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Sturm 9.07 - Der Glaube an das Licht

von Gabi

III - Es ist angerichtet

Auf Deep Space Nine wurde es eng im Quartier von Colonel Kira Nerys. Die Xhosa war heute Mittag endlich wieder von Cardassia Prime zurückgekehrt und Kira hatte es sich nicht nehmen lassen, die Gelegenheit zu nutzen, alle ihre Freunde zu einer kleinen Baby-Willkommens-Party einzuladen.

 

Bareil saß mit der gemeinsamen Tochter im Arm auf einem Sessel, während die Gäste um ihn herum standen oder sich auf allem niedergelassen hatte, was sich im Entferntesten als Sitzfläche verwenden ließ. Bashir und O’Brien hatten sich erboten, mit Getränken und Snacks die Runde zu machen, während eine sichtlich glückliche Kira es sich nicht nehmen ließ, in allen Einzelheiten von ihrer kleinen Tochter zu schwärmen.

 

Shakaar hatte sich ebenfalls gesetzt, da er mit den Verletzungen, die er auf Cardassia Prime davongetragen hatte, noch nicht so lange stehen konnte. Ezri Dax, Kasidy Yates, Shakaar Serina und Molly O’Brien hatten das Baby umringt und gaben mehr oder weniger brauchbare mütterliche Tipps und Ratschläge. Besonders Chief O’Briens Tochter ließ es sich nicht nehmen, in altklugen Worten über den Umgang mit Neugeborenen zu referieren.

 

Ihr kleiner Bruder Kirayoshi und Yates‘ Sohn Jeremiah fanden das Baby langweilig und interessierten sich weit mehr für die Spielsachen, die in einer Ecke herumlagen.

 

„Du hast dein altes Quartier gegen ein Familienquartier getauscht“, bemerkte Yates grinsend. „Heißt das, dass Antos jetzt ein Bleiberecht hat?“

 

Kira nahm ein Glas entgegen, das Bashir ihr anreichte. Sie zwinkerte dem Vater ihres Kindes zu. „Reiner Egoismus“, erklärte sie dann vergnügt. „So kann ich ihn nachts einfach anstoßen, wenn jemand aufstehen muss, um das Baby zu beruhigen.“

 

„Nur das mit dem Stillen hab ich noch nicht so drauf“, erklärte Bareil, während er den Blick nicht von seiner Tochter hob. Dem dunkelhaarigen Bajoraner war der Stolz unverkennbar ins Gesicht geschrieben. Es war wahrscheinlich das erste Mal in seinem unsteten Leben, dass es einen Ort gab, den er Zuhause nennen konnte.

 

„Oh, ich hätte da noch eine Milchpumpe zur Stimulierung anzubieten …“, bemerkte Yates.

 

Nun hob der Bajoraner doch den Kopf. „Untersteh dich!“

 

Seine Chefin schenkte ihm einen gutmütigen Blick. „Wie sieht Eure Planung denn jetzt aus? Wie lange soll ich dich freistellen, Antos?“

 

Er blickte zu Kira hinüber. Die hob die Schultern. „Ich habe mir zwei Wochen Elternzeit genommen. Danach möchte ich sehen, ob ich Sul nicht einfach während meiner Schicht mit ins Büro nehmen kann.“ Sie lächelte ihre Tochter wieder an, während sie mit den Fingern über das strubbelige, dunkle Haar strich. „Wenn sie so pflegeleicht ist, wie ich das hoffe, sollte das gut gehen. Antos könnte dann in zwei Wochen wieder seinen Dienst aufnehmen.“

 

„Da hörst du es, Kas.“

 

Yates hob die Augenbrauen im Zweifel einer Mutter, die das alles schon durchgemacht hatte. „Wenn du dich da nicht täuschst, Nerys. Ich gönne es euch ja von Herzen, dass Sul das zufriedenste Baby der Welt wird und jede Nacht durchschläft, aber …“ Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln, „falls das nicht der Fall sein sollte, kannst du jederzeit mehrere Monate Urlaub nehmen, Antos. Ich werde dich für die nächste Zeit ohnehin hauptsächlich für Lagerarbeit auf der Station einteilen.“

 

„Danke, Kas. Du bist klasse“, lächelte Bareil ihr zu.

