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Herzenswunsch

von Emony

Kapitel 1

Jim hasste Weihnachten. Er war nicht christlich und er hatte keine Familie, mit der er hätte feiern können. Weihnachten erinnerte ihn jedes Jahr aufs Neue daran, dass er allein war.

Nur dunkel konnte er sich an ein Weihnachten zurück erinnern, an dem er zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder Sam gefeiert hatte. Sie hatten einen prachtvollen Weihnachtsbaum gekauft und gemeinsam geschmückt, seine Mutter hatte ihren Jungen heiße Schokolade mit Marshmellows zubereitet und ein herrliches Weihnachtsessen gekocht. Für Jim war alles perfekt gewesen, aber später am Abend hatte er seine Mutter in ihrem Schlafzimmer weinen gehört. Das war das letzte Weihnachten gewesen, das er im Kreis seiner Familie verbracht hatte. Seine Mutter hatte danach keines mehr mit ihren Kindern gefeiert. Er war damals erst zehn Jahre alt gewesen.

Als Bones ihn im dritten Jahr einlud, ihn zu seiner Familie nach Georgia zu begleiten, löste das bei Jim ein ziemliches Dilemma aus. Auf der einen Seite versprach er sich eigentlich eine angenehme Zeit. Seine Freizeit mit Bones zu verbringen war in den vergangenen drei Jahren, die sie nun gemeinsam die Starfleet Academy besuchten, zur liebgewonnenen Gewohnheit geworden. Er hatte Bones die vergangenen Jahre auch grundsätzlich vermisst, wann immer sie die Ferien getrennt voneinander verbracht hatten, auch wenn Gaila nichts unversucht gelassen hatte, um Jim die Zeit der Trennung zu versüßen.

Das Dilemma war nicht, dass Jim das Weihnachtsfest bei Bones und dessen Familie verbringen würde. Es war viel mehr seine Angst davor, dass er die Zeit nicht genießen konnte und somit Bones und seiner Familie die Laune verdarb. Und was sollte es schon bringen, wenn er das Fest mit einer Familie verbrachte, die nicht seine eigene war? Er würde Bones ja doch nur auf der Tasche liegen, wie sonst auch.

Jim ging im Geiste die kommenden Tage durch und versuchte abzuwägen, was ihm besser gefiel. Weihnachten mit seinem besten Freund und dessen Familie zu verbringen, oder mal wieder mit Gaila um die Häuser ziehen, sich maßlos betrinken und anschließend wilden Sex zu haben.

Bones saß lässig auf Jims Schreibtisch in ihrem gemeinsamen Quartier und wartete mit erhobenen Augenbrauen auf eine Antwort. Jim konnte ihm ansehen, dass er zunehmend ungeduldiger wurde. Er trommelte leise mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte.

Jim seufzte fast schon theatralisch. „Ich weiß nicht, Bones. Ich gehöre nicht zu deiner Familie. Und an Weihnachten geht es doch um die Familie.“ Er zuckte die Schultern.

Ein kleines Lächeln zupfte an Bones‘ Mundwinkel. „Meine Eltern würden sich freuen, wenn sie dich endlich kennenlernen würden. Und Joanna kann es ohnehin nicht erwarten dich wiederzusehen. Du weißt, dass sie dich anhimmelt.“

Jim ließ sich auf das schmale Bett plumpsen und sah seinen Freund unsicher an. „Was ist, wenn ich mich danebenbenehme?“

„Ich werde aufpassen, dass das nicht passiert“, versprach Bones ihm und zwinkerte. „Du musst auch nichts machen, was dir nicht gefällt. Ich möchte dich nur nicht wieder allein hier zurücklassen. Die Vorstellung davon, dass du ein weiteres Weihnachtsfest hier auf dem Campus verbringst und Gott weiß was treibst, während ich nicht auf dich aufpassen kann, bringt mich um meinen Schlaf.“

„Du machst dir Sorgen um mich?“ Jims blaue Augen wurden groß.

