TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Wer nicht kämpft, hat schon verloren Teil 2

von werewolf

Kapitel 2

Ihr Vater hatte an diesem Tag schon eher Arbeitsschluss gehabt und trug einen flachen und recht hohen Karton unter dem Arm. „Ihr werdet es nicht glauben, aber wir haben tatsächlich ein neues Fenster für den Flur bekommen. Die Chancen auf ein zweites sind auch nicht schlecht.“
„Sehr schön. Woher hast du das?“, fragte Ziyal mit sogar echtem Interesse.
„Eine Anerkennung für meinen Einsatz auf der Arbeit. Tja, früher gab es da zusätzliches Gehalt, heute Gebrauchsgegenstände. Ich konnte sogar zwischen dem Fenster und einer Tür wählen. Was glaubt ihr, wie mein Vorgesetzter geguckt hat, als ich gesagt habe, Türen hätten wir noch.“
Er stellte den Karton ab und begann damit, das Fenster und die Fensteröffnung in der Wand auszumessen.
„Perfekt, das passt sogar“, rief er nach ein paar Minuten begeistert, „das ist ja ein richtiger Glückstag heute. Da kann ich es ja gleich einbauen.“

Während der Cardassianer das Fenster einbaute, betrat Naprem das Gelände. „Das sieht ja schon gut aus“, meinte sie mit einem Blick auf die Bretterstapel. „Was macht Skrain da eigentlich?“
„Er baut ein Fenster ein“, antwortete Silon, „das hat er heute bekommen.“
„Wie schön. Jonin, ich habe ein gute Nachricht für dich. Du kannst in einem Krankenhaus in Erato anfangen, eine Kleinstadt fünfzig Kilometer von hier. Im Nachbarort, etwa fünf Minuten zu Fuß, gibt es eine Shuttlestation. Dreimal am Tag fliegt ein Shuttle, sogar zu passenden Zeiten.“
„Wann kann ich anfangen?“ Jonin wirkte durchaus erfreut.
„Schon morgen, wenn du willst. Ich habe ihnen gesagt, dass du noch nicht viel Kardasi kannst, und die Abteilungsleiterin meinte, sie stellt dir jemanden zur Seite. Einen ehemaligen Soldaten, der auf Bajor stationiert gewesen ist, aber aufgrund einer Verletzung dienstuntauglich wurde und seitdem als Krankenpfleger arbeitet. Zudem habe ich die Anweisung gegeben, dich nicht auf der Kriegsverletztenstation einzusetzen.“
Ihre Freundin wollte etwas einwerfen, aber Naprem sprach gleich weiter. „Ich weiß, du denkst, ich will dich bevormunden oder halte dich für schwach. Aber das ist nicht so. Ich sage das in deinem Interesse. Du bist zum Glück den Krieg nicht gewöhnt. Dann ist der Anblick dieser Station umso erschreckender, und ich denke, du solltest dich erst langsam mit dem Thema auseinandersetzen. Wenn du möchtest, kannst du ja später dort arbeiten.“
Ehe Jonin etwas erwidern konnte, zog Runy seine Aufmerksamkeit auf sich, als er im Sturzflug auf einem Bretterstapel landete und offenbar ein kleines Tier erbeutet hatte.

Eine knappe Woche verging. Silon ging wieder in die Schule und genoss es sichtlich, von seinen Altersgenossen akzeptiert zu werden. Er redete sogar mit ihr über den Unterricht, die Lehrer und Mitschüler, mehr als mit ihren Eltern. Wahrscheinlich noch eine Angewohnheit von Bajor. Es war ihr allerdings mehr als recht, sie freute sich, dass es ihm wieder besser erging und hörte ihm gerne zu. Außerdem musste sie so nicht selbst etwas erzählen.
Jonins Arbeit lief auch gut, zumindest erzählte sie positiv davon. Nur mit Naprems Entscheidung, ihren Einsatz auf der Kriegsverletztenstation zu untersagen, war die jüngere Bajoranerin offenbar gar nicht einverstanden. Sie schien sogar ärgerlich darüber zu sein, was ihr sonst gutes Verhältnis zu Silons und Ziyals Eltern etwas eintrübte. Die Halbcardassianerin wurde nicht müde zu erwähnen, dass Naprem es sicher nur gut gemeint hatte und auch ihre Gründe haben würde, mischte sich aber ansonsten nicht weiter ein.
Sie selbst war Gedanken um ihre berufliche Zukunft bisher aus dem Weg gegangen, auch wenn sie wusste, dass es irgendwann sein musste.
Aber was sollte sie ohne Kardasi zu können für einen Beruf ergreifen?
Sie hatte einen sehr guten Abschluss gemacht, der jetzt allerdings so gut wie wertlos war.

Ziyal fütterte gerade Woan, als Jonin den Hof betrat. Eigentlich hätte diese noch vier Stunden Schicht gehabt, weshalb sie darüber erstaunt war.
Naprem, die heute frei hatte, kam unverzüglich aus dem Gebäude und ging zu der anderen Bajoranerin.
Ziyal näherte sich ihnen ebenfalls. Sie bemerkte, dass Jonin ziemlich blass und nicht besonders sicher auf den Beinen war. Kaum hatte sie die Wand erreicht, stützte sie sich schwer dagegen und bemühte sich offenbar, sich nicht zu übergeben.
„Ziyal, hol mal bitte ein Glas Wasser“, wies ihre Mutter sie an, bevor sie weiter über die Situation nachdenken konnte, und sie kam dem nach.