 

Das Baby begann unruhig zu werden, die kleinen Gesichtszüge verknautschten sich und über den zierlichen Nasenrippen bildete sich eine tiefe Falte, die davon sprach, dass ein lautes Quengeln kurz bevorstand.

 

Bareil nahm das Deckenbündel hoch, änderte ein wenig die Lage auf seinen Armen und schaukelte es mit leisen, beruhigenden Lauten. Die Falte wurde im ersten Moment noch ein wenig steiler, dann glättete sie sich und mit kleinen Schmatzlauten ging die Kleine wieder in einen ruhigen Schlaf über.

 

Über Bareils Kopf hinweg grinsten sich Yates und Kira an.

 

„Er macht das gut“, fällte die Kommandantin der Xhosa ihre fachfrauisches Urteil.

 

„Das tut er in der Tat.“ Kira setzte sich auf die Armlehne des Sessels und strich ihrem Partner über die Schläfe.

 

Bareil lehnte sich kurzzeitig in die Berührung, behielt seine Augen jedoch auf dem Baby.

 

„Wer hat Hunger?“, ertönte der babygerecht leise Aufruf hinter den Frauen. Bashir und O’Brien balancierten Tabletts mit kleinen Köstlichkeiten und erlangten damit augenblicklich die gesamte Aufmerksamkeit.

 

„Danke, ihr beiden“, bemerkte Kira erleichtert. „Ihr seid mir eine große Hilfe.“

 

„Für dich immer, Nerys.“ O’Brien reichte ihr als Erste das Tablett.

 

„Da komme ich doch genau zur rechten Zeit!“

 

Alle Blicke richteten sich auf die Tür. In fließenden Gewändern und mit einem offenen Lächeln, das die weißen Zähne im dunklen Gesicht zeigte, stand dort Benjamin Sisko. Er deutete mit der Hand über die Schulter zum Eingang zurück. „Ich hoffe, es war in Ordnung, dass ich mich selbst eingelassen habe. Die Tür war nicht verriegelt.“

 

„Ben!“ Yates rief den Namen ihres Ehemanns etwas zu laut, so dass Sul wieder zu quengeln begann. Seit Sisko von den Propheten zurückgekehrt war, hatten sie nicht mehr als ein paar Tage am Stück gemeinsam als Familie verbracht. Auch wenn sich allmählich die Hoffnung breit machte, dass er dieses Mal tatsächlich blieb, lag immer noch das Gefühl der Fremdartigkeit über ihnen, das die lange und ungewöhnliche Trennung ausgelöst hatte.

 

CapAbge … Ben …“ Auch Kira hatte immer noch Probleme damit, ihren früheren Vorgesetzten und Ikone des Glaubens ihres Volks mit dem einfach Vornamen anzusprechen, wie dieser es sich von ihr gewünscht hatte. Sie stand auf, weil es sich für sie unpassend anfühlte, ihn im Sitzen zu begrüßen. „Aber natürlich! Ich freue mich sehr, dass Sie da sind. Ich dachte, Sie seien auf Bajor?“

 

„Da war ich bis vor drei Stunden auch noch.“ Sisko strebte mit wehendem Mantel durch die Menge der Gäste. Er klopfte Dax freundschaftlich auf die Schulter, nickte den anderen zu und beugte sich dann zu seinem Sohn hinunter.

 

Jeremiah betrachtete ihn misstrauisch. Für den Jungen, der seinen Vater zuvor nie gesehen hatte, war es immer noch am schwersten, mit der unerwarteten Rückkehr umzugehen. Vater war eine Vertrauensbezeichnung, nichts, was man einfach so vorgesetzt bekam.

 

„Na, interessiert dich das Baby denn gar nicht?“ Sisko fragte gar nicht nach, ob der Junge das Neugeborene nicht vielleicht schon begrüßt hatte. Er ging einfach davon aus, dass sein Sohn das nicht getan hatte – und erwies zumindest damit einige Einsicht in die Gefühlswelt des Fünfjährigen. Er nahm Jeremiah auf den Arm und trat dann mit ihm zusammen an den Sessel heran, in dem Bareil saß.

 

Die anderen machten ihm Platz, so wie sich Grashalme vor dem Sturm teilten.

