nicht viele Bajoraner gesehen. Auf Cardassia hatten ihre Ausbilder ihnen Filmmaterial über den bajoranischen Widerstand gezeigt. Aber nichts, das er gehört oder gesehen hatte, hatte ihn auf so ein zartes, hilfloses Geschöpf vorbereitet. Noch immer hielt sie seine Knie umschlungen, die Hände fest in den Stoff seiner Uniform verkrallt. Ihre Jugend, ihre Schönheit rührten ihn mehr als er jemals zugegeben hätte.
Er wollte lieber nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn sie einem anderen als ihm über den Weg gelaufen wäre.
„Wie heißt du?“
„Haylan - und Sie werden ihr bestimmt nichts antun? - Bitte, machen Sie mit mir, was Sie wollen, aber ...“ Der Rest ging in einem erneuten Schluchzen unter.
Er beugte sich zu ihr hinunter und löste vorsichtig ihre verkrampften Finger von seiner Hose.
„Du musst keine Angst haben, Haylan“, sagte er sanft. „Sie hat von mir ebenso wenig etwas zu befürchten wie du. Alles, was ich von dir will, ist, dass du mich zu einem gewissen Ro Jaman bringst. Du weißt bestimmt, wo er zu finden ist, der Posten am Tor hat mir gesagt, dass alle hier ihn kennen.“
Bei der Nennung des Namens wanderte der Blick der jungen Bajoranerin von dem Gesicht des Cardassianers zu dem des Kindes, das aufgehört hatte, nach ihm schlagen zu wollen und ihn stattdessen misstrauisch ansah.
„Was willst du von meinem Vater?!“
„Das werde ich ihm selbst sagen, wenn du nichts dagegen hast.“
„Wenn du ihm was tust, töte ich dich“, stellte sie mit funkelnden Augen fest.
Garak ignorierte Haylans erschrockenen Blick. „Tatsächlich? Ja, ich glaube, dass du dazu fähig wärst. Zum Glück für uns alle liegt es mir fern, deinem Vater etwas zu tun. Aber mir wird hier draußen langsam kalt - und du siehst auch so aus, als könntest du ein wenig Wärme gut vertragen. Also schlage ich vor, dass du mich nun zu deinem Vater bringst, einverstanden?“
„Nein“, widersprach sie. „Ich weiß ja nicht mal, wer du bist!“
„Oh, wenn das alles ist, das lässt sich ändern. Mein Name ist Elim Garak - und mit wem habe ich das Vergnügen? - Wie heißt du?“, fügte er lächelnd hinzu als er ihre Verwirrung bemerkte.
„Laren“, antwortete sie nach einem kurzen Zögern. „Ro Laren.“

* * *

Äußerlich unterschied die Baracke sich nicht von den anderen, aber als Garak hinter Haylan, die Ro Laren an der Hand hielt, durch die niedrige Tür eintrat, spürte er sofort, dass hier jemand lebte, der anders war als die Bajoraner, die ihm auf dem Weg hierher begegnet waren.
In einem aus rohen Steinen gemauerten Herd flackerte ein Feuer und verbreitete angenehme Wärme. Der Mann, der dort leise vor sich hin pfeifend mit einigen zerbeulten Töpfen hantierte, hatte ihnen seinen breiten Rücken zugewandt.
Ro Laren ließ Haylans Hand los, rannte zu ihrem Vater und drückte sich an ihn.
„Hallo Kleines.“ Ro Jamans Rechte strich liebevoll über den verwuschelten Haarschopf seiner Tochter.
„Jaman“, begann Haylan unsicher.
„Die Propheten seien mit dir, Haylan“, sagte der große Bajoraner mit tiefer Stimme, ohne sich umzudrehen. „Ich hoffe, meine kleine Wildkatze hier war einigermaßen brav.“
„Ich habe einen Cardassianer getreten!“, verkündete Laren so selbstzufrieden, dass Haylan zusammenzuckte und Garak einen erschrockenen Blick zuwarf. Sie wollte etwas sagen, wagte es jedoch nicht, als der Offizier nun einen Finger an seine Lippen legte und ihr dadurch unmissverständlich zu schweigen gebot.
Jaman seufzte. „Eigentlich verstehe ich unter brav etwas Anderes. Wie oft schon habe ich dir verboten, Cardassianer zu reizen?! Das ist gefährlich! - Haylan du solltest künftig etwas besser auf sie achtgeben, sonst kann ich sie dir nicht mehr anvertrauen.“
Die junge Frau sah Garak fragend an. „Ja, es tut mir leid, Jaman“, stimmte sie zu, als der Cardassianer leicht nickte.