Bones schnaubte amüsiert durch die Nase. „Selbstverständlich. Wie kannst du das überhaupt in Frage stellen? Wenn du in meiner Nähe bist, kann ich wenigstens sichergehen, dass du keine Alkoholvergiftung bekommst, oder dass dir wieder irgendjemand Drogen in den Drink mischt.“

„Das ist nur einmal passiert, Bones. Und das ist schon ewig her.“ Jim versuchte den Vorfall gerne herunterzuspielen. Allerdings erinnerte er sich noch sehr gut an den vollkommen verängstigen Ausdruck in Bones‘ Gesicht, als er nach dieser Höllennacht in der Intensivstation des Starfleet Medical Centers wieder zu sich gekommen war. Es war nicht die Droge gewesen, die ihn beinahe das Leben gekostet hätten, sondern seine allergische Reaktion auf die Substanz. Hätte Bones nicht so schnell reagiert, würden sie heute vermutlich nicht hier beisammensitzen.

Das Gesicht seines Freundes wurde todernst. „Du bist fast gestorben, Jim. Und das ist keine sechs Monate her. So ewig ist das gar nicht. Ich habe heute noch Alpträume deswegen.“ Er schüttelte fassungslos den Kopf und fuhr sich mit beiden Händen durch das dunkle Haar. „Ich möchte dich bei mir haben“, sagte Bones schließlich und sah Jim mit einem Blick an, der Zuneigung und Angst zugleich ausdrückte.

Sie sahen einander für einen sehr langen Moment an, ehe Jim schließlich nickte. „Also gut, ich werde dich nach Georgia begleiten.“

Auf Bones‘ Gesicht breitete sich ein warmes Lächeln aus.

§§§

Leonard hatte gelernt geduldig zu sein. Insbesondere, wenn es dabei um Jim ging. Er hatte auch gelernt zu akzeptieren. Dass Jim ihn als Freund mochte, auf einer rein platonischen Ebene. Er wusste von Jim, dass dieser auch ab und zu – wenn auch relativ selten – mit Männern verkehrte. Frauen, hatte Jim ihm einmal gesagt, waren viel leichter zu verführen. Leonard konnte das nicht unbedingt bestätigen, musste aber zugeben, dass Jim seine eigenen Signale auch noch nie empfangen hatte. Vielleicht waren sie zu schwach. Allerdings wollte er auch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Das war einfach nicht Leonards Art.

Sicher, Jim flirtete gelegentlich mit ihm, aber nie wirklich ernsthaft. Er hatte nie einen Annäherungsversuch gemacht, oder Leonard sonst irgendwie wissen lassen, dass er ebenfalls Interesse hätte.

In seinem Wunsch wenigstens einmal das von Jim zu bekommen, was alle anderen so leicht von ihm bekamen, hatte Leonard sich während eines feuchtfröhlichen Abends sogar als ‚Freund mit gewissen Vorzügen‘ angeboten. Selbstredend unter dem Vorwand, dass Jim dann wenigstens einmal wissen würde, auf wen er sich einließe und um etwaige Geschlechtskrankheiten oder anschließende Reuegefühle auszuschließen. Jim hatte ihn daraufhin nur keusch auf den Mund geküsst und sich für das selbstlose Angebot bedankt, war jedoch nie darauf eingegangen.

Leonard hatte gelernt, das als eindeutige Ablehnung aufzufassen. Jim blieb trotzdem sein bester Freund. Zum dritten Ausbildungsjahr hin hatten sie sogar beschlossen zusammenzuziehen und Pike gebeten, eine Ausnahme hinsichtlich der Zimmerverteilung zu machen.

Es war okay, wie es war. Leonard war froh, dass Jim ihm das keineswegs selbstlose Angebot nicht verübelte. Ihre Freundschaft war schließlich wichtiger als alles andere. Trotzdem fragte sich Leonard immer mal wieder, warum Jim so bereitwillig mit praktisch allen schlief, nur eben nicht mit ihm.