 

Sisko begrüßte seine Frau mit einem überschwänglichen Kuss, dann beugte er sich gemeinsam mit seinem Sohn über das Baby.

 

„Zauberhaft, nicht wahr?“, flüsterte er dem Jungen zu. „Es ist jedes Mal wieder ein kleines Wunder und eine neue Hoffnung.“

 

Wider seiner ursprünglichen Absicht, ertappte sich der Junge dabei, dass er zu den Worten des Mannes, der angeblich sein Vater war, nickte. Es war schwer, sich Siskos einnehmender Art zu entziehen.

 

Sisko packte seinen Sohn fest mit dem linken Arm, damit er die Rechte frei hatte, um das winzige Ohr des Neugeborenen zu berühren. „Die Propheten mögen deinen Weg bewachen und dich begleiten, kleine Sul. Mach deine Eltern stolz, und hilf ihnen dabei, dass du auf sie stolz sein kannst.“ Er lächelte Bareil zu.

 

Dann richtete er sich wieder auf, und streckte den freien Arm nach Kira aus. „Herzlichen Glückwunsch, Nerys!“

 

Die Kommandantin ließ sich bereitwillig in die Umarmung ziehen. „Danke.“

 

„Ich finde es wunderbar, dass das Lachen von Kindern immer mehr Einzug auf dieser Station hält“, erklärte Sisko. „Das ist das wahre Zeichen für Frieden.“ Er drückte Kira noch einmal an sich, dann wandte er sich an Shakaar Serina.

 

Die Cardassianerin stand so, dass sie das Baby betrachten, gleichzeitig jedoch auch die Hand auf die Schulter ihres Mannes im anderen Sessel legen konnte.

 

„Wann ist es bei Ihnen soweit?“, fragte Sisko die schwangere Frau. Seinem Gesicht war das ehrliche Interesse anzusehen.

 

Sie lächelte scheu. „Es sind noch ein paar Monate …“

 

„Die du auf Bajor an meiner Seite verbringen wirst“, fügte Shakaar hinzu, freundlich zwar, aber mit Nachdruck.

 

Sisko setzte seinen Sohn ab und wandte sich an die anderen Gäste. „Chief, Doktor, alter Mann – ich freue mich schon sehr darauf, mich nachher mit jedem von Ihnen ausführlich zu unterhalten und zu hören, wie es Ihnen in letzter Zeit ergangen ist. Doch jetzt verlangt meine Neugierde, dass ich zuerst mit Shakaar über das spreche, was von Cardassia zurückgekommen ist.“ Er blickte sich kurz um, erspähte einen kleinen Fußschemel und zog diesen zum Sessel des großen Bajoraners hin. Er ließ sich darauf nieder, um bei der Unterhaltung mit Shakaar auf dessen Augenhöhe zu sein.

 

Natürlich war nach dieser Ankündigung nicht nur Siskos Neugierde groß. Der Kreis der Getränke und Snack haltenden Gäste zog sich enger.

 

Shakaar nickte, noch bevor Sisko zu einer Frage ansetzen konnte. „Ja, es stimmt, ich habe einen der beiden verschollenen Drehkörper auf Cardassia erhalten. Gleich nach Ankunft der Xhosa habe ich ihn der Obhut von Vedek Alenis übergeben.“

 

„Konnten Sie einen Blick hinein werfen?“ Sisko war die Aufregung deutlich anzusehen.

 

Der große Bajoraner schüttelte den Kopf. „Nein, das wäre mir unpassend erschienen.“

 

Sisko schnipste mit den Fingern. „Ich hätte nicht widerstehen können.“

 

Das rief ein leises Lachen bei Shakaar hervor. „Sie sind auch bei Weitem qualifizierter als ich, Abgesandter.“

 

„Und es war allen Ernstes Dukat, der Ihnen den Drehkörper überreicht hat?“

 

„Allen Ernstes. Und Sie können mir glauben, ich zerbreche mir seitdem den Kopf über das Warum.“

 

Kira ging neben Shakaars Sessel in die Hocke. „Ich habe ihn hier auf der Station erlebt, kurz bevor die Pah-Geister in den Himmelstempel zurückgekehrt sind. Er war nicht wirklich da, er war eine Inkarnation, eine Art Geisterwesen.“

 

Shakaar schüttelte den Kopf. „Das Gefühl hatte ich nicht, er war so real wie du und ich, Nerys. Real, überheblich und nervig.“