Als sie wieder auf den Hof zurückkehrte, bemerkte sie, dass Jonins Versuch, ihren Mageninhalt bei sich zu behalten wohl nicht erfolgreich gewesen war.
Sie reichte ihrer Freundin das Gefäß mit Wasser, was diese dankbar annahm.
Nachdem die jüngere Bajoranerin etwas davon getrunken hatte, begann Naprem das Gespräch.
„Was ist denn überhaupt passiert?“
„Ich habe mich entgegen deiner Anweisung verhalten“, meinte diese. Die Situation war Jonin sichtlich unangenehm. „Du hast gesagt, ich soll besser nicht auf diese Station gehen, aber ich habe es vorhin gemacht. Das Ergebnis seht ihr ja. Deshalb bin ich auch eher zurückgekommen.“ Pause. „Tut mir leid, dass ich mich nicht daran gehalten habe. Du hattest Recht.“
„Du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Ich habe damit nur dein Bestes gewollt, und du trägst gerade die Konsequenzen dafür, nicht ich. Deine Reaktion auf den Besuch dieser Station ist übrigens nicht ungewöhnlich, selbst ich gehe dort nur sehr ungern hin, obwohl ich nun wirklich schon Einiges erlebt habe. Ich bewundere ja immer die Angehörigen, die dort ein und aus gehen, dass sie das durchhalten.“
„Aber mir ist heute etwas klar geworden“, meinte Jonin plötzlich, „ich möchte dort arbeiten. Auch wenn ich nur kurz da war, habe ich doch gesehen, dass es dort viel zu wenig Personal gibt. Ich möchte diesen Leuten helfen. Auch wenn ich wahrscheinlich nicht allzu viel ausrichten kann, kann ich immerhin meinen Beitrag leisten. Meinst du, ich kann mich an diesen Anblick irgendwie gewöhnen?“
„Wenn du dir da wirklich sicher bist, kann ich dich möglicherweise dabei unterstützen. Ich werde dir unter anderem morgen von der Arbeit etwas mitbringen, was dir da sicher helfen kann.“
„Und was ist das?“, fragte Ziyal. Sie war noch nie auf einer solchen Station gewesen, hatte aber schon ein paar andere unschöne Dinge gesehen und bewunderte Jonin dafür, in Zukunft fast jeden Tag freiwillig von Tod und Elend umgeben zu sein.
„Ein Buch über kriegsbedingte Verletzungen und Erkrankungen von Körper und Psyche. Zum Teil mit sehr… deutlichen Fotografien. Es gehört einer Kollegin von mir, aber ich bin sicher, gegen ein paar von den Brettern da wird sie es eintauschen wollen. Geld spielt hier nur noch bedingt eine Rolle.“
„Gibt es eigentlich noch etwas Schlimmeres als die Kriegsverletztenstation?“, wollte die jüngere Bajoranerin wissen.
„Allerdings, das gibt es. Diese Station für Kinder und Jugendliche.“
„Wie bitte?!“ Jonin konnte es offenbar nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Sie selbst war von dieser Aussage ebenfalls ziemlich geschockt.
„Die Angriffe galten nicht nur militärischen Zielen, sondern auch einfachen Städten, Dörfern, Schulen, Krankenhäusern und sämtlichen wichtigen Stützpunkten der Infrastruktur. Ich war nur einmal kurz dort, weil ich mit dem Schichtleiter sprechen musste. Danach ging es mir etwa so wie dir gerade, weil ich mir immer vorstellen musste, dass Ziyal und Silon… jedenfalls war ich danach umso überzeugter, dass unser Entschluss, die beiden nach Bajor zu schicken, richtig gewesen war.“

Skrain war unbemerkt hinzugekommen. Offenbar war er für den Rest des Tages freigestellt worden und hatte die letzten Sätze mitgehört. Er ließ den Blick einmal durch die Runde schweifen und konnte sich vermutlich vorstellen, was in etwa vorgefallen war. „Uns ist diese Entscheidung schwergefallen, aber es schien das einzig Richtige gewesen zu sein.“ Pause. „Mir wurde kürzlich etwas erzählt von jemandem, den ich kannte. Er hat seine Frau und ihre vier Kinder verloren und sich am Ende dann selbst umgebracht, weil er es nicht ausgehalten hat. Ich bin ein glücklicher Mann. Meine Familie lebt noch und dafür werde ich ewig dankbar sein.“
Ein Grund mehr für sie, sich nicht anmerken zu lassen, wie es ihr wirklich ging. Ihre Eltern hatten schon genug durchgemacht, da musste es nicht sein, dass sie sie noch belastete.