„Und du, junge Dame“, wandte Jaman sich streng an seine Tochter. „Schwörst mir jetzt bei den Propheten, dass du niemals wieder auch nur in die Nähe eines Cardassianers gehst - geschweige denn, dass du nach ihm trittst. Haben wir uns verstanden?!“
„Ich bin nicht in seine Nähe gegangen“, begehrte Laren auf. „Er ist zu uns gekommen - und er hatte es verdient, dass ich ihn getreten habe!“
Jaman seufzte erneut. „Versprich es, oder ich schwöre dir, dass du solange keinen Fuß mehr vor die Tür setzt, bist du begriffen hast, dass es hier nicht darum geht, ob dieser Cardassianer es verdient hatte, getreten zu werden - ich bin sicher, dass er das hatte, aber ...“
„Danke!“
Beim Klang dieser dunklen Stimme fuhr der Bajoraner herum. Sein Blick wanderte ungläubig zwischen Garaks erheiterten und Haylans blassen Zügen hin und her.
„Vergib mir, Jaman“, hauchte die junge Bajoranerin.
Langsam stellte Jaman den Topf, den er immer noch in der Hand hielt, auf die Herdplatte.
„Es war nicht deine Schuld, Haylan“, sagte er dann rau. „Und nun möchte ich, dass du Laren nimmst und mit ihr dieses Haus verlässt, vorausgesetzt“, wandte er sich nun in bittendem Tonfall an Garak. „Sie haben nichts dagegen einzuwenden.“
„Und wenn es so wäre?“
Jaman erbleichte. „Was muss ich tun, damit Sie wenigstens das Kind laufen lassen?“, fragte er tonlos, während er sich wie kraftlos am Herd abstützte.
„Nichts“, versetzte Garak. „Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf, Bajoraner, dann solltest du besser den Griff deiner Kelle loslassen, sie wäre eine äußerst schwache Waffe gegen einen Phaser. Deiner Tochter droht von meiner Seite keine Gefahr - und angesichts dieser Tatsache besteht meines Erachtens keine Veranlassung für unnötige Gewalt.“
„Haylan ...?“
„Es liegt nicht in meiner Absicht, einem so entzückenden Geschöpf ein Leid zuzufügen.“
Jaman entspannte sich, seine Finger lösten sich vom Griff der Kelle. Er umarmte seine Tochter. „Die Propheten mögen über dich wachen, Kleines.“ Er küsste sie zärtlich auf ihr Haar, dann trat er zu Garak. „Ich bin bereit! - Worauf warten wir“, fuhr er fort, als Garak sich nicht rührte. „Wenn Sie glauben, dass ich mich Ihnen zu Füßen werfe und um mein Leben bettele, dann muss ich Sie leider enttäuschen. - Wir alle müssen den Weg gehen, den die Propheten für uns bestimmt haben. Und wenn es mein Schicksal ist, hier und heute von Ihrer Hand zu sterben, dann sei es so. Also, was ist, bringen wir es hinter uns!“
„Wenn ich dich richtig verstehe“, vergewisserte Garak sich ungläubig, „bist du tatsächlich davon überzeugt, dass ich dich jetzt draußen vor der Tür exekutiere – nur, weil du der Meinung gewesen bist, ich hätte es verdient, von deiner Tochter getreten zu werden ...?! - Würden Gul Marak oder einer der anderen Offiziere das an meiner Stelle tun?“
„Ich denke, dass sie das bereits für sehr viel weniger tun würden.“
„Nun, wenn das so ist“, bemerkte Garak trocken. „Wäre jetzt wohl der geeignete Moment, deinen Propheten dafür zu danken, dass keiner von ihnen hier an meiner Stelle ist, oder?!“
Es dauerte einige Sekunden, bevor Jaman die Bedeutung dieser Worte bewusst wurde.
„Sie sind nicht wie die anderen Cardassianer“, stellte er fest, während er auf einen der vier hölzernen Stühle sank, die einen roh gezimmerten Tisch umgaben und Laren in seine Arme zog.
„Das mag gut sein - aber du bist den anderen Bajoranern hier auch nicht übermäßig ähnlich.“
Ein bitteres Lächeln umspielte Jamans Lippen. „Sie haben ihren Mut verloren, ihren Stolz, einige von ihnen sogar ihren Glauben. Dies sollte Sie mit Befriedigung erfüllen Glinn - Sie sind doch der neue Erste Offizier, nicht wahr?“
„Ja, pardon, ich habe es versäumt mich vorzustellen, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Garak, Elim Garak. Aber da wir gerade von gutem Benehmen reden, meinst du nicht, dass du der jungen Dame“, er deute auf Haylan, die dem Wortwechsel schweigend gefolgt war, „... auch einen Stuhl anbieten solltest?“
Ehe Jaman reagieren konnte, schüttelte die junge Bajoranerin den Kopf. „Mit Ihrer Erlaubnis, Glinn, würde ich lieber gehen. - Ich möchte meine Freundin suchen“, fügte sie erklärend hinzu, als Garak die Stirn runzelte. „Sie hat sich in ihrer Panik vermutlich irgendwo versteckt, ich möchte ihr gerne sagen, dass sie von Ihnen nichts zu befürchten hat, das hat sie doch nicht, oder?“
„Nein, von mir aus kannst du sie beruhigen.“ Während Haylan mit einem gehauchten Dank so eilig die Hütte verließ, als befürchtete sie, der Offizier könne es sich ansonsten womöglich doch noch anders überlegen, griff Garak nach einem Stuhl. „Darf ich?“
Jaman nickte, wie betäubt von der unerwarteten Wendung der Dinge.