 

„Er hat dir das Leben gerettet“, erklärte Serina mit einem festen Druck ihrer Hand. „Da solltest du über Charakterschwächen hinweg sehen.“

 

„Hmmm.“ Sisko strich mit der Hand über den Bart. Er betrachtete den immer noch ein wenig geschwächt wirkenden Bajoraner, dann dessen schwangere cardassianische Frau. „Dukat ist mit mir gemeinsam in die Feuerhöhlen gestürzt …“

 

Die Stille, die dieser Aussage folgte, war greifbar. Verwundert blickte Sisko auf. „Davon hatte ich gar nie berichtet?“

 

Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.

 

„Entschuldigen Sie … es ist so lange her …“ Er atmete tief durch, seine Augen blickten nun über die Köpfe der vor ihm Sitzenden hinweg, so als wolle er die Erinnerung an einem fernen Punkt finden. „Wir haben gekämpft, wir sind beide gestürzt … und danach endete meine körperliche Existenz.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln in die Runde kehrte er wieder in die lineare Zeit zurück. „Ich kann nur annehmen, dass es bei Dukat genauso passiert ist. Irgendwie passt es.“ Abermals fanden seine Finger den Bart und kratzten ihn. „Es läuft immer wieder auf die Dualität hinaus. Die Propheten und die Pah-Geister; Dukat und ich; Bajor und Cardassia. Sie“, er richtete den Blick wieder auf Shakaar und Serina, „haben diese Dualität aufgehoben.“ Seine Hand bewegte sich nach vorne und berührte sanft die Wölbung von Serinas Bauch. „Hier haben Sie diese Dualität aufgehoben.“

 

Die Cardassianerin und der Bajoraner tauschten fragende Blicke aus, von denen Sisko sich in seinen Überlegungen nicht beirren ließ. „Ja, es passt“, entschied er für sich. „Wem, wenn nicht Ihnen, hätte er diese Kostbarkeit sonst anvertrauen sollen?“

 

Er wandte sich von dem sichtbar verwirrten Ehepaar ab und sah Kira an. „Meinen Sie, es wäre möglich, dass ich den Drehkörper einmal sehen kann, Nerys?“

 

Die Kommandantin stutzte kurzzeitig, dann brach sie in ein breites Grinsen aus. „Sie sind der Abgesandte, Benjamin.“

 

„Stimmt.“ Der dunkelhäutige Mann schnipste abermals mit den Fingern und erwiderte das Grinsen.

 

 

* * *

 

Da die Hekate seit ihrer Stationierung auf Deep Space Nine den Schiffsrhythmus an die dort herrschende bajoranische Hauptstadtzeit angepasst hatte, saßen die Offiziere und ihre Gäste dort zur gleichen Zeit in einer anderen Galaxis ebenfalls beim Abendessen.

 

Es war Tradition, dass der Erste Offizier und der Sicherheitschef mit dem Captain zu Abend aßen und den Tag noch einmal in privater Atmosphäre Revue passieren ließen. Von Zeit zu Zeit gesellten sich auch die Chefingenieurin oder der Bordarzt hinzu, und seit ihrer Ankunft in dieser Zeit war natürlich Hekate immer dabei, da sie Cerovic nicht von der Seite wich.

 

Heute Abend waren weder die Vertreter der Technik noch der Medizin anwesend, dafür wurden die freien Plätze von Kai Sarius und Lieutenant Gaheris eingenommen.

 

Odhran hatte ein kleines Buffet in der Mitte des runden Tischs aufbauen lassen, von dem sich jeder bediente.

 

Die Aufmerksamkeit der Gäste ruhte besonders auf den Speisen, die Hekate am nächsten standen.

 

„Welche Art von Nahrung nehmen Sie zu sich?“, wollte Gaheris wissen, als er ein Schälchen mit einer puddingartigen grüngrauen Masse betrachtete, die irgendwie lebendig wirkte. Hekate hatte einige braune Sticks vor sich auf dem Teller aufgereiht, die sie immer wieder dort hinein stippte und davon abbiss.