Die Ankunft in Georgia lenkte Leonard von seinen Gedanken ab. Jim wurde so herzlich empfangen, wie Leonard es sich gewünscht hatte. Seine Eltern hatten endlich ein Gesicht zu dem Namen. Und Joanna konnte es kaum erwarten Jim den Stiefel zu zeigen, den sie mit ihrer Großmutter zusammen für ihn gebastelt und zu den übrigen Stiefeln an den Kamin gehängt hatte.

Die Überraschung war Jim deutlich anzusehen. Leonard stupste ihn spielerisch von der Seite an. „Du gehörst eben doch dazu.“

Jim nickte lächelnd. „So etwas Schönes hat noch nie jemand für mich getan.“

„Du warst eben noch nie bei uns zuhause“, mischte sich Joanna strahlend ein, schlang die Arme um Jims Hüften und drückte ihn fest.


Am Nachmittag saßen sie gemeinsam bei Kaffee und Kuchen und besprachen, wie der Heiligabend ablaufen würde. Sie hatten ein ruhiges Weihnachtsessen im Kreis der Familie geplant, anschließend wollten sie in die Kirche zur Spätmesse. Joanna erzählte Jim prompt, wie schön die abendliche Messe jedes Jahr sei und dass sie in diesem Jahr im Chor mitsingen würde.

Dass Jim nichts von dem Besuch in der Kirche hielt musste er nicht aussprechen, Leonard hatte es vorausgeahnt. „Du musst nicht mit in die Kirche, Jim.“

Er zuckte die Schultern. „Ich werde es bestimmt überleben, wenn ich einmal einen Gottesdienst besuche. Ich hoffe nur, ich muss nicht mitbeten. Ich kenne nicht mal das ‚Vater unser‘.“

Leonard war auch nicht unbedingt der christlichste Mensch, aber seine Eltern waren sehr gläubig und auch engagiert in der Gemeinde tätig. Für ihn war es daher ganz normal, dass er zumindest zu Weihnachten in die Kirche ging.

„Dass Sie nicht mitbeten können wird sicher nicht weiter auffallen“, ließ Leonards Vater Jim wissen. „Vielleicht wird Ihnen die Spätmesse ja sogar gefallen.“

„Wie dem auch sei“, wechselte Leonard das Thema. Er konnte Jim deutlich ansehen, dass ihm das Thema etwas unangenehm war. „Was hältst du davon, wenn ich dir jetzt das Gästezimmer zeige?“

„Hört sich gut an“, stimmte Jim dankbar zu.

„Ich hab das Zimmer extra für dich geschmückt“, ließ Joanna ihn wissen und strahlte ihn einmal mehr an.

Leonard strich seiner kleinen Tochter zärtlich über das Haar. „Sehr aufmerksam, Jojo.“ Er schenkte ihr ein Lächeln. Leonard warf seiner Mutter über den Tisch hinweg einen Blick zu, der ihr bedeuten sollte, dass sie Joanna ein wenig ablenken könnte.

Seine Mutter verstand den Wink und nahm Joanna bei der Hand. „Hilfst du mir die Küche sauber zu machen, Liebes?“

Joanna sah zunächst nicht glücklich darüber aus. Sie wollte viel lieber ihren Vater und Jim begleiten. Allerdings wollte sie sich so kurz vor Weihnachten auch gut benehmen und so nickte sie ergeben und half ihrer Großmutter dabei den Tisch abzuräumen, während ihr Großvater bereits in die Küche vorausgegangen war.

§§§

„Wow“, staunte Jim, sobald er das Zimmer betrat, das für ihn gedacht war. Es war relativ klein, aber dafür sehr gemütlich eingerichtet. Joanna hatte sich mit der Dekoration ganz schön ins Zeug gelegt, Tannenzweige und bunte Lichter säumten das Fenster, das wiederum mit Goldsternen behangen war. Auf dem Nachtschränkchen neben dem Bett stand ein Engel aus Porzellan, der als Kerzenständer diente und eine goldfarbene Kerze hielt.