Am nächsten Abend saß sie wie schon öfter vor dem Haus auf dem Boden und sah in den Sternenhimmel. Jonin und Silon schliefen schon, immerhin mussten sie früh aufstehen, ebenso Mila und Skrains Bruder. Ihre Eltern vermutlich ebenfalls. Woan lag im Flur und war noch nicht einmal aufgewacht, als sie versehentlich im Dunkeln auf seine Pfote getreten war.
Die Verhältnisse im Haus waren sehr beengt, aber erstaunlicherweise gab es darüber zwar manchmal Nörgeleien, aber nie Streit.
Ihre Eltern waren nach ihrer Ankunft aus Silons ehemaligem Zimmer in die Küche umgezogen, weshalb der Reithund jetzt im Durchgangsbereich lag. Mila und ihr Vater teilten sich das Esszimmer, sodass Ziyal, Silon und Jonin jetzt das Zimmer bewohnten, das früher dem Halbcardassianer gehört hatte. Außer diesen Räumen gab es nur noch das Badezimmer, das natürlich als Schlafplatz gar nicht geeignet war.
Dort war Runy nachts auf einem Ast an einem seiner Füße angebunden, wie auch schon auf Bajor. Da der Falke am Tag viel fliegen konnte, machte ihm das auch nichts aus.
Die Hara – Katze war, wie sie einmal von Skrain erfahren hatte, bei dem Einsturz des hinteren Gebäudeteils ums Leben gekommen. Er überlegte wohl, später eine neue zu beschaffen, aber momentan war das so gut wie unmöglich.
„Hallo, Ziyal“, hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich. Ihre Mutter.
„Hallo“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Warum bist du hier?“
„Manchmal kann ich einfach nicht schlafen. Habe einige Dinge gesehen, die wohl nicht hätte sehen sollen. Aber es ließ sich halt nicht vermeiden im Krieg. Und du?“
Sie zögerte kurz. „Ach, nichts Besonderes. Ich sitze einfach gerne hier.“
„Ziyal, lüg mich nicht an.“ Naprem klang nicht vorwurfsvoll oder wütend, sondern neutral und fast schon beiläufig.
Als sie dazu ansetzte, etwas zu erwidern, kam die Bajoranerin ihr zuvor. „Ich habe dich lange genug beobachtet, um zu wissen, dass etwas mit dir nicht stimmt. Du bist meine Tochter, und ich kenne dich schon seit deinem ersten Atemzug. Mir kannst du nichts vormachen. Und seit du wieder hier bist, wirkst du so mutlos, schweigsam und ziellos wie noch nie. Dein Vater ist übrigens der gleichen Meinung, es gab da eine Begegnung zwischen euch im Flur, die ihn wohl sehr irritiert hat. Was vorgefallen ist, weiß ich nicht, aber ich traue seinem Urteilsvermögen.“
Ziyal seufzte frustriert. „Muss ich euch sagen, was los ist?“
„In diesem Fall ja. Wir akzeptieren, dass du uns nicht alles sagen willst, aber wir haben beide nicht den Eindruck, dass du mit der momentanen Situation alleine fertig wirst. Sollte das doch so sein, wäre jetzt der geeignete Moment, um mir das mitzuteilen.“
Schweigen. Naprem wartete offenbar ab, sie ahnte wohl, dass in Ziyal ein innerer Kampf tobte. Mehrere Minuten lang passierte nichts, ehe die Halbcardassianerin zu reden begann. „Ich weiß es selbst nicht. Wirklich. Ich verstehe meine Gedankengänge nicht mehr und auch sonst nichts. Es tut mir leid, aber ich kann es dir nicht erklären.“
Ihre Mutter nickte. „In Ordnung. Aber es ist dir nichts passiert auf Bajor oder woanders?“
„Nein. Ich wurde nur gemieden und man hat mir auf der Arbeit unbeliebte Aufgaben zugeteilt. Silon hat es schlimmer erwischt als mich.“
„Willst du trotzdem darüber reden?“
„Ja, aber…ich kann nicht.“
Kurze Pause. „Ich mache dir einen Vorschlag. Erst erzähle ich, was hier in der Zwischenzeit passiert ist, mit Skrain und mir, und dann kannst du entscheiden, ob du auch etwas von dir äußern möchtest?“
„Das ist eine gute Idee, denke ich.“ Ziyal war überrascht von diesem Vorschlag, aber er erschien ihr sinnvoll und vielleicht würde es ihr tatsächlich helfen, darüber zu reden.