„Nun Glinn Garak“, nahm der Bajoraner nach einer kurzen Pause den Faden wieder auf. „Sie sollten in der Tat sehr zufrieden sein, denn die meisten Bajoraner hier sind genau dort, wo sie nach Meinung Ihres Oberkommandos hingehören, auf ihren Knien!“
„Du bist das nicht.“
„Nein, aber wie Sie bereits erwähnten - ich bin nicht wie die anderen hier.“
„Das wusste ich bereits, bevor ich diese Hütte betrat. Gul Marak erwähnte mir gegenüber deinen Namen, und dass du hier als Verbindungsmann zwischen dem Lager und der Kommandantur fungierst.“
„Eine nette Umschreibung dafür, dass ich ihn regelmäßig vergeblich um bessere Verpflegung, warme Decken, Medikamente und ähnliche Dinge bitte, die ihn nicht mehr als ein Wort, einen Wink kosten, für die meisten Bajoraner hier jedoch den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten würden. Sind Sie gekommen, um sich davon zu überzeugen, dass wir all diese Dinge doch eigentlich gar nicht brauchen, weil uns als Insassen eines Flüchtlingslagers laut Ihrer Regierung alle Gerechtigkeit zuteil wird und es uns daher an nichts mangelt.
„Nein, ich bin hier, weil ich mit dir über einige Änderungen sprechen möchte, die ich einzuführen beabsichtige.“
„Hat die Lagerleitung vor, unsere Rationen noch weiter zu kürzen? Um mir das zu sagen, hätten Sie sich nicht den weiten Weg machen müssen, das hätten wir auch so gemerkt!“
Garak ignorierte den unverhohlenen Sarkasmus, er hatte nicht vor, sich provozieren zu lassen. Außerdem lag es auf der Hand, dass es die schiere Verzweiflung war, die aus Jaman sprach. Der junge Offizier kannte die öffentlichen Verlautbarungen seiner Regierung zum angeblich nicht existierenden Elend in den bajoranischen Flüchtlingslagern.
Wie die Wahrheit aussah, nun davon hatte er sich auf seinem Rundgang mit eigenen Augen und Ohren überzeugen können. Eine hässliche Wahrheit war es, in der es von ausgemergelten zerlumpten Bajoranern nur so wimmelte - kein Wunder, dass seine Regierung so bemüht war, sie zu beschönigen wo sie nur konnte. Daheim auf Cardassia gab es unter der Bevölkerung viele, die zivilisiert genug waren - oder sich zumindest dafür hielten - um ihrem echten oder geheuchelten Abscheu angesichts solch katastrophaler Zustände durch öffentliche Proteste Ausdruck zu verleihen und damit Unruhen auszulösen, die den inneren Frieden des Reiches ernsthaft gefährden konnten.
„Die erste Änderung betrifft dich“, fuhr Garak unbeirrt fort. „Ab sofort wirst du mit deinen Klagen nicht mehr zu Gul Marak kommen, sondern zu mir.“
„Dann hat der verehrte Gul also endgültig genug von meinem lästigen Gejammer. Nun, mir soll es recht sein. Im Ergebnis spielt es ohnehin keine Rolle, ob meine Bitten von ihm oder Ihnen abgelehnt werden, nicht wahr?!“
„Ich habe durchaus nicht die Absicht, den Entscheidungen des Kommandanten in irgendeiner Form vorzugreifen“, sagte Garak gelassen. „Sofern ich deine Bitten für berechtigt halte, werde ich sie Gul Marak mit einer entsprechenden Empfehlung vorlegen.“
„Sie wollen mit Gul Marak über meine Bitten sprechen?!“
„Wie ich es sagte, ja, sofern ich sie für berechtigt halte - und nachdem, was ich von dir gehört habe, hat es den Anschein, als ob sie es wären.“
„Sie meinen das wirklich ernst, nicht wahr?“
„Ja“, bekräftigte Garak. „Das tue ich. - Und wenn es dir genauso ernst damit ist, die Situation deiner Landsleute in diesem Lager zu verbessern, sollte dem nicht so viel im Wege stehen.“
Jaman sah seine Tochter an. „Bei den Propheten, Laren, ich glaube, wir haben uns vorhin beide geirrt. Dieser Cardassianer hatte es sicher nicht verdient, von dir getreten zu werden. Sagen Sie, Glinn“, Jaman deutete auf den Topf, der auf dem Herd brodelte und dem mittlerweile ein würziger Duft entströmte. „Mögen Sie eigentlich Hasperat?“
„Das bajoranische Nationalgericht? Nun, ich habe davon schon gehört, hatte bislang jedoch leider noch keine Gelegenheit, es selbst zu probieren.“
„Wenn das so ist“, meinte Jaman lächelnd, „... dann wird es Zeit, dass wir das ändern.“
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