„Etwas zu viel, oder?“, fragte Bones neben ihm etwas unsicher. „Ich hatte Joanna gebeten, es nicht zu übertreiben. Aber sie wollte unbedingt, dass du dich wohlfühlst. Weihnachten ist ihre liebste Jahreszeit. Sie bastelt und dekoriert mit meiner Mutter um die Wette. Manchmal ist es kaum auszuhalten.“

Jim schenkte ihm von der Seite ein Lächeln. „Es gibt sicher Schlimmeres, Bones. Und ich finde es wirklich schön.“ Die Dekoration gab dem Raum sofort etwas von Wärme und Geborgenheit.

„Mein Schlafzimmer ist direkt gegenüber“, ließ Bones ihn wissen, „falls du … etwas brauchen solltest.“

Jim sah seinen Freund einige gedehnte Sekunden an, ehe er nachdenklich nickte. Etwas an Bones‘ Ton verwirrte ihn, aber er konnte nicht genau sagen was es war. „Gut zu wissen.“ Es kam ihm auch etwas seltsam vor, dass sie sich kein Schlafzimmer teilten. Er hatte sich sehr daran gewöhnt, dass sie abends noch im Dunkel ihres gemeinsamen Quartiers miteinander redeten, ehe sie einschliefen.

Beide Männer beschlossen zunächst ihre jeweiligen Taschen auszupacken. Jim konnte es kaum erwarten, endlich in etwas Legeres zu schlüpfen, und entschied sich für ein Langarmshirt und schlichte Jeanshosen. Zivile Kleidung fühlte sich etwas ungewohnt an, wenn man über so viele Monate hinweg – und meist auch am Wochenende – in der Kadettenuniform herumlief. Zivilistinnen hatte er schnell gelernt, standen auf Männer in Uniform, selbst wenn diese nur Kadetten waren.

Im Haus war es relativ warm. Er schob sich die Ärmel daher hoch, als er die Stufen ins untere Stockwerk hinabging. Sicher konnte er Mrs McCoy bei der Vorbereitung des Abendessens zur Hand gehen. Jim brauchte einen Moment, um sich in dem fremden Haus zu orientieren, glaubte dann jedoch die Küche gefunden zu haben. Er konnte hören, wie sich Bones mit seiner Mutter unterhielt und steuerte zielstrebig auf die Stimmen zu.

Beide verstummten plötzlich als Jim die Küche betrat. Sofort hatte er das Gefühl zu stören und murmelte eine Entschuldigung, während er sich abwandte und bereits wieder halb auf dem Flur war.

„Jim …“ Bones tauchte im Gang hinter ihm auf. „Komm zurück. Es ist okay.“

„Ich wollte euch nicht stören. Bestimmt hast du viel Gesprächsstoff mit deiner Mutter nachzuholen. Ich kann mich auch eine Weile allein beschäftigen.“

„Unsinn“, winkte Bones ab und nickte zur Küche.

Jim konnte seinem Freund ansehen, dass er es ehrlich meinte. Allerdings sah er auch, dass Bones ein klein wenig nervös war. Weshalb auch immer. Nichtsdestotrotz folgte er ihm wieder zurück in die Küche, wo Mrs McCoy die Spitzen frischer Bohnen abschnitt und einen kurzen Blick mit ihrem Sohn austauschte.

„Also, wie kann ich helfen?“, fragte Jim und versuchte nicht zu viel in Bones‘ seltsames Verhalten hinein zu interpretieren.