Sie erfuhr Einiges von den Gefühlen der Bajoranerin, was den Krieg und seine Schrecken anging, von den Todesumständen ihrer Großeltern, aber auch von Dingen, die das Zusammenleben mit ihrem Vater angingen. „Auch wenn du es mir vielleicht nicht glauben wirst, wir waren in den letzten zwei Jahren nicht mehr als ein paar Stunden getrennt. Im Kampf standen wir Seite an Seite, retteten uns gegenseitig nicht nur einmal das Leben. Ich saß nicht selten an seinem Krankenbett und er an meinem. Natürlich hatten wir an Bord der Schiffe oder in den Stationen auch Schlafgelegenheiten, aber dann haben wir darauf verzichtet und uns lieber neben den jeweils Anderen auf den Boden gelegt. Hauptsache, nicht allein.
Wenn wir nicht eingesetzt waren, verbrachten wir die Zeit zusammen, denn wir wussten, dass jeder gemeinsame Moment der letzte sein konnte. Unsere Gedanken galten oft euch, aber wir wussten auch, dass es nicht viel gab, was wir für euch hätten tun können. Es freut mich übrigens sehr, dass du den Stein noch hast, den wir dir zum Geburtstag geschenkt haben. Leider konnten wir nichts bekommen, was dir gefallen hätte, und so dachten wir, dass es gut wäre, dir etwas zukommen zu lassen, was dich an uns und deine Heimat erinnert.“
Pause.
„Einmal habe ich wirklich um Skrains Leben gefürchtet. Er konnte sich vor einer Explosion nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Ich hatte es gerade noch geschafft, aber er war den Bruchteil einer Sekunde zu langsam. Er wurde von einigen Splittern an der Schläfe getroffen und ging zu Boden, das war alles, was ich gesehen hatte, bevor ich wieder auf das Kampfgeschehen achten musste.
In den ersten Stunden nach dem Einsatz waren nur einige Sanitäter da, um die Verletzten zu versorgen. Skrain war bewusstlos und keiner konnte mir sagen, ob er Verletzungen am Gehirn davongetragen hatte oder nicht. Wenn das so gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich kaum eine Chance gehabt. Ich habe die schlimmsten Ängste ausgestanden, die ich je im Leben hatte.
Später trafen einige Ärzte ein, Skrain wurde unverzüglich operiert und dann erfuhr ich auch Genaueres. Ein Metallsplitter war dicht an seinem Auge vorbei ins Schädelinnere gelangt und weniger als einen halben Zentimeter vor seinem Gehirn gelandet. Knapper hätte es nicht werden können. Seitdem ist er auf dem Auge nahezu blind, weil der Sehnerv stark beschädigt wurde. Deshalb war das auch eigentlich sein letzter Einsatz, aber er wollte mich nicht allein in den Kampf ziehen lassen und ließ sich nach einer kurzen Zeit, die er dazu nutzte, sich an das veränderte Sehen zu gewöhnen, wieder eingeschränkt dienstfähig schreiben.
In den letzten Tagen des Krieges passierte mir etwas ganz Ähnliches. Ich bemerkte den Sprengsatz nicht, weil ich von mehreren Klingonen umstellt war, als Skrain sie plötzlich beiseite drängte und mich mit sich zu Boden riss. Andernfalls wäre ich tot gewesen.
Allerdings trafen mich ein paar Trümmerteile so heftig in der Seite, dass meine Rippen nachgaben und Knochenteile in die Lunge gedrückt wurden.
Durch eine Operation konnte man mich retten, aber seitdem darf ich mich körperlich nicht mehr anstrengen. Der Gang zum Landeplatz und zurück, um euch abzuholen, war schon zu viel. Euer Vater wollte deshalb nicht, dass ich mitkomme, aber ich hätte um keinen Preis darauf verzichtet.
Auch wenn es unverständlich klingt, es geht mir gut. Ich arbeite viel und habe Schmerzen, aber das ist in Ordnung. Vielleicht kann ich bald eine neue Lunge bekommen. Ein Arzt, der ein paar Semester Xenobiologie hatte, überlegt, die Transplantation durchzuführen. Wenn es klappt, wäre ich wieder gesund. Das wäre schön, aber muss nicht sein. Ich habe meine Familie, ein Dach über dem Kopf und muss nicht hungern. Das reicht mir. Ich bin glücklich, Ziyal.“
Die Halbcardassianerin überlegte einige Momente lang. Glücklich. Naprem war schwer krank, aber mit ihrem Leben zufrieden. Es war nicht einfach zu verstehen.
Und ich jammere hier über Kleinigkeiten, dachte sie bitter. Sie hat sonst was erlebt und ich – ich habe einfach nur ein paar kleine Probleme, die eigentlich egal sind.
„Ziyal?“ Ihre Mutter sprach ruhig, aber sie konnte die Sorge aus deren Stimme heraushören.
„Ist nicht so wichtig, was ich habe. Ich meine, es ist nicht annähernd so schlimm wie das, was du erzählt hast.“ Wenigstens konnte man ihr jetzt nicht vorwerfen, zu lügen.
„Wenn es nicht wichtig wäre, würdest du nicht mehrmals anfangen zu weinen oder dich nur mit Mühe davon abhalten können. Außerdem habe ich dir schon gesagt, dass es mir gut geht. Natürlich habe ich nicht alles erzählt, es gibt Dinge, die dich nur beunruhigen würden, aber es ist in Ordnung. Wirklich. Und du hilfst mir auch nicht, indem du deine Probleme verschweigst.“

Sie erzählte, was sie belastete. Und es half ihr. Vielleicht würde Naprem eine Lösung finden können. Oder ihr zumindest helfen, besser damit zurechtzukommen.
„Und du kannst Kardasi auch nicht wieder lernen?“
„Nein. Ich habe es versucht, aber es geht nicht. Die Worte wollen einfach keinen Sinn ergeben.“
„Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich nicht, dass du es einfach nur vergessen hast. Es scheint mir eher ein Symptom für eine psychische Erkrankung zu sein, aber darüber weiß ich offen gestanden nicht gut genug Bescheid, um dir wirklich helfen zu können. Hättest du etwas dagegen, wenn ich mit einem Bekannten darüber spreche? Er ist Psychologe und auch wenn er momentan genug zu tun hat, kann er sicher kurz Zeit dafür erübrigen.“
Sie stimmte zu. Ehrlich gesagt war es ihr egal, aber wenn ihre Mutter meinte, dass es etwas bringen könnte, würde sie da nicht widersprechen. Sei vertraute Naprems Rat.
„Dann werde ich das so bald wie möglich machen. Danke für dein Vertrauen.“ Kurze Pause. „Die Rehara Schule hat eine Anfrage an dich geschickt. Sie wollen, dass du die Aufnahmeprüfung machst.“ Sie war überrascht. Eine renommierte Schule, die die besten Politiker und Verhandlungsführer hervorbrachte.
„Ohne Kardasi zu können?“
„Du wirst die Fragebögen auf Bajoranisch bekommen.“
„Ich glaube kaum, dass das möglich ist…“
„Das geht. Glaub mir. Ich muss mich wieder hinlegen. Du solltest auch versuchen, zu schlafen. Bis morgen.“ Damit stand die Bajoranerin auf und verschwand wieder im Haus.

Auch als sie sich auf ihre Matratze auf dem Zimmerboden gelegt hatte, dachte sie noch über die Anfrage der Schule nach. Die Frage, warum gerade sie eingeladen wurde, war schnell beantwortet: sie hatte sehr gute Abschlussprüfungen geschrieben, ihre Ausarbeitung im Fach Politik war von allen ihren Lehrern besonders gelobt worden.
Es war eine Ehre, diese Schule zu besuchen, und wenn sie die Aufnahmeprüfung schaffte, stünden ihr alle Berufe in der politischen Laufbahn offen.
Es war unsinnig, dass sie sich fragte, ob sie dorthin gehen wollte. Aber dennoch tat sie es.
Die Politik. Dafür hatte sie sich schon immer interessiert, oft mit ihrem Vater darüber diskutiert. Aber war die Ämterlaufbahn das, was sie im Leben tun wollte? Sie würde mit einem eher niedrigen Amt beginnen, aber durch ihren Schulabschluss und gute Arbeit schnell aufsteigen können, vielleicht eines Tages wirklich etwas bewegen können.
Aber andererseits würde sie viel Verantwortung tragen und sie wusste nicht, ob sie dem gewachsen wäre. Und vor allem musste sie unbedingt wieder Kardasi lernen.
Dennoch konnte es sicher nicht schaden, die Aufnahmeprüfung zu machen. Diese kostete nichts und mehr als durchfallen konnte sie ja nicht. Sollte sie sogar angenommen werde, konnte sie dann immer noch entscheiden.