 

„Ich benötige einen höheren Proteinanteil in meinen Speisen“, erklärte sie zwischen zwei Bissen, „und weniger Kohlehydrate als bei euren üblichen Mahlzeiten. Möchtest du versuchen?“ Sie schob das Schälchen ein wenig in Gaheris‘ Richtung.

 

„Vorsicht“, warnte Cerovic auf ihrer anderen Seite. „Schmeckt gewöhnungsbedürftig.“

 

„Sie haben es schon probiert, Avram?“ Gaheris musste über die wenig begeisterte Miene des Sicherheitschefs schmunzeln.

 

„Einmal. Hat mir zur Völkerverständigung gereicht. Schmeckt wie gekochte Maden.“

 

Hekate wandte ihm ihre Facettenaugen zu. Der hohe Ton, den sie erzeugte, und der nicht vom Universalübersetzer gedolmetscht wurde, klang wie ein Lachen.

 

Ein goldgelb gewandeter Arm reichte an Gaheris vorbei, wählte einen der braunen Sticks aus und stippte ihn in die Masse. Ohne zu tropfen wanderten Arm und Snack auf die andere Tischseite zurück. „Ich muss gestehen, dass ich keine Vorstellung davon habe, wie gekochte Maden schmecken könnten.“

 

Alle Blicke ruhten auf dem Kai, als er abbiss.

 

Ohne eine Miene zu verziehen, kaute der und schluckte. „Ein sehr … interessanter … Geschmack“, äußerte er sich schließlich. „Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mir nicht den Bauch damit vollschlagen würde. Doch ich danke Ihnen für die Gelegenheit, ein wenig an Ihrer Kultur teilhaben zu dürfen, Hekate.“

 

Die Mora nickte. Ihre Fühler zitterten freudig.

 

„Eure Eminenz, an Ihnen ist ein Diplomat verloren gegangen“, bemerkte Odhran grinsend. „Ich hab an dem Dip nur gerochen und beschlossen, dass ich nicht wissen möchte, wie er schmeckt.“

 

„Oh, ich bin ein Diplomat.“ Sarius führte sein Wasserglas an die Lippen und spülte den unangenehmen Geschmack hinunter. „Um die Bevölkerung eines gesamten Planeten über die Religion zusammenzuhalten, gehört eine Menge Diplomatie.“

 

Odhran hob die Augenbrauen und die neben ihm sitzende Kesmarki verdrehte die Augen ein wenig zu Gaheris hinüber, da sie ahnte, was kam. „Verzeihen Sie meine Offenheit, Eminenz, aber beruht die Herrschaft einer Religion nicht eher auf unumstößlichen Dogmen denn auf Diplomatie?“

 

Sarius musterte ihn einen Moment. „Captain, wie viele Gesellschaftssysteme sind Ihnen auf Ihren Missionen begegnet, bei denen das Prinzip religiöser Unterdrückung auf Dauer Bestand hatte?“

 

„Das kommt darauf an, inwieweit Sie Dauer definieren“, konterte Odhran. „Ich kenne etliche Systeme, in denen Kleriker das Sagen haben. Manche von ihnen schienen zu funktionieren, doch in den meisten brodelte es. Ich bin der Ansicht, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann eine Gesellschaft, die auf Glauben und nicht auf Wissenschaft aufgebaut ist, umkippt. Religion ist per Definition darauf angewiesen, an Bestehendem festzuhalten. Wissenschaft strebt immer nach neuen Erkenntnissen. Was letztes Jahr in den Status einer universellen Regel erhoben worden ist, kann in diesem Jahr bereits wieder seinen Bestand verlieren. Religion kann so nicht funktionieren. Und eine Gesellschaft, die sich dem Fortschritt verschreibt, benötigt regelmäßige Umstürze.“

 

„Ich kann verstehen, wie Sie zu dieser Ansicht gelangt sind, Captain“, gestand der Kai ein. „In der ersten Begeisterung des Neuen, scheint die Wissenschaft den Glauben ad absurdum zu führen. Wahrscheinlich über eine lange Zeit. Doch irgendwann kommt der Punkt, und davon bin ich felsenfest überzeugt, an dem all Ihre Wissenschaft versagt und Sie wieder vor dem Glauben stehen.“

 

 „An diesem Punkt sind wir noch lange nicht.“ Odhran hob sein Weinglas zu einem Toast.

 

„Aber Sie werden dorthin gelangen.“ Auch Sarius erhob sein Glas.