§§§

Jim gab sich alle Mühe der Familie McCoy das Weihnachtsfest nicht zu verderben. Er begleitete sie wortlos zur Kirche und ertrug die Spätmesse, ließ sich anschließend vor der Kirche von vollkommen Fremden Leuten umarmen, die ihm gesegnete Weihnachten wünschten und ihn ganz allgemein behandelten, als wäre er Teil der Familie. Joanna lehnte sich während der Fahrt nachhause auf dem Rücksitz an Jim und schlief kurz vor der Ankunft tatsächlich vor Erschöpfung ein.

Leonard war stolz auf ihn. Wer es nicht wusste, würde nicht ahnen, dass Jim ein totaler Weihnachtsmuffel war und sich für gewöhnlich zu dieser Zeit schon den zigsten Drink hinter die Binsen gekippt hatte. Die meisten davon ließ Jim sich spendieren. Er konnte ausgesprochen charmant sein, wenn er wollte und auch sehr überzeugend. Beides oftmals zu Leonards Leid.

„Ich bringe sie eben fix ins Bett“, ließ er seine Eltern und auch Jim wissen, ehe er Joanna aus dem Auto hievte und ins Haus trug. Mit ihren elf Jahren wurde sie ihm allmählich schwer. Leonard konnte sich noch gut erinnern, wie federleicht sie als Baby in seinen Armen geschlafen hatte.

Jim folgte ihm wortlos ins obere Stockwerk, nachdem er sich für den Tag bei Leonards Eltern bedankt hatte, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen.

Leonard hätte gerne noch etwas Zeit mit ihm verbracht, konnte aber auch verstehen, dass die vielen Eindrücke des Tages Jim sicherlich viel Kraft und womöglich auch Nerven gekostet hatten. Der morgige Tag, wusste Leonard, würde ruhiger werden. Sie würden morgens ihre Geschenke auspacken, in aller Gemütlichkeit gemeinsam frühstücken und dann vielleicht einen Spaziergang machen.

Nachdem er Joanna ins Bett gebracht hatte, machte Leonard es sich in seinem eigenen Bett bequem. Er hatte sich noch einen Tee zubereitet, der dampfend auf dem Nachtisch stand, schnappte sich sein Buch, das er vor einigen Tagen begonnen hatte zu lesen und schlug es auf.

Der Duft des Weihnachtsgewürztees stieg ihm in die Nase. Er zog die Bettdecke etwas höher, trank einen Schluck Tee und kuschelte sich in die weichen Kissen. Es war so still in seinem Zimmer, dass er sich kaum auf das Buch in seinen Händen konzentrieren konnte. Für gewöhnlich war es eher so, dass er sich Stille wünschte, Jim jedoch ohne Punkt und Komma auf ihn einredete. Nun, wo sie durch Wände voneinander getrennt waren, fehlte ihm Jims Geplapper tatsächlich. Die Ruhe fühlte sich viel zu ungewohnt an.

Irgendwann döste er schließlich halb über dem Roman ein, bis ein leises Klopfen an seiner Tür ihn wieder weckte. „Komm rein“, sagte er schläfrig und ging davon aus, dass es Joanna war, die vor lauter Aufregung nicht mehr schlafen und daher zu ihm kuscheln wollte. Zu seiner Überraschung streckte jedoch Jim seinen verwuschelten Blondschopf durch den Türspalt.

„Hab ich dich geweckt?“

Leonard blinzelte, klappte das Buch zu und legte es neben die leere Teetasse auf das Nachtschränkchen. „Nein, schon gut. Ist alles okay?“

Jim schloss die Tür leise hinter sich und trat unsicher an Leonards Bett. „Eigentlich schon, nur …“

Leonard setzte sich im Bett auf. Jims Körpersprache war von Unsicherheit geprägt. Hätte seine karierte Pyjamahose Taschen gehabt, hätte Jim seine Hände sicher darin versteckt. So rieb er sie an den Seiten seiner Hüften, kratzte sich am Hinterkopf und sah Leonard verunsichert an.

„Du fühlst dich hier nicht wohl“, mutmaßte Leonard.