„Wie sind heute erst irgendwann spätabends zurück“, meinte Skrain am nächsten Morgen, bevor er und Naprem sich auf den Weg zur Arbeit machten.
„Wir arbeiten heute beide lange“, ergänzte Naprem, „und ich habe anschließend einen Termin beim Arzt.“ Die Anspannung war aus ihrer Stimme herauszuhören, allerdings nur, wenn man darauf achtete.

Nachdem Silon zur Schule gegangen war, brachte sie den Reithund nach draußen und leinte ihn dort an, sodass er Auslauf hatte, das Grundstück aber auch nicht verlassen konnte. Anschließend ließ sie Runy fliegen –er würde später allein zurückkehren- und ging dann wieder in ihr gemeinsames Zimmer, um mit Jonin zu reden. Diese hatte heute Spätschicht und zudem verkürzten Dienst, als Belohnung für gute Arbeit. Deshalb musste die Bajoranerin erst am Nachmittag zur Shuttlestation. Zum Glück waren die Arbeitszeiten an die Flugzeiten der Shuttles angepasst.
Als sie den Raum betrat, saß Jonin auf ihrer Matratze, in der Hand ein Buch mit einem schlichten weißen Einband. Ihre Freundin wirkte in Gedanken versunken und bemerkte sie erst nach einigen Augenblicken.
„Was ist das?“
„Das Buch, dass Naprem mir mitgebracht hat. Über die Kriegsverletzungen. Es wäre gut, wenn ich mich so langsam daran gewöhnen könnte, aber dann müsste ich mich mal dazu durchringen, es zu lesen. Oder besser gesagt, die Bilder anzugucken. Den Text verstehe ich ohnehin nicht, aber irgendwann muss ich die Verletzungen ja mal angucken können, ohne dass mir gleich ganz anders wird.“
„Bist du dir denn sicher, diese Arbeit machen zu wollen?“
„Ja. Ich glaube, es ist das, was mir im Krankenhaus auf Bajor immer gefehlt hat. Das Gefühl, dass ich etwas tue, was anderen wirklich hilft. Auf der Station gab es genug Personal und schwere Fälle bei den Patienten waren so selten, dass ich fast nie mit ihnen gearbeitet habe. Aber das war es, was mir immer am meisten Glauben an den Sinn meiner Arbeit gegeben hat.“
„Du bis wirklich entschlossen, da zu arbeiten. Das ist gut.“
„Und hast du schon was Berufliches gefunden?“
„Ich habe eine Anfrage von einer bekannten Schule für politische Berufe erhalten. Wenn ich die Aufnahmeprüfung bestehe, könnte ich dort eine Art Studienplatz bekommen und wenn es dann gut läuft, habe ich in viereinhalb Jahren einen der besten Abschlüsse, die man auf Cardassia bekommen kann.“
„Das ist doch super“, freute sich Jonin. „Politik interessiert dich ja auch und ich könnte mir denken, dass ein solcher Beruf gut zu dir passt.“
„Das kann sein.“
„Aber?“ Die Bajoranerin hatte ihr Zweifeln bemerkt.
„Ich…befürchte, dass ich der Verantwortung nicht gewachsen bin, die ein Leben als Politikerin mit sich bringt.“ Das war ja auch ein Grund, allerdings behielt sie ihr hauptsächliches Problem für sich.
„Du bist eine der verantwortungsbewusstesten Personen, die ich kenne“, entgegnete
ihre Freundin. „Wenn das eine schafft, dann du. Schließlich hast du als Jugendliche zwei Jahre lang die Verantwortung für deinen Bruder übernommen und hast für euch beide gesorgt, ihm bei seinen Problemen geholfen und deine eigene Verfassung immer zurückgestellt. Das hätte nicht jeder geschafft. Ich weiß auch nicht, ob ich das gekonnt hätte.“