 

Die beiden Männer toasteten sich zu. „Mögen wir lange genug leben, um dessen Zeuge zu werden.“

 

Als sie ihre Gläser wieder gesenkt hatten und sich weiterhin über deren Rand hinweg mit Blicken maßen, räusperte Kesmarki sich. „Bajor besitzt auf dem Papier eine demokratische Staatsform mit einem vom Volk gewählten Ministerialrat“, bemerkte sie.

 

„Nicht nur auf dem Papier.“ Sarius schenkte ihr einen neutral freundlichen Blick.

 

„Und wie spielt die Vedekversammlung dort hinein, deren Vertreter meines Wissens ernannt und nicht frei gewählt werden?“

 

„Darf ich?“ Gaheris blickte den Kai fragend an. Auch wenn Sarius souverän wirkte, war es dem Lieutenant unangenehm, dass ihn die Sternenflottenoffiziere in die verbale Ecke drängten. Zwar war er selbst sich immer noch nicht im Klaren darüber, wie er mit dem bajoranischen Glauben umgehen sollte, doch dass er in Diskussionen die Partei des Kai ergreifen musste, schien ihm zwingend notwendig. „Die Vedekversammlung steht der Ministerialkammer beratend zur Seite“, erklärte er auf Nicken des Geistlichen. „Die dort vertretenen Vedeks sind nicht bei jeder Beratung anwesend. Sie werden nur zu planetaren oder interplanetaren Themen herangezogen, besitzen dann jedoch die gleiche Stimmgewichtung wie die Minister in einer einfachen Mehrheitsabstimmung.“

 

Odhran bedachte Sarius mit einem herausfordernden Blick. „Dann würde mich interessieren, wie oft es geschieht, dass ein Beschluss gegen die Stimme des Kai gefasst wird?“

 

Ein knappes, nahezu ertappt wirkendes Lächeln huschte über die Züge des Geistlichen, als er gestand: „Nie.“

 

„Ha!“ Der Captain deutete mit einem Stück Stangensellerie, das er am Essen war, auf seinen Gast. „Und jetzt sagen Sie mir noch einmal, dass auf Bajor nicht die Religion herrscht, mit Ihnen als alleiniger Machtinstanz.“

 

Gaheris stützte die Schläfe auf die Hand auf und warf einen hilfesuchenden Blick zu Kesmarki auf der anderen Tischseite hinüber. Er wünschte sich, der Captain würde endlich das Thema Religion fallen lassen, bevor es zum Eklat kam. Doch der Miene Odhrans war anzusehen, dass er sich gerade in Fahrt redete.

 

„Die Auswertung der Daten war heute sehr erfolgversprechend …“, setzte die Wissenschaftlerin an, im Versuch das Thema abzubiegen, doch sie wurde von der Antwort des Kai unterbrochen.

 

„Daher ist es von absoluter Wichtigkeit, dass sich diejenige Person, die das höchste religiöse Amt bei uns innehat, ihrer immensen Verantwortung zu jedem Zeitpunkt bewusst ist.“ Er hielt dem Blick Odhrans stand . „Ich bin ein Diener der Propheten und meines Volks, nicht sein Herrscher.“

 

Der Captain biss von seiner Selleriestange ab, dann benutzte er sie wieder als Zeigestab, um seine Worte zu unterstreichen. „Sie kennen doch sicherlich das Sprichwort: Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Wer ist denn da, um Sie zu kontrollieren?“

 

Nach wie vor ließ Sarius sich nicht aus der Reserve locken. „Die Propheten.“

 

Odhran schmunzelte. „Verzeihen Sie, wenn ich da skeptisch bleibe. Die Wurmlochwesen sollten eingreifen, wenn Sie – oder ein anderer Kai – sich zum Absolutherrscher aufschwingen wollten? Ich glaube kaum. Was interessieren diese Spezies die Interna von Bajor?“

 