Jim schüttelte den Kopf. „Doch, Bones. Nur …“

Schon wieder dieses Wort. Nur. „Was?“ Leonard war müde. Er hatte doch schon halb geschlafen. „Wie kann ich dir helfen?“

„Mein Zimmer ist so still“, sagte Jim dann leise, fast schon schüchtern. „Ich kann dich nicht atmen hören.“ Ein entschuldigendes Lächeln zupfte an Jims Mundwinkel.

Es beruhigte Leonard, dass er nicht als einziger die ungewohnte Stille als unangenehm empfand. Nur, was erwartete Jim jetzt von ihm? „Hast du einen Vorschlag, wie wir das Problem lösen können?“

„Du hast gesagt, ich kann rüberkommen, wenn ich was brauche.“

Ja, das hatte Leonard gesagt. Langsam nickte er. „Möchtest du … hier schlafen?“ Das Bett wäre breit genug. Leonard wusste es genau. Aber er wusste auch, dass er vermutlich kein Auge zu bekäme, wenn Jim tatsächlich neben ihm liegen und er ihn ganz dicht bei sich spüren würde. Sein Herzschlag verdoppelte sich, während die Sekunden verstrichen und er auf Antwort wartete.

Als Jim unsicher nickte, verschlug es Leonard kurzzeitig den Atem. Als der erste Schockmoment überstanden war und er wieder klar denken konnte, rutschte er noch etwas mehr auf die linke Seite und machte Jim die rechte frei. Er hob die Decke halb an und Jim schlüpfte sofort darunter, ohne Leonard dabei zu berühren.

„Besser?“, erkundigte sich Leonard. Jim atmete tief durch und nickte dann mit einem beseelten Lächeln im Gesicht. „Wunderbar. Dann mach bitte das Licht aus.“

Die plötzliche Dunkelheit, die dem leisen Klick folgte, versetzte Leonard für einen flüchtigen Moment in Panik. Er hielt unbewusst die Luft an, zog die Bettdecke fast bis unters Kinn und starrte an die verdunkelte Zimmerdecke.

„Bones?“

Er ließ die Luft aus seinen Lungen entweichen. „Ja?“

„Worüber hast du mit deiner Mutter gesprochen, als ich heute in die Küche kam?“ Als Leonard ihm eine Antwort schuldig blieb, fuhr er fort. „Ich hatte den Eindruck, dass es um mich ging.“

Ein leises Seufzen ging Leonards Antwort voraus. „Dein Eindruck war richtig.“ Jim so nah zu sein, brachte ihn fast um den Verstand. Er konnte Jims Körperwärme deutlich spüren, obwohl einige Zentimeter zwischen ihnen lagen. Und was noch schlimmer war, er konnte Jim auch riechen. Jim besaß zwei Düfte. Den nach dem alltäglichen Eau de Toilette, und den nach dem Parfum, das er trug, wenn er auf einen One-Night-Stand aus war. An diesem Abend roch er nach dem Eau de Toilette, was Leonard deutlich angenehmer fand.

„Und, erzählst du mir auch worum genau es ging? Muss ich mir Sorgen machen?“

Leonard schwieg und starrte an die Decke. „Du musst dir keine Sorgen machen. Sie findet dich sehr sympathisch.“

Darauf sagte zunächst keiner von beiden etwas. Es vergingen Minuten, bis Jim sich so auf die Seite legte, dass er Leonard ansehen konnte. Leonard spürte seinen Blick deutlich und wandte ihm schließlich im Halbdunkel den Blick zu. Er konnte kaum mehr als Umrisse erkennen.

Seine Mutter hatte wissen wollen, ob sich inzwischen etwas zwischen ihnen ergeben hätte und ob dies der Grund dafür sei, dass Leonard Jim in diesem Jahr mitgebracht hatte. Er hatte seiner Mutter nur sagen können, dass sie weiterhin platonische Freunde seien, auch wenn er mehr für Jim empfand.