Jonin hatte sich auch dazu durchringen können, das Buch aufzuschlagen. Sie bewunderte, dass sich die Bajoranerin durch das halbe Schriftwerk quälte, obwohl dieser schon die erste Seite sichtlich zugesetzt hatte. Dann legte diese das Buch allerdings mit einem ziemlich angegriffenen Gesichtsausdruck beiseite.
„Oha. Daran muss ich mich wirklich erst mal gewöhnen. Das ist ja wirklich grauenvoll, was man da manchmal sieht. Als ich kurz auf der Station war, habe ich zum Glück nicht allzu viel im Detail gesehen, sonst wäre ich wohl gleich umgefallen.“
„Bis wohin bist du bei den Bildern schon gekommen?“
„Sämtliche Verletzungen habe ich jetzt schon gesehen, genauso wie die Auswirkungen der psychischen Erkrankungen. Da war ein Foto von jemandem, der sich aus einer reinen Angstreaktion die Arme fast komplett aufgeschnitten hat. Und der hat es noch nicht mal bemerkt, stand da. Zumindest habe ich den Text so verstanden. Jetzt fehlen noch die Krankheiten, die durch chemische Kampfstoffe und Ähnliches verursacht werden. Aber Naprem meinte, das ist eigentlich nicht so schlimm anzugucken wie der Rest.“ Pause. „Ich hoffe, ich komme damit irgendwann zurecht. Immerhin muss ich mich dann um Personen mit solchen Verletzungen kümmern und da kann mir ja nicht immer schlecht werden.“ Eine weitere Pause. „Wenn ich das fragen darf… was ist eigentlich das Schlimmste, was du von solchen Dingen schon gesehen hast? Ich meine, der Krieg scheint hier ja präsenter zu sein als ich bisher dachte…“
„Einmal, da war ich vielleicht zehn oder elf, sind meine Eltern mit mir in der Hauptstadt gewesen und da sind wir an einer Art Shuttle vorbeigegangen, was dafür vorgesehen war, getötete Soldaten in die Heimat zu bringen, damit sie dort beigesetzt werden konnten. Jedenfalls habe ich da eine Leiche gesehen, die noch nicht vom Ästhetiker bearbeitet wurde.“
„Ein Ästhetiker? Was ist das?“, unterbrach Jonin.
„Eine Art Chirurg oder Pathologe, der aber nur dafür zuständig ist, tote Körper in einen optisch vertretbaren Zustand zu versetzen, damit die Angehörigen Abschied nehmen können. Auf Cardassia ist das ein eigener Beruf, während auf diese Aufgabe auf anderen Planeten meistens vom normalen Bestatter übernommen wird. Vor dem Krieg war das hier genauso.
Die Leiche war jedenfalls in einem recht erschreckenden Zustand, und hätten Skrain und Naprem eher bemerkt, dass es so ein Shuttle ist, hätten sie auch verhindert, dass ich das sehe. Das hat mein Vater mir später mal gesagt. Zumindest konnte man sich aber anhand der Verletzungen denken, dass der Soldat einen schnellen Tod hatte.“ Pause. „Ich denke nicht oft an diese Sache, aber wenn, dann frage ich mich immer, wer er gewesen ist, bevor er die Leiche an Bord dieses Shuttles wurde. Sicher war er Familienvater, Ehemann, Sohn, Bruder und bester Freund von jemandem. Personen, für die mit seinem Tod eine Welt zusammengebrochen ist. Was er für Vorstellungen vom Leben hatte. Träume. Ziele. Wünsche. Sorgen und Nöte. Ängste. Alles, was eine Persönlichkeit ausmacht.“ Sie versuchte zu lächeln. „Vielleicht wäre Philosophie als Studienfach doch besser für mich. Wenn es das noch gäbe.“
„Im Gegenteil. Wenn du mal diese Rede vor den tollen Räten der Föderation und anderswo hältst, die Einsatzbefehle schreiben und noch nie mit dem Krieg zu tun hatten…ich bin sicher, dann überlegen sie einmal öfter, ob sie ihre Unterschrift setzen.“
Ziyal freute sich ehrlich darüber, dass Jonin an ihre politische Eignung glaubte, aber dennoch ging sie nicht davon aus, dass sie den Studienplatz bekam. „Wenn ich es wirklich schaffe. Die Aufnahmeprüfung soll schwer sein und es fallen sogar viele von denen durch, die sich jahrelang darauf vorbereitet haben. Eigentlich muss ich mich gar nicht anmelden.“
„Versuch es. Ich glaube, andernfalls würdest du dich dein Leben lang fragen, was gewesen wäre, wenn du die Prüfung gemacht hättest.“

Als sie am Nachmittag eine Gemüsereihe im Garten einsäte, dachte sie noch einmal über die Aufnahmeprüfung nach. Mit einiger Frustration fiel ihr dann auch auf, dass sie ohnehin nicht dafür lernen konnte. Die Bücher waren auf Kardasi, und sicher hatte keines ihrer Elternteile genug Zeit, um ihr alles zu übersetzen. Die einzige Möglichkeit wäre, Silon von ihrem Problem zu erzählen, allerdings hatte sie auch keine Ahnung, was er dazu sagen würde. Sie konnte ihn in letzter Zeit nicht mehr wirklich einschätzen.
Dennoch entschied sie sich dazu, ihn darauf anzusprechen.
„Sowas habe ich mir schon gedacht“, kommentierte ihr Bruder, „konnte mir nicht vorstellen, dass du nur wegen Jonin die ganze Zeit auf Bajoranisch redest. Wie viele Bücher sind es denn?“
Ziyal hatte die Unterlagen vorhin im Flur genauer betrachtet und wusste deshalb ziemlich genau, wie umfangreich diese waren. „Sechs Bücher. Je zweihundert Seiten.“ Sie senkte kurz den Blick.
„Ist das viel.“ Silon wirkte schon fast erschrocken. „Ich muss selbst viel nacharbeiten, was ich in den zwei Jahren verpasst habe. Du weißt, ich kann euch draußen schon kaum noch helfen. Aber ich werde sehen, was ich tun kann. Am besten, du gibst mir die Bücher nachher, ich überfliege die Inhaltsverzeichnisse und übersetze dir, was am wichtigsten zu sein scheint. Was für Themen brauchst du am dringendsten?“
Sie seufzte. „Wirtschaftsmathematik.“
„Ausgerechnet. Aber ich kann das verstehen, Mathe ist einfach eine komplizierte Sache.“
„Danke schon mal. Aber du sollst auf keinen Fall wegen mir deinen Abschluss aufs Spiel setzen.“
„Mache ich schon nicht, keine Sorge. Aber kannst du mir mal kurz hier bei den Hausaufgaben helfen?“
„Natürlich. Worum geht es?“
Er legte ihr das entsprechende Heft hin, und auch wenn sie die Sprache nicht verstand, wusste sie angesichts der komplizierten Diagramme genau, was es für ein Thema war. Sie bemühte sich für einen Moment, das Wissen darüber wieder zusammenzubekommen, bevor sie zu einer Erklärung ansetzte.