„In der Tat tun sie das“, warf Gaheris rasch ein, immer noch im Versuch, das Tischgespräch in unverfänglichere Bahnen zu lenken. „Es gab im Lauf des Dominion-Kriegs den Präzedenzfall, dass eine Flotte Jem’Hadar Schiffe im Wurmloch sozusagen verschluckt wurde. Die einhellige Meinung auf Bajor ist, dass dies geschah, um den Planeten zu schützen. Und selbst bei unserem Oberkommando besitzt diese Interpretation ihre Befürworter.“ Er gestikulierte mit beiden Händen. „Wie man zu den Propheten steht, ist das Eine. Dass sie existieren ist unumstößlich, und dass sie sich Bajor und der Bajoraner bewusst sind, ist eine Tatsache.“

 

Odhran hob die Augenbrauen, dann stellte er die Frage, von der Gaheris gehofft hatte, dass sie nicht auf den Tisch gebracht werden würde: „Und wie passt die cardassianische Besatzungszeit in diesen Gedanken? Sehr viel gleichgültiger könnten sich die Wurmlochwesen da ja nicht gezeigt haben.“

 

Sarius‘ Augen verdunkelten sich für einen Moment. Einziges äußeres Anzeichen, dass der Captain einen wunden Punkt getroffen hatte. Als er sprach, geschah das auf die gleiche überlegte Weise wie zuvor. „Mit der Ausnahme des Himmelstempels greifen die Propheten niemals selbst in unsere Geschicke ein. Sie leiten uns an, sie zeigen uns den Weg. Doch beschreiten müssen wir ihn.“ Er stippte gedankenverloren in einem, madenfreien, Dip. „Es gibt in den Aufzeichnungen Hinweise, dass damals tatsächlich Warnungen vorgelegen haben“, merkte er an. „Doch sie wurden falsch interpretiert oder den falschen Personen offenbart. Wir stehen erst am Beginn der Aufarbeitung dieser dunklen Zeit.“

 

„Das ist der Haken, wenn man mit Mutmaßungen und nicht mit Fakten arbeitet“, warf Odhran ein, doch er hatte seinen Ton respektvoll zurückgenommen.

 

Der Kai sah wieder auf. Sein Blick war nachdenklich, ein wenig melancholisch „Glauben heißt, dass ich absolutes Vertrauen in etwas habe, das mächtiger ist als ich. Dem ich zutraue, dass es weiß, was gut für mich ist, und meine Geschicke leiten kann. Es heißt nicht, dass ich mein Hirn ausschalte und keinerlei Eigenverantwortung übernehme.“

 

Bevor Odhran etwas darauf entgegnen konnte, legte Kesmarki die Hand auf den Arm ihres Captains. „Ich denke, jetzt ist es allmählich gut. Wir alle wissen, wie gerne du dich streitest, Ciaran, und in seiner Eminenz hast du einen wundervollen Sparingspartner gefunden.“ Sie neigte den Kopf ein wenig in Richtung des Kai. „Doch ich wäre sehr dafür, wenn wir uns einem etwas unverfänglicheren Thema zuwenden, an dem sich alle am Tisch beteiligen können.“

 

Gaheris nickte ihr dankbar zu.

 

Odhran sah sie an. „In Ordnung. Eure Eminenz, was halten Sie davon, wenn wir das Thema später einmal privat vertiefen?“ Die Selleriestange vollführte dirigentenartige Kreisbewegungen.

 

„Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Captain.“ Entgegen seiner Worte war es dem Kai anzusehen, dass ihm ein Themenwechsel nicht ungelegen kam.

 

Einen kurzen schweigsamen Moment widmete sich jeder am Tisch seinem Essen. Dann ließ sich die hohe Stimme Hekates vernehmen. „Wären Sie bereit, über das zu sprechen, was Sie im Wurmloch erlebt haben?“

 

Sarius, an den die Worte gerichtet waren, blickte sie an. Auch wenn auf dem Gesicht der Mora keine Mimik zu lesen war, wirkte sie nicht streitlustig wie Odhran, sondern interessiert. Er lächelte.