„Jim … ich muss dich etwas fragen.“ Leonard stützte sich auf dem Ellbogen ab, auch wenn es eigentlich nichts brachte, weil es immer noch genauso dunkel im Zimmer war, wie zuvor auch.

„O-kay.“ Jims Stimme verriet Leonard, dass er sich auf etwas gefasst machte. Er kannte nahezu jede Tonlage von Jim und konnte ihn daher auch gut einschätzen, ohne ihn sehen zu müssen.

Leonard nahm all seinen Mut zusammen. „Erinnerst du dich an das Angebot, das ich dir vor etwa anderthalb Jahren gemacht habe?“

„Angebot?“ Jim schob seine rechte Hand unter seine Wange.

Mehr konnte Leonard nicht sehen. Allerdings wagte er es nicht, das Licht anzuschalten. Er wollte im Grunde nicht, dass Jim ihn sehen konnte, auch wenn das bedeutete, dass es sich umkehrt genauso verhielt. „Wir hatten einiges getrunken. Das war ein paar Wochen, nachdem ich deine – ähm – Infektion geheilt hatte.“

„Du meinst das Angebot, mit dir zu schlafen anstatt mit Fremden?“

„Ja.“

Daraufhin schwieg Jim. Er schwieg sogar ziemlich lang. Leonard bekam ein mulmiges Gefühl und spürte den wachsenden Drang das eigene Schlafzimmer fluchtartig zu verlassen.

„Ich könnte dich nie so benutzen“, flüsterte Jim dann.

Leonards Herz setzte einen Schlag aus. Er wollte etwas erwidern, aber er wusste nicht was. Er wusste ja nicht mal, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte. „Verstehe“, krächzte er dann und ließ sich in einem Anflug von Ratlosigkeit auf sein Kissen zurückfallen.

„Das glaube ich nicht.“ Plötzlich kam Bewegung in Jim und er legte sich halb auf Leonard. „Du hast keine Ahnung, Bones.“ Leonard wollte etwas sagen, aber seine Kehle war durch Jims plötzlich unmittelbare Nähe vollkommen zugeschnürt. „Wie könnte ich dich benutzen und dann einfach so tun als wäre das auch noch in Ordnung? Weißt du denn nicht, wie viel du mir bedeutest?“ Jim stützte sich auf dem linken Ellbogen ab und schickte die rechte Hand durch Leonards Haar. Seine Fingerspitzen hinterließen überall eine kribbelnde Spur auf Leonards Wange, wo Jim seine Haut streichelte. „Du bist nicht irgendwer für mich, das weißt du doch.“

„Aber ich dachte …“, brachte Leonard mühsam hervor, „dachte … du …“

„Dass ich dich nicht will?“ Leonard konnte das Lächeln in seiner Stimme hören und nickte daraufhin wortlos. „Dummkopf“, flüsterte Jim, nur einen Augenblick bevor er seine Lippen zu einem unendlich zärtlichen Kuss auf Leonards senkte.

Leonards Verstand setzte für Sekunden aus. Als wieder Leben in ihn kam, zog er Jim gänzlich auf sich und vertiefte den Kuss. Jims Lippen wanderten über Leonards Kinn hinab zu seinem Hals, wo er Küsse auf jedem Zentimeter Haut hinterließ. Leonard konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Er verlor sich ganz und gar in dem Gefühl von Jims Zärtlichkeiten.

„Ich werde dir zeigen wie sehr ich dich will, Bones“, hauchte Jim unmittelbar über seiner Haut, ehe er den Hals hinter sich ließ und seine Reise weiter südwärts antrat, um Leonard mit Lippen und Zunge zu verwöhnen.

Von diesem Moment an hatte Leonard in der Tat nie wieder Zweifel daran, dass seine Gefühle möglicherweise unerwidert sein könnten. An diesem Weihnachtsabend ging sein Herzenswunsch in Erfüllung.


~ Ende
Fröhlich Weihnachten!
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