Das Chronometer zeigte 2354, als Skrain und Naprem zurückkehrten. Ziyal hörte deren Schritte auf dem Flur und dann das Schließen der Küchentür. Im Moment hatten die Ärzte oft Nachtschichten, aber für einen regulären Termin war das dann ja wirklich etwas spät. Ein Zwischenfall auf der Arbeit war auch unwahrscheinlich, denn dann wäre zumindest einer von ihnen zurückgekehrt, um die Verspätung des Anderen zu erklären, damit sich niemand umsonst Sorgen machte.
Anschließend hörte sie, wie ihre Eltern auf Kardasi zunehmend gereizt aufeinander einredeten, bis ihr Vater in einem deeskalierenden Tonfall eine Bemerkung machte und die Küchentür von außen wieder schloss.
Sie sah sich im Zimmer um –Jonin und Silon schliefen, wie es aussah- und trat dann auf den Flur.
Vorsichtig, um nicht über Woan zu stolpern, ging sie nach draußen. Skrain stand an die Hauswand gelehnt da und betrachtete nachdenklich die Trümmerwüste, die einmal der hintere Teil des Hauses gewesen war. „Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt?“
„Nein, ich konnte ohnehin nicht schlafen. Ging es um den Arzttermin heute?“ Sie wusste, dass es sie vielleicht nichts anging, aber nicht nachzufragen, war für sie keine Option. Wenn ihr Vater ein Gespräch darüber ablehnte, würde sie das Thema nicht wieder ansprechen, aber vielleicht wollte er auch darüber reden und dann würde sie sich Vorwürfe machen, das nicht angeboten zu haben.
„Ja.“ Er seufzte. „Ich nehme an, sie hat dir erzählt, was sie hat?“
Ziyal bejahte.
„Es sieht nicht gut aus. Wenn sie nicht operiert wird, hat sie nicht mehr lange zu leben. Ein paar Monate wahrscheinlich. Der Chirurg will den Eingriff vornehmen, sie könnte in den nächsten Tagen einen Termin bekommen.“
„Aber?“
„Natürlich hat eine Lungentransplantation ein gewisses Risiko. Und sie will sich erst dann operieren lassen, wenn du deine Aufnahmeprüfung gemacht hast, damit, falls…etwas schiefgeht, du da nicht abgelenkt bist. Ich habe ihr dann vielleicht etwas zu deutlich gesagt, was ich davon halte, und so kam eins zum anderen. Sie ist extrem verstimmt seit dieser Nachricht, was ich ihr nicht verdenken kann. Ich habe ihr gesagt, wir reden weiter, wenn sie sich beruhigt hat, aber ich werde so oder so sehr bald wieder zu ihr gehen. Jetzt kann ich sie nicht allein lassen.“
„Das ist wirklich sehr selbstlos von ihr, dass sie damit so lange warten will, aber das sollte sie besser nicht. Es geht um ihr Leben. Ob ich diese Prüfung schaffe oder nicht, ist dann unwichtig. Glaubst du, sie umstimmen zu können?“
„Ja. Was das angeht, werde ich nicht lockerlassen. Sie hat nicht den Krieg überlebt, um jetzt an so etwas zu sterben. Ich weigere mich einfach, sie deswegen zu begraben.“
„Darf ich etwas anmerken, was mich eigentlich nichts angeht?“
„Aber bitte. Wenn es etwas ist, was sich auf die Geschehnisse im Haus bezieht, geht es dich ohnehin etwas an.“
„Ihr scheint ein gutes Paar zu sein. Immer könnt ihr euch aufeinander verlassen und ihr haltet stets zusammen.“
Er lächelte. „Da hast du Recht. Der Krieg hat uns verbunden, auf eine Art und Weise, die ich selbst nicht wirklich verstehe. Immerhin etwas Gutes an der ganzen Sache.“

Sie schwiegen eine Weile. Ziyal war überrascht über den Wandel, der sich in dem Verhältnis zu ihren Eltern bemerkbar machte. Eben gerade hatte es sich wieder gezeigt, aber aufgefallen war es ihr schon vorher.
Ihre Eltern baten sie um ihre Entscheidung, wenn es bei einer Sache mehrere Möglichkeiten gab, erzählten ihr von ihren Sorgen und Problemen und verließen sich auf ihr Urteilsvermögen.
Sie war nicht mehr nur deren Kind, sondern auch ein Ansprechpartner und sogar Berater für sie. Als sie vorhin den Streit angesprochen hatte, war sie eher davon ausgegangen, dass Skrain das nicht mit ihr besprechen wollte, aber offenbar hatte er inzwischen kein Problem mehr damit.

„Du bist erwachsen geworden, Ziyal“, meinte er plötzlich, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. „Versteh mich nicht falsch, ich schätze die Person, die aus dir geworden ist, und könnte mir keine bessere Tochter vorstellen. Aber wie bei allen deiner Generation ist es zu früh. In eurem Alter solltet ihr das Leben genießen können und nicht die Sorgen eurer Eltern übernehmen.
Ich war neunzehn, also ziemlich genau so alt wie du, als ich mich beim Militär verpflichtet habe. Aber damals war das noch etwas ganz Anderes. Nur Patrouillendienste und so etwas, keine Kampfeinsätze. Mit neunundzwanzig wurde ich nach Bajor versetzt, aber wirklich gefährlich wurde es dort erst ein oder zwei Jahre später. Also konnte ich die ersten drei Jahrzehnte meines Lebens so ziemlich ohne Gewalt verbringen. Natürlich, die ständigen Kämpfe haben auch bei mir Spuren hinterlassen, und es hat mich zu einer anderen Person gemacht. Aber immerhin konnte ich erst ein normales Leben führen.
Das Schlimmste, was ich mal gesehen habe, war nach einem Gefecht, als die Toten in das Shuttle gebracht wurden, das sie zurück nach Cardassia bringt. Da war einer dabei, der sicher nicht älter war als achtzehn. Das muss man sich mal vorstellen. Achtzehn. Drei Jahre älter als Silon. Später hatte ich mich nach ihm erkundigt und man hatte mir gesagt, dass er sich freiwillig gemeldet hat. Er stammte von einer Kolonie, die kurz davor stand, an die Klingonen zu fallen. Um seinem Schicksal zuvorzukommen, was ihn dann ereilt hätte, und seiner Familie bessere Chancen auf einen Transport zur Heimatwelt zu geben, hat er sich gemeldet. Zum Glück ist er schnell gestorben.“
Pause. „Wahrscheinlich wolltest du das jetzt gar nicht wissen.“
„Ist schon in Ordnung.“ Kurze Pause. „Ich hätte mehr tun müssen“, meinte sie schlicht.
„Nein, hättest du nicht. Deine Hauptaufgabe war es, zu überleben. Allein schon dadurch tust du etwas für Cardassias Zukunft. Und du hast deinen Bruder beschützt. Mehr kann man nicht verlangen. Außerdem… es macht keinen Unterschied, ob hier ein oder zwei Tote mehr liegen. Aber für uns bedeutet es alles, dass wir euch wiederhaben.“
„Naprem hat mir von der Station für die Kinder und Jugendlichen erzählt, wo sie einmal gewesen war. Auch sie hat das gleich mit Silon und mir in Verbindung gebracht. So wie du mit dem toten Jugendlichen.“
„Du wirst das genauso machen, wenn du selbst einmal Kinder hast. Das ist bei fast allen Eltern so.“

Er trat auf die Tür zu. „Ich gehe dann mal wieder zu Naprem. Wünsch mir Glück“, meinte er mit einem leicht ironischen Lächeln, bevor er im Haus verschwand.

Am folgenden Tag erläuterte ihre Mutter allen Anwesenden kurz ihre gesundheitliche Situation, allerdings verschwieg sie dabei, dass sie die Operation aufschieben wollte.
Ziyal fragte sich, ob und wann sie sich dabei einmischen sollte. Zwar ging es indirekt um sie, aber sie wusste nicht, wie Naprem darauf reagieren würde, dass Skrain über die Sache geredet hatte.
Sie beschloss, erst einmal so zu tun, als wüsste sie nichts davon. „Ich hoffe, du kannst bald einen Termin bekommen. Je eher, desto besser, denke ich.“
„Ich werde mich darum bemühen, aber wann das klappt, weiß ich nicht.“
Offenbar hatte Naprem sich dazu entschieden, ihr nichts zu sagen, denn sie wusste von Skrain, dass die Operation schon sehr bald möglich war. Also würde sie indirekt ihre Meinung sagen müssen.
„Hoffentlich noch vor meiner Aufnahmeprüfung. Ich würde mir ziemliche Sorgen machen, wenn ich nicht wissen würde, ob du noch rechtzeitig operiert werden kannst.“ Hoffentlich war es die richtige Idee, das so zu sagen.

Zwei Tage später brach Jonin zu ihrem ersten Dienst in der Kriegsverletztenstation auf. Alle wünschten der Bajoranerin Glück, auch Mila und deren Vater. Der ältere Cardassianer war inzwischen wieder häufiger anwesend. Offenbar hatte er sich an seine Pflichten als Vater erinnert, hatte Skrain einmal dazu gesagt. Auch wenn er Verständnis für die Trauer seines Bruders hatte, verübelte er es diesem etwas, dass Mila längere Zeit ziemlich auf sich gestellt gewesen war.

Später am Abend redeten sie über die neue Arbeit ihrer Freundin.
„Da herrschen Zustände, man glaubt es kaum. Etwa zweihundert Patienten und fünf Krankenpfleger, die zum Teil auch noch woanders eingesetzt sind. Die Versorgung mit Medikamenten ist gar nicht mal so schlecht –wenn auch nicht wirklich gut, reicht es immerhin irgendwie aus. Aber es gibt niemanden, der das wirklich an die Patienten verteilt. Die Pflichtmedikation klappt meistens einigermaßen, aber kein Mitarbeiter hat wirklich Zeit festzustellen, wer zusätzlich Schmerzmittel braucht oder so etwas. Um langsam einsteigen zu können, war ich heute für die leichteren Fälle zuständig. Aber das war schon anstrengend genug.“
„Hat noch jemand mit dir zusammengearbeitet?“
„Nein. Ich hatte allein die Verantwortung für vielleicht vierzig Patienten.“
„Respekt, dass du das so gut hinbekommen hast. Auf Bajor war das ja etwas anders.“
„Das kann man wohl so sagen.“
„Gab es wenigstens ein positives Ereignis heute?“
„Ja. Hatte zwischendurch etwas Zeit gehabt und bin mit einem Patienten kurz draußen spazieren gegangen. Er hat sich total gefreut, mal was anderes zu sehen als das Elend drinnen und mir erzählt, dass er in den letzten drei Monaten nicht einen Fuß vor die Tür setzen konnte. Zwar ist er innerhalb des Gebäudes etwas herumgegangen, aber allein ins Außengelände gehen konnte er nicht. Er hat was am Bein und muss sich halt immer irgendwo abstützen. Wir waren keine zehn Minuten unterwegs, aber es war sicher eins der schönsten Ereignisse in der letzten Zeit für ihn.“ Pause. „Aber ich bin froh, dass ich dort arbeite. Auch wenn ich mir unter meinem Beruf mal was anderes vorgestellt hatte.“

Danke fürs Lesen :)
Rezensionen