 

„Es ist so, dass ich wesentlich mehr wahrnehmen kann als die anderen“, führte Hekate ihre Neugierde aus. „Ich sehe die Verteronverteilung, die Wirbel, die Öffnungen im Gefüge. Konnten Sie das auch sehen?“

 

Der Mann schüttelte den Kopf. „Was die Wahrnehmung angeht, so unterscheiden wir Bajoraner uns in keiner Weise von den Terranern oder Betazoiden.“ Er nickte den anderen am Tisch zu, dann richtete er sich auf und lehnte sich im Stuhl zurück, während er die Hände auf der Tischplatte vor sich faltete. „Wie soll ich es erklären?“ Er betrachtete kurzzeitig seine Finger, dann blickte er wieder auf. „Wenn wir uns der Gegenwart eines Drehkörpers aussetzen, dann erfahren wir so etwas Ähnliches wie Visionen. Es ist schwer zu beschreiben, weil es erlebt werden muss.“ Er überlegte kurzzeitig. „Es sind keine klaren Bilder oder chronologisch sinnvolle Abfolgen. Eher mit Träumen zu vergleichen …“ Er hielt inne und sah sie fragend an. „Träumt Ihre Spezies, Hekate?“

 

Die Mora schüttelte den Kopf.

 

„In Ordnung … es sind  kurze, verschwommene Momentaufnahmen. Keine direkten Bilder zukünftiger Ereignisse, sondern Metaphern. Die Propheten denken und erleben nicht linear. Für sie ist das Universum eins, jede Zeit ist Jetzt. Sie sprechen mit uns, aber wir sind zu unerfahren sie zu verstehen. Daher interpretieren wir das, was in den Visionen erlebt wurde.“

 

Die Mora bewegte bedächtig ihren tropfenförmigen Kopf, so als wolle sie seinen Worten nachlauschen.

 

„Und eine solche Vision hatten Sie beim Durchflug?“, fragte Kesmarki in die entstehende Stille.

 

„Ja, ich …“ Er überlegte wieder.

 

Gaheris widerstand der Versuchung, unter dem Tisch seine Hand auf das Knie des Kai zu legen, um ihn ein wenig Ruhe spüren zu lassen.

 

„Ich stand auf einer steinigen Fläche. Um mich her sah ich vereinzelte Bäume und Felsformationen. Beides wirkte nicht ganz richtig, nicht so, wie ich Bäume und Felsen gewohnt bin. Blitze zuckten und ein Her’nash zog seine Runden. Er wirkte ausgesprochen wachsam …“

 

„Ein bajoranischer Raubvogel“, übersetzte Gaheris leise für die anderen.

 

Der Kai lächelte ihm flüchtig zu, dann sprach er weiter: „Der Her’nash schien die Blitze zu jagen. Ich versuchte ihm zu folgen, doch er hatte freie Bahn in der Luft und ich wurde am Boden immer wieder von den Unebenheiten aufgehalten. Dann traf ihn ein Blitz und er begann zu stürzen. Ich hielt ihn plötzlich in den Händen und wusste, dass ich ihn retten musste, aber mir war nicht klar wie.“

 

Die anderen warteten darauf, dass die Erzählung weiterging, doch der Kai schwieg.

 

„Das war alles?“, hakte Odhran schließlich nach.

 

„Das war alles.“

 

„Und das bedeutet…?“ Der rothaarige Mann hatte die Augenbrauen zusammengezogen.

 

Der Kai lächelte schwach. „Das herauszufinden, ist die Essenz unserer Religion. Die Propheten geben uns Einblicke in zukünftige Ereignisse und unsere Aufgabe ist es, diese Einblicke korrekt zu interpretieren.“

 

„Das dürfte eine Lebensaufgabe sein“, mutmaßte der Captain.

 

„Es ist die Aufgabe hunderter von Generationen.“

 

Hekates hohe Stimme war wieder zu vernehmen: „Sie werden also irgendwann einmal einen verletzten Vogel finden?“

 

„Nein.“ Der Kai schüttelte den Kopf. „Die Botschaften sind nie wörtlich zu nehmen. Es sind Metaphern oder Allegorien.“

 

„Und warum hatte bislang niemand außer Ihnen Visionen bei der Wurmlochdurchquerung?“, wollte Odhran nicht unerwartet wissen.

 

Sarius betrachtete ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf, dann genehmigte er sich ein Lächeln, das beinahe überheblich wirkte. „Wer von Ihnen glaubt denn?“

 

In Ermangelung der bereits verspeisten Selleriestange tippte der Captain mit dem Zeigefinger in seine Richtung. „Zwei zu Null für Sie, Eure Eminenz“, gestand er grinsend ein.

 

Die Atmosphäre wurde lockerer als die Gespräche auf andere Themen übergingen und das Dessert folgte